Landgericht Osnabrück
Urt. v. 05.03.2002, Az.: 1 O 2803/02

Verletzung der Verkehrssicherungspflicht einer Gemeinde wegen eines mangelhaft befestigten Lampenkörpers an einer Laterne; Amtshaftungsanspruchs wegen eines durch ein herabstürzenden Lampenkörper verursachten Schaden; Grenze zwischen abhilfebedürftiger Gefahrenlage und von Benutzern hinzunehmender Erschwernis

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
05.03.2002
Aktenzeichen
1 O 2803/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2002:0305.1O2803.02.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 890,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 31. 10. 2002 zu zahlen.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.

    Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 23% und die Beklagte 77%.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 200,-- EUR abwenden, wenn die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1300,-- EUR abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.

2

Er behauptet, er habe am 15. 3. 2002 gegen 6.20 Uhr mit seinem Pkw, amtliches Kennzeichen ...., die Dorfstrasse in W. befahren. In Höhe des Malergeschäftes H. habe sich von einer Strassenlaterne ein Teil gelöst und sei plötzlich unmittelbar vor seinem Fahrzeug aufgeschlagen. Hierdurch seien der Stossfänger, der Querlenker und die Räder beschädigt worden. Ein Ausweichen sei ihm nicht möglich gewesen.

3

Das Lösen und Herabfallen des Strassenbeleuchtungskörpers sei einzig auf eine Vernachlässigung der Wartung seitens der Beklagten zurückzuführen.

4

Den ihm entstandenen Schaden beziffert der Kläger auf insgesamt 1.150,23 EUR. Unstreitig hat das am 20. 3. 2002 dem Kläger an Arbeitslohn für das Erneuern des vorderen Stossfängers, das Erneuern eines Querlenkers, das Wuchten der Räder und das Einstellen der Spur netto 307,20 EUR, an Materialkosten für den Stossfänger netto 219,90 EUR und für den Querlenker netto 214,25 EUR, für Kleinersatzteile netto 8,68 EUR sowie an Mietwagenkosten für 2 Tage netto 220,-- EUR, mithin insgesamt brutto 1.125,23 EUR in Rechnung gestellt. Darüberhinaus begehrt der Kläger 25,-- EUR zum Ersatz seiner unfallbedingten Nebenkosten.

5

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.150,23 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie bestreitet, dass die Beschädigungen an dem Fahrzeug des Klägers, sofern sie denn aufgetreten seien, von herabgefallenen Lampenteilen des Strassenbeleuchtungskörpers herrühren, der über der Dorfstrasse in W. angebracht war. Darüberhinaus ist sie der Auffassung, ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt zu haben, da sämtliche Strassenbeleuchtungen monatlich von Fachleuten überprüft würden. Bei der letzten Überprüfung durch die Beklagte bzw. Fachleute der Firma seien Mängel an der Lampe nicht festgestellt worden. Ihre Haftung scheide aber auch deshalb aus, da im Bereich der Gemeinde W. in den Morgenstunden des 15. 3. 2002 gegen 6.20 Uhr ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten bis maximal 65 km/h (Windstärke 8) geherrscht habe, so dass ein etwaiges Herabfallen von Lampenteilen auf höhere Gewalt infolge von Naturereignissen zurückzuführen wäre, wofür sie nicht einzustehen habe. Schliesslich sei ihre Haftung auch dadurch ausgeschlossen, dass für den Kläger mit der Inanspruchnahme seiner Teilkaskoversicherung eine anderweitige Ersatzmöglichkeit bestanden habe, womit ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäss § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen sei.

8

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.

10

Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäss § 839 BGB i.V. mit Artikel 34 GG, § 10 NStrG ein Ersatz des ihm durch den Vorfall vom 15. 3. 2002 entstandenen Schadens zu.

11

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass Stossfänger, Querlenker und Räder des klägerischen Fahrzeuges durch das Herbfallen eines Lampenteiles derart beschädigt wurden, dass die seitens des ... am 20. 3. 2002 in Rechnung gestellten Arbeiten erforderlich waren. Zwar steht kein Augenzeuge für den in Rede stehenden Unfall zur Verfügung. Der Zeuge ... hat jedoch bestätigt, dass der Kläger ihm am Morgen des 15. 3. 2002 davon berichtet habe, dass sein Auto durch ein herabfallendes Lampenteil beschädigt worden sei. Auch konnte sich der Zeuge ... daran erinnern, dass das Auto des Klägers - namentlich die Kunststoffschürze - an dem betreffenden Morgen beschädigt war. Schliesslich hat der Zeuge auch exakt an der Stelle, an der sich nach Darstellung des Klägers der Unfall ereignet haben soll, einen ca. 50 cm hohen Lampenzylinder mit Rippen auf der Strasse liegen sehen. Aus diesen Umständen ist mit der erforderlichen Gewissheit darauf zu schliessen, dass die klägerische Darstellung des Unfallgeschehens zutreffend ist.

12

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Unfallstelle im Bereich einer der Sicherungspflicht der Beklagten unterfallenden öffentlichen Gemeindestrasse liegt.

13

Der den Schaden des Klägers verursachende Zustand des Unfallortes, nämlich die mangelhafte Befestigung des von der Beklagten dort angebrachten Lampenkörpers, stellte vorliegend einen objektiven verkehrswidrigen Zustand i. S. einer abhilfebedürftigen Gefahrenquelle dar, für den die Beklagte einzustehen hat.

14

Nach ständiger Rechtsprechung haben die für die Sicherung von öffentlichen Strassen und Wegen verantwortlichen Kommunen dafür Sorge zu tragen, dass sich die (öffentlichen) Verkehrsflächen in einem dem regelmässigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand befinden, der eine möglichst gefahrlose Nutzung zulässt. Dabei müssen die Strassen und Wege zwar nicht völlig frei von Gefahren sein, da ein solcher Zustand sich mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht erreichen lässt. Der Verkehrssicherungspflichtige hat jedoch solche Gefahrenquellen zu beseitigen, bzw. vor ihnen zu warnen, von denen entweder typischerweise besonders einschneidende Körperverletzungen drohen, bei denen besonders häufig Schadensfälle auftreten (Unfallschwerpunkte) oder die für die Verkehrsteilnehmer bei Anwendung der von ihnen vernünftigerweise zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die sie sich nicht ohne weiteres rechtzeitig einzustellen vermögen (vgl. BGH NJW 1980, 2193 (2194) [BGH 26.06.1980 - VII ZR 210/79]; BGH NJW 1979, 2043 (2044)).

15

Die Grenze zwischen abhilfebedürftiger Gefahrenlage und von den Benutzern hinzunehmender Erschwernis wird dabei entscheidend durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt. Inhalt und Umfang dieser Sicherungserwartung orientieren sich wesentlich an dem allgemeinen Erfahrungsgewissen über Gefahrenlagen, der Verkehrsbedeutung der betreffenden Verkehrsfläche sowie auch an dem konkreten äusseren Erscheinungsbild der Gefahrenstelle.

16

Bei Zugrundelegung dieses Sicherungs- und Haftungsmassstabes war im Streitfall eine abhilfebedürftige Gefahrenlage objektiv gegeben. Zu den originären Aufgaben des Trägers der Strassenbaulast zählt es u.a., im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für eine dauerhafte standsichere Aufstellung u.a. der Strassenlaternen zu sorgen, da anderenfalls die Gefahr von Sach- und auch Personenschäden unter Umständen erheblichen Ausmasses droht. Dies umso mehr, als Mängel in der Standsicherheit für den Verkehrsteilnehmer bei einem nur beiläufigen Blick im Normalfall gar nicht zu erkennen sind, so dass er sich schon aus diesem Grunde nicht auf sie einstellen kann. Die danach zu gewährleistende Befestigungssicherheit im Verkehrsraum aufgestellter Strassenlaternen war im Streitfall nicht (mehr) gegeben.

17

Der verkehrswidrige, auf fehlender Befestigung beruhende Zustand des schadenverursachenden Lampenkörpers ist hier auch schadensursächlich geworden, da der Lampenkörper ohne weitere äussere Einwirkung allein als Folge eines Windstosses herunterfallen konnte. Für den insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kläger streitet dabei der Beweis des ersten Anscheins, da eine ordnungsgemäss aufgestellte Strassenlaterne grundsätzlich jedweden Witterungseinflüssen standhalten muss. Eine Sturmböe, die nach der Behauptung der Beklagten eine Stärke von 8 gehabt haben soll, ist - selbst bei noch höherer Windstärke - nicht aussergewöhnlich und daher nicht als ein die Kausalität ausschliessendes Naturereignis anzusehen (vgl. BGH NJW 1999, 2593; Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 836, Rdnr. 9 m.w.N. ).

18

Die Beklagte trifft an dem Unfall des Klägers auch ein Verschulden. Abgesehen davon, dass bei Vorliegen eines objektiv verkehrswidrigen Zustandes - wie hier - die dem Verkehrssicherungspflichtigen anzulastende Verletzung der äusseren Sorgfalt nach gefestigter Rechtsprechung eine Verletzung der inneren Sorgfalt zumindest indiziert (vgl. BGH NJW 1986, 2758), kommt hier auch die aus § 836 BGB herzuleitende Verschuldensvermutung zum Zuge (vgl. hierzu insgesamt OLG Köln, NJW-RR 1991, 33 f. [OLG Köln 23.08.1990 - 7 U 62/90]).

19

Diese Bestimmung ist zwar in Fällen der Amtspflichtverletzung durch § 839 BGB ausgeschlossen, da § 839 BGB die Folgen einer Amtspflichtverletzung abschliessend regelt (BGH NJW 1985, 1287 (1289) [BGH 05.07.1984 - III ZR 94/83]; OLG Köln, NJW-RR 1991, 33 [OLG Köln 23.08.1990 - 7 U 62/90]). Auch im Rahmen der Amtshaftung bleibt es aber bei der Beweislastverteilung des § 836 BGB (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1991, 33 [OLG Köln 23.08.1990 - 7 U 62/90]). Da die nach allgemeinem Deliktsrecht bestehenden Eingriffsverbote auch bei der Ausübung öffentlicher Gewalt gelten, so dass es zu den Amtspflichten des Beamten gehört, nach den §§ 823 ff. BGB tatbestandliche und rechtswidrige Eingriffe in die Rechte, Rechtsgüter oder rechtlich geschützten Interessen des Bürgers zu unterlassen, gelten zugunsten des Bürgers auch in Fällen der Amtshaftung die nach allgemeinem Deliktsrecht bestehenden Beweislastregelungen (vgl. BGH NJW 1959, 985 (986) [BGH 24.02.1959 - VI ZR 66/58]).

20

Bei der schadensverursachenden Strassenlaterne der Beklagten handelte es sich vorliegend um ein "mit dem Strassengrundstück verbundenes Werk" i.S. des § 836 Abs. 1 BGB (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1991, 33 (34) [OLG Köln 23.08.1990 - 7 U 62/90] m.w.N.). Deren dauerhaft sichere Aufstellung zu gewährleisten, um so eine Schädigung der Rechte Dritter zu vermeiden, war - wie dargelegt - Aufgabe der Beklagten.

21

Dass der Lampenkörper gleichwohl herab- und gegen das Fahrzeug des Klägers fallen konnte, war Folge seiner mangelhaften Unterhaltung durch die Beklagte.

22

Nach anerkannter Auffassung liegt eine mangelhafte Unterhaltung bereits dann vor, wenn der Zustand eines Grundstückes für den Strassenverkehr oder anliegende Grundstücke eine Gefahr darstellt (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 836, Rdnr. 8 m.w.N.), insbesondere wenn die Beseitigung eines erkennbar ordnungswidrigen und gefährlichen Zustandes unterlassen wird. Es handelt sich dabei um eine rein objektive Voraussetzung der Haftung. Dass der Gefahrenzustand als solcher auf einem Verschulden irgendwelcher Personen beruht, ist nicht erforderlich (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 62.Auflage, § 836, Rdnr. 8 m.w.N.).

23

Objektiv befand sich der in Rede stehende Lampenkörper in einem gefährlichen Zustand, weil er nicht mehr sicher befestigt war und ohne besonderen äusseren Einfluss herunterfallen konnte. Dass dies gegebenenfalls durch böigen Wind begünstigt wurde, ist unerheblich. Die vorhandenen Mängel müssen nicht die alleinige Ursache des Schadens sein (Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 836, Rdnr. 8 m.w.N.).

24

Die Anwendung der Beweislastregel des § 836 BGB wäre nur ausgeschlossen, wenn die Ablösung auf völlig aussergewöhnlichen - hier unstreitig nicht gegebenen - Witterungseinflüssen beruht hätte, da ansonsten gerade die Loslösung eines Teiles oder gar das Umstürzen des gesamten "Werkes" infolge Witterungseinwirkung für die Mangelhaftigkeit der Anlage oder ihrer Unterhaltung spricht (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1991, 33 f. [OLG Köln 23.08.1990 - 7 U 62/90]).

25

Sache der Beklagten war es danach nachzuweisen, dass sie alle Massnahmen getroffen hatte, die aus technischer Sicht geboten und geeignet sind, die Gefahr eines Herabfallens des von ihr installierten Lampenkörpers möglichst rechtzeitig zu erkennen und ihr angemessen zu begegnen (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 836, Rdnr. 13 m.w.N.). Diesen Beweis hat die Beklagte nicht geführt:

26

Trotz eines entsprechenden ausführlichen Hinweises des Gerichtes hat sie nicht vorgetragen, wann genau die in Rede stehende Lampe von wem auf welche Art und welche Weise letztmalig vor dem behaupteten Schadensfall überprüft worden ist. Mithin kann durch das Gericht nicht festgestellt werden, dass die Beklagte es in geeigneter Weise sichergestellt hat, Unfallgefahren zu erkennen und möglichst zu vermeiden.

27

Bei der dargelegten Sachlage war der Unfall für den Kläger unabwendbar (§ 7 Abs. 2 StVG). Die Betriebsgefahr seines Unfallfahrzeuges (§ 7 Abs. 1 StVG) ist daher nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

28

Die Haftung der Beklagten ist nicht gemäss § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Leistungen einer Teilkaskoversicherung sind - soweit eine Haftung des Staates (Art. 34 GG) in Frage steht - nicht als anderweitige Ersatzmöglichkeit i.S. des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu qualifizieren (BGH NJW 1983, 1668 (1669) [BGH 28.10.1982 - III ZR 89/81].

29

Der erstattungsfähige und von der Beklagten zu ersetzende Unfallschaden des Klägers beläuft sich auf insgesamt 890,03 EUR. Er besteht in dem seitens des ... in Rechnung gestellten Betrag mit Ausnahme der Mietwagenkosten sowie einer Unkostenpauschale in Höhe von 20,--EUR:

Auf Grund der durch den Zeugen ... bestätigten Unfallschilderung des Klägers ist gut nachvollziehbar, dass durch den in Rede stehenden Vorfall der Stossfänger und der Querlenker des klägerischen Fahrzeuges beschädigt worden sind. Dies bedeutet, dass der Kläger die ihm durch die Erneuerung des Stossfängers, die Erneuerung des Querlenkers, das Auswuchten der Räder und das Einstellen der Spur entstandenen Kosten voll umfänglich ersetzt verlangen kann. Die ihm darüberhinaus zustehende Unkostenpauschale bemisst das Gericht auf 20,--EUR (§ 287 ZPO).

30

Die Voraussetzungen für ein Ersatz der Mietwagenkosten hat der Kläger nicht schlüssig dargetan; insbesondere hat er nicht ausgeführt, auf das durch den Vorfall beschädigte Fahrzeug angewiesen gewesen zu sein und keinen Ersatzwagen zur Verfügung gehabt zu haben. Damit aber sind die Mietwagenkosten nicht ersatzfähig.