Landgericht Osnabrück
Urt. v. 15.05.2002, Az.: 2 O 189/02
Bestimmung des Vorliegens eines für den Schadenseintritt ursächlichen Behandlungsfehlers anhand gutachterlicher Ausführungen
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 15.05.2002
- Aktenzeichen
- 2 O 189/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 30432
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2002:0515.2O189.02.0A
Amtlicher Leitsatz
Kein SE wegen Nichterkennens eines Darmtumors im Rahmen ärztlicher Behandlung
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.100 EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind die gesetzlichen Erben des am 14.09.2000 verstorbenen B.
B. , der bereits bis zum Jahre 1994 Patient des Beklagten war, suchte den Beklagten im Jahre 1999 erneut auf, und zwar zunächst am 15.06.1999 wegen Durchfalles. Wegen der Einzelheiten wird auf die Krankenunterlagen Bezug genommen.
Im August 2000 suchte B. Herrn Dr. A. auf, der ihn dann dem Gastro-Enterologen Dr. F. vorstellte. Dieser stellte bei einer Darmspiegelung eine Geschwulst fest und überwies den Patienten zu dem Röntgenologen Dr. T. , der am Dickdarm einen Tumor feststellte, der sich als bösartig herausstellte. Am 25.08.2000 wurde B. im Krankenhaus in X. durch den Chefarzt, Dr. P., nach nochmaliger Rektoskopie und Computertomographie operiert. Das Karzinom wurde in einer 6-stündigen Operation entfernt. Es wurde festgestellt, dass bereits die Lymphbahnen befallen waren. Am 14.09.2000 starb der Patient an einer Lungenembolie.
Die Kläger sind der Ansicht, dass der Beklagte den B. fehlerhaft behandelt hat und nicht die erforderlichen Untersuchungen einleitete. Sie sind der Auffassung, dass dann, wenn rechtzeitig das Karzinom festgestellt worden wäre, ein derart schwerwiegender Eingriff vermieden worden und eine Lungenembolie nicht eingetreten wäre. Mit der Klage begehren sie materiellen und immateriellen Schadensersatz.
Sie beantragen,
den Beklagten zu verurteilen,
- 1.)
den Klägern 7.425,05 DM nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 ab dem 25.01.2001 zu zahlen
- 2.)
den Klägern ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet, dass ihm Behandlungsfehler unterlaufen sind. Er ist der Ansicht, dass der Tod des B. schicksalhaft eingetreten ist.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. vom 12.09.2001 sowie auf die Erläuterung dieses Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 17.04.2002 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist sachlich nicht gerechtfertigt.
Nach dem eingeholten Gutachten haben die Kläger nicht bewiesen, dass der Todeseintritt des Rechtsvorgängers der Kläger auf ein behandlungsfehlerhaftes Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist.
Nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. hat es sich gerade nicht aufgedrängt, dass die vom Patienten B. gegenüber dem Beklagten im Jahre 1999 beklagten Beschwerden auf ein Rektumkarzinom zurückzuführen waren. Dabei bleibt festzuhalten, dass Herr B. auch wegen anderer Erkrankungen und Gebrechen behandelt wurde. Eine kontinuierliche Durchfallerkrankung läßt sich aus den Krankenakten des Beklagten in Bezug auf B. nicht entnehmen. Wenn es auch Behandlungen wegen der Diarrhöen gab, so gab es zwischenzeitlich auch Behandlungen von Magenschmerzen, Bronchitis sowie chronisch obstruktiver Atemwegserkrankungen, weiter einer infektiösen Mononukleose, einer Hypothonie, Behandlung von Gallenblasensteinen und von Rückenbeschwerden. Der Sachverständige weist überzeugend darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Tumorleiden und den in den Krankenunterlagen festgehaltenen Durchfallerkrankungen bei derart großen Zeitabständen nicht hergestellt werden kann, zumal kein stenoisierend wachsendes Tumorleiden vorlag. Die von dem Beklagten angesetzten und durchgeführten Untersuchungen seien angemessen gewesen. Es habe sich auch keine Dringlichkeit einer gastroenterologischen Vorstellung ergeben, da die Coloskopie am 14.06.2000 unauffällig erschienen sei.
Die Symptome einer Colonkarzinomerkrankung, wie Bauchschmerzen, rektale Blutungen, Gewichtsverlust und Leistungsschwäche, hätten den Krankenunterlage nicht entnommen werden können. Auch in der Blutentnahme von Dr. A. habe sich eine für eine Colonkarzinomerkrankung typische Laborwertveränderung nicht finden lassen. Letztlich sei die Operation des Rektumkarzinoms zunächst auch komplikationslos gelungen. Die am 14.09.2000 aufgetretene fulminante Lungenembolie sei eine besonders schwer verlaufende postoperative Komplikation, die auch durch die massive Übergewichtigkeit und die dadurch postoperativ erschwerte Mobilisation gefördert worden sei. Die Lungenembolie sei trotz der vorgenommenen Vorsichtsmaßnahmen (Heparinisierung, Antithrombosestrümpfe und frühzeitige Mobilisation) eingetreten. Ein Zusammenhang zwischen dieser fulminanten Lungenembolie und der Rektumkarzinomerkrankung könne nicht gesehen werden.
Der Sachverständige, der der Kammer aus einer Reihe von Verfahren als erfahrener und umsichtiger Internist bekannt ist, hat sein Gutachten überzeugend dargelegt und das Gutachten insbesondere in der mündlichen Verhandlung zusätzlich überzeugend erläutert. Dabei ist sehr deutlich geworden, dass nicht zu beweisen ist, dass die Lungenembolie nicht eingetreten wäre, wenn der Beklagte bereits zu einem früheren Zeitpunkt weitere Maßnahmen ergriffen hätte, die er indes nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen gar nicht ergreifen mußte.
Zunächst einmal hat der Sachverständige dazu ausgeführt, dass das Operationsrisiko auch dann, wenn das Rektumkarzinom früher erkannt worden wäre, das gleiche gewesen wäre. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Patient B. bereits in seiner Konstitution durch ein 1 Jahr altes Karzinom geschwächt gewesen sei. Davon sei bei dem festgestellten 1-Markstück-großen Karzinom nicht auszugehen. Der Sachverständige hat dazu überzeugend erläutert, dass sich in der Regel (95%) ein Karzinom aus einem kleinen Polypen entwickelt, der entartet und größer wird. Es kommt dann zunächst zu einem halbmalignen Zustand, einer Dysplasie, die alsdann wieder in drei Stadion aufzuteilen ist, wobei es dann schließlich zur Entwicklung des Karzinoms kommen kann. Diese Entwicklung dauert insgesamt 10 bis 15 Jahre.
Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um ein derartiges Karzinom. Denn dieses Karzinom, an dem B. litt, war ein Karzinom, dass sich aus einem Ulcus entwickelt. Derartige Karzinome entwickeln sich direkt aus der Schleimhaut und machen etwa nur 5% aller anfallenden Darmkarzinome aus. Ein derartiges Karzinom könne man nur sehr schlecht vorsorgen, denn es entstehe innerhalb eines Vierteljahres.
Dem Beklagten sei auch nicht vorzuwerfen, dass er ein derartiges Karzinom bei seinen Untersuchungen übersehen habe. Wenn es überhaupt vorhanden gewesen sei, dann könne es noch so klein gewesen sein, dass der Beklagte es nicht gesehen hat, und zwar ohne, dass ihm daraus ein Behandlungsfehler vorzuwerfen sei.
Letztlich habe der Beklagte angesichts der drei Episoden von Diarrhoe das durchgeführt, was er selbst in der Klinik auch durchgeführt hätte. Der Beklagte habe u.a. eine Coloskopie durchgeführt, die geeignet sei, funktionelle Probleme des Darms zu klären. Aus der Durchfallproblematik, so wie sie sich aus der Krankenakte ergebe, sei schließlich auch nicht darauf zu schließen, dass eine Karzinomdiagnostik vorgenommen werden müsse.