Landgericht Osnabrück
Urt. v. 06.11.2002, Az.: 2 O 2740/00

Feststellung der Ersatzverpflichtung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden wegen eines Behandlungsfehlers; Behandlungsfehler in Form einer fehlerhaften medizinischen Abklärung der Ursache einer Blauverfärbung und Schwellung eines Beines; Ausgleichsfunktion und Genugtuungsfunktion von Schmerzensgeld

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
06.11.2002
Aktenzeichen
2 O 2740/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30441
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2002:1106.2O2740.00.0A

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.000,00 EUR nebst 4% Zinsen seit dem 02.02.2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 21.08.1997 bis einschließlich 26.08.1997 im Y-Krankenhaus in Z zu erstatten.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Leistung eines Schmerzensgeldes sowie um die Feststellung der Ersatzverpflichtung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden.

2

Die am 05.08.1997 geborene Klägerin wurde am 21.08.1997 dem Kinderarzt Dr. X vorgestellt, weil der Mutter beim Wickeln der Klägerin aufgefallen war, daß das linke Bein der Klägerin sich blau verfärbt hatte. Zudem war das linke Bein ca. 3 cm dicker als das rechte Bein. Der Kinderarzt überwies die Klägerin zur Vorstellung in die Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin des Y-Krankenhauses. Im Rahmen der zunächst lediglich ambulanten Vorstellung wurde eine Sonographie des Schädels und des Abdomens durchgeführt, bei der sich keine Besonderheiten ergaben. Am späten Abend des 21.08.1997 bzw. in der Nacht zum 22.08.1997 erfolgte dann die stationäre Aufnahme der Klägerin im Y-Krankenhaus in Z. Die Klägerin ist und war Kassenpatientin und dementsprechend wurde sie im Rahmen eines einheitlichen Krankenhausvertrages aufgenommen. Bei der stationären Aufnahme wurde die Klägerin durch die Ärzte des Y-Krankenhauses untersucht, als vorläufige Diagnose wurde ein Hämatom des linken Beines in die Krankenunterlagen eingetragen bei Verdacht auf eine Abschnürung durch Kleidungsstücke (z.B. Windeln); ferner wurde an das Vorliegen einer Vitamin-K-Mangelblutung gedacht. Am 22.08.1997 wurde ein sogenanntes Babygramm sowie eine Röntgenaufnahme des Schädels in zwei Ebenen durchgeführt, allerdings ohne Befund. Eine Sonographie des Schädels ergab ebenfalls keine auffälligen Befunde. Ferner wurde eine Abdomensonographie durchgeführt und Ultraschallbilder des linken und rechten Oberschenkels gefertigt.

3

Die Klägerin verblieb bis zum 26.08.1997 im Y-Krankenhaus. Anläßlich des Entlassungsgespräches wurde den Eltern der Klägerin nochmals erklärt, daß die Ursache der Blaufärbung und Schwellung der Beine allein dadurch verursacht worden sein, daß die Klägerin zu stramm gewickelt worden sei. Am Entlassungstage hatte sich die Blaufärbung des linken Beines zurückgebildet, das linke Bein war aber noch dicker als das rechte Bein. Da in der Folgezeit das linke Bein der Klägerin weiterhin eine Schwellung zeigte, überwies der Kinderarzt Dr. X auf Veranlassung der Mutter der Klägerin die Klägerin an die Universitätsklinik XX. Dort wurde am 27.11.1997 die Diagnose "Zustand nach Thrombose der Vena cava und Nierenvenenthrombose rechts" gestellt. Die Klägerin verblieb bis zum 05.12.1997 in der Kinderklinik XX, bei ihr wurde eine medikamentöse Thromboseprophylaxe durchgeführt, die rechte Niere war funktionslos. Es stellte sich dann bei der Klägerin Bluthochdruck ein mit der Folge, daß im Juni 1998 anläßlich eines Aufenthaltes in der Kinderklinik XX vom 02.06. - 08.06.1998 die rechte Niere entfernt wurde.

4

Die Klägerin leidet noch heute unter den Folgen der Thrombose und zwar insoweit, als bei warmer Witterungslage das linke Bein anschwillt. Ferner hat sich ein Umgehungskreislauf gebildet; die Ader verläuft sichtbar wulstig direkt über der Haut vom Bein zum Herzen. Des weiteren litt die Klägerin (zunächst) unter Bluthochdruck, sie musste täglich den Blutdruck messen und dreimal täglich Medikamente zur Stabilisierung des Blutdrucks einnehmen. Inzwischen hat sich der Blutdruck relativ normalisiert, jedoch ist weiterhin eine ständige Kontrolle des Blutdrucks notwendig und halbjährlich muß bei einem Nephrologen in der Universitätsklinik XX eine Kontrolluntersuchung durchgeführt werden.

5

In einem durchgeführten Schlichtungsverfahren hat Prof. Dr. YY (Direktor der Abteilung für Pädiatrische Nephrologie) in seinem Gutachten vom 28.06.1999 ( Bl. 8 - 20 d.A. ) ausgeführt, daß den behandelnden Ärzten des Beklagten bei der Behandlung der Klägerin ein ärztlicher Fehler unterlaufen sei.

6

Die Klägerin behauptet unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. YY, zu Beginn der stationären Behandlung hätte eine Venenthrombose durch die Ärzte des Beklagten festgestellt und entsprechend behandelt werden können, die verschlossene Vene wäre dann rechtzeitig geöffnet worden und die Folgeerscheinungen (Bluthochdruck, Bildung eines Umgehungskreislaufes sowie Nierenvenenthrombose mit der Folge der Nierenentfernung) wären dann nicht aufgetreten. Der von den Ärzten geäußerte Verdacht einer Vitamin-K-Mangelblutung gehöre demgegenüber nicht zu den in der Literatur beschriebenen Symptomen einer einseitigen Beinschwellung. Da das gesamte linke Bein geschwollen gewesen sei, sei die Durchführung einer Beinvenensonographie nicht ausreichend gewesen, vielmehr hätte auch eine Beurteilung der Beckenvenen und der Vena cava erfolgen müssen. Spätestens am 2 bzw. 3 Tag des stationären Aufenthaltes hätten die Ärzte nach Erhalt der Gerinnungswerte andere diagnostische Methoden einsetzen müssen, erforderlich wäre der Einsatz einer Farbdoppler-Sonographie gewesen bzw. eine Überweisung an eine Fachklinik. Im Zeitpunkt der stationären Behandlung in Z habe eine Nierenvenenthrombose noch nicht vorgelegen, bei unverzüglichem Erkennen der Erkrankung und einer sofort eingesetzten Thombosetherapie hätte die weitere pathologische Entwicklung verhindert werden können. Die Klägerin meint, den Ärzten sei ein grober Behandlungs- bzw. Diagnosefehler unterlaufen.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Beklagten zu verurteilen, an sie an angemessenes Schmerzensgeld (15.000,00 DM) nebst 4% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2001 zu zahlen.

  2. 2.

    festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 21.08.1997 bis einschließlich 26.08.1997 im Y-Krankenhaus zu erstatten.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Der Beklagte ist der Auffassung, den behandelnden Ärzten sei ein Diagnose- bzw. Behandlungsfehler nicht unterlaufen. Er behauptet, die in seinem Hause durchgeführte Diagnostik sei in jeder Hinsicht - auch im Hinblick auf eine Thromboseabklärung - den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend ausgeführt sowie ausreichend gewesen. Eine Beinvenenthromose sei bereits zu Beginn des stationären Aufenthaltes in die differential - diagnostischen Erwägungen einbezogen worden, der Beklagte bestreitet jedoch, daß sich während des stationären Aufenthaltes eine Beinvenenthrombose (aus der sich die schadenbringende Nierenvenenthrombose entwickelt habe) überhaupt vorgelegen habe bzw. entstanden sei. Die zur Thromboseabklärung durchgeführte Muskel- und Kompressionssonographie sei ausreichend gewesen, für das Vorliegen einer Thrombose hätte sich anläßlich des stationären Aufenthaltes keine Hinweise ergeben. Denn die durchgeführte Sonographie habe keinen auffälligen Befund ergeben. Insgesamt seien keine Risikozeichen für eine Thrombose (z.B. postnatale Geburtsrisiken, zentraler Venenkatheter, Narbelvenenkatheter oder Nabelantherien -katheter) festgestellt worden. Die insgesamt von den Ärzten eingeleiteten Maßnahmen würden eine ausreichende Thromboseabklärung darstellen. Ein Hinweis auf ein thrombotisches Geschehen habe sich nicht ergeben, vielmehr sei die gestellte Diagnostik des Verdachts auf eine Vitamin-K-Mangelblutung und eine traumatische Genese eines Hämatoms infolge Abschnürung zutreffend gewesen.

10

Den derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin bestreitet der Beklagte mit Nichtwissen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen und gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

12

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 12.02.2001 (Bl. 118, 119 d.A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens sowie (auf Einwendungen des Beklagten) durch Einholung eine Ergänzungsgutachtens der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin - Abteilung für pädiatrische Hämatologie und Onkologie - in ZZ.

13

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Direktors der Klinik - Prof. Dr. XY - vom 05.12.2001 (Bl. 159 - 167 d.A.) sowie auf das Ergänzungsgutachten vom 04.04.2002 (Bl. 185 - 187 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die (zulässige) Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang begründet.

15

I.

Der Anspruch auf Zahlung des zuerkannten Schmerzensgeldes ergibt sich aus §§ 31, 823 Abs. 1, 847, 831 BGB.

16

Denn den im Y-Krankenhaus (welches in der Trägerschaft des Beklagten steht) tätigen und mit der medizinischen Versorgung der Klägerin betrauten Ärzten ist während des stationären Aufenthaltes der Klägerin vom 21.08. - 26.08.1997 ein Behandlungsfehler in Form einer fehlerhaften medizinischen Abklärung der Ursache der Blauverfärbung und Schwellung des linken Beines unterlaufen bzw. muss den Ärzten als fehlerhaft vorgeworfen werden, daß sie die Klägerin nicht an eine andere (eine Maximalversorgung der Klägerin) leistende Klinik überwiesen haben. Der Behandlungsfehler hat zu (bleibenden) gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin sowie zum Verlust der rechten Niere geführt.

17

Der von der Kammer beauftragte Sachverständige Prof. Dr. XY hat in seinem Gutachten vom 06.12.2001 sowie in einem Ergänzungsgutachten vom 04.04.2002 (unter kritischer Auseinandersetzung mit den von dem Beklagten erhobenen Einwendungen ) ausgeführt, daß den behandelnden Ärzten ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Der Sachverständige hat nach Auswertung der ihm überlassenen Krankenunterlagen festgestellt, daß die zunächst von den behandelnden Ärzten gestellte Verdachtsdyagnose einer Vitamin-K-Mangelblutung durch wiederholte Gerinnungsanalysen eindeutig ausgeschlossen worden sei. Die klinischen Anzeichen (Blauverfärbung des Beines, deutliche Schwellung, erheblicher Umfangsunterschied beider Beine sowie Ausdehnung des Befundes bis hin zum Fuß) seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine Thrombose zurückzuführen.Trotz des Fehlens einer ausreichenden Diagnostik sei davon auszugehen, daß bereits in der Zeit des statinoären Aufenthaltes der Klägerin im Y-Krankenhaus eine Beinvenenthrombose vorgelegen habe. In diesem Zusammenhang hat der Gutachter ausgeführt, Thrombosen im Kindesalter seien zwar ein seltenes Ereignis, dennoch würden Thrombosen im frühen Kindesalter (vor allem in der Neugeborenenzeit) am häufigsten auftreten. Die aus seiner Sicht eindeutige klinische Symtomatik hätte (bei der festgestellten unauffälligen Blutgerinnung) auf alle Fälle eher an ein thrombotisches Geschehen als an eine Blutung denken lassen müssen, die behandelnden Ärzte hätten mithin eine Thrombose als Verdachtsdiagnose in Erwägung ziehen müssen. Hochverdächtig war nach Einschätzung des Sachverständigen dabei die Schwellung des Beines sowie die Zyanose der unteren linken Extremität. Da die Beinschwellung links nicht abgeklungen sei, sei auch nicht von einer vorrübergehenden Stauung auszugehen gewesen. Aus den Unterlagen des Krankenhauses ergeben sich jedoch - wie der Sachverständige bei einer Überprüfung festgestellt hat - keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die behandelnden Ärzte von der Möglichkeit einer Thromose ausgegangen sind. Eine entsprechende Dokumentation ist von dem Sachverständigen jedenfalls nicht gefunden worden, weil ein entsprechender Eintrag in den Krankenunterlagen nicht existiert. Der Sachverständige gelangt deshalb zu dem (nachvollziehbaren und eingängigen) Ergebnis, daß seitens der behandelnden Ärzte keine weiteren adäquaten diagnostischen Maßnahmen durchgeführt wurden, um eine Beinvenenthrombose auszuschließen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige darauf hingewiesen, daß die durchgeführte konventionelle Sonographie sicher nicht ausreichend war, um eine Thrombose auszuschließen. Nach der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. XY waren weitere Untersuchungen notwendig, um eine Thrombose zu sichern bzw. auszuschließen. Dazu hätten aus ärztlicher Sicht in erster Linie eine Dopplersonographie der tiefen Bein- und Beckenvenen gehört, eine Einschätzung und Bewertung des Sachverständigen, die auch der im Schlichtungsverfahren tätige Sachverständige Prof. Dr. YY in seinem Gutachten vom 28.06.1999 ebenfalls als sachgerechte Maßnahme angegeben hat (vgl. Bl. 19 der Gerichtsakten, Seite 13 des Gutachtens Prof. Dr. YY). Auch auf die vorgebrachte Einwendung des Beklagten ist der Sachverständige Prof Dr. XY in seinem Ergänzungsgutachten bei seiner Beurteilung verblieben und hat nochmals in aller Deutlichkeit ausgeführt, daß bei dem vorgefundenen deutlichen klinischen Befund weitere Möglichkeiten der Diagnostik hätten genutzt werden müssen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre (mit welchem Verfahren auch immer) eine Thrombose entdeckt worden. Für den Sachverständigen war aus medizinischer Sicht unverständlich, daß die behandelnden Ärzte nach dem Verwerfen der initialen Diagnose einer Vitamin-K-Mangelblutung als Ursache für die beobachtete Beinschwellung und Blaufärbung keine weiteren diagnostischen Maßnahmen ergriffen haben, zumal insbesondere die gestellte Diagnose unklar gewesen sei. Allein das Unterlassen einer weiteren notwendigen sowie gebotenen Abklärung in Form weiterer diagnostischer Maßnahmen rechtfertigt daher die Annahme eines groben ärztlichen Fehlers. In diesem Zusammenhang führt der Sachverständige weiter aus, daß die behandelnden Ärzte in jedem Falle für eine Verlegung der Klägerin in eine andere Klinik mit ausreichenden Möglichkeiten der Abklärung/Diagnostik hätten drängen müssen, da eine notwendigerweise durchzuführende Dopplersynographie der tiefen Bein- und Beckenvenen im Krankenhaus des Beklagten nicht habe durchgeführt werden können. Da die behandelnden Ärzte weder eine absolut indizierte Untersuchung vornahmen noch eine Verlegung der Klägerin in eine Fachklinik veranlaßten, ist von einem groben ärztlichen Fehlverhalten auszugehen, da das Unterlassen weiterer diagnostischer Maßnahmen bzw. die Verlegung der Klägerin in eine andere (über die Möglichkeiten einer weitergehenden Diagnostik verfügende) Klinik aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist, weil ein solches Unterlassen einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die Ärzte haben unter Berücksichtigung der Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. XY gegen elementare Erkenntnisse nach den Regeln der medinischen Kunst verstoßen. Die Kammer hat keinerlei Bedenken, den in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden Darstellungen des Sachverständigen Prof. Dr. XY, der unter eingehender Auseinandersetzung und Würdigung mit sämtlichen (die Klägerin betreffenden) Krankenunterlagen das fehlerhafte ärztliche Vorgehen deutlich herausgestellt hat, zu folgen und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Seine gutachterlichen Ausführungen zeichnen sich (in deutlich erkennbarer Weise) durch eine besondere Fachkompetenz auf hohem Niveau aus, der Sachverständige benennt dabei konkrete Fakten, die das von ihm gefundene Ergebnis stützen.

18

Die in der Neugeborenenperiode (im Alter von 14 Tagen) aufgetretene Thrombose betraf nach den sachverständigen Ausführungen des von der Kammer beauftragten Gutachters die linke Vena femoralis, die Vena cava inferior und die rechte Vena renalis. Dabei kann nach der Begutachtung durch Prof. Dr. XY als äußere Ursache ein venöser Blutstau, evtl. hervorgerufen durch eine am linken Bein zu enge Windel zu der Thrombose geführt haben. Ausgehend von der Vena femoralis links könnte sich die Thrombose dann in Richtung Vena cava, Vena inferior und von da aus in die Vena renalis ausgedehnt haben. Der Sachverständige hat dafür in den gesichteten Unterlagen einen Befund entdeckt (rote Blutkörperchen im Urin), die ein Zeichen für eine Nierenbeteiligung sein könnten. Bei einem möglichen frühzeitigen Erkennen einer venösen Thrombose hätten medizinische Maßnahmen ergriffen werden können. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, daß Gefäße wiedereröffnet werden könnten, teilweise geschehe dies sogar spontan. Nach den Regeln der ärztlichen Kunst wäre in jedem Falle eine Antikoagulation (Verabreichung blutgerinnungs-hemmender Mittel) indiziert gewesen, möglich wäre auch eine sog. Lyse -Therapie gewesen, um diesen Vorgang zu beschleunigen bzw. erst zu ermöglichen.

19

Die anläßlich einer stationären Aufnahme am 27.11.1997 in der Universitätsklinik XX sonographisch nachgewiesene Thrombose der Vena renalis rechts, der linken Vena femoralis und der Vena cava inferior (nach dem Urteil des Sachverständigen Prof. Dr. XY spricht alles dafür, daß bereits in der Neugeborenenzeit eine Nierenvenen-Thrombose aufgetreten/abgelaufen ist) bedingte eine Funktionsverlust der Niere und führte zudem zu einem Bluthochdruck. Da der Bluthochdruck sich als therapieresistent erwiesen hatte, wurde in der Universitätsklinik XX die Indikation zur Nephrektomie bei funktionsloser Schrumpfniere rechts gestellt. Nach der Entfernung der Niere konnte sodann ein Rückgang der arteriellen Hypertonie beobachtet werden.

20

Das konkrete ärztliche Vorgehen in dem Krankenhaus des Beklagten hat mithin dazu geführt, daß eine von der Beinvene ausgehende Thrombose in Richtung Nierenvene gewachsen ist und schließlich zum Verschluss der rechten Nierenvene führte, der im weiteren Verlauf die Entfernung der rechten Niere notwendig machte. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, daß eine Mitursächlichkeit des groben Behandlungsfehlers für den Schaden bereits zur Bejahung des Ursachenzusammenhangs ausreicht.

21

Infolge des fehlerhaften ärztlichen Vorgehens und der von der Klägerin erlittenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist der Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet.

22

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat sich die Kammer basierend auf der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes von folgenden Erwägungen leiten lassen: Der Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld ist vorwiegend auf den Ausgleich der Schäden des Verletzten gerichtet, der durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden soll, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzung (bzw. verursacht durch den ärztlichen Fehler) unmöglich gemacht wurde. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld auch zu einer Genugtuung führen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommen als Bemessungsgrundlagen des Schmerzensgeldes u.a. Ausmaß und Schwere der psychischen und physischen Störungen, das Alter des Verletzten, die persönlichen Verhältnisse und Vermögensverhältnisse des Verletzten und des Schädigers, das Maß der Lebensbeeinträchtigung, Größe, Dauer, Heftigkeit der Schmerzen, Leiden, Entstellungen, Dauer der stationären Behandlung, Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes, Fraglichkeit der endgültigen Heilung und Grad des Verschuldens in Betracht. In Anwendung dieser Bemessungskriterien hält die Kammer die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 20.000,00 EUR für angemessen, aber auch ausreichend. Insoweit wird zunächst darauf hingewiesen, daß die Kammer mit der Zuerkennung des konkreten Schmerzensgeldes zwar über die von der Klägerin geäußerten Schmerzensgeldvorstellung hinausgeht, allerdings an die von der Klägerin vorgenommene Bezifferung des Schmerzensgeldes auch nicht gebunden ist. Die Kammer war - anders als bei bezifferten Klageanträgen - berechtigt, das Schmerzensgeld (entgegen der Vorstellung der Klägerin höher anzusetzen; die in § 847 BGB vorgesehene "billige Entschädigung in Geld" ist nach (richterlichem) Ermessen zu bestimmen.

23

Hinsichtlich der Schmerzensgeldhöhe hat die Kammer berücksichtigt, daß den behandelnden Ärzten ein grobes (nicht verständliches) Fehlverhalten vorzuwerfen war und dieses Fehlverhalten einen weiteren stationären Aufenthalt der Klägerin in der Zeit vom 27.11. - 05.12.1997 sowie ferner in der Zeit vom 02.06. - 08.06.1998 in der Universitätsklinik XX notwendig machte. Während dieses stationären Aufenthaltes mußte die (gerade einmal etwa 3 1/2 Monate alte) Klägerin aus ihrer gewohnten Umgebung herausgenommen werden, in einern ihr unvertrauten Umgebung verweilen und während des stationären Aufenthaltes konnte sie (naturgemäß) nicht durchgehend von den beiden Elternteilen als Bezugspersonen betreut werden. Allein dieser Umstand ist von ganz wesentlicher Bedeutung, da gerade die erste Zeit nach der Geburt einen ganz bestimmenden Faktor für die weitere Lebensentwicklung des (neugeborenen) Kindes darstellt. Die stationären Aufenthalte und die Dauer der Behandlung sind zugleich ein Beleg dafür, dass nicht unerhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen bei der Klägerin vorgelegen haben. In der Universitätsklinik XX hat man schließlich (nach umfassenden Untersuchungen) am 05.12.1997 festgestellt, dass die rechte Niere funktionslos war. Bis zur Entfernung der Niere hat die Klägerin weiterhin unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten. Ein (weiterer) ganz wesentlicher Faktor für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch,dass die Klägerin bereits in ihrem ersten Lebensjahr eine Nierenvenenthrombose rechts erlitt, die aufgrund ärztlichen Verschuldens zu einer Schrumpfniere und später zu einem Verlust der Niere führte. Die Klägerin wird mithin Zeit ihres Lebens nur mit einer Niere leben können. Des weiteren war bei der Klägerin eine Veränderung des linken Beines im Sinne einer verstärkten Venenzeichnung festgestellt worden, hervorgerufen nach venöser Umgehungskreisläufe. Auch insoweit ist nach der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. XY noch nicht absehbar, inwieweit dieses in der Zukunft zu Folgeproblemen der Durchblutung mit Problemen der Haut und evtl. auch zu Wachsstumsstörungen führen kann. Zudem ist nach der (unwidersprochen gebliebenen) Erklärung der Eltern in der mündlichen Verhandlung vom 23.10.2002 eine ständige Kontrolle des Blutdrucks der Klägerin sowie halbjährliche Kontrolluntersuchungen bei einem Nephrologen in der Universitätsklinik XX erforderlich.

24

II.

Der Zinsanspruch in Höhe von 4% folgt aus §§ 288, 291 BGB. Einen darüber hinausgehenden Zinsschaden hat die Klägerin nicht dargelegt; die Anwendung der §§ 284 ff. BGB (Stand: 30.03.2000 - BGBl. I Seite 330) kam nicht in Betracht, da der Schaden vor dem 01.05.2000 eingetreten ist (vgl. insoweit Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Auflage, § 288, Rdn. 1).

25

III.

Der von der Klägerin gestellte Feststellungsantrag (gerichtet auf die Verpflichtung zur Erstattung sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 21.08.- 26.08.1997 )ist ebenfalls begründet. Denn es kann nach den Gutachten des Prof. Dr. XY nicht ausgeschlossen werden, daß aufgrund des fehlerhaften ärztlichen Vorgehens bei der Klägerin weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten bzw. es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommt. Für die Begründetheit des Feststellungsantrages ist es ausreichend, dass aus der Sicht der Geschädigten bei verständiger Beurteilung mit dem Eintreten von Spätfolgen wenigstens zu rechnen ist (so BGH NJW - RR 1991, 347 [BGH 30.10.1990 - VI ZR 340/89] und 917; BGH NJW 1993, 1523; BGH VersR 1997, 1508 ; OLG Oldenburg, 5 U 181/98 - Urteil vom 02.03.1999), so dass für die Feststellung der Ersatzpflicht die nicht eben entfernt liegende Möglichkeit genügt, dass künftig weitere bisher noch nicht erkennbare Leiden bzw. Schäden auftreten( BGH NJW 1989,1367). Dies läßt sich nach den (dargestellten) Ausführungen des Sachverständigen sowie der unwidersprochen gebliebenen Erklärung der Eltern zwanglos annehmen.

26

Klarstellend wird darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der immateriellen Schäden die Kammer sämtliche bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung (23.10.2002) bekannten Beeinträchtigungen bereits berücksichtigt hat.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, während sich die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO herleitet.