Landgericht Osnabrück
Urt. v. 11.12.2002, Az.: 2 O 2047/00

Geltendmachung eines Anspruchs auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen der zu spät diagnostizierten Fraktur eines Handgelenks und einer Hand; Zustandekommen eines Behandlungsvertrages bei Nichtanmelden in der Patientenaufnahme in einem Krankenhaus und gemeinsamer Betrachtung von Röntgenaufnahmen; Anrechnung eines Mitverschuldens im Rahmen eines Schadensersatzanspruches

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
11.12.2002
Aktenzeichen
2 O 2047/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30444
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2002:1211.2O2047.00.0A

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld von 2.556,46 EUR nebst 4% Zinsen seit dem 22.08.2000 zu zahlen.

  2. 2.)

    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen zukünftigen immateriellen und materiellen Schaden aus der verkannten Bruchverletzung im Ellbogen links und im Handgelenk rechts vom 21.07.1999 zu 50% zu ersetzen, soweit nicht Ersatzansprüche auf Dritte oder sonstige Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen werden.

  3. 3.)

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. 4.)

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70% und die Beklagte zu 30%.

  5. 5.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für den Kläger gegen Sicherheitsleistung, die 10% des zu vollstreckenden Betrages übersteigen muß; der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.300,-- EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Arzt und war früher als Arzt in einem Krankenhaus im Osnabrücker Land tätig, in dem zum Zeitpunkt des Vorfalls die Beklagte tätig war.

2

Der Kläger trägt vor, er sei am 21.07.1999 mit seinem Fahrrad gestürzt. Er habe sich dann wegen starker Schmerzen im Ellbogen links und im Handgelenk rechts in die Behandlung der Beklagten begeben. Dort sei sein linker Ellenbogen und das rechte Handgelenk geröntgt worden. Die Beklagte habe ihm nach Auswertung der Röntgenaufnahmen mitgeteilt, dass keine Frakturen vorlägen, sondern lediglich Anzeichen von Schwellungen. Daraufhin sei keine kausale Therapie eingeleitet worden. Später habe sich dann herausgestellt, dass er bei dem Fahrradsturz eine Meissel-Fraktur caput radii links und eine glatte Fraktur des os naviculare rechts erlitten habe. In den Tagen und Wochen nach dem 21.07.1999 habe er andauernd unter Schmerzen sowohl am linken Ellenbogen als auch am rechten Handgelenk gelitten, und zwar ständig sowohl in Ruhe als auch bei Belastung. Im September 1999 habe er schließlich Dr. E. aufgesucht. Dieser habe die übersehene Meissel-Fraktur caput radii links und die glatte Fraktur des os naviculare rechts diagnostiziert. Zwischenzeitlich hätte sich an der Bruchstelle des os naviculare rechts bereits eine deutliche Pseudarthrose mit Zystenbildung entwickelt. Deswegen habe der behandelnde Arzt Dr. E. auch die Indikation zur Operation des rechten Handgelenks nach Matti-Russe gestellt. Diese Operation sei in der Klinik in M. durch Prof. Dr. B. am 21.01.2000 durchgeführt worden. Dabei sei ein kortikospongiöser Knochenspan aus dem rechten Beckenkamm des Klägers herausoperiert und zur Stabilisation in das Handgelenk eingebolzt worden. Ein 5tägiger stationärer Aufenthalt habe sich angeschlossen. Es sei dann ein Unterkahnbeingips angelegt und dieser für 2 Monate belassen worden. Es seien inzwischen Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Handgelenks zu beklagen und die rechte Hand sei nur noch eingeschränkt belastbar.

3

Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von 20.000,-- DM für angemessen und beantragt,

  1. 1.)

    die Beklagte zu verurteilen, ihm ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2. 2.)

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen zukünftigen immateriellen und materiellen Schaden aus der verkannten Bruchverletzung im Ellbogen links und im Handgelenks rechts vom 21.07.1999 zu ersetzen, soweit nicht Ersatzansprüche auf Dritte oder sonstige Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen werden.

4

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Die Beklagte bestreitet, mit dem Kläger einen Behandlungsvertrag geschlossen zu haben und verweist insoweit auf ein Schreiben der Ärztekammer Niedersachsen vom 20.01.2000, nachdem Dr. D. leitender Arzt gewesen sei. Sie bestreitet den vom Kläger dargelegten Fahrradsturz und die behaupteten Verletzungen. Sie bestreitet, die Röntgenaufnahmen ausgewertet und dem Kläger mitgeteilt zu haben, dass keine Frakturen vorlägen. Sie behauptet, der Kläger habe im September 1999 eine von Dr. E. empfohlene operative Maßnahme abgelehnt. Schließlich wird auch bestritten, dass sich an der Bruchstelle der rechten Hand eine Pseudarthrose mit Zystenbildung entwickelt habe. Sie bestreitet die vom Kläger behaupteten Schmerzzustände und weist darauf hin, dass der Kläger selbst die Röntgenaufnahmen gegenüber dem Fachpersonal in der Röntgenabteilung veranlaßt habe. Erst danach sei sie überhaupt über die Anwesenheit des Klägers informiert worden. Allerdings sei ihr nicht mitgeteilt worden, auch nicht vom Kläger selber, dass er veranlaßt hatte, Röntgenaufnahmen zu machen. Ebenso wenig sei ihr bekannt gewesen, dass der Kläger nicht durch die übliche Patientenaufnahme und Patientenaufklärung gegangen war. Aus diesem Grunde habe sie auch gar keinen Anlaß zu einer Befundung gesehen. Eine solche Befundung habe auch nicht stattgefunden. Eine derartige Befundung sei vom Kläger auch nicht gefordert oder verlangt worden. Sie habe die Röntgenaufnahmen nicht angesehen. Schließlich weist sie darauf hin, dass die Leistungen der röntgenologischen Abteilung für den Kläger gebührenrechtlich nicht abgerechnet worden sind - was unstreitig ist.

6

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

7

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.11.2000 und auf die schriftliche Zeugenaussage von Dr. E. vom 15.08.2002 Bezug genommen. Die Kammer hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines radiologischen und eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens. Insoweit wird auf die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. und Privatdozent Dr. J. Bezug genommen. Weiter wird wegen der Erörterung des unfallchirurgischen Gutachtens durch Dr. J. Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 17.07.2002.

Entscheidungsgründe

8

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Schmerzensgeldanspruch des Klägers aus §§ 847, 823 BGB unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens, das die Kammer mit 50% bewertet, begründet ist.

9

Desgleichen ist der Feststellungsantrag begründet, allerdings ebenfalls unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50%.

10

Nach den eigenen Angaben des Klägers und nach den Bekundungen der Zeugin M. geht die Kammer davon aus, dass der Kläger nicht bewiesen hat, dass ein Behandlungsvertrag zwischen ihm und der Beklagten abgeschlossen worden ist. Denn der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben nach dem Fahrradunfall in dem Krankenhaus angerufen und zunächst ohne Einschaltung der Beklagten mit der Röntgenassistentin M. sein Problem besprochen. Er ist dann anschließend zum Krankenhaus gefahren und hat dort durch Frau M. die Röntgenaufnahmen anfertigen lassen, ohne durch die Patientenaufnahme zu gehen und auch ohne sich mit der Beklagten in Verbindung zu setzen. Ganz offenbar hat der Kläger die Kontakte, die er aus seiner früheren anästhesistischen Tätigkeit hatte, genutzt, um zügig Aufnahmen durchführen zu lassen. So hat die Zeugin M. bei ihrer Vernehmung auch gesagt, dass der Kläger mit ihr telefoniert hat und sie ihm geantwortet hat, dass er eben zum Röntgen reinkommen könne. Die Zeugin hat ausdrücklich betont, sie habe das so unter der Hand gemacht. Die Zeugin hat zwar glaubhaft weiter bekundet, nach der Entwicklung der Röntgenaufnahmen habe sie die Beklagte hinzugezogen. Die Aufnahmen seien im Röntgenbildschirm gewesen, der Kläger und die Beklagte hätten sich begrüßt, sie habe sich dann weggedreht und sei bei der eigentlichen Besprechung der Röntgenaufnahmen nicht zugegen gewesen. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger bewiesen hat, dass die Beklagte die Röntgenbilder befundet hat (wird ausgeführt). Sie geht allerdings davon aus, dass die Beklagte dies nicht aufgrund einer vertraglichen Beziehung, sondern aufgrund eines kollegialen Gefälligkeitsverhältnisses getan hat. Denn gegen einen Vertragsschluss spricht, dass der Kläger sich unmittelbar mit der Zeugin M. in Verbindung gesetzt hat, um die Röntgenaufnahmen durchführen zu lassen, dass keine Patientenaufnahme stattgefunden hat und letztlich auch, dass keine Abrechnung der Gebühren erfolgt ist. Auch wenn die Zeugin M. bekundete, dass sie der Beklagten erklärte, warum der Kläger in die Klinik gekommen sei, so kann deswegen noch nicht von einem Vertragsverhältnis ausgegangen werden, vielmehr sprechen die Umstände dafür, dass sich die Beklagte kollegialiter mit den Röntgenaufnahmen befaßte.

11

Dass sie das tat und dass sie diese auch aus röntgenologischer Sicht gegenüber dem Kläger befundete, ergibt sich aus Folgendem: Die Zeugin M. hat ausdrücklich bekundet, dass sie nach Entwicklung der Röntgenaufnahmen die Beklagte hinzugezogen hat und dass sie diese auch über den Grund des Besuchs des Klägers informiert hatte. Nach der Bekundung der Zeugin M. befanden sich die Röntgenaufnahmen im Röntgenbildsichtschirm. Dort haben dann nach ihrer Bekundung der Kläger und die Beklagte eine Viertelstunde zusammengestanden und miteinander gesprochen. Wenn die Zeugin Mansfeld nach ihrer Bekundung auch nicht sagen konnte, was die Beklagte und der Kläger beim Betrachten der Röntgenaufnahmen besprochen haben, so steht nach ihrer Bekundung jedenfalls fest, dass beide die Röntgenaufnahmen betrachtet haben. Die Kammer geht weiter davon aus, dass sie jedenfalls diesen Standort nicht dazu benutzt haben, ausschließlich über andere Dinge als über die Verletzung des Klägers zu sprechen. Weiter steht fest, dass der Kläger nach der Fertigung der Röntgenaufnahmen sich zunächst so verhalten hat, als sei ihm gesagt worden, dass die Röntgenaufnahmen keinen Befund zeigen. Der Kläger hat nämlich zunächst nichts unternommen. Hinzukommt, dass nach der glaubhaften Aussage der Zeugin C. wenige Tage nach dem Fahrradunfall ein Brief des Krankenhauses eingetroffen ist, den sie auch offen gesehen und gelesen hat. In diesem Brief ist vermerkt, dass für Frakturen kein Anhaltspunkt bestand. Die Zeugin hat diesbezüglich glaubhaft weiter bekundet, dass sie wegen der klaren Auskunft ihrerseits davon abgesehen hat, die Röntgenbilder einem Orthopäden Klinik M. vorzulegen, wo sie selbst in der Anästhesieabteilung zu jener Zeit tätig war. Die Zeugin hat zudem bekundet, dass der Befundbericht durch die Beklagte unterschrieben worden war; die Beklagte sei ihr im Übrigen aus ihrer eigenen Berufstätigkeit bekannt gewesen. Auch die Zeugin M. hat bestätigt, dass sie ihrerseits, als sie in der Karteikarte des Klägers nachgeschaut habe, dort einen Befund gefunden habe, der inhaltlich darauf lautete: "Kein Befund." Wenn dieser Befundbericht nach der Aussage der Zeugin M. auch nicht von der Beklagten erstellt worden war, sondern die Unterschrift des Arztes Dr. A. trug, so geht die Kammer gleichwohl davon aus, dass durch die Aussage der Zeugin M. jedenfalls bestätigt wird, dass inhaltlich am Röntgenbildschirm gegenüber dem Kläger durch die Beklagte geäußert worden ist, dass die Röntgenaufnahmen keinen Befund aufweisen. Im Übrigen hat Dr. A. nach der Bekundung der Zeugin M. bei der Besprechung zwischen der Beklagten und dem Kläger vor dem Röntgenbildschirm nicht dabei gestanden. Kennzeichnend ist im Übrigen weiter, dass nach der Aussage der Zeugin M. die Beklagte den Befundbericht, nachdem sie durch die Zeugin auf diesen hingewiesen worden war, ihrerseits in die Kitteltasche gesteckt und nichts weiter dazu erklärt hat.

12

Schließlich hat auch die Zeugin S. , die Ehefrau des Klägers, bekundet, dass sie zusammen mit ihrem Mann nach einem Fahrradsturz zu Krankenhaus gefahren ist, wo dieser dann allerdings allein hineingegangen ist. Zwei bis drei Tage nach dem Vorfall sei mit der normalen Post ein Befundbericht gekommen. Sie habe diesen gelesen. Dieser Befundbericht sei von der Beklagten unterschrieben gewesen. Dabei sei inhaltlich festgehalten worden, dass die Röntgenaufnahmen ohne Befund gewesen seien und lediglich Anzeichen einer Schwellung festgestellt wurden.

13

Aufgrund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. G. steht für die Kammer eindeutig fest, dass die Beklagte bei der soeben erörterten Befundung unrichtige Angaben gemacht hat. Denn die am 22.07.1999 gefertigten Röntgenaufnahmen - der Kläger hat insoweit eingeräumt, dass der Unfall auch am 22.07. geschehen sein kann und auch die Zeugin S. hat in ihrer Vernehmung zunächst den 22.07. als Unfalltag angegeben - zeigen nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. G. geradezu ein Lehrbuchbeispiel für eine geringfügig verschobene, eindeutig erkennbare und "nicht zu übersehende" Kahnbeinfraktur. Weiter dokumentieren die Aufnahmen eine frische so genannte Meißelfraktur des Radiusköpfchens ohne wesentliche Verschiebung. Der Sachverständige hat dann weiter ausgeführt, dass die Handgelenksaufnahme und auch die Ellenbogengelenksaufnahme Brüche zeigen, wie sie für Stauchungsverletzungen auf die Handfläche bzw. den Unterarm typisch sind. Beide Frakturen stellten sich lehrbuchmäßig dar. Dabei sei die Kahnbeinfraktur infolge der Weite des Bruchspaltes wegen der überlagerungsfreien Darstellung des Bruches auch für den wenig Erfahrenen unübersehbar. Allein der beim Fahrradsturz übliche Unfallhergang hätte bei der Bildanalyse das Augenmerk des Betrachters auf eben diese Bruchformen hinlenken müssen. Der Sachververständige weist ergänzend darauf hin, dass nach seinem Eindruck weder der Unfallmechanismus noch der klinische Befund bei der Röntgenuntersuchung am 22.07.1999 überhaupt gewürdigt worden ist. Wäre dies geschehen, so hätte man sicherlich auch ergänzende Aufnahmen des Handgelenks vorgenommen, nämlich ein so genanntes "Scaphoid-Quartett". Dies gelte auch für eine ergänzende Aufnahme am Ellbogengelenk (so genannte "Radiusköpfchen-Spezialaufnahme"). Schließlich sei im weiteren Verlauf auch die vom Sachverständigen im Gutachten dargelegte Röntgenkontrolle nach 10 Tagen unterblieben. Diese sei schon deshalb indiziert gewesen, weil die Beschwerden nach dem Klagevorbringen in beiden Gelenken noch ständig präsent waren und nicht nachließen. Der Sachverständige Prof. Dr. G. weist alsdann für die Kammer nachvollziehbar darauf hin, dass ein wesentliches Versäumnis darin zu sehen ist, dass ein unfallchirurgisch versierter Arzt, der den Kläger hätte klinisch untersuchen und den Umfang der Röntgendiagnostik hätte festlegen können, nicht in die Diagnosefindung eingebunden war. Die Kammer stimmt insoweit mit dem Sachverständigen völlig darin überein, dass der Kläger das Management seiner beim Fahrradsturz zugezogenen Verletzungen offenbar in die eigenen Hände genommen und dabei anerkannte Grundsätze der Unfallbehandlung missachtet hat. Dabei sei noch einmal hervorgehoben, dass der Sachverständige bei der Erläuterung der allgemein anerkannten Vorgehensweise zum Nachweis einer Scaphoidfraktur dargelegt hat, dass dieser häufig ein typischer Unfallmechanismus zugrundeliegt, nämlich die abrupte Überstreckung der ulnarabduzierten Hand. Ein solcher Unfallmechanismus sei beispielsweise auch bei einem Fahrradsturz gegeben, insbesondere beim Sturz über den Lenker. Dabei verrate sich eine frische Scaphoidfraktur häufig durch einen ganz charakteristischen klinischen Befund, nämlich durch einen Stauchungsschmerz am Zeigefinger und einen Druckschmerz in der so genannten Tabatiäre (dort, wo der Schnupftabak positioniert wird). Dabei sei es häufig schwierig - was hier allerdings nicht der Fall war - , eine frische Scaphoidfraktur zu erkennen. Eben darum sei aber auch der klinische Befund neben den erforderlichen radiologischen Maßnahmen wichtig. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger diese grundsätzlichen Überlegungen auch hätte nachvollziehen können und in sein "Prozedere" hätte einbeziehen müssen. Er hat aber weder am 22.07.1999 noch in den folgenden Tagen unfallchirurgische Beratung gesucht.

14

Der Sachverständige Prof. G. hat alsdann mit seinem Ergänzungsgutachten vom 22.05.2001, bei dem ihm die Originalröntgenaufnahmen vom 22.07.1999 ebenso wie die zuvor vorgelegten Kopien vorlagen, sein Gutachten voll und ganz bestätigt. Dabei hat er hervorgehoben, dass eine Einschränkung der Beurteilbarkeit der in erster Linie interessierenden Strukturen, nämlich der des Kahnbeins der rechten Handwurzel sowie der des Speichenköpfchens am linken Ellenbogengelenk, durch den Kopiervorgang nicht erfolgt ist. Deswegen ergaben sich für ihn durch die Vorlage der Originalröntgenaufnahmen keinerlei neue Gesichtspunkte in Bezug auf die Bewertung der Röntgenaufnahmen in seinem Gutachten vom 23.02.2001. Bei seiner Ergänzung lagen dem Sachverständigen aber zusätzlich noch weitere Röntgenaufnahmen vor (Dr. E.), und zwar Aufnahmen des rechten Handgelenkes in zwei Ebenen vom 08.09.1999 (im Original) sowie Aufnahmen der rechten Handwurzel in 4 Ebenen vom 08.12.1999 (ebenfalls im Original). Der Sachverständige führt überzeugend und nachvollziehbar aus, dass diese Aufnahmen einen Knochenabbau (Knochenresorption) in der Umgebung des Kahnbeinbruches wie auch eine Glättung der feinen kortikalen Bruchstücke dokumentieren und damit beweisen, dass es sich bei dem Befund auf den Aufnahmen vom 22.07.1999 um einen frisch zugezogenen Bruch und nicht um eine vorbestehende Spaltbildung - welcher Ursache auch immer - gehandelt hat. Darüber hinausgehend zeigen die Aufnahmen eine neu aufgetretene bandförmige Verdichtung (Sklerosierung) an den Fragment-Enden, was wiederum die Entwicklung einer Falschgelenkbildung (Pseudarthrose) markiere und eine spontane Knochenbruchheilung für die Zukunft ausschließe. Daraus ergebe sich, dass zu Recht die Indikation zur Operation nach Matti-Russe) gestellt worden sei.

15

Überdies könne sich im direkten Bildvergleich der Handgelenksaufnahmen vom 22.07. und 08.09.1999 der vage Verdacht auf eine vorbestehende Zyste nicht sicher bestätigen lassen. Sollte es tatsächlich eine vorbestehende Zyste (vor dem 22.07.1999) gegeben haben, so möge diese als Sollbruchstelle einen Bruch des Kahnbeins im Rahmen des Unfallgeschehens begünstigt haben. Dadurch erfahre die Bewertung der Aufnahme vom 22.07.1999 als frisch zugezogener Kahnbeinbruch jedoch keinerlei Abänderung.

16

Die Kammer hat keine Bedenken, den überaus klaren und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. zu folgen, wobei hier zunächst im Kern festzuhalten ist, dass die Beklagte eindeutig am 22.07.1999 die Brüche im Bereich des Kahnbeins des rechten Handgelenks und des linken Ellenbogens übersehen hat. Andererseits bleibt - wie bereits oben dargelegt - zu berücksichtigen, dass den Kläger ein erhebliches Mitverschulden trifft.

17

Das von der Kammer wegen der vom Kläger behaupteten Funktionsbeeinträchtigung eingeholte unfallchirurgische Gutachten des Sachverständigen Privatdozent Dr. J. vom 08.04.2002 hat alsdann ergeben, dass der Unterarmumfang des Klägers rechts gegenüber links um 5 cm und die Dorsalflexion im Handgelenk rechts gegenüber links um 20 Grad vermindert ist. Die Hohlhandbeschwielung ist beiderseits seitengleich ausgeprägt. Auf Befragen des Sachverständigen hat der Kläger im Wesentlichen angegeben, unter einer eingeschränkten Dorsalflexion des rechten Handgelenks zu leiden. Der Sachverständige Dr. J. führt alsdann nachvollziehbar aus, dass es bei einem Bruch, wie ihn der Kläger am Kahnbein der rechten Hand erlitten hat (Typ B II) häufig zu Pseudarthrosenbildungen kommt (hohes Risiko), wenn er unbehandelt bleibt. Genau dies habe sich bei der hier ausgebliebenen spezifischen Behandlung realisiert. Dabei seien Pseudarthrosen durch Resorptionsvorgänge gekennzeichnet, die zu einer Vermehrung der Instabilität einerseits und - insbesondere im Bereich des Scaphoids - zur Pseudozystenbildung führen. In der Abhängigkeit von der therapeutischen Latenz und dem Ausmaß der Resorption komme es zu einem Kollaps der carpalen Architektur, der fast regelhaft die posttraumatische Früharthrose des Handgelenks zur Folge habe. Dies sei im Falle des Klägers durch die Röntgenaufnahmen vom 22.07.1999, vom 08.09.1999 und vom 08.12.1999 eindrucksvoll dokumentiert. Dabei sei erkennbar, dass die zunehmende Instabilität aufgrund der genannten vermehrten Resorption letztlich bereits auf den Aufnahmen vom 08.09.1999 erkennbar sei und zu einer Pseudozystenbildung mit palmarer Instabilität des Scaphoids geführt habe. Die in dem Krankenhaus M. durchgeführte Matti-Russe-Plastik habe zwar die Kontinuität des Scaphoids wieder hergestellt, aber, wie auf der Röntgenaufnahme vom 22.03.2002 erkennbar sei, die palmare Verkippung des Scaphoids nicht mehr aufheben können. Diese Verkippung sei das morphologische Substrat der eingeschränkten Dorsalflexion im rechten Handgelenk. Dabei hat der Sachverständige allerdings festgestellt, dass bei seiner Untersuchung eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung noch nicht festgestellt werden konnte. Weder klinisch noch radiologisch hätten sich konkrete Anhaltspunkte für eine vorzeitige posttraumatische Arthrose im rechten Handgelenk gefunden. Gleichwohl bestehe weiterhin das Risiko einer posttraumatischen Arthrose. Bei der mündlichen Erörterung seines Gutachtens hat der Sachverständige auf die Einwendungen der Beklagten überzeugend dargelegt, dass die operative Verschraubung des Kahnbeins als Behandlungsmethode des Kahnbeinbruches zu favorisieren ist (wird ausgeführt). Schließlich hat der Sachverständige deutlich ausgeführt, dass bei der originären Aufnahme vom 22.07.1999 eine Zyste nicht wahrzunehmen sei. Die Zyste und die Pseudarthrose haben sich vielmehr infolge der Nichtbehandlung entwickelt, sie können nicht Folge einer Altverletzung sein, sondern sind allein Folge des Kahnbeinbruches. Auch die Verminderung der Dorsalflexion beruhe eindeutig auf der Pseudarthrose und nicht auf einer Sehnenverkürzung.

18

Die Kammer hat keinerlei Bedenken, den überzeugenden Darlegungen des der Kammer als kompetent bekannten Sachverständigen zu folgen. Der Sachverständige hat der Kammer die unfallchirurgischen Zusammenhänge der vorliegenden Verletzungen klar und in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargelegt. Im übrigen haben auch die bei der Akte befindlichen Röntgenaufnahmen sämtlich bei der Begutachtung vorgelegen.

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Soweit die Beklagte behauptet hat, der Kläger habe am 08.09.1999 eine von Dr. E. vorgeschlagene Operation abgelehnt, bleibt einmal festzuhalten, dass der Sachverständige klar geäußert hat, dass auch bei einer früheren Operation als im Januar 2000, also z.B. im September 1999, die Operation bereits in der Art hätte durchgeführt werden müssen, wie sie letztlich durchgeführt worden ist. Auch bei einer früheren Operation wäre also auf den Kläger diese zusätzliche Operation als Folge der Falschbefundung der Beklagten zugekommen. Auch die Grundproblematik der Verminderung der Dorsalflexion und Zystenbildung bliebe insoweit bestehen. Die Frage, ob dem Kläger anzulasten ist, dass er am 08.09.1999 eine Operation ablehnte, erlangt allenfalls Bedeutung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.

20

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes fällt hier ins Gewicht, dass die Dorsalflexion im Bereich des rechten Handgelenks des Klägers vermindert ist und dass sich infolge der Nichtbehandlung auch eine Zyste gebildet hat. Weiter fällt ins Gewicht, dass sich der Kläger der Operation unterziehen mußte. Insoweit wäre der sofortige operative Eingriff einfacher gewesen und hätte nach den Ausführungen des unfallchirurgischen Sachverständigen auch nicht zur Verminderung der Dorsalflexion und zur Bildung der Zyste geführt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger vom Unfallzeitpunkt bis zu den Untersuchungen, die Dr. E. durchgeführt hat, auch eine Behandlungsverzögerung und damit auch weitere Schmerzen erfahren hat. Dem Kläger ist allerdings nicht anzulasten, dass er nicht bereits am 08.09.1999 die später durchgeführte Operation durchführen ließ. Der Zeuge Dr. E. hat dazu ausgesagt, dass er dem Kläger sämtliche konservativen und operativen Behandlungsmöglichkeiten mit allen Vor- und Nachteilen dargestellt hat. Dr. E. hat keinesfalls bekundet, dass er dem Kläger den operativen Weg als einzig möglichen oder vorrangigen aufgezeigt hat. Wenn sich der Kläger alsdann zunächst für ein weiteres konservatives Vorgehen entschieden hat, so kann ihm dies jedenfalls nicht nachteilig angelastet werden. Andererseits ist aus den bereits oben dargelegten Gründen ein deutliches Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen. Die Kammer hält dieses in Abwägung der Gesamtumstände mit 50% für hinreichend berücksichtigt.

21

Unter Abwägung der Gründe, die die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmen, geht die Kammer davon aus, dass bei 100%iger Haftung der Beklagten ein Schmerzensgeld von 10.000,-- DM angemessen wäre, hier mithin ein solches von 5.000,-- DM, was dem ausgeurteilten Eurobetrag entspricht.