Landgericht Osnabrück
Urt. v. 24.04.2002, Az.: 9 O 3071/01

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
24.04.2002
Aktenzeichen
9 O 3071/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2002:0424.9O3071.01.0A

Fundstelle

  • NZV 2004, 94-95 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 10.04.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Hoffmann als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 782,24 DM (= 399,95 EUR) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit dem 07.12.2001 zu zahlen.

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 453,72 DM (= 231,98 EUR) nebst 5 % über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit dem 07.12.2001 zu zahlen.

    Im Übrigen werden die Klageanträge zu III und IV abgewiesen.

    Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Zukunftsschäden aus dem Motorradunfall vom 30.04.1998 auf der ... Straße in ... zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

    Im übrigen ist die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Im Jahre 1998 wollte die am 15.01.1974 geborene Klägerin, eine examinierte Erzieherin, den Motorradführerschein erwerben. Im Rahmen der ersten praktischen Fahrstunde am 30.04.1998, die von dem Beklagten zu 1. durchgeführt wurde, kam es zu einem Unfall, bei dem die Klägerin erheblich verletzt wurde.

2

Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 1. vor, dass das Motorrad, auf dem sie die erste praktische Fahrstunden durchführen sollte, für sie ungeeignet gewesen sei. Es sei für sie zu groß gewesen. Im übrigen habe sie den Kupplungshebel nur mit den Fingerspitzen erreichen können. Die praktische Fahrstunde habe um 19.15 Uhr begonnen. Hierbei habe sie erhebliche Schwierigkeiten, insbesondere mit dem Kuppeln und dem Gasgeben gehabt, so dass sie das Motorrad mindestens 10 mal abgewürgt habe. Auf der anschließenden Fahrt zur Unfallstelle habe sie auch Schwierigkeiten mit dem Blinker und dem Rückspiegel gehabt. An der Kreuzung ... Straße/... Straße habe der Beklagte zu 1. die Anweisung gegeben, nach links in die ... Straße einzubiegen. Wegen Gegenverkehrs habe sie zunächst anhalten müssen. Beim Anfahren sei ihr der Kupplungshebel entglitten, sie sei mit dem Motorrad nach vorne geschossen, von der Fahrbahn abgekommen und frontal gegen eine Straßenlaterne geprallt. Die erheblichen Verletzungen der Klägerin sind unstreitig. Insoweit wird auf die sich bereits bei den Akten befindlichen ärztlichen Gutachten Bezug genommen.

3

Die Klägerin behauptet weiter: Sie sei bis heute arbeitsunfähig. In ihrem gelernten Beruf als examinierte Erzieherin werde sie voraussichtlich nicht mehr arbeiten können. Sie werde auch in absehbarer Zeit keine Kinder bekommen können. Die Klägerin macht restlichen Verdienstausfall für die Zeit vom 01.05.1998 bis zum 30.11.2001 in Höhe von 33.413,65 DM, restliches Schmerzensgeld nach Zahlung von 76.921,84 DM, restliche Heilungskosten in Höhe von 852.42 DM sowie restlichen Sachschaden in Höhe von 953,72 DM geltend.

4

Die Klägerin beantragt,

I.)

5

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin netto 33.413,65 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen (Verdienstausfall).

6

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die auf den Verdienstausfall entfallende Lohnsteuer zu ersetzen.

7

II.)

Die Beklagen werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldbetrag für den Zeitraum vom 30.04.1998 bis zum 30.11.2001 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

III.)

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 852,24 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen (Heilungskosten).

9

IV.)

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 953,72 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen (Sachschaden).

10

V.)

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden -- letztere, soweit sie nach dem 30.11.2001 entstehen, aus dem Motorradunfall vom 30.04.1998 auf der ... Straße in ... zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

11

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

12

Sie tragen vor: Die praktische Fahrstunde habe bereits um 19.00 Uhr begonnen. Das Motorrad sei für die Klägerin in jeder Hinsicht geeignet gewesen. Die vor dem Unfall durchgeführten Fahrübungen hätte die Klägerin gemeistert. Sie habe das Motorrad nur etwa 5 bis 6 mal abgewürgt. Zu dem Unfall sei es gekommen, weil die Klägerin habe die Kupplung "fliegen lassen" und zuviel Gas gegeben habe. Seit dem 28.08.2000 sei sie wieder arbeitsfähig.

13

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der eingereichten Schriftsätze verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften vom 23.01. und 10.04.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist in dem zuerkannten Umfange begründet.

15

Die Haftung des Beklagten zu 1. folgt aus §823, 847 BGB, die der Beklagten zu 2. aus §3 PflichtVersG. Das fahrlässige pflichtwidrige Verhalten des Beklagten zu 1. ergibt sich daraus, dass er die Klägerin nicht ausreichend auf Fahrsitutationen vorbereitet hat, wie sie sich einem Motorradfahrer im öffentlichen Straßenverkehr stellen, aber die Klägerin dennoch veranlasst hat, mit dem Motorrad im öffentlichen Straßenverkehr zu fahren. Als Maßstab hierfür kann der sogenannte Curriculare Leitfaden der Studienstelle der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. herangezogen werden. Dies wird auch von keiner Partei in Abrede gestellt. Nach diesem Leitfaden ist die praktische Ausbildung in 5 Stufen aufgebaut: Grundstufe, Aufbaustufe, Leistungsstufe, Stufe der Sonderfahrten und Reife- und Teststufe. Inhalt der Grundstufe sind Balanceübungen. Einhaltung der Sitzpositionen, Handhabung des Motorrades, Anfahrt und Anhalteübungen sowie Kreisfahren. In der Aufbaustufe sind Übungen im instabilen Bereich vorgesehen, und zwar Fahren in Schrittgeschwindigkeit, Stop and Go, Slalom in Schrittgeschwindigkeit, Anfahren nach links und rechts mit Lenkeinschlag und Wenden. Lernziele sind das Beherrschen des Kraftrades im instabilen Bereich, Ausbalancieren des Motorrades im langsamen Fahrbereich, auch in Verbindung mit Links- bzw. Rechtsabbiegen, Erkennen und Erleben des Zusammenspiels von Gas- Kupplung- Fußbremse sowie beim Wenden den Kurvenradius und die dazugehörige Geschwindigkeit abschätzen lernen.

16

Die Anhörung des Sachverständigen hat ergeben, dass der Beklagte zu 1. nach seinem eigenen schriftsätzlichen Vortrag sowie nach seinen Angaben im Termin vom 23.01.2002 es unterlassen hat, das Anfahren nach links und rechts mit Lenkeinschlag zu üben. Insbesondere aus der Anhörung des Beklagten zu 1. ergibt sich, dass der Beklagte zu 1. allenfalls noch Anfahr- und Anhalteübungen mit der Klägerin durchgeführt hat. Nach eigenen Angaben des Beklagten zu 1. sei das Kreisfahren noch nicht speziell geübt worden. Er hätte die Absicht gehabt, dies später zu machen. Hieraus folgt, dass der Beklagte zu 1. nicht einmal alle Übungen aus der Grundstufe durchgeführt hatte, als er die Klägerin veranlasste, sich mit dem Motorrad in den öffentlichen Straßenverkehr zu begeben. Die Übungen im instabilen Bereich bauen jedoch auf den Übungen der Grundstufe auf, so dass es auch ausgeschlossen ist, dass bereits derartige Übungen sinnvoll durchgeführt werden, ohne dass die Übungen der Grundstufe abgeschlossen sind. Entgegen seiner Anhörung im Termin vom 23.01.2002 hat der Beklage zu 1. im Termin vom 10.04.2002 plötzlich behauptet, auch diese Übungen im instabilen Bereich durchgeführt zu haben, und zwar insgesamt 14 Mal. Zu dieser Behauptung hat sich der Beklagte zu 1. aber erst dann verstanden, nachdem der Sachverständige Plitt festgestellt hatte, dass das Anfahren nach links und rechts mit Lenkeinschlag nach den eigenen Angaben des Beklagten zu 1. im Termin vom 23.01.2002 nicht geübt worden sei. Hieraus wird deutlich, dass sich der Beklagte zu 1. offensichtlich seiner Verantwortung durch nachgeschobene Behauptungen entziehen will, wohl auch mit Rücksicht auf die Beweislast, die bei der Klägerin liegt. Das Gericht schenkt den neuen Behauptungen des Beklagten zu 1. auch deshalb keinen Glauben, weil er im Termin vom 23.01.2002 gebeten worden ist, den Verlauf der praktischen Fahrstunde am 30.04.1998 so genau zu schildern, wie möglich, und insbesondere auch aufzuzeigen, was an dem Vortrag der Klägerin nicht zutreffe. Hierbei hat er die genannte Übung nicht erwähnt. Der Beklagte zu 1. mußte sich bewusst sein, dass er in der praktischen Motorradausbildung in einem mit ganz erheblichen Risiken behafteten Schulungsfeld arbeitet.

17

In dem Curricularen Leitfaden der Studienstelle der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. heißt es dazu wörtlich: Verschiedene Risiken wie: Sturz -- Verletzungen des Schülers -- geringe Eingriffsmöglichkeit -- nicht vorhersehbare Verhaltensfehler des Fahrschülers und anderen und vieles mehr verlangen nach sorgfältiger Planung und Durchführung des Fahrunterrichts. Deshalb ist es notwendig, in geplanten, kleinen und aufeinander aufbauenden Lernschritten vorzugehen. Besonders zu Beginn der Fahrausbildung kommt es darauf an, die Leistungsfähigkeit und Vorhererfahrung des Fahrschülers nicht zu überschätzen. Der vorsichtige Einstieg, mit anschließendem zügigen Lernfortschritt, ist dem zu anspruchsvollen, mit unnötigen Risiken und Rückschlägen behafteten Ausbildungskonzept vorzuziehen. Dieser Beurteilung schließt sich das Gericht im vollen Umfang an. Für ein Mitverschulden der Klägerin bestehen keine Anhaltspunkte. Insbesondere kann der Klägerin der Fahrfehler, der zu dem Unfall geführt hat, nicht angelastet werden, weil sie sich in der ersten Fahrstunde befand und die entsprechende Fahrsituation noch gar nicht geübt hatte.

18

Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass von den Beklagten substantiiert Mitverschuldensgesichtspunkte vorgetragen werden.

19

Zur Schadenshöhe: Sogenannte Heilungskosten stehen der Klägerin in Höhe von 782,24 DM zu. Nachdem sich die Parteien wegen der Fahrten zu den Krankenhäusern in Meppen und Münster auf einen Betrag von 800,00 DM geeinigt haben, ist diese Schadensposition auch insgesamt zwischen den Parteien unstreitig. Weiterem sogenannten Sachschaden haben die Beklagten in Höhe von 453,72 DM zu ersetzen. Den Schaden an der Motorradbekleidung hat das Gericht gem. §287 ZPO auf 500,00 DM geschätzt, weil die Gegenstände zum Teil schon länger benutzt worden waren. Die weiteren Positionen sind unstreitig. Insgesamt ergibt sich ein Schadensersatzanspruch der Klägerin insoweit in Höhe von 1.023,72 DM. Hierauf sind 470,00 DM gezahlt worden, so dass ein Restanspruch in Höhe von 453,72 DM besteht. Der Zinsanspruch folgt aus §§288 BGB.

20

Darüber hinaus war festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen. Eine zeitliche Begrenzung bezüglich der immateriellen Schäden für die Zeit nach dem 30.11.2001 war nicht auszusprechen. Dies würde voraussetzen, dass die Auswirkungen der Verletzungen nur für diesen bestimmten Zeitraum übersehen werden können, was nicht der Fall ist. Wegen des Verdienstausfallschadens und des Schmerzensgeldanspruches konnte nur eine Entscheidung dem Grunde nach erfolgen, weil insoweit noch weitere Tatsachenfeststellungen erfolgen müssen. Wie oben ausgeführt, haften die Beklagten zu 100 %, weil ein Mitverschulden der Klägerin nicht feststellbar ist.

21

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §708 Nr. 11, 711 ZPO. Hoffmann