Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 31.07.2014, Az.: VgK-26/2014
Rechtmäßigkeit der Einschränkung der Teilnehmerzahl bei einem auf den Ausbau einer Schule gerichteten Vergabeverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 31.07.2014
- Aktenzeichen
- VgK-26/2014
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 25712
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 3 GWB
- § 128 Abs. 4 GWB
- § 20 Abs. 1 VOF 2009
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx
- Antragstellerin -
gegen
den xxxxxx
- Antragsgegner -
wegen
VOF -Verfahren Schulzentrum xxxxxx - beschränkter Wettbewerb nach RPW 2013
hat die Vergabekammer durch die Vorsitzende Regierungsdirektorin Dr. Raab, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und den ehrenamtlichen Beisitzer Herrn Dipl.- Ökonom Brinkmann ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zusätzlich in den Wettbewerb einzubeziehen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung der Gebühren befreit.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
- 4.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin erforderlich.
Begründung
I.
Das bestehende Schulgebäude in xxxxxx soll durch den Neubau einer 3-stufigen Oberschule ersetzt werden, die später zu einer 4-stufigen IGS mit einer 2-stufigen gymnasialen Oberstufe (Option) erweitert werden kann. Die zu vergebenden Planungsaufgaben umfassen das Schulgebäude und die Grünflächen mit Schulgarten.
Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2014 schrieb der Antragsgegner einen nicht offenen Wettbewerb mit beschränkter Teilnehmerzahl gemäß RPW 2013 aus. Zu den Kriterien für die Auswahl der Teilnehmer gab er bekannt:
"Die Zulassung zum Wettbewerb mit beschränkter Teilnehmerzahl ist zweistufig ausgebildet. In der 1. Stufe wird auf Basis der eingereichten Teilnahmeanträge der potentielle Teilnehmerkreis festgelegt. In dem Teilnahmeantrag sowie dem beiliegenden Muster-Bewertungsbogen sind die Auswahlkriterien definiert. Sofern mehr Bewerber, als für den Wettbewerb vorgesehen die Kriterien erfüllen, erfolgt die Auswahl der Teilnehmer am Wettbewerb (Stufe 2) anhand eines Losverfahrens.
Geplante Teilnehmerzahl: 8"
Ein bereits vorausgewählter Teilnehmer wurde namentlich benannt. Vergeben werden sollen insgesamt vier Preise zwischen xxxxxx € und xxxxxx €, dazu vier Anerkennungen mit jeweils xxxxxx EUR netto.
Für die Durchführung des Wettbewerbs nahm der Antragsgegner die Unterstützung der Fa. xxxxxx, in Anspruch.
Zur Bewerbung wurde ein 11seitiges Bewerbungsformular zur Verfügung gestellt, in welchem u.a. Erklärungen und Nachweise zur fachlichen Eignung der Büros für Gebäude- und Freiraumplanung und der Projektleiter, zu ihren Umsätzen und zur technischen Ausstattung abgefragt wurden.
Seite 6 enthält im Anschluss an Ziffer 5. "Liste aller Anlagen" folgenden Hinweis:
"Wertung gemäß Muster-Bewertungsbogen. Teilnahme am Losverfahren ab 50 Punkte."
Unter Ziffer 6. "Wertungskriterien zum Auswahlverfahren" des Formulars wird angekündigt:
- Fachliche Eignung des Büros bzw. der Bewerbergemeinschaft - Gebäude 30 Punkte - Fachliche Eignung des Büros bzw. der Bewerbergemeinschaft - Freianlagen 15 Punkte - Fachliche Eignung des vorgesehenen Projektleiters - Gebäude + Freianlagen 25 Punkte - Wirtschaftliche Nachweise des Büros bzw. der Bewerbergemeinschaft - Gebäude 20 Punkte - Sonstige Nachweise/technische Ausstattung Büro/Bewerber - Gebäude + Freianlagen 10 Punkte
Als Anlage beigefügt war ein Musterbewertungsbogen, aus dem die Bewerber erkennen konnten, welche Punktzahlen sie bei der Wertung ihrer jeweiligen Angaben erwarten konnten.
Maximal waren 100 Punkte erreichbar.
Nach Maßgabe einer in der Vergabeakte enthaltenen Liste, Stand 28.04.2014, sind insgesamt 27 Bewerbungen eingegangen.
Die Bewerbungen wurden geprüft und ausgewertet. Das Ergebnis der Auswertung wurde in der Tabelle "Auswertung der eingegangenen Teilnahmeanträge" dokumentiert. Die Tabelle stellt die jeweils erreichten Einzelbewertungen und die Gesamtpunktzahlen aller Bewerber dar, wobei eine Rangfolge nach Maßgabe der Gesamtpunktzahlen gebildet wurde.
Hiernach hatten die Bewerber auf Rang 1 bis 3, hierunter die Antragstellerin, die höchstmögliche Zahl von 100 Punkten erreicht. Auf Rang 4 und 5 folgen zwei Bewerbungen mit jeweils 99,5 Punkten und auf Rang 6 und 7 Bewerbungen mit 98,5 und 97 Punkten. Nur eine einzige Bewerbung (Rang 27) wurde mit weniger als 50 Punkten bewertet.
Gemäß einer in der Vergabeakte enthaltenen Niederschrift fand am 11.06.2013 eine Auslosung der Teilnehmer zum Architektenwettbewerb statt. Anwesend waren drei Personen, hierunter ein Notar und ein Vertreter des Antragsgegners. Durch Losentscheid wurden unter den 26 in der Rangliste aufgeführten Bewerbern mit mindestens 50 erreichten Punkten die Bewerber auf Rang 25, 16, 19, 13, 8, 2 und 24 zur Teilnahme am Architektenwettbewerb ausgewählt.
Mit Schreiben vom 18.06.2014 wurden die Bewerber über das Ergebnis der Auswertung und des anschließenden Losverfahrens informiert.
Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 25.06.2014 beanstandete die Antragstellerin die mitgeteilte Teilnehmerauswahl als vergaberechtswidrig. Die vorgenommene Abschichtung der beteiligten Bewerber durch Losverfahren sei willkürlich und damit vergaberechtswidrig. Nach der Rechtsprechung sei ein Losverfahren zwar zulässig, aber nur dann, wenn ein Auftraggeber eine rein objektive Auswahl nach qualitativen Kriterien unter gleich qualifizierten Bewerbern nicht mehr nachvollziehbar durchführen kann. Die Antragstellerin habe die Höchstpunktzahl erreicht, sodass sie eine Nichtberücksichtigung allenfalls hinnehmen müsse, wenn dies das Ergebnis eines Losentscheids unter gleichermaßen geeigneten Bewerbern wäre. Vorliegend seien in das Losverfahren jedoch Bewerber einbezogen worden, die weitaus weniger Punkte erreicht hätten. Hiermit habe sie nach den Vorgaben der Ausschreibung nicht rechnen müssen.
Mit Nachprüfungsantrag vom 04.07.2014 wandte sie sich an die Vergabekammer.
Sie beanstandet die Vorgehensweise des Antragsgegners zur Auswahl der Wettbewerbsteilnehmer per Losentscheid als vergaberechtswidrig. Mit dem Muster-Bewertungsbogen seien qualitative Kriterien zur Teilnahme am ausgelobten Wettbewerbsverfahren bekannt gegeben worden. Der Muster-Bewertungsbogen enthalte keine Mindestpunktzahl für die Teilnahme am Wettbewerb. Es sei davon auszugehen, dass die Bewerber, welche die höchsten Punktzahlen erhalten, in absteigender Reihenfolge am Wettbewerb teilnehmen. Zumindest sei mit Erreichen der Höchstpunktzahl vorliegend eine Teilnahme am Wettbewerb gesichert.
Obwohl ihm eine Auswahl der Teilnehmer anhand der objektiven Kriterien seines Bewertungsbogens ohne weiteres möglich war, habe der Antragsgegner ohne Not ein Losverfahren durchgeführt. In dieses Losverfahren habe er zudem Bewerbungen mit ungleichen Qualitätsmerkmalen einbezogen. Damit habe er die vergaberechtlich erforderliche Prognose, welcher Teilnehmer die Wettbewerbsaufgabe am besten bewältigen wird, unterlassen und durch eine Willkürentscheidung ersetzt.
Soweit der Antragsgegner darauf verweist, dass er seine Verfahrensweise in Bekanntmachung und Bewerbungsunterlagen angekündigt habe, sei darauf hinzuweisen, dass seine Vorgaben diesbezüglich keineswegs eindeutig, sondern missverständlich waren.
Die Antragstellerin beantragt
- den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragstellerin zur Teilnahme am Architektenwettbewerb zuzulassen;
- dem Antragsgegner bis zum Abschluss des Vergabenachprüfungsverfahrens zu untersagen, den Wettbewerb in dem o. g. Verfahren durchzuführen;
- die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gem. § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären;
- dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen.
Der Antragsgegner beantragt
- den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Er hält den Nachprüfungsantrag gemäß § 107 Abs. 3 GWB bereits für unzulässig, weil die Antragstellerin mit ihrer Rüge präkludiert sei. Die Antragstellerin sei vergaberechtlich durchaus erfahren und hätte den vermeintlichen Verstoß bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist rügen können und müssen.
Zum Auswahlverfahren durch Losentscheid habe man sich nach fachlicher Beratung im Hinblick auf die eigenen begrenzten Möglichkeiten entschieden. In den Bewerbungsunterlagen sei eindeutig festgelegt worden, dass die Erreichung von 50 Punkten zur Teilnahme am Losverfahren berechtigt. Anhand der Bewerbungsunterlagen habe sich jeder an einer Bewerbung Interessierte einen Überblick über das Auswahlverfahren und seine eigenen Chancen verschaffen können. Die zur Zulassung zum Losverfahren erforderliche Punktzahl sei hierbei auch explizit genannt worden. So hätten 214 Büros die Bewerbungsunterlagen abgefordert, aber aufgrund der Selbstselektion hätten nur 27 Büros eine Bewerbung vorgelegt.
Aus der Tatsache, dass kein anderer Bewerber das Verfahren und sein Ergebnis gerügt habe, sei zu schließen, dass alle Bewerber die Vorgaben in den Bewerbungsunterlagen so wie beabsichtigt verstanden haben.
Das gewählte und durchgeführte 2stufige Auswahlverfahren fördere die Zielsetzungen eines Wettbewerbs nach der RPW 2013 und entspreche auch den in § 2 formulierten Grundsätzen der VOF 2009. Das Losverfahren entspreche dem Gebot zur Gleichbehandlung in besonderem Maße und berücksichtige - anders als die von der Antragstellerin geforderte Auswahl auf Grundlage einer definierten Rangfolge - auch den Grundsatz der angemessenen Beteiligung von kleineren Büroorganisationen und Berufsanfängern. Die VOF stelle ausdrücklich nicht auf die nach einer Punktebewertung vorn liegenden Bewerber ab.
Die Ermittlung des Bieters, der im Hinblick auf die gestellte Aufgabe am ehesten die Gewähr für eine sachgerechte und qualitätvolle Leistungserfüllung biete, sei nicht Bestandteil des Auswahlverfahrens, sondern hierüber werde gemäß § 20 Abs. 1 VOF 2009 im anschließenden Wettbewerb entschieden.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
Antragstellerin und Antragsgegner haben einer Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 112 Abs. 1 GWB zugestimmt.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt, weil der Antragsgegner sie nicht in den Architektenwettbewerb einbezogen hat, obgleich sie nach der Vorauswahl mit 2 weiteren Bewerbern die Höchstzahl an erreichbaren Punkten erzielt hatte. Der Antragsgegner ist daher gehalten, sie zusätzlich zu den 8 weiteren Teilnehmern in den Wettbewerb einzubeziehen.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner, einer Gemeinde, handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den verfahrensgegenständlichen Leistungen handelt es sich um Architektenleistungen für den Neubau einer Schule sowie Planungsaufgaben für die zugehörigen Grünflächen. Im vorliegenden Nachprüfungsverfahren finden die Vergabeverordnung (VgV) in der Fassung vom 15.10.2013 und die Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 vom 13. Dezember 2013 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG, 2004/18/EG Anwendung. Das streitbefangene Vergabeverfahren wurde mit europaweiter Bekanntmachung vom 01.04.2014 eingeleitet. Der Auftrag für die freiberuflichen Leistungen übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. § 2 Abs. 1 Satz 1 der VgV enthält eine dynamische Verweisung auf die europarechtlich festgelegten Schwellenwerte, hier die Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 vom 13.12.2013. Hinsichtlich der Überschreitung des Schwellenwertes die Regelung zur Dienstleistungsrichtlinie anzuwenden. Der gemäß Art. 2 Nr. 1 Ziffer 1 b) der VO 1336/2013 für freiberufliche Leistungen maßgebliche Schwellenwert beträgt 207.000 €. Dieser Wert ist angesichts der vorläufigen Honararberechnung der Antragstellerin, die sich auf 680.446,37 € netto beläuft, überschritten.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bewerberin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, der Antragsgegner habe, indem er sie als punktbeste Bewerberin aus der Vorauswahl nicht in den Architektenwettbewerb einbezogen hat, vielmehr mit der Anwendung des Losverfahrens auf Bewerber mit unterschiedlicher Punktzahl gegen das Wettbewerbsgebot verstoßen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller die Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954). Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 VR 2248/04; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BHG, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt, da sie als eine der Bewerberinnen mit der höchsten Punktzahl in der Vorauswahl ohne das unterschiedslos angewendete Losverfahren jedenfalls zur Teilnahme am Wettbewerb zugelassen worden wäre.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.
Die Antragstellerin wurde durch das Planungsbüro des Antragsgegners mit einfachem Schreiben vom 18.06.2014 gemäß § 101a GWB darüber informiert, dass sie nicht für den Architektenwettbewerb ausgewählt wurde. Mit E-Mail ihres Bevollmächtigten vom 25.06.2014 rügte die Antragstellerin daraufhin die Anwendung des Losverfahrens durch den Antragsgegner als vergaberechtswidrig und forderte den Antragsgegner auf, sie zum Architektenwettbewerb zuzulassen. In der Vergabeakte ist nicht dokumentiert, wann der einfache Brief des Planungsbüros tatsächlich abgesendet wurde oder dessen Zugang bei der Antragstellerin erfolgte. Es ist jedenfalls von einer rechtzeitigen Rüge der anwaltlich beratenen Antragstellerin auszugehen.
Selbst wenn die Rüge erst sechs Tage nach Erhalt des Informationsschreibens gemäß § 101a GWB erfolgt wäre, wäre sie noch rechtzeitig. Nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz (Beschluss vom 24.04.2003 - 1 Verg 2/03, zitiert nach VERIS, und Beschluss vom 18.09.2003 - 1 Verg 4/03 = VergabeR 2003, S. 709, 111) muss die Rüge grundsätzlich innerhalb von ein bis drei Tagen nach Kenntnisnahme vom vermeintlichen Vergaberechtsverstoß erfolgen. Die Ausschöpfung der maximalen Rügefrist von zwei Wochen kann einem Antragsteller nach einhelliger Auffassung allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Unterstützung erfordert (vgl. Byok in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, 3. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 61, m. w. N.). Es kann jedoch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des OLG München (Beschluss vom 19.12.2013 - Verg 12/13, zitiert nach ibr-online) vorliegend dahinstehen, ob die Präklusionsregel gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 28.01.2010 in den Rs. C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (bejahend OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/010, und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen noch OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10). Bei diesen beiden zum irischen und englischen Recht ergangenen Entscheidungen des EuGH ging es um die Frage, ob ein Nachprüfungsantrag zulässig ist, wenn das Verfahren nicht unverzüglich eingeleitet wird. Der EuGH hat in den dortigen Entscheidungen den Unverzüglichkeitsbegriff als zu unbestimmt bewertet. Das OLG München hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 19.12.2013 - Verg 12/13 - offen gelassen, ob die Präklusionsregel des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nach diesen Entscheidungen des EuGH noch anwendbar ist oder dem Europarecht widerspricht. Zumindest aber lasse sich den EuGH-Entscheidungen entnehmen, dass der Primärrechtschutz nicht durch zu unklare Anforderungen verhindert werden soll. Das bedeutet auch, dass bei einer Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen nicht zu kleinlich zu verfahren ist (ebenso bereits OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 - Verg 14/12, zitiert nach ibr-online). Im Ergebnis hat das OLG München eine innerhalb von sieben Werktagen nach Kenntniserlangung vom gerügten Sachverhalt erfolgte Rüge noch als unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB gewertet. Zur Begründung hat das OLG betont, dass in der vergaberechtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, dass zur Abklärung, ob eine Rüge - und damit nachfolgend ein Nachprüfungsantrag - eingereicht werden soll, der Rat eines Anwalts eingeholt werden darf bzw. dem Bieter eine Überlegungsfrist zuzubilligen ist. Dies ist in Anbetracht der nicht leicht durchschaubaren rechtlichen Fragen und der nicht unerheblichen finanziellen Folgen, welche sich an die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens knüpfen, auch berechtigt. Unter Berücksichtigung dieser aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die Antragstellerin nach Erhalt des Informationsschreibens des Antragsgegners zunächst einen Rechtsanwalt konsultiert und diesen mit der Absetzung der Rüge beauftragt hat, würde die Vergabekammer die vorliegend im ungünstigsten Fall innerhalb von sechs Kalendertagen dem Antragsgegner übersandte Rüge als unverzüglich und damit rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB bewerten.
Eine Rügepräklusion folgt auch nicht aus § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB. Die Antragsstellerin musste den von ihr vermuteten Rechtsverstoß nicht bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 06.05.2014 rügen. Der Antragsgegner hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig. Er meint, die Antragstellerin sei mit ihrer Rüge vom 25.06.2014 präkludiert, da sie bereits mit den Bewerbungsunterlagen über die beabsichtigte Auswahl der Teilnehmer am Wettbewerb durch Losentscheid informiert worden sei und bis zum Bewerbungsschluss keine entsprechende Rüge vorgetragen habe. Dies wäre gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nur dann der Fall, wenn der Verstoß zweifelsfrei in den Bewerbungsunterlagen erkennbar gewesen wäre. Aus Sicht der Vergabekammer waren die Vorgaben des Antragsgegners aber keinesfalls eindeutig. In den Bewerbungsunterlagen sind folgende Angaben zum Auswahlverfahren enthalten: "Wertung gemäß Musterbewertungsbogen. Teilnahme am Losverfahren ab 50 Punkte." Diese Angabe ist aber missverständlich. Denn mit den Bewerbungsunterlagen wurde zugleich eine Bewertungsmatrix versandt, die eine differenzierte Vergabe von max. 100 Punkten vorsieht. Klar ist nach den Vorgaben nur, dass Bewerber mit weniger als 50 Punkten für eine Teilnahme nicht in Betracht kommen. Vorliegend wäre die angekündigte Losentscheidung auch - und in dem Fall vergaberechtskonform - in Betracht gekommen, wenn über die Teilnahme von Bewerbern mit gleicher Punktzahl hätte entschieden werden müssen. Es ist demnach verständlich, wenn ein Bewerber - im berechtigten Vertrauen darauf, dass der Auftraggeber das angekündigte Losverfahren vergaberechtskonform anwenden wird - zunächst einmal keine Rüge erhebt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt, weil der Antragsgegner sie nicht in den Architektenwettbewerb einbezogen hat, obgleich sie nach der Vorauswahl mit 2 weiteren Bewerbern die Höchstzahl an erreichbaren Punkten erzielt hatte. Das vom Antragsgegner durchgeführte Losverfahren war vergaberechtswidrig. Der Antragsgegner ist daher gehalten, die Antragstellerin zusätzlich zu den 8 weiteren Teilnehmern in den Wettbewerb einzubeziehen.
Der das Vergaberecht beherrschende Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) ist nicht mit einem Losverfahren zu vereinbaren, das seiner Natur nach nicht die Auswahl der besten Bewerber zum Ziel hat, sondern zu einer zufälligen Bewerberauswahl führt. Zwar ist das Losverfahren gemäß § 10 Abs. 3 VOF grundsätzlich zulässig: "Erfüllen mehrere Bewerber gleichermaßen die Anforderungen und ist die Bewerberzahl nach einer objektiven Auswahl entsprechend der zu Grunde gelegten Kriterien zu hoch, kann die Auswahl unter den verbleibenden Bewerbern durch Los getroffen werden". Eine Reduzierung der Bewerberzahl durch Losentscheidung ist allerdings nur dann zulässig, wenn der öffentliche Auftraggeber unter den eingegangenen Bewerbungen eine rein objektive Auswahl nach qualitativen Kriterien unter gleich qualifizierten Bewerbern nicht mehr nachvollziehbar durchführen kann. (Vgl. hierzu Müller-Wrede, Kommentar zur VOF, 5. Auflage, § 10 Rn. 37). So liegt es hier aber gerade nicht. Die verbleibende Differenz von 50 Punkten ist in der Regel ausreichend, um 7 Bewerber (ein Teilnehmer stand bereits vorher fest) mit der besten Qualifikation auszuwählen. Die in der Vergabeakte enthaltene Auswertung der eingegangenen Teilnahmeanträge zeigt, dass eine Auswahl der gewünschten Anzahl von Bewerbern allein nach der Rangfolge der erreichten Punktzahlen getroffen werden konnte und ein Losentscheid gar nicht erforderlich gewesen ist. Das angekündigte Losverfahren hätte allenfalls zur Anwendung kommen dürfen, wenn noch Plätze frei gewesen wären und mehrere Bewerber die gleiche niedrigste Punktzahl gehabt hätten.
Die Argumentation des Antragsgegners, er habe auch kleineren Planungsbüros eine Chance geben wollen, kann nicht darüber hinweg helfen, dass seine Entscheidung im Losverfahren zu einer willkürlichen Abschichtung aller Teilnehmer, die mehr als 50 Punkte erzielt haben, geführt hat. Die nachgewiesene Qualifikation der Teilnehmer, die der Antragsgegner selbst in seinen Kriterien abgefragt und differenziert bis auf den halben Punkt bewertet hat, spielt bei Erreichen von nur 50 von insgesamt 100 möglichen Punkten keine Rolle mehr. Damit widerspricht die Auswahl des Antragsgegners dem Wettbewerbsgebot, nach dem die Bewerber auszuwählen sind, welche in einer Prognoseentscheidung die bestmögliche Leistung erwarten lassen.
Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin als eine der 3 punktbesten Bewerberinnen nach der Vorauswahl jedenfalls weiter am Auswahlverfahren zu beteiligen war, ist der Antragsgegner zu verpflichten, sie als zusätzliche Bewerberin in den Architektenwettbewerb einzubeziehen. Die Vergabekammer sieht davon ab, das Auswahlverfahren in einen früheren Stand zurückzuversetzen oder dem Antragsgegner eine gänzlich andere Auswahlentscheidung aufzugeben, weil nur die Antragstellerin die Verletzung ihrer Rechte geltend gemacht hat. Ihre Interessen sind mit der Möglichkeit zur Teilnahme gewahrt.
Die schriftliche Entscheidung der Vergabekammer ergeht gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB mit Zustimmung der Beteiligten.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).
Die in Ziffer 3 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach der vorläufigen Honorarberechnung der Antragstellerin xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 2 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin begründet ist und zur Verpflichtung des Antragsgegners geführt hat, sie in den Architektenwettbewerb aufzunehmen.
Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.
Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
IV. Rechtsbehelf
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