Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.11.2000, Az.: 12 L 3935/00

Albaner; Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Gruppenverfolgung; Jugoslawien; Kollektivverfolgung; Kosovo; Kosovo-Albaner; nichtstaatliche Verfolgung; politische Verfolgung; quasi-staatliche Gewalt; Quasistaatlichkeit; staatliche Gewalt; staatliche Verfolgung; Staatlichkeit; Staatsgewalt; UCK; Verfolgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.11.2000
Aktenzeichen
12 L 3935/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.10.2000 - AZ: 2 A 360/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 (- BvR 260/97 u.a. -, AuAS 2000, 187) ist daran festzuhalten, dass die UCK im Kosovo mangels des Innehabens staatlicher oder quasi-staatlicher Gewalt politische Verfolgung nicht auszuüben vermag.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg; die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Berufung - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Divergenz - sind entgegen § 78 Abs. 4 AsylVfG nicht hinreichend dargelegt, sie liegen auch der Sache nach nicht vor.

2

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. Berlit, in: GK-AsylVfG, Stand: Dezember 1999, RdNrn. 96 ff. zu § 78 AsylVfG m.w.N.). Wird im Rahmen eines Zulassungsgrundes nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG - wie hier - geltend gemacht, Tatsachenfragen müssten grundsätzlich geklärt werden, reicht es für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht aus, wenn lediglich Zweifel an der dem erstinstanzlichen Urteil zugrunde gelegten Tatsachenbasis und der Würdigung der Erkenntnismittel durch das Verwaltungsgericht geäußert werden oder die bloße Behauptung aufgestellt wird, dass sich die für die Verfolgungsprognose maßgeblichen Verhältnisse anders darstellten als vom Verwaltungsgericht angenommen; vielmehr bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen - etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte und Erkenntnismittel - einer unterschiedlichen Würdigung und damit einer Klärung im Berufungsverfahren zugänglich sind. Der Zulassungsantrag muss sich daher mit den Gründen des angefochtenen Urteils im Einzelnen auseinandersetzen und erkennen lassen, dass er auf einer Sichtung und Durchdringung des Streitstoffes aufbaut (st. Rechtsprechung des beschließenden Senats, s. z.B. die Beschlüsse v. 18.6:1996 - 12 L 3464/96 - u. v. 8.1.1999 - 12 L 185/99; s. auch BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 -, NVwZ-Beilage Nr. 3/1995, 17 m.w.Nachw.). Insgesamt ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, DVBl. 2000, 407).

3

Diesem Maßstab wird der Zulassungsantrag nicht gerecht, der der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob "ethnische Roma im Kosovo einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind". Das Verwaltungsgericht hat diese Frage im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 30.3.2000 - 12 L 4192/99 -) verneint, da als Verfolgungsmaßnahmen i.S. von § 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG nur staatliche oder dem Staat zurechenbare Handlungen in Betracht kommen (vgl. hierzu: BVerfG, Beschl. vom 10.7.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315). Der Senat hat hierzu in dem zitierten Beschluss ausgeführt: Träger von Herrschaftsmacht seien nämlich die Staaten, die hierdurch den Frieden im Innern sichern und so dem Individuum ein menschenwürdiges Leben in einer Gemeinschaft mit anderen ermöglichen, politische Verfolgung sei gleichsam die Kehrseite hiervon, nämlich der Missbrauch hoheitlicher Herrschaftsmacht durch Ausgrenzung Einzelner aus der übergreifenden Friedensordnung. Mithin stünden allenfalls solche staatsähnlichen Organisationen dem Staat gleich, die den jeweiligen Staat verdrängt hätten oder denen dieser das Feld überlassen habe und die ihn daher insoweit ersetzten. Davon könne für die Verhältnisse im Kosovo nicht die Rede sein, da Staats- und Gebietsgewalt im Kosovo gegenwärtig UNMIK und KFOR ausübten. Insbesondere gelte, dass es ausgeschlossen sei, das neben eine bestehenden Staatsgewalt auf demselben Gebiet eine mit ihr konkurrierende Gewalt besteht, die - auch - staatliche Gewalt ausübe und verfolgungsmächtig sei. Mit den Erwägungen des Senates, dass es ausgeschlossen sei, dass auf demselben Gebiet neben der bestehenden Staatsgewalt eine mit ihr konkurrierende Gewalt bestehe, befasst sich der Zulassungsantrag nicht, der es bei der schlichten Behauptung belässt, im Kosovo werde die eigentliche Herrschaftsmacht von der UCK und deren Nachfolgeorganisationen ausgeübt, die "staatliche Verfolgung" betrieben.

4

Die Erwägungen des Verwaltungsgerichtes und des Senates in dem Beschluss vom 30. März 2000 (aaO) werden nicht durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. August 2000 (2 BvR 260/98 u.a., AuAS 2000, 187) in Frage gestellt. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht an seiner Auffassung (Beschluss vom 10.7.1989, aaO) festgehalten, politische Verfolgung sei grundsätzlich staatliche Verfolgung, dem Staat stünden jedoch solche staatsähnlichen Organisationen gleich, die den jeweiligen Staat verdrängt hätten oder denen dieser das Feld überlassen habe und die ihn daher insoweit ersetzten. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 10. August 2000 ausgeführt:

5

Das Element der "Staatlichkeit" oder "Quasi-Staatlichkeit" von Verfolgung darf nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des "politisch" Verfolgten betrachtet und nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden. Es muss vielmehr in Beziehung gesetzt bleiben zu der Frage, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung i.S. von Art. 16a Abs. 1 GG ausweist, vor der dem davon Betroffenen Schutz gewährt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass politische Verfolgung von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist; politische Verfolgung sei somit grundsätzlich staatliche Verfolgung (vgl. BVerfGE 80, 315 <333 f.>). Die Prüfung bestimmter staatstheoretischer Merkmale für die Annahme vorhandener oder neu entstehender Staatlichkeit kann mithin für die Beurteilung, ob Verfolgungsmaßnahmen die Qualität politischer Verfolgung haben, nicht schlechthin konstitutiv, sondern nur - wenn auch in gewichtiger Weise - indiziell sei. Maßgeblich für die Bewertung einer Maßnahme als politische Verfolgung ist, dass der Schutzsuchende einerseits in ein übergreifendes, das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordnendes Herrschaftsgefüge eingebunden ist, welches den ihm Unterworfenen in der Regel Schutz gewährt, andererseits aber wegen asylerheblicher Merkmale von diesem Schutz ausgenommen und durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen von der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen wird, was ihn in eine ausweglose Lage bringt, der er sich nur durch die Flucht entziehen kann. Die Frage, ob man in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen kann, beurteilt sich folglich maßgeblich danach, ob diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein solches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität - im Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" (vgl. BVerfGE 80, 315 <334 f.>) - tatsächlich errichtet hat. Dieser Maßstab wird verengt, wenn die Möglichkeit politischer Verfolgung bereits mit der Erwägung verneint wird, es fehle bei allen um die Macht in ganz Afghanistan fortwährend kämpfenden Bürgerkriegsparteien an einer dauerhaft verfestigten Gebietsherrschaft nach außen..."

6

Hiernach zeigt sich, und dies bedarf weiterer Ausführungen nicht, dass im Kosovo gegenwärtig nur UNMIK und KFOR Staats- und Gebietsgewalt ausüben, zugleich erschließt sich aus dem Senatsbeschluss vom 30. März 2000 (aaO) und den darin herbeigezogenen Erkenntnismitteln sowie aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtes und den von dem Verwaltungsgericht verwerteten Erkenntnismitteln, dass eine Organisation der albanischen Bevölkerungsgruppe - etwa die UCK - auch nicht staatsähnliche Herrschaftsmacht auf einem umgrenzten Gebiet des Kosovo effektiv durchgesetzt und mit der Folge etabliert hat, dass die dort lebende Bevölkerung einer anderweitigen quasi-staatlichen Hoheitsgewalt unterworfen ist.

7

Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nicht zukommt, weil die aufgeworfene Frage in der Rechtsprechung des Senates dahin geklärt ist, dass Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo nicht i.S. von Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 GG politisch verfolgt werden. Die in dem Zulassungsantrag bezeichneten Erkenntnisse (Reisebericht von Holtey, Bericht des UNHCR vom 4. Oktober 2000) lassen ein anderes Ergebnis nicht gewinnen, da diese Berichte nicht einmal im Ansatz aufzeigen, die UCK habe auf dem Gebiet des Kosovo in einem "Kernterritorium" ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität errichtet.

8

Auch die geltend gemachte Divergenz ist nicht hinreichend dargelegt.

9

Die Darlegung der Divergenz erfordert, sofern - wie hier - eine Abweichung in einer Rechtsfrage geltend gemacht wird, die Bezeichnung eines die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes in einer Entscheidung der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG angeführten Gerichte und die Angabe eines ebensolchen - die Entscheidung tragenden - abstrakten Rechtssatzes in dem Urteil des Verwaltungsgerichts (Senat, st. Rspr., vgl. u.a. Beschl. v. 24.7.1996 - 12 L 4209/96 - m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts), wobei ein prinzipieller Auffassungsunterschied deutlich werden muss (BVerwG, Beschl. v. 20.8.1997 - BVerwG 9 B 89.97 -). Ein solcher von der Rechtsprechung abweichender abstrakter Rechtssatz, den das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, muss zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen sein, er muss sich aber aus der angefochtenen Entscheidung hinreichend deutlich ergeben. Hingegen begründet das Übergehen oder die unrichtige Anwendung eines von den bezeichneten Gerichten entwickelten Rechtssatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall keine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG, weil dann die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht auf der Abweichung beruht und die Rechtseinheit nicht in Frage gestellt ist (Senat, aaO; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 10.7.1995 - BVerwG 9 B 18.95 -).

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Diesem Maßstab wird der Zulassungsantrag schon deshalb nicht gerecht, weil er weder ein die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in dem Urteil des Verwaltungsgerichtes noch einen ebensolchen Rechtssatz in der von ihm benannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. August 2000 (aaO) bezeichnet, zwischen denen ein prinzipieller Auffassungsunterschied bestehe. Vielmehr macht der Zulassungsantrag in allgemeiner und undifferenzierter Form geltend, das Verwaltungsgericht vertrete im Hinblick auf die Frage, welche Voraussetzungen das Innehaben von staatlicher Gewalt habe, eine andere Auffassung als das Bundesverfassungsgericht (aaO).

11

Davon abgesehen besteht die geltend gemachte Divergenz nicht, der Zulassungsantrag verkennt grundlegend, dass das Bundesverfassungsgericht (aaO) daran festgehalten, politische Verfolgung sei grundsätzlich staatliche Verfolgung, und weiterhin in seinen Überlegungen zugrunde gelegt hat, dass von einer Bürgerkriegspartei nur dann politische Verfolgung ausgehen könne, wenn diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität errichtet habe. Damit hat das Bundesverfassungsgericht (aaO) zugleich ausgeschlossen, dass eine sich der "legitimen" Staatsgewalt widersetzende Gruppierung, die nicht Herrschaft auf einem Territorium ausübt, eine "quasi-staatliche" Organisation im Sinne seines Beschlusses vom 10. August 2000 darzustellen vermag.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

13

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).