Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.11.2000, Az.: 9 L 2566/99
Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Kanalbaubeitrag für eine Niederschlagswasserbeseitigung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.11.2000
- Aktenzeichen
- 9 L 2566/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 40708
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2000:1106.9L2566.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 KAG ND
- § 8 Abs. 2 GemO ND
- § 149 Abs. 3 WasG ND
Fundstellen
- FStNds 2001, 294-297
- NVwZ-RR 2001, 782-783 (Volltext mit red. LS)
- NdsVBl 2001, 255-256
- ZKF 2001, 254-255
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Kanalbaubeitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung wird (aber) nur geschuldet, soweit die Beseitigungspflicht bei der Gemeinde, nicht aber beim Grundstückseigentümer liegt.
- 2.
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Gemeinde nach § 149 Abs. 3 NWG für Niederschlagswasser beseitigungspflichtig oder ausreichende Versickerungsmöglichkeiten angenommen werden können.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Kanalbaubeitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung. Seine Klage hatte in der Berufungsinstanz teilweise Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist teilweise begründet. Die Festsetzung einer Vorausleistung auf den Niederschlagswasser-Kanalbaubeitrag ist in Höhe von 2.300,-- DM rechtmäßig. Hinsichtlich des übersteigenden Betrages erscheint sie rechtswidrig, so dass die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben sind.
Eine Vorausleistung darf nach § 6 Abs. 7 Satz 1 NKAG nur "auf die künftige Beitragsschuld" erhoben werden. Der Kläger wird für die Niederschlagswasserbeseitigung voraussichtlich einen Kanalbaubeitrag nur hinsichtlich der zur Straße Im Winkel hin gelegenen Teilfläche, begrenzt etwa durch eine Linie vom südlichen Ende des Flurstücks 49/1 zum westlichen Ende des Flurstücks 49/2, schulden. Denn nur von dieser Teilfläche erscheint eine Ableitung des Niederschlagswassers über zentrale Kanäle sachlich gerechtfertigt. Auf den übrigen Teilen seines Grundstücks kann der Kläger das anfallende Niederschlagswasser selbst beseitigen, so dass insoweit nicht die Beklagte, sondern der Kläger gemäß § 149 Abs. 3 NWG zur Beseitigung des Niederschlagswassers verpflichtet ist. Ein Kanalbaubeitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung wird aber nur geschuldet, soweit die Beseitigungspflicht bei der Gemeinde, nicht aber beim Grundstückseigentümer liegt (st.Rspr., vgl. z.B. Urt. d. Sen. v. 26.2.1997 - 9 L 797/95 - und 9 L 798/95 -; Klausing, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2000, § 8 RdNr. 1056b). Ist der Grundstückseigentümer nach § 149 Abs. 3 NWG zur Beseitigung des Niederschlagswassers verpflichtet, so darf er aus Rechtsgründen nicht an den Niederschlagswasserkanal angeschlossen werden. Daher besteht für ihn weder die rechtliche Möglichkeit zum Anschluss noch ein damit einhergehender beitragsrelevanter Vorteil.
§ 149 Abs. 3 NWG verpflichtet die Gemeinde nur noch dann zur Beseitigung von Niederschlagswasser, wenn dessen gesammeltes Fortleiten erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten, oder wenn die Gemeinde für Niederschlagswasser den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung vorschreibt. Eine solche Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs ist nach § 8 Nr. 2 NGO zulässig, wenn die Gemeinde ein dringendes öffentliches Bedürfnis für die zentrale Ableitung des Niederschlagswasser feststellt.
Das Wohl der Allgemeinheit ist im Sinne von § 149 Abs. 3 NWG beeinträchtigt, wenn der Allgemeinheit dadurch Nachteile drohen, dass Niederschlagswasser auf dem Grundstück nicht versickern kann und deshalb auf von der Allgemeinheit genutzte Flächen, etwa öffentliche Plätze oder Straßen, gelangt oder - wie etwa bei steilen Hanglagen - unkontrolliert abläuft (vgl. Urt. d. Sen. v. 26.2.1997 - 9 L 798/95 -). Ein öffentliches Bedürfnis im Sinne von § 8 Nr. 2 NGO kann ebenfalls mit solchen Nachteilen für die Allgemeinheit, darüber hinaus aber auch damit begründet werden, dass Niederschlagswasser wegen fehlender Versickerungsmöglichkeit auf benachbarte Privatgrundstücke gelangt oder dass aus sonstigen Gründen ein allgemeines Interesse an der zentralen Ableitung besteht. Ein solches Interesse ist z.B. bejaht worden, wenn die ausreichende Zufuhr von Niederschlagswasser erforderlich ist, um das Funktionieren einer bereits vorhandenen Kläranlage weiterhin zu gewährleisten (Urt. d. Sen. v. 26.2.1997 (- 9 L 798/95 -). Rein fiskalische Erwägungen vermögen ein öffentliches Bedürfnis indessen nicht zu begründen, weil die Gemeinden anderenfalls die vom Gesetzgeber mit § 149 Abs. 3 NWG verfolgten Intentionen beliebig umgehen könnten, indem sie ungeachtet der Beseitigungspflicht des Grundstückseigentümers Kanäle bauen und deren Refinanzierung über Beiträge anordnen könnten.
Ausschlaggebend für die Festlegung der Beseitigungspflicht nach § 149 Abs. 3 NWG ist letztlich, ob die Grundstücks- und Bodenverhältnisse sowie das Ausmaß der Versiegelung eine Versickerung von Niederschlagswasser auf dem Grundstück zulassen. Da nicht die Verhältnisse im Gemeindegebiet insgesamt, sondern die jeweiligen Grundstückssituationen im Einzelfall maßgebend sind, muss das kommunale Satzungsrecht bei einer grundsätzlichen Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs die Möglichkeit der Befreiung in Einzelfällen zulassen. Diesem Erfordernis trägt die Abwasserbeseitigungssatzung der Beklagten hinreichend Rechnung. Deren § 4 sieht seit der 3. Änderungssatzung vom 29. September 1998 vor, dass die Beklagte räumlich abgegrenzte Teile des Entsorgungsgebietes oder einzelne Grundstücke vom Anschluss- und Benutzungszwang ausnehmen kann, wenn ein gesammeltes Fortleiten von Niederschlagswasser zur Verhütung von Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit nicht erforderlich ist. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit ist bei unbebauten Grundstücken oder Grundstücksteilen nicht vom Ist-Zustand, sondern von der Annahme einer ortsüblichen Bebauung auszugehen. Denn das Kanalbaubeitragsrecht knüpft die Beitragspflicht ja gerade an die Baulandqualität von Grundstücken an.
Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist im Fall des Klägers davon auszugehen, dass eine Beitragsschuld nur für die zur Straße Im Winkel hin gelegene Teilfläche entstehen wird, was nach den Angaben, die die Beteiligten übereinstimmend im Erörterungstermin zu den Größenverhältnissen auf dem Grundstück des Klägers gemacht haben, die Erhebung einer Vorausleistung von etwa 2.300,-- DM rechtfertigt. Aufgrund der erheblichen Versiegelung der zur Straße Im Winkel hin gelegenen Teilfläche und ihrer zur Straße hin bestehenden Abschüssigkeit gelangt das Niederschlagswasser von dort wahrscheinlich nach seinem natürlichen Lauf vor allem bei stärkerem Regen und bei Frost, aber auch sonst auf öffentliche Flächen, nämlich die Straße. Zwar wäre es durch eine Auffangrinne an der Grundstücksgrenze, eine Veränderung der Dachentwässerung sowie den Bau einer Pumpvorrichtung technisch machbar, das Niederschlagswasser entgegen seiner natürlichen Fließrichtung von der Straße wegzuleiten und an anderer Stelle auf dem Grundstück des Klägers versickern zu lassen. Solche Maßnahmen würden allerdings das wirtschaftlich Sinnvolle überschreiten und sind dem Grundstückseigentümer daher nicht zumutbar, mit der Folge, dass sie seine Beseitigungspflicht nicht begründen und dementsprechend seine Beitragspflicht nicht ausschließen können. Ob der Kläger auch zur Übernahme wirtschaftlich unvernünftiger Maßnahmen bereit wäre, hat angesichts dessen, dass den Gemeinden beim Bau von Niederschlagswasserkanälen eine gewisse Planungssicherheit eingeräumt werden muss, keine Relevanz.
Nach dem im Erörterungstermin gewonnenen Eindruck erscheint eine Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers ohne Weiteres auf den übrigen Teilflächen des Grundstücks des Klägers möglich. Von den beiden dort befindlichen Gebäuden (im vorgelegten Lageplan Nrn. 3 und 4) kann das Niederschlagswasser auf die als Wiese genutzte Teilfläche geleitet werden, wo es, evtl. nach einer bestimmten Verweildauer, versickert. Das vorliegende Bild- und Kartenmaterial lässt nicht erkennen, dass das Wiesengelände, etwa wegen eines Gefälles, so beschaffen ist, dass Niederschlagswasser von dort auf Nachbargrundstücke gelangt und dementsprechend ein öffentliches Bedürfnis für seine zentrale Ableitung besteht. Sollte das Niederschlagswasser auf der Wiese erst nach einer bestimmten Verweildauer versickern, so berührt dies allenfalls die - im vorliegenden Zusammenhang nicht erheblichen - privaten Belange des Klägers, nicht aber das Wohl der Allgemeinheit oder sonstige öffentliche Interessen. Es wäre auch unverhältnismäßig, wenn die Beklagte zum Nachweis einer ausreichenden Versickerung vom Kläger ein kostenintensives Gutachten verlangen würde. Bereits der Umstand, dass in der Vergangenheit anscheinend eine Versickerung auf der Wiese stattfinden konnte, belegt in ausreichendem Maße, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer zentralen Ableitung des Niederschlagswassers wahrscheinlich wegen ausreichender Versickerungsmöglichkeiten nicht besteht.
Die Beklagte kann zur Begründung eines Anschluss- und Benutzungszwangs für die als Wiese genutzte Teilfläche auch nicht erfolgreich geltend machen, dass es wegen des Abstellens auf die Baulandqualität - wie bereits dargelegt - nicht auf den Ist-Zustand, sondern auf den Zustand der Bebauung ankommt. Bei Berücksichtigung der Örtlichkeiten, insbesondere der Geländeverhältnisse, spricht eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass Niederschlagswasser auch bei einer ortsüblichen Bebauung vollständig auf der in Rede stehenden Teilfläche versickern kann. Sollten wider Erwarten nach einer Bebauung ausreichende Versickerungsmöglichkeiten nicht mehr bestehen, so entfiele damit erstmals die Beseitigungspflicht des Grundstückseigentümers mit der Folge, dass zu diesem Zeitpunkt der Beitragsanspruch in Bezug auf den betriebsfertig hergestellten Niederschlagswasserkanal entstünde.