Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 21.10.2014, Az.: VgK-39/2014

Ausschreibung von RLT-Anlagen für den Neubau und Errichtung von Flächen für einen Forschungsbau i.R.d. Zuschlagskriteriums "Preis"

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
21.10.2014
Aktenzeichen
VgK-39/2014
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 31592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx
- Antragstellerin -
gegen
das Land Niedersachsen, endvertreten durch das Staatliche Baumanagement xxxxxx
- Antragsgegner -
Beigeladen:
xxxxxx
- Beigeladene -
wegen
Neubau und Herrichtung von Flächen für einen Forschungsbau der xxxxxx- RLT-Anlagen, xxxxxx
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, die hauptamtliche Beisitzerin BORin Schulte und den ehrenamtlichen Beisitzer Herrn BAR Hellermann auf die mündliche Verhandlung vom 21.10.2014
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Das Vergabeverfahren wird in den Stand vor Beginn der Wertung zurückversetzt. Der Antragsgegner wird bei fortbestehender Vergabeabsicht verpflichtet, die Wertung neu vorzunehmen. Dabei hat er die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

  2. 2.

    Die Gebühr wird auf xxxxxx,-- € festgesetzt. Auslagen sind nicht entstanden.

  3. 3.

    Die Kosten (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) des Nachprüfungsverfahrens trägt der Antragsgegner. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung der Kosten persönlich befreit.

  4. 4.

    Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung einer Rechtsanwältin war für die Antragstellerin notwendig.

[Gründe]

I.

Der Auftraggeber und Antragsgegner hatte am xxxxxx 2014, veröffentlicht am xxxxxx 2014, für die xxxxxx das Institut für Technologie - xxxxxx als Forschungsbau mit Laboren, Werkstätten und Nebenflächen die RLT-Anlagen europaweit ausgeschrieben. Eine Aufteilung der zu vergebenden Leistung in Lose war nicht vorgesehen. Nebenangebote, Alternativvorschläge waren nicht zugelassen. Hinsichtlich der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes in Bezug auf die Zuschlagskriterien wurde auf die Ausschreibungsunterlagen verwiesen. Dort war nur das Zuschlagskriterium "Preis" genannt. Hinsichtlich der Teilnahmebedingungen waren zahlreiche Anforderungen genannt.

Aufgrund von Bieterfragen versandte der Antragsgegner insgesamt fünf Bieterrundschreiben mit näheren Erläuterungen zum Leistungsverzeichnis.

Bei der Angebotseröffnung am xxxxxx 2014 ergab sich, dass für das streitige Los neun Bieter ein Angebot eingereicht hatten. Die Antragstellerin hat die Leistungen für rechnerisch geprüfte xxxxxx € angeboten. Die Beigeladene hat die Leistung für rechnerisch geprüfte xxxxxx € angeboten. Dem im Rahmen der Angebotswertung erstellten Preisspiegel vom 08.09.2014 ist zu entnehmen, dass das Angebot der Antragstellerin 14,4% günstiger ist als das der Beigeladenen.

Bereits mit Schreiben vom 18.07.2014 forderte der Antragsgegner von der Antragstellerin und der Beigeladenen eine Aufschlüsselung der Einzelpreise (Formblatt 223 - Aufgliederung der Einheitspreise).

Mit Schreiben vom 29.07.2014 bat das beauftragte Ingenieurbüro beide Bieter um technische Klärung einzelner Punkte. Aus den Angaben und Unterlagen der Beigeladenen vom 30.07.2014 ergaben sich aus Sicht des beauftragten Ingenieurbüros die gewünschten Angaben. Weitere Nachforderungen wurden nicht gestellt.

Die Antragstellerin beantwortete ebenfalls mit E-Mail vom 30.07.2014 Fragen zur technischen Klärung ihres Angebotes. Sie erklärte, dass ihr Übernahmefehler passiert seien. Offenbar entsprachen die Angaben insgesamt nicht den Anforderungen des Antragsgegners, denn sie teilte mit E-Mail vom 05.08.2014 mit, dass sie die geforderten Nachweise entsprechend der im Schreiben vom 30.07.2014 benannten gesamten Titel bzw. ausgewählter Positionen beigefügt habe.

Da aus Sicht des Antragsgegners für einzelne Leistungspositionen Erklärungen und Nachweise fehlten, bat er mit Schreiben vom 06.08.2014 um Vorlage bis zum 11.08.2014. Diese Fristsetzung rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 08.08.2014. Ferner vertrat sie die Auffassung, dass sie diverse Nachweise vorgelegt habe.

Unter Beachtung des vom Antragsgegner gewährten Schriftsatznachlasses reichte die Antragstellerin Unterlagen mit E-Mail vom 13.08.2014 nach. Sie erklärte, dass ihr Angebot auskömmlich sei und verwies auf die bereits vorliegende Urkalkulation. Ferner erläuterte sie für einzelne Bauteile ihre Einkaufspolitik.

In einem weiteren Schreiben vom 14.08.2014 wies der Antragsgegner darauf hin, dass die vorgelegten Nachweise immer noch nicht vollständig seien. Er bat um die vollständige Preisermittlung für vier LV-Positionsteile bis zum 22.08.2014. Einer E-Mail der Antragstellerin vom 22.08.2014 ist zu entnehmen, dass sie zu verschiedenen Positionen Stellung genommen hat.

Dem Vergabevorschlag des beauftragten Ingenieurbüros vom 02.09.2014 ist zu entnehmen, dass es vorschlägt, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Dem Vergabevorschlag ist für jeden Bieter eine Anlage beigefügt, in der die Ergebnisse der einzelnen Wertungsstufen festgehalten wurden. Zum Angebot der Antragstellerin wurde festgehalten, dass die Bedenken zur Auskömmlichkeit der Einheitspreise mit den vorgelegten Urkalkulationsunterlagen nicht ausgeräumt werden konnten. Die im Angebot angesetzten sehr niedrigen Einheitspreise u. a. im Bereich des Titels 1.6 ff PPS-Kanal, 1.7.2010-2400 Brandschutzklappen, 1.7.610-660 Laminarflow Einheiten und Titel 1.9 Kernbohrungen, konnten nicht ausreichend belegt bzw. kalkulatorisch nachgewiesen werden. Dem Vergabevorschlag schloss sich der Antragsgegner an.

Mit Information nach § 101a GWB teilte der Antragsgegner der Antragstellerin per Fax am 05.09.2014 mit, dass ihr Angebot nicht in die engere Wahl komme, weil begründete Zweifel bezüglich eines unangemessen niedrigen Preises bestünden. Ferner wurde sie davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, der Beigeladenen am 16.09.2014 den Auftrag zu erteilen.

Mit Schreiben vom 08.09.2014 rügte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner die Entscheidung, ihr Angebot nicht in die engere Wahl zu ziehen, als vergaberechtswidrig. Sie habe in ihren E-Mails vom 13.08.2014 und 22.08.2014 detailliert die dem Angebot zugrunde liegende Kalkulation erläutert. Sie habe die Zuschlagskalkulation und die Einheitspreislisten vorgelegt. Ferner habe sie auch die vollständige Preisermittlung und geforderte Nachweise zu den Nachunternehmerleistungen Wärmedämmung, Kernbohrungen, usw. sowie zu den PPS-Positionen (Eigenkalkulation) erbracht. Sie habe sich dabei der Hilfe eines vergleichbaren Nachunternehmerangebots vom 22.08.2014 bedient. Für die Lieferung und Montage von beschriebenen Laminarflowauslässen zeichne kein Nachunternehmer sondern eine eigene Marke, die Krantz-Komponenten, verantwortlich. Entsprechende Nachweise habe sie am 22.08.2014 ebenso wie weitere Pauschalzulagen und Mehraufwendungen begründet dargelegt.

Nachdem der Antragsgegner mit Schreiben vom 10.09.2014 der Antragstellerin mitteilte, dass seine Bedenken zur Auskömmlichkeit der Einheitspreise und Angebotspreise nicht ausgeräumt werden konnten, beantragte die Antragstellerin am 12.09.2014 per Telefax, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie begründet ihren Antrag unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen in dem o.g. Rügeschreiben. Sie habe dem Antragsgegner die Angebote ihrer Nachunternehmer im Bereich der Titelsummen Kanäle, Rohrleitungen, Kunststoff und Zubehör (Titelsumme 1.6) sowie Einbauteile und Zubehör vorgelegt (Titelsumme 1.7). Ferner führt sie aus, dass sie auch mitgeteilt habe, erhebliche Rabatte von den Großhändlern, Herstellern und Lieferanten zu erhalten. Sie habe mit dem Antragsgegner telefonisch abgestimmt, dass sie im Bereich der Titelsumme 1.6 nicht ihr internes Kalkulationsprogramm vorlegen, sondern dass die Kalkulation eines Lieferanten zum Vergleich als Nachweis dienen soll. Im Bereich der Titelsumme 1.7 habe sie erläutert, dass diese Leistungen durch einen ihrer Geschäftsbereiche erbracht werden und eine Bestätigung dafür vorgelegt. Sie habe auch hinsichtlich einzelner Positionen im Bereich der Titelsumme Maßnahmen gemäß Hygiene- und Reinraumanforderungen (Titelsumme 1.10) und Lohnstunden und Sonstiges (Titelsumme 1.12) dargelegt. Sie habe die Preise als Pauschalzulage ihrer schon auf der Baustelle befindlichen Inbetriebsetzungsmannschaft sowie (teilweise) mit Hilfskräften/Lehrlingen kalkuliert. Alle geforderten Unterlagen lägen dem Antragsgegner vor. Daraus ergäbe sich, dass ihr Angebotspreis schlüssig kalkuliert wurde und auskömmlich sei.

Selbst wenn man unterstellen würde, dass ihr Angebot tatsächlich unauskömmlich sei, wäre es Aufgabe des Antragsgegners gewesen, zusätzlich zu prognostizieren, ob sie die Leistung zum angebotenen Preis zuverlässig und vertragsgerecht leisten könne. Eine solche Entscheidung habe der Auftraggeber jedoch nicht getroffen.

Nach Antragserwiderung und Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht geht die Antragstellerin davon aus, dass die Einschätzungen des Antragsgegners, speziell bei den preisintensiven Positionen, auf unvollständigen bzw. falschen Sachverhaltsaufklärungen beruhen, die letztendlich zu der angenommenen Unterdeckung des Auftrages führen. Der Antragsgegner dürfe auch nicht, wie geschehen, die Angemessenheit einzelner Einheitspreise für sich prüfen, sondern diese nur im Rahmen der Angebotssumme beurteilen.

Soweit der Antragsgegner in seinem Vergabevorschlag festhalte, dass die Auskömmlichkeit diverser Einzelpreise auch nicht an Hand der Ur-Kalkulation ausreichend nachgewiesen wurde, stelle dies keine ausreichende Preisbeurteilung dar, sondern sei lediglich eine Vermutung.

Der Antragsgegner unterstelle, dass die ihr gewährten Rabatte unrealistisch sind, da er aufgrund seiner Erfahrung andere Werte zugrunde lege. In diesem Fall müsse sie davon ausgehen, dass der Antragsgegner nur seine Erfahrungswerte für realistisch halte. Ferner habe der Antragsgegner offenbar bei seiner Überprüfung nicht berücksichtigt, dass ein Teil der Leistungen durch einen ihrer Geschäftsbereiche erbracht werde, deren kalkulierte Zuschläge und Löhne ihr bekannt seien.

Ebenso unverständlich sei, dass der Antragsgegner unterstelle, dass ihre Zuschlagskalkulation gezielt auf Nachträge ausgerichtet zu sein scheint. Im Übrigen sei dies auch im Rahmen der Preisprüfung unverständlich.

Sie meint, dass die bloße Vermutung des Antragsgegners, sie könne die Leistung nicht zu Ende ausführen, unbegründet ist. Außerdem stelle dies nicht die erforderliche begründete Prognoseentscheidung dar, dass sie zum angebotenen Preis nicht zuverlässig und vertragsgerecht leisten könne. Der Antragsgegner habe diesbezüglich keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Auftrags dargelegt und dokumentiert.

Die Antragstellerin beantragt

  1. 1.

    Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag im Offenen Verfahren bezüglich des Bauvorhabens "xxxxxx, Neubau und Herrichtung von Flächen für einen Forschungsbau der xxxxxx - RLT-Anlagen", Vergabenummer xxxxxx, an den Bieter Fa. xxxxxx zu erteilen.

  2. 2.

    Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen.

  3. 3.

    Hilfsweise für die Fälle des § 114 Abs. 2 GWB:

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihrem Bieterrecht nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt wurde.

  4. 4.

    Die anwaltliche Vertretung der Antragstellerin wird gemäß § 128 Abs. 4 GWB für notwendig erklärt.

  5. 5.

    Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner tritt dem Vortrag und der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen. Er hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet.

Im Rahmen der Wertung der Angebote habe er festgestellt, dass der Angebotspreis der Antragstellerin mehr als 10% niedriger sei als das der nächstplatzierten Beigeladenen. Zwar sei die vorgelegte Kalkulation rechnerisch in Ordnung, es seien jedoch nicht die angesetzten niedrigen Einheitspreise ausreichend belegt worden.

Er habe letztendlich von der Antragstellerin die Preislisten und Rabatte gefordert. Es ging dabei nicht um einige wenige Positionen sondern um eine große Anzahl. Selbst die zuletzt am 22.08.2014 eingereichten Nachweise konnten die vorliegende Kalkulation der Angebotspreise nicht nachvollziehbar belegen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Stoffkosten, welche im Verhältnis zu den anderen Bietern mit dem höchsten Zuschlag beaufschlagt worden seien. Er geht davon aus, dass die tatsächlichen Rabatte nicht ausreichen, um den extrem niedrigen Kalkulationsansatz nachzuweisen.

Die Antragstellerin habe im Bereich der Titelsumme Kanäle, Rohrleitungen, Kunststoff und Zubehör (Titelsumme 1.6) für einzelne Leistungspositionen angeboten, ein Vergleichsangebot eines Nachunternehmers vorzulegen. Auffällig sei, dass alle Einheitspreise dieses Vergleichsangebots über denen der Antragstellerin liegen. Da der Abstand zum zweitgünstigsten Bieter in diesem Bereich mehr als 40% betrage, seien seine Zweifel nicht ausgeräumt worden.

Gleiches gelte vergleichbar für einzelne Leistungspositionen im Bereich der Titelsumme Einbauteile und Zubehör (Titelsumme 1.7). Auch hier liegen die angebotenen Stoffpreise der Antragstellerin fast 30% niedriger als bei den übrigen Bietern. Die in der Kalkulation angesetzten Nettopreise seien auch niedriger als die vom Nachunternehmer bestätigten Preise.

Hinsichtlich der geforderten Nachweise für die Positionen im Bereich der Titelsummen Maßnahmen gemäß Hygiene- und Reinraumanforderungen (Titelsumme 1.10) und Lohnstunden und Sonstiges (Titelsumme 1.12) habe die Antragstellerin bestätigt, dass der gewählte Kalkulationsansatz für die ausgeschriebene Qualität der Leistung zu niedrig angesetzt wurde. Letztendlich müsse er von einer Unterdeckung des Auftrages in Höhe von 210.000 € bis 225.000 € ausgehen.

Seine Zweifel an der Angemessenheit des Angebotes der Antragstellerin seien auch aus der Gegenüberstellung zur Preisermittlung erkennbar. Das Verhältnis von Zuschlägen, Lohnkosten, Netto-Materialkosten und den Netto-Nachunternehmerleistungen habe er dokumentiert. Die relativ hohe Zuschlagskalkulation der Antragstellerin auf die Stoffkosten scheine gezielt auf Nachträge ausgerichtet.

Die Beigeladene hat sich nur in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren geäußert. Sie stellt keine Anträge.

Die Vergabekammer hat mit Beschluss des Vorsitzenden vom 13.10.2014 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 03.11.2014 verlängert.

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21.10.2014 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Der Antragsgegner hat für den Ausschluss eines Angebots wegen eines unangemessen niedrigen Preises mehr darzustellen als das Vorliegen eines Unterkostenangebots. Das Vergabe- und Vertragshandbuch für Baumaßnahmen des Bundes (VHB) ist nur eine Verwaltungsvorschrift und mangels Außenwirkung nicht als rechtliche Grundlage für einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren geeignet. Auf die Darlegung der in der Rechtsprechung geforderten zusätzlichen Voraussetzungen, dass dieses Unterkostenangebot entweder in Marktverdrängungsabsicht abgegeben wurde, oder aber die sachlich begründete Prognose nahelegt, dass der Bieter zu diesem Preis nicht über die gesamte Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrages leistungsfähig bleibt, durfte der Antragsgegner daher hier nicht verzichten (vgl. nachfolgend zu 2. a). Soweit der Antragsgegner im Rahmen der Angebotsaufklärung Unterlagen anfordert, ist er auf den von ihm in der Vergabebekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ausgewählten und den Anbietern bekannt gegebenen Umfang beschränkt (vgl. nachfolgend zu 2. a) bb)).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das Land Niedersachsen, vertreten durch seine örtlich und sachlich zuständige Landesbehörde, somit um eine Gebietskörperschaft gemäß § 98 Nr. 1 GWB. Der Antragsgegner ist in der Antragsschrift zutreffend als das Land Niedersachsen bezeichnet worden. Die unmittelbare Bezeichnung der zuständigen Behörde (siehe Verlängerungsverfügung) wäre gleichermaßen zulässig gewesen. Das Vergabenachprüfungsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren, da es auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gemäß § 114 Abs. 3 GWB gerichtet ist. Gemäß § 11 Nr. 3 VwVfG sind auch Landesbehörden im Verwaltungsverfahren beteiligtenfähig. § 11 VwVfG gilt über § 1 NdsVwVfG unmittelbar im Verwaltungsverfahren. Die unmittelbare Beteiligtenfähigkeit der Landesbehörden deckt sich mit der Darstellung in III. 3. des Vertretungserlasses des Landes Niedersachsen durch dessen Landesbehörden, wonach im allgemeinen Rechtsverkehr jede Behörde das Land innerhalb ihrer Zuständigkeit vertritt. Der Vertretungserlass des Landes Niedersachsen hat nur für die Vertretung vor den nicht von § 8 NdsAGVwGO erfassten Gerichten konstitutive Bedeutung. (vgl. Ziffer IV des Vertretungserlasses; a. A. OLG Celle, Beschluss vom 24.09.2014, 13Verg 9/14).

Die hier zu entscheidende Vergabe ist Teil eines öffentlichen Bauauftrages gemäß § 99 Abs. 3 GWB.

Der Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Absatz 1 GWB. Danach gilt der vierte Teil des GWB nur für Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. § 2 Abs. 1 Satz 1 der VgV enthält eine dynamische Verweisung auf die europarechtlich festgelegten Schwellenwerte, hier die Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 vom 13.12.2013. Artikel 2 Absatz 1c setzt für Bauaufträge einen Schwellenwert von 5.186.000 € fest. Dieser Wert wird nicht durch die hier zu entscheidende Vergabe erreicht, wohl aber durch die Gesamtbaumaßnahme, innerhalb derer die hier vorzunehmende Vergabe erfolgt. Nach § 3 Abs. 7 Satz 4, 5 VgV gilt diese Verordnung jedoch nicht für die Vergabe einzelner Lose, wenn es sich um Lose handelt, deren geschätzter Wert unter 1 Million € liegt. Außerdem darf der Gesamtwert der Lose, bezüglich derer sich der Auftraggeber auf diese Möglichkeit beruft, 20% des Gesamtwertes aller Lose nicht übersteigen. Der Antragsgegner hat sich auf diese Möglichkeit nicht berufen können. Nach seiner Kostenschätzung gemäß Formblatt 331.3 mit Verweis auf Formblatt 111.4 betrug der ursprünglich geschätzte Wert dieses Loses 1,8 Mio. €.

Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Absatz 1GWB antragsbefugt, da Sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Hierzu trägt sie vor, ihr Angebot sei zu Unrecht ausgeschlossen worden, da sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, dem Aufklärungsverlangen des Antragsgegners vollständig nachgekommen sei, und überdies die Gewähr biete, den Auftrag beanstandungsfrei und über die volle Laufzeit erbringen zu können. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das den Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht 1. Auflage § 107 Rdnr. 52). Ob sich die dargestellte Rechtsverletzung bestätigt, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine Frage der Begründetheit des Antrages (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006, VII Verg 23/06, Ziff. 1a, zitiert nach VERIS).

Die Antragstellerin ist ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr.1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Antragsgegner unverzüglich zu rügen. Gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Sie hat binnen drei Tagen nach Erhalt der Bieter Information gemäß § 101 a GWB die Entscheidung des Antragsgegners, ihr Angebot nicht in die engere Wahl zu ziehen, als vergaberechtswidrig gerügt. Als unverzüglich galt früher ein Zeitraum von ein bis drei Tagen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 3/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Bei Einschaltung eines Anwaltes bzw. Prüfung schwieriger Rechtsfragen wurde die Frist regelmäßig auf eine Woche ausgedehnt (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 08.06.2011 - 21.VK3194-14/11; OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, WVerg 6/10; OLG München, Beschluss vom 15.03.2012, Verg 2/2; VK Bund, Beschluss vom 17.01.2008, VK1-152/07).

Die europäische Kommission ist bei ihrer Überprüfung der deutschen Vorschriften zum Ergebnis gelangt, dass die Unbestimmtheit des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB die Rechtsmittelrichtlinie und die Gebote der Transparenz, Rechtssicherheit und Nichtdiskriminierung verletze. Sie hat daraufhin im Juli 2013 ein informelles Vorverfahren eingeleitet. Die Bundesrepublik hat zugesagt, im Rahmen der Reform des GWB zur Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien auch die Vorschrift des § 107 GWB an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen. Bis zur Anpassung der Rügefrist auf 10 bzw. 15 Kalendertage dürfte, obgleich die Umsetzungsfrist der neuen EU-Vergaberichtlinien bis zum 17.4.2016 läuft, die Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB wegen der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgarantie nicht mehr abweichend anzuwenden sein, ohne die Frage vorher dem EuGH oder dem BGH vorzulegen (s. dazu auch Werkstattbeitrag von Eydner, ibr-online, vpr 2014, 2673, eingestellt am 08.04.2014; VK Niedersachsen, Beschluss vom 17.04.2014, VgK-9/2014 und vom 13.08.2014 VgK-29/2014). Der europäischen Kommission folgend legt die Vergabekammer unter Übernahme der Mindestüberlegungsfristen des Art. 2c Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG eine Rügefrist von 10 bzw. 15 Tagen ab Erkennbarkeit zugrunde.

Diese Frist hat die Antragstellerin gewahrt, indem sie nach Information über den Ausschluss vom 05.09.2014 bereits am 08.09.2014 eine Rüge erhob. In dieser Rüge wandte sie sich gegen die genannten Ausschlussgründe. Hier ist die Rüge daher innerhalb von 10 Tagen nach Eingang der Entscheidungen des Antragsgegners und somit unverzüglich gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB erhoben worden.

Auch die Frist gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB, wonach der Nachprüfungsantrag innerhalb von 15 Tagen nach Zurückweisung der Rüge erhoben werden muss, andernfalls präkludiert ist, hat die Antragsgegnerin mit dem am 12.09.2014 erhobenen Nachprüfungsantrag eingehalten.

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Der Antragsgegner hat den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin in Anlage 1 zu seinem Vergabevorschlag darauf gestützt, dass das Hauptangebot aufgrund seiner Preisstruktur in sich unverständlich erscheine. Somit sei von einem unwirtschaftlichen Angebot auszugehen, das für den Zuschlag nicht in Betracht komme. Rechtlich stützt sich diese Entscheidung auf § 16 EG Abs. 6 Nr. 1 VOB/A. Danach darf der Zuschlag nicht auf Angebote mit einem unangemessen niedrigen Preis erteilt werden. Ergänzend ist § 7 NTVergG heranzuziehen. Danach ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, bei Bauleistungen die Kalkulation zu überprüfen, wenn das Angebot, auf das der Zuschlag erteilt werden soll, um mindestens 10% vom nächst höheren Angebot abweicht. Zusätzlich ist der jeweilige Anbieter im Rahmen dieser Überprüfung verpflichtet, die ordnungsgemäße Kalkulation nachzuweisen. Diese besondere Verpflichtung hat die Antragstellerin hinreichend erfüllt.

a) Der Antragsgegner war aufgrund des Preisabstandes der Antragstellerin zum nächst höheren Angebot von mehr als 10% aufgrund von § 7 NTVergG verpflichtet, dessen Kalkulation zu überprüfen. Auf die vor allem im Anwendungsbereich der EG-VOL/A durch die Rechtsprechung entwickelte Schwelle von 20% Abweichung als Indiz zur Begründung der Aufklärungspflicht (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.09.2014 - Verg 10/14) kommt es bei der Anwendung niedersächsischen Vergaberechts für Bauaufträge nicht an.

Grundsätzlich obliegt die Darlegungspflicht für jeden Angebotsausschluss, also auch wegen eines unangemessen niedrigen Angebots dem öffentlichen Auftraggeber. Dabei hat er den Anbieter vor einem Ausschluss des Angebots anzuhören (EUGH, Urt. Vom 27.11.2001-C 285/99, VergabeR 2002, 131). In Niedersachsen normiert § 7 NTVergG diese Anhörungspflicht und überträgt zugleich dem Anbieter die Darlegungspflicht für die "ordnungsgemäße Kalkulation". Kommt ein Unternehmen dieser Pflicht nicht fristgerecht nach, ist der Auftraggeber gemäß § 7 NTVergG berechtigt, das Unternehmen vom weiteren Verfahren auszuschließen. Diese Regelung enthält eine Rechtsfolge, die in etwa in Ziffer 4.1.2.1 der Richtlinien zu 321 des VHB Bund Ausgabe 2008 Stand August 2012 nachgebildet wird, wonach es dem Anbieter nach Aufforderung obliegt, Auffälligkeiten seines Angebots nachvollziehbar zu erläutern.

Die vom Antragsgegner veranlasste Aufklärung ergab laut Anlage 1 zum Vergabevorschlag eine unverständliche Preisstruktur des Angebots. Die sehr niedrigen Einheitspreise seien nicht ausreichend kalkulatorisch nachgewiesen worden, daher seien die Bedenken zur Auskömmlichkeit der Einheitspreise mit den vorgelegten Ur-Kalkulationsunterlagen nicht ausgeräumt worden.

Der Antragsgegner zog gemäß den Vorgaben der von ihm verpflichtend anzuwendenden Richtlinien zu 321 des Vergabe- und Vertragshandbuchs für Baumaßnahmen des Bundes (VHB) unmittelbar aus der angenommenen Unauskömmlichkeit die dort vorgezeichnete Vermutung, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sein werde, ihre Leistung vertragsgerecht zu erbringen. Die Möglichkeit, diese Vermutung durch eine Darstellung objektbezogener sachlich gerechtfertigter Gründe der niedrigen Preise zu widerlegen, habe die Antragstellerin in der Aufklärung nicht nutzen können.

Die Richtigkeit dieser inhaltlich auf der Verwaltungsvorschrift des VHB Bund beruhenden Vorgehensweise wird teilwiese von der Literatur (vgl. Bauer in Heiermann Riedl Rusam, Handkommentar zur VOB, 13. Auflage 2012, § 16 EG Rdnr. 156ff) bestätigt, obgleich sich dies nicht unmittelbar aus der EG-VOB/A entnehmen lässt.

Das (VHB)-Bund ist eine Formularsammlung und eine Anwendungshilfe für Arbeiten im Zusammenhang mit Bauaufträgen. Es wird weit über den eigentlich vorgesehenen Anwendungsbereich für Baumaßnahmen des Bundes verwendet, weil die Länder aus guten Gründen auf die Entwicklung eines eigenen Regelwerkes verzichten. Bei der Anwendung hat die jeweilige Vergabestelle zu bedenken, dass das VHB Bund keine verbindliche Außenwirkung gegenüber Dritten entfaltet. Es fehlt ihm der Normcharakter. Soweit verwaltungsintern den Vergabestellen die Anwendung des VHB Bund vorgeschrieben ist, handelt es sich nur um Binnenrecht.

Um als zivilrechtliche Grundlage des Vertragsanbahnungsverhältnisses gemäß § 311 Abs. 2 BGB angewendet zu werden, bedürfte es eines Verweises in den Vergabeunterlagen, z.B. in der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder in den Bewerbungsbedingungen auf die Anwendung des VHB-Bund. Ein solcher Verweis fehlt hier. Ob er wegen einer möglichen Kollision mit den Regelungen der EG-VOB/A sinnvoll wäre, kann hier offenbleiben. Der öffentliche Auftraggeber muss gegenüber dem Anbieter nicht nur die von ihm hier faktisch angewandte Richtlinie zu Ziffer 4.1.2.1 des VHB Bundes anwenden, sondern zugleich prüfen, ob vergaberechtlich weitergehende Verpflichtungen bestehen.

Die inhaltlichen Anforderungen der Rechtsprechung an den Ausschluss eines Unterkostenangebots weichen von den Vorgaben der Richtlinien zu 321 Ziffer 4.1.2.1 des VHB Handbuchs ab. Entsprechen einzelne Ansätze z.B. für Stoffkosten nicht den üblichen Ansätzen, darf der öffentliche Auftraggeber auch bei erfolgloser Anhörung nicht sofort auf eine nicht vertragsgerechte Leistung schließen. Nicht kostendeckende Einzelpreise als Beispiel für solche nicht üblichen Ansätze sind alleine noch kein ausreichender Anhaltspunkt für einen Angebotsausschluss (Stolz in Willenbruch/Wieddekind Vergaberecht Kompaktkommentar 3. Auflage 2014, 7.Los § 16 VOB/A-EG Rdnr. 136). Zunächst ist die Frage, ob der Preis unangemessen niedrig ist, auf das gesamte Angebot zu beziehen.

Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem nicht auskömmlichem Angebot und einem unangemessenen Preis gemäß § 16 EG Abs. 6 VOB/A. Die fehlende Auskömmlichkeit ist nur ein Teil der Prüfung, die in der Wertung um mindestens einen der weiteren Tatbestände, nämlich die Marktverdrängungsabsicht oder die Gefährdung der Vertragserfüllung (meist durch Insolvenz) im Ausführungszeitraum zu ergänzen ist.

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 09.05.2011 (VII Verg 45/11) zu dem mit § 16 EG Abs. 6 VOB/A weitgehend inhaltsgleichen § 19 EG Abs. 6 Satz 2 VOL/A ausgeführt, einen Bieterschutz im Rechtssinn entfalte die Bestimmung nur, wenn das an den Auftraggeber gerichtete selbstverständliche Gebot, wettbewerbswidrige Praktiken im Vergabeverfahren zu verhindern (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A-EG: Vergabe "im Wettbewerb"), den Ausschluss des insbesondere als unangemessen niedrig gerügten Angebots gebiete. Dem unterfallen Angebote mit unangemessen niedrigem Preis, die in der zielgerichteten Absicht der Marktverdrängung abgegeben worden sind oder die zumindest die Gefahr begründen, dass bestimmte Wettbewerber vom Markt ganz (und nicht nur von einer einzelnen Auftragsvergabe) verdrängt werden. Genauso gehörten dazu Angebote, bei denen die (niedrige) Preisgestaltung den Auftragnehmer voraussichtlich in so erhebliche Schwierigkeiten bringen werde, dass er den Auftrag nicht zu Ende ausführen könne, sondern die Ausführung abbrechen müsse. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung liege in diesen Fällen darin, dass die am Vergabeverfahren beteiligten Wettbewerber, die die ausgeschriebene Leistung zu angemessenen Preisen angeboten haben, nicht mehr in die Ausführung des Auftrags eintreten können, weil eine Übernahme wegen der Entwicklung ihrer geschäftlichen Verhältnisse, namentlich wegen einer anderweiten Bindung ihrer Leistungskapazitäten, ausgeschlossen sei.

Ebenso hat das OLG München (OLG München, Beschluss vom 21.05.2010 - Verg 2/10) entschieden. Der Auftraggeber dürfe einen Zuschlag auch auf ein Angebot erteilen, das für den Bieter keinen Gewinn erwarten lasse, solange die Prognose gerechtfertigt sei, dass der Anbieter auch zu diesem Preis zuverlässig und vertragsgerecht werde leisten können. Demzufolge obliegt dem Auftraggeber der Nachweis, dass das Unterkostenangebot in Marktverdrängungsabsicht abgegeben worden sei, oder die Gefahr bestünde, das der Auftragnehmer in der Vertragsphase in Insolvenz fiele.

Ob die Kalkulation "ordnungsgemäß" im Sinne des § 7 NTVergG ist, bewertet die Vergabekammer im gleichen Sinne wie die Rechtsprechung zu § 16 EG Abs. 6 VOB/A. Schon aus der Überschrift zu § 7 NTVergG "unangemessen niedrige Angebote" ergibt sich, dass der Landesgesetzgeber in Niedersachsen keine weitergehende Regelung treffen wollte, als sie in § 16 EG Abs. 6 VOB/A enthalten ist. Auch eine Kalkulation, die mit einem Verlust des Unternehmers abschließt, oder in einzelnen Ansätzen wie den Stoffkosten unübliche Ansätze wählt, ist somit grundsätzlich "ordnungsgemäß" im Sinne des § 7 NTVergG, solange sie im Wesentlichen in sich schlüssig ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn zusätzlich die soeben dargestellten von der Rechtsprechung entwickelten ergänzenden Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

Der Antragsgegner hat die Unauskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin fehlerhaft festgestellt. Er hat sich überdies in seiner Entscheidung weder mit der Frage befasst, ob die Antragstellerin im Laufe des Vertragsverhältnisses aufgrund des Unterkostenangebotes in Insolvenz fallen könnte, noch mit der Frage, ob das Angebot in einer Marktverdrängungsabsicht abgegeben worden ist.

aa) Zunächst hat sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass die erstmals im Nachprüfungsverfahren dokumentierte Annahme des Antragsgegners, es bestünde eine Unterdeckung in Höhe von ca. 210.000 € oder mehr, von einem nicht geeigneten Bezugspunkt ausgeht. Der Antragsgegner hat diese Summe auf den Abstand des Angebotes der Antragstellerin zu seiner Kostenberechnung bezogen. Die Kostenberechnung vor der Vergabe findet ihre Berechtigung im Rahmen der Fortschreibung der HU Bau und im Interesse des Auftraggebers an einer Kostensicherheit vor und während der Bauphase. Sie kann neben den Angeboten anderer Bieter ein weiterer Anhaltspunkt für einen ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis sein (Stolz in Willenbruch/Wieddekind Vergaberecht Kompaktkommentar 3. Auflage 2014, 7.Los § 16 VOB/A-EG Rdnr. 137). In der hier angewandten absoluten Form sollte sie aber nicht Maßstab für die Ermittlung eines Unterkostenangebotes, erst recht nicht für die weitere Ermittlung eines unangemessenen Preises sein. Der Marktpreis wird nicht im Büro des Auftraggebers geplant, sondern er wächst aus der Summe der Angebote (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 21.06.2010, VgK-25/2010). Da auch der Abstand zum Angebot der Beigeladenen ähnlich groß war, führte der fehlerhafte Bezugspunkt aber nicht zu einer unrichtigen Bearbeitung.

Die in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutierten einzelnen Unterdeckungen, bei denen der Antragsgegner darlegt, das Angebot der Antragstellerin läge unter den vorgelegten fiktiven oder tatsächlichen Lieferantenpreisen, betrafen geringfügige Unterschreitungen, teilweise nur um wenige hundert EURO. Diese Unterdeckungen lassen erkennen, dass die Antragstellerin ein großes Interesse daran hat, diesen Auftrag zu erhalten. Sie lassen ebenfalls erkennen, dass die Antragstellerin bereit ist, hier eine Kostenunterdeckung hinzunehmen, möglicherweise um einen drohenden Umsatzeinbruch zu mindern. Es ist nicht wettbewerbswidrig, wenn ein Unternehmen bei angespannter Wettbewerbslage mit einem Auftrag nur einen Deckungsbeitrag zu den Betriebskosten erwirtschaften will (Dicks in Kulartz/Marx/Portz/Prieß VOB/A 2. Auflage 2014, § 16 EG Rdnr. 255).

Ein Unterkostenangebot liegt nicht schon dann vor, wenn einzelne Preise oder Preisgruppen für bestimmte Leistungsabschnitte nicht kostendeckend kalkuliert worden sind, sondern erst dann, wenn das Kostenangebot insgesamt unauskömmlich kalkuliert worden ist. Jeder Anbieter im Vergabeverfahren ist berechtigt, einzelne Preise aus wettbewerblichen Gründen unauskömmlich zu kalkulieren, solange nicht der Fall einer Mischkalkulation vorliegt, in der der Anbieter Preise nicht dort kalkuliert, wo sie tatsächlich anfallen, sondern innerhalb seiner Kalkulation verschiebt. Der Antragsgegner hat hier den Vorwurf einer Mischkalkulation nicht erhoben.

Aus der vom Antragsgegner als Anlage zum Schriftsatz vom 06.10.2014 übersandten Gegenüberstellung der Kosten ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die Kosten für die Gesamtstunden, für die Summe der Lohnkosten in Euro oder die Summe der Stoffkosten in Euro netto deutlich niedriger angesetzt hätte als die jeweiligen Konkurrenten. Die Antragstellerin ist sowohl bei den Gesamtstunden unterboten worden als auch bei der Summe der Lohnkosten. Lediglich bei der Summe der Stoffkosten hat sie das geringste Angebot abgegeben, obwohl ihr Zuschlag auf diese Preise der Höchste war. Die Antragstellerin hat dies mit Konzernverflechtungen und Rabattvereinbarungen erklärt.

bb) Der Antragsgegner zweifelt die Erläuterungen an und hat sich Fremderklärungen vorlegen lassen. Das ist vom Inhalt der Vergabeunterlagen nicht gedeckt. Weder in der Vergabebekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen hat der Antragsgegner die rechtliche Grundlage gesetzt, um von den Anbietern die Grundlagen der Urkalkulation als Fremderklärung der Zulieferer vorlegen zu lassen. Er hat mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes gemäß Ziffer 3.1 und 3.2 nur gefordert, dass Angaben zur Preisermittlung entsprechend Formblatt 221 oder 222 wahlweise, je nach der vom Anbieter verwendeten Kalkulationsmethode, sowie die Aufgliederung der Einheitspreise entsprechend Formblatt 223 vorzulegen ist. Er hat also nur Eigenerklärungen angefordert, nicht jedoch Fremderklärungen in Form von Nachweisen durch fremde Kalkulationen.

Der Antragsgegner hat erst in der Aufklärung nach § 7 NTVergG zusätzlich gefordert, dass die Antragstellerin auch Fremderklärungen vorlegt, nämlich die Kalkulationen Ihrer Lieferanten bzw. Nachunternehmer. Gemäß § 13 EG Abs. 1 Ziffer 4 VOB/A müssen die Angebote nur die geforderten Erklärungen Nachweis erhalten. Auch im Rahmen der Aufklärung gemäß § 15 EG VOB/A darf der Kreis der vorzulegenden Unterlagen nicht ohne weiteres über das Maß hinaus ausgedehnt werden, was in den Vergabeunterlagen gefordert worden ist (vgl. Zeise in Kulartz/Marx/Portz/Prieß VOB/A 2. Auflage 2014, § 15 EG Rdnr. 12, 13; Stolz in Willenbruch/Wieddekind Vergaberecht Kompaktkommentar 3. Auflage 2014 7. Los § 15 VOB/A, Rdnr. 8) Eine singuläre Erhöhung der Nachweispflicht gegenüber nur einem Anbieter verändert das Wettbewerbsergebnis. Die Vergabekammer sieht nicht, dass § 7 NTVergG weitere Aufklärungsbefugnisse schafft, die über § 15 EG-VOB/A inhaltlich hinausgehen. Die Anforderung von Fremderklärungen in der Vergabephase ist unüblich, wird in der EG-VOB/A nur in § 6 Abs. 3 Satz 2 und 3 bei den Eignungsnachweisen erwähnt. Die jeweiligen Angebote der Anbieter soll in der Vergabephase zwar geprüft werden, aber nur in Plausibilitätstiefe und nicht mit der Wucht einer steuerlichen Betriebsprüfung.

Auch das OLG Karlsruhe hat in seinem Beschluss vom 06.08.2014 15 Verg 7/14 festgehalten, dass die vergaberechtlichen Vorschriften einen bestimmten Ablauf einer formalen und inhaltlichen Angebotsprüfung vorsehen. Über die gesetzlichen Bestimmungen und die zulässigen Vorgaben durch die Verdingungsunterlagen hinaus darf ein Auftraggeber keine zusätzlichen Anforderungen an das Angebot und den Bieter stellen. Der Auftraggeber dürfe ein Angebot nur auf feststehender, tatsächlich gesicherter Tatsachengrundlage ausschließen. Der Antragsgegner dürfe nicht die eigene Kalkulation gegen die der Antragstellerin setzen, ohne dass nachvollziehbar werde, dass er die Grenze der Auskömmlichkeit berechnet habe.

Die Antragstellerin war daher hier nur verpflichtet, ihre eigene Urkalkulation vorzulegen, was sind Sie mit E-Mail vom 05.08.2014 getan hat. Sie war außerdem verpflichtet, die Gründe für die in der Urkalkulation genannten Preise nachvollziehbar zu erläutern. Sie war jedoch nicht verpflichtet, zusätzlich die interne Kalkulation Ihrer Einkaufspreise als Fremderklärung vorzulegen, da dies nicht in der Aufforderung zur Angebotsabgabe gefordert worden war. Soweit Sie dies gleichwohl getan hat, ist dies überobligatorisch, kann ihr daher nicht nachteilig angerechnet werden.

Es ist daher unerheblich, dass die Antragstellerin zu 1.6 des Leistungsverzeichnisses nicht die Originaleinkaufspreise ihres Zulieferers als Fremderklärung vorgelegt hat, sondern eine fiktive Angebotskalkulation eines anderen Anbieters. Ebenso ist es unerheblich, dass sich bei der Auswertung dieses fiktiven Fremdangebotes eine geringfügige Unterdeckung von wenigen 1.000 € ergeben hat. Gleiches gilt für das Angebot zur 1.6.10.10, den so genannten Fortluftturm.

Bei den Laminarfloweinheiten für optische Tische lag das Angebot der Antragstellerin nach den Ermittlungen des Antragsgegners um 30 % niedriger als das Angebot vergleichbarer Konkurrenten. Es mag sein, dass es sich hier um Preise unterhalb der Selbstkosten handelt. Das ist jedoch für die Bewertung des Gesamtangebotes irrelevant, da es sich um eine Position handelt, die insgesamt nur hat3 % der Auftragssumme ausmacht.

In der gleichen Größenordnung liegt der Anteil der Brandschutzklappen zum Auftragsvolumen. Der Antragsgegner hält hier die von der Antragstellerin angebotenen Rabatte von bis zu 80 % für unglaubwürdig, setzt dem vielmehr seine eigenen Erfahrungswerte von 60 % Rabatt entgegen. Die Vergabekammer hat dies in der Beratung ausführlich erörtert. Gemäß § 105 Abs. 2 Satz 4 GWB soll die Zusammensetzung der Vergabekammer das Vorhandensein praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet des Vergaberechtes und gründliche Kenntnisse des Vergabewesens gewährleisten. Es gab praktische Erfahrung der Mitglieder der Vergabekammer, dass auch so hohe Rabatte, wie hier von der Antragstellerin vorgetragen, tatsächlich gewährt werden. Die Vergabekammer sieht daher im Gegensatz zum Antragsgegner keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit der von der Antragstellerin als Anlage 21 vorgelegten Vereinbarung durchgreifende Zweifel zu äußern.

Bei den Positionen 1.8, 1.9 des Leistungsverzeichnisses, Wärmedämmung und Kernbohrungen handelt es sich um geringfügige Aufträge im Wert von jeweils nur wenigen tausend EURO. Ein etwaiges Unterkostenangebot in diesen Positionen ist daher für die Wertung nicht relevant. Gleiches gilt für die Maßnahmen gemäß der Hygiene und Reinraumanforderung, die Pauschalzulagen und die gemeinsame Inbetriebnahme der Labore.

cc) Der Antragsgegner hat die konkrete Befürchtung geäußert, dass das Angebot der Antragstellerin auf Nachträge abziele. Er hat dies damit begründet, dass die Zuschläge auf die jeweiligen Stoffkosten, welche die Antragstellerin erhebt, signifikant höher seien als die der Konkurrenten. Das wird aus der Anlage des Antragsgegners zum Schriftsatz vom 06.10.2014 bestätigt.

Die Vergabekammer sieht aufgrund der bisher vom Antragsgegner ermittelten Zahlen und der in der mündlichen Verhandlung weitgehend unbeantwortet gebliebenen Fragen dennoch keine Veranlassung, das Angebot der Antragstellerin wegen der hohen Zuschläge auf die Stoffkosten als unangemessen niedrig anzusehen.

Das Interesse an Nachträgen eint alle Anbieter, weil der Nachtrag die Möglichkeit eröffnet, soweit keine Preisbindung greift, zu konkurrenzfrei nachverhandelten Preisen abzuschließen. Es bedarf daher nicht notwendigerweise keiner hohen Stoffzuschläge, um durch Nachträge Vorteile zu erzielen. Hohe Stoffzuschläge auf niedrige Angebotspreise erlauben aber im Fall eines Nachtrags gleiche Zuschläge auf hohe Nachverhandlungspreise.

Die Gefahr etwaiger Nachträge kann der öffentliche Auftraggeber aber nur durch eine möglichst umfassende und abschließende Leistungsbeschreibung abwehren, die umfassend und endgültig mit dem späteren Nutzer der Liegenschaft abgestimmt ist. Der Antragsgegner hat ausgehend von der von ihm verwendeten konventionellen deskriptiven Leistungsbeschreibung überzeugend dargestellt, dass er sich nach Kräften bemüht hat, den Umfang der Nachträge so weit wie möglich zu beschränken. Ob der Antragsgegner von den Möglichkeiten einer in Teilen funktionalen Leistungsbeschreibung Gebrauch macht, um Nachträge zu verhindern, obliegt seinem Ermessen.

Die Kalkulation eines erhöhten Stoffzuschlages ist allenfalls vor diesem Hintergrund nur eine einseitige Spekulation des Anbieters. Ob diese Spekulation trägt, entscheidet sich aufgrund der Leistungsbeschreibung.

Maßstab für die Wertung der Preise sind ausschließlich die Preise für die im Leistungsverzeichnis benannten Leistungen. Wenn der Antragsgegner aus der berechtigten Sorge heraus, etwaige Nachträge könnten das Preisgefüge ändern, diese Nachträge in die Wertung einbeziehen will, so hat er dies dem Anbietern bereits in den Vergabeunterlagen mitzuteilen, und darin auch festzulegen, in welcher Form er die Berechnung etwaiger Nachträge bei der Wertung des Kriteriums Preis berücksichtigen will. Nur dann ist es den Anbietern möglich, ihr Angebot auf das vom Antragsgegner Gewollte zu optimieren. Es wäre eine überraschende Einführung nachträglicher nicht bekannt gemachter Wertungskriterien, wenn der Antragsgegner nun die von ihm befürchteten, aber objektiv nicht bezifferbaren Nachträge in die Wertung des Kriteriums Preis mit einfließen lassen will. Der Antragsgegner war auch auf mehrfache Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage vorzurechnen, ab welchem Umfang der Nachträge er eine Umkehr der Bieterreihenfolge befürchtet. Somit ist es objektiv nicht möglich, die Befürchtung etwaiger Nachträge in die Wertung mit einzubeziehen.

dd) Die Annahme, dass ein Unternehmen, welches einen Jahresumsatz in dreistelliger Millionenhöhe erwirtschaftet, wegen eines nicht kostendeckenden Auftrags im Volumen eines einzigen Tagesumsatzes in Insolvenz fallen könnte, ist abwegig. Sie ist daher zu Recht vom Antragsgegner nicht weiter vertieft worden. Hier bedürfte es zumindest einer genauen Prüfung der gesamtwirtschaftlichen Lage der Antragstellerin, um die Gefahr einer konkret drohenden Leistungsunfähigkeit darzustellen. Das beträfe dann aber nicht die dritte Wertungsstufe gemäß § 16 EG Abs. 6 VOB/A sondern die zweite Wertungsstufe gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift. Die wirtschaftliche Eignung der Antragstellerin hat der Antragsgegner aber bisher bejaht. Zweifel hätte er substantiiert darzulegen. Überdies bliebe es selbst einem Unternehmen in Insolvenz unbenommen, sich erfolgreich um öffentliche Aufträge zu bewerben (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 24.01.2013 VgK 55/2012; OLG Celle, Beschluss vom 18.03.2013, 13 Verg 1/13).

ee) Zur Marktverdrängungsabsicht hat der Antragsgegner keine Erwägungen angestellt, obwohl dies gerade infolge der von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung sachkundig und überzeugend dargestellten Marktsituation, in der die Marktführer von Umsatzrückgängen betroffen sind, durchaus nachvollziehbar wäre. Auch die Beigeladene hat jedoch keine Marktverdrängungsabsicht im Rechtssinne dargestellt, die über die Vergabe dieses einzelnen Auftrages hinausgeht. Das Ziel, den jeweiligen Konkurrenten in der konkreten Vergabe zu verdrängen, um den einzelnen Auftrag zu erhalten, ist normales wettbewerbliches Verhalten, begründet noch keine Marktverdrängungsabsicht. Eine solche liegt erst dann vor, wenn ein Wettbewerbsteilnehmer die Absicht hat, einen Konkurrenten vollständig von einem regionalen, vielleicht sogar von jeglichem Markt auszuschließen, ihm also jeglichen regionalen oder überregionalen Auftrag zu entziehen. Die Marktverdrängungsabsicht schließt somit die Absicht ein, künftigen Wettbewerb zu erschweren oder zu unterbinden. Für eine solche Annahme fehlen trotz der ausführlichen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung bisher Anhaltspunkte.

b) Die Dokumentation des Antragsgegners genügt nicht den Anforderungen des § 20 EG Abs. 1 NR. 6 VOB/A. Danach muss die Dokumentation mindestens die Gründe für die Ablehnung ungewöhnlich niedriger Angebote enthalten. Der Antragsgegner hat zwar eine Begründung für die Ablehnung des Angebotes der Antragstellerin benannt, jedoch hat sich im Vergabenachprüfungsverfahren ergeben, dass die tatsächlich vom Antragsgegner herangezogenen Gründe für die Ablehnung des Angebots der Antragstellerin wesentlich umfassender waren als das, was er in der Begründung der Anlage eins zum Vergabevorschlag niedergelegt hat. Auf die inzwischen vielfältigen Möglichkeiten, die Mängel der Dokumentation auch im Vergabenachprüfungsverfahren zu heilen kommt es hier nicht an, da die Wertung aus den obigen Gründen zu a) und zu b) ohnehin zu wiederholen ist.

3. Gemäß § 114 Abs. 1 GWB hat die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Diese Vorschrift vermittelt der Vergabekammer einen weiten Entscheidungsspielraum, der nur im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Schranken findet. Die Vergabekammer ist an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken (§ 114 Abs. 1 Satz 2 GWB). Die gewählte Maßnahme muss sich eignen, die Rechtsverletzung sicher zu beseitigen. Sie soll aber gleichzeitig aber auch das mildeste der geeigneten Mittel hierfür sein.

Wegen der hier festgestellten Verstöße gegen Vergaberecht ist die Wiederholung der Wertung, innerhalb derer die Vergabeverstöße erfolgt sind, das geeignete Mittel, um die Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu heilen. Diese Maßnahme der Fehlerkorrektur ist zugleich das Mittel mit der geringsten Eingriffstiefe, um gegenüber der Antragstellerin eingetretenen Rechtsverletzungen sicher zu beseitigen, und auch die Rechte der Beigeladenen zu wahren.

III.

Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens gemäß § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Auftragswert beträgt nach der Angebotssumme der Antragstellerin xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

Bei einer Angebotssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Entscheidung zur Kostenlast folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist. Zwar ist Vergabekammer im Ergebnis etwas hinter den Anträgen der Antragstellerin aus der Antragsschrift vom 12.09.2014 zurückgeblieben, jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass die Vergabekammer einen weiten Ermessenspielraum hat und an Anträge nicht gebunden ist.

Der Antragsgegner ist von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten teilweise zu erstatten. Da der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war antragsgemäß auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Antragstellerin erforderlich.

Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Nach § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 9. Februar 2010 - Verg W 10/09, zitiert nach Tz. 46; OLG Celle Beschluss vom 29.06.2010, 13 Verg 4710 zit. nach ibr-online. Die Beigeladene hat sich zwar in der Verhandlung sachkundig geäußert, aber keine Schriftsätze gefertigt und keine Anträge gestellt. Eine Beteiligung an den Kosten wäre daher unbillig.

IV.

Rechtsbehelf

...

Gaus
Schulte
Hellermann