Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 27.12.2012, Az.: S 42 AY 9/12 ER

Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums eines Asylbewerbers

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
27.12.2012
Aktenzeichen
S 42 AY 9/12 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 37418
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2012:1227.S42AY9.12ER.0A

Amtlicher Leitsatz

Der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die bei der Kammer anhängigen Klageverfahren S 42 AY 32/11, 83/11, 103/11, 139/11, 6/12, 62/12 und 121/12 vorläufig und unter Rückforderungsvorbehalt für die Zeit ab dem 30. Januar 2012 ungekürzte Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 4 AsylbLG unter Zugrundelegung der Tabellenwerte des ihn bindenden Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 22. August 2012 zu gewähren. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug ab Antragstellung ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt E. in F. zur Vertretung in diesem Verfahren mit der Maßgabe beigeordnet, dass die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers nur in dem Umfang erstattungsfähig sind, wie sie bei Beauftragung eines im Bezirk des erkennenden Gerichts ansässigen Rechtsanwaltes angefallen wären.

Gründe

Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 30. Januar 2012 eingegangene, zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner des sinngemäßen Inhalts, diesen einstweilen zu verpflichten, dem Antragsteller - russischer Staatsangehöriger, der als im Jahre 2002 rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber eigenen Angaben zufolge am 2. oder 12. November 2009 zum dritten Mal in das Bundesgebiet zum Zwecke der Asylantragstellung (Datum der Stellung des Asylfolgeantrages: 12. November 2009) einreiste, seit dem 17. Dezember 2009 vom Antragsgegner geduldet wird und von ihm seit dem 24. November 2009 unter Berufung auf § 1a Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) um das sog. Taschengeld gekürzte Grundleistungen in Wertgutscheinen ausgehändigt bekommt - ungekürzte Grundleistungen gem. § 3 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AsylbLG nach Maßgabe der Übergangsregelung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (- 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 -, BGBl I. 2012, S. 1715 f. = NVwZ 2012, S. 1024 ff. [BVerfG 18.07.2012 - 1 BvL 10/10]) zu gewähren, ist vollumfänglich begründet, denn der Antragsteller hat für sein e.g. Begehren einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO).

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Das ist immer dann der Fall, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache im Falle des Obsiegens nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 -, BVerfGE 46 [166, 179, 184]). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist es ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet. Eine aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfahren ist jedoch nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können (Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. September 2004 - L 7 AL 103/04 ER -). Sowohl die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO. Dies ist dem Antragsteller gelungen.

Der Antragsteller hat einen Anspruch auf ungekürzte Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 4 AsylbLG (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht, der für den hier vorläufig zu regelnden Zeitraum ab Antragstellung bei Gericht am 30. Januar 2012 aufgrund der Übergangsregelung aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) nach Maßgabe der Erlasse des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport (MI) vom 22. August und 3. September 2012 - A 11.32-12235-8.1.18 - (abrufbar unter: www.nds-fluerat.org/infomaterial/erlasse-des-niederschsichen-ministeriums/) der Höhe nach zu bemessen ist. Danach stehen dem der Regelbedarfsstufe 2 zuzuordnenden Antragsteller monatlich Ersatzleistungen (etwa in Wertgutscheinen) gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG i.H.v. 191,00 EUR und zusätzlich ein Barbetrag (als Taschengeld) i.H.v. 120,00 EUR - für den Monat Januar 2012 anteilig hiervon 2/31 - vorläufig zu.

Die Kammer kann im vorliegenden Verfahren offen lassen, ob eine Leistungseinschränkung gem. § 1a Nr. 1 AsylbLG aufgrund der Feststellungen des BVerfG in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) derzeit, d.h. bis zur Neuregelung der Höhe der Grundleistungen durch den Gesetzgeber, überhaupt noch zulässig mit der Folge ist, dass die vom BVerfG seiner Übergangsregelung zugrunde liegenden Beträge nach dem RBEG (zeitweise) unterschritten werden dürfen (verneinend SG Altenburg, Beschluss vom 11. Oktober 2012 - S 21 AY 3362/12 ER -, BA S. 5 f., abrufbar unter: http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2012/11/SG-Altenburg-vom-11.10.12-Bargeldk%C3%BCrzung-bei-%C2%A7-1a-AsylbLG.pdf; SG Lüneburg, Urteil vom 25. Oktober 2012 - S 26 AY 4/11 -, UA S. 16; SG Düsseldorf, Beschluss vom 19. November 2012 - S 17 AY 81/12 ER -, BA S. 4 f., abrufbar unter: http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2012/11/SG-Düsseldorf-1aAsylbLG.pdf, Classen, Das BVerfG-Urteil zur Verfassungswidrigkeit des AsylbLG, Asylmagazin 2012, S. 286 (292); die weitere Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG bejahen dagegen die Erlasse der Bundesländer zur Umsetzung des Urteils des BVerfG, etwa Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 3. September 2012, a.a.O.; für eine restriktive Auslegung und Anwendung des § 1a AsylbLG nur in Fällen einer "möglichen und zumutbaren freiwilligen Ausreise" vgl. Rothkegel, Das Gericht wird s richten - das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen, ZAR 2012, S. 357 (360 f.)). Die erkennende Kammer schließt sich der e.g. neuen Rechtsprechung zu § 1a AsylbLG insoweit an, als aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) das Gebot einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung der e.g. Vorschrift bis zur Umsetzung des dortigen Regelungsauftrages an den Gesetzgeber zu folgern ist (so etwa SG Altenburg, a.a.O., BA S. 6; SG Düsseldorf, a.a.O., BA S. 5). Die beiden, strikt voneinander zu trennenden Tatbestände des § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG können dem Gebot der Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz für Asylbewerberleistungsberechtige ab Beginn ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a.a.O., Rn. 120) vorübergehend nur bei einer sehr restriktiven Auslegung und Anwendung im Einzelfall genügen (vgl. Rothkegel, a.a.O., S. 361). Bereits vor dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 bestand in Rechtsprechung und Literatur weitgehend Einigkeit, dass nur eine restriktive Auslegung des § 1a AsylbLG auf Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite der verfassungsrechtlichen Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht wird (vgl. Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, 18. Aufl., § 1a AsylbLG Rn. 2 m.w.N. aus der Rspr.; Fasselt in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zum SGB XII, 4. Aufl., § 1a AsylbLG Rn. 3 m.w.N. aus der Rspr.; Birk in: Lehr- und Praxiskommentar zum SGB XII, 9. Aufl., § 1a AsylbLG Rn. 1). Dieser Grundsatz bedarf nach dem Urteil des BVerfG vom 18.Juli 2012 (a.a.O.) angesichts der Feststellung, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG evident unzureichend (Leitsatz 1) und die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist (Rn. 121), nunmehr einer umso stärkeren Gewichtung mit der Folge, dass die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe der Norm zum einen als Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes des § 1a Nr. 1 oder der Nr. 2 AsylbLG, zum anderen aber auch die Rechtsfolgenseite beschreibend einer strikten Auslegung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Aufl., § 1a AsylbLG Rn. 2 m.w.N.) und der Grundrechtsverwirklichung bedürfen. Zur Beantwortung der die Rechtsfolgenseite von § 1a AsylbLG betreffenden Frage, welche Leistungen unter Beachtung der neuen Rechtsprechung des BVerfG "im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten sind", ist neben der Dauer der beabsichtigten oder bereits verstrichenen Zeit einer Einschränkung des Grundleistungsbezugs im konkreten Einzelfall auch der Umfang der beabsichtigten oder bereits erfolgten Leistungseinschränkung in den Blick zu nehmen. Die Kammer teilt insoweit die von der Arbeitsgemeinschaft "Flüchtlinge" (ArgeFlü) der Bundesländer erzielte Verständigung zur weiteren Anwendung des § 1a AsylbLG, wie sie in dem Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 30. Oktober 2012 unter Ziffer 11 wiedergegeben wird (abrufbar unter: http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/SLH AsylbLG BVerfG Argeflue.pdf), nach der - zumindest vorübergehend bis zu einer aus Sicht der Kammer wegen des Parlamentsvorbehaltes und des Bestimmtheitsgrundsatzes gebotenen Neuregelung durch den Gesetzgeber - eine Orientierung an den Regelungen über Leistungseinschränkungen im Sozialhilferecht (§§ 26 Abs. 1, 39a SGB XII) oder im Grundsicherungsrecht (§§ 31 SGB II ff.) geboten ist. Nach Auffassung der Kammer scheidet danach zum einen eine vollständige Kürzung des Barbetrages (sog. Taschengeld) bei erstmaliger Pflicht-/Obliegenheitsverletzung i.S.d. § 1a Nr. 1 oder Nr. 2 AsylbLG ebenso von vorn herein aus (vgl. die Empfehlung des Erlasses des MI SH vom 30. Oktober 2012, a.a.O.: 25 % der Gesamtleistung nach § 3 AsylbLG in einer ersten Stufe), wie die dauerhafte Leistungseinschränkung über mehrere Monate oder gar Jahre (vgl. etwa § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, mit dem der Gesetzgeber eine Minderungsdauer von 3 Monaten vorgibt) aufgrund ein und desselben, vom Leistungsträger unverändert vorgehaltenen Sachverhaltes.

Der Antragsgegner hat im vorliegenden Fall schon diese verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen auf Rechtsfolgenseite nicht beachtet. Er gewährt dem Antragsteller seit Wiederaufnahme des Leistungsfalles am 24. November 2009 - und damit gerechnet bis zum Zeitpunkt der Antragstellung im vorliegenden Verfahren seit über 26 Monaten - keinen Barbetrag zur Sicherstellung seines soziokulturellen Existenzminimums. Das Taschengeld nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG in gesetzlicher Höhe von 40,90 EUR hat er dem Antragsteller von Beginn an vollständig versagt. Dies ist unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) verfassungsrechtlich nicht weiter hinnehmbar und gebietet allein aus diesem Grund die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur sofortigen - vorläufigen - Zahlung des ungekürzten Barbetrages in Höhe der o.g. Tabellenwerte der o.g. Erlasse des Nds. MI.

Hiervon unabhängig bestehen nach Auffassung der Kammer auch erhebliche Zweifel, ob im Falle des Antragstellers für die gesamte Dauer der Leistungseinschränkung vom 24. November 2009 bis in die Gegenwart der gesetzliche Tatbestand des § 1a Nr. 1 AsylbLG erfüllt ist. Diesen wird in den bei der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahren unter Berücksichtigung des Ausgangs des beim VG Göttingen - 2 A 213/11 - derzeit noch anhängigen Klageverfahrens wegen des vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 16. August 2011 abgelehnten Asylfolgeantrages nachzugehen sein. Für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren sind hierzu die nachfolgenden Ausführungen angezeigt:

Die beiden Tatbestände des § 1a AsylbLG sind nach dem klaren Wortlaut des gemeinsamen Einleitungssatzes von vorn herein nur für Leistungsberechtigte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG (Geduldete) oder gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG (vollziehbar Ausreisepflichtige) sowie ihre Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG anwendbar. Hierbei handelt es sich um eine enumerative Aufzählung. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG (Asylfolge- oder Zweitantragsteller) werden von § 1a AsylbLG tatbestandlich nicht erfasst und können daher keine Leistungseinschränkung gemäß § 1a Nr. 1 oder Nr. 2 AsylbLG erfahren (vgl. Oppermann in: [...]Praxiskommentar zum SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 15; eingehend hierzu: Decker, ZFSH/SGB 2003, S. 195 (199); Deibel, ZAR 2004, S. 321 (323 und 326)). Dies gilt auch dann, wenn einem Asylfolgeantragsteller - wie vorliegend dem Antragsteller fortlaufend seit dem 17. Dezember 2009 - von der Ausländerbehörde während des beim BAMF anhängigen Asylfolgeverfahrens Duldungen erteilt bzw. fortlaufend verlängert wurden (zum Anspruch des Asylfolgeantragstellers auf Ausstellung einer Duldungsbescheinigung für die Dauer des Asylfolgeverfahrens vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Loseblattkommentar, Stand: 94. Erg.lfg. Juni 2012, § 71 Rn. 113 m.w.N.). Dieses Normverständnis hat sich spätestens seit der Einfügung des zu § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylbLG spezielleren Tatbestandes der Nr. 7 in § 1 Abs. 1 AsylbLG durch Art. 8 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I., S. 1950) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 allgemein durchgesetzt (Oppermann, a.a.O.; Deibel, a.a.O., S. 323; Birk, a.a.O., § 1a AsylbLG Rn. 2; Hohm, a.a.O., § 1a AsylbLG Rn. 4; Wahrendorf, a.a.O., § 1a AsylbLG Rn. 10; eingehend hierzu mit berechtigter Kritik am gesetzgeberischen Vorgehen: Decker, a.a.O., S. 199 f. sowie ders. in: Oestreicher, Kommentar zum SGB XII und SGB II mit AsylbLG, Loseblatt, Stand der Kommentierung 47. Erg.lfg. Juni 2005, § 1a AsylbLG Rn. 4 f. und 8 ff. m.w.N.; a.A. lediglich und ohne nähere Begründung: VG Ansbach, Urteil vom 23. März 2005 - AN 4 K 04.01383 -, zit. nach [...] Rn. 47).

Klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang allein noch der zeitliche Anwendungsbereich einer Leistungsberechtigung aufgrund des spezielleren Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG. Im Anschluss an die Entscheidung des LSG Berlin (Beschluss vom 10. Juni 2005 - L 15 B 2/05 AY ER -, n.v.) wird hierzu in der einschlägigen Kommentarliteratur ohne nähere Begründung vertreten, die Leistungsberechtigung des Asylfolgeantragstellers gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG ende mit Bekanntgabe der Entscheidung des BAMF über den Asylfolgeantrag; sie dauere damit nur während des sog. Vorprüfungsverfahrens beim BAMF an. Entspreche das Bundesamt dem Begehren auf Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gem. §§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG, sei dem Asylfolgeantragsteller der Aufenthalt in der Bundesrepublik gem. § 55 AsylVfG gestattet. Damit folge seine Leistungsberechtigung fortan aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG. Lehne das Bundesamt das Begehren ab, sei der Asylfolgeantragsteller vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, sodass seine Leistungsberechtigung fortan (wieder) aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG resultiere (so etwa Adolph in: Linhart/Adolph, Kommentar zum SGB II und SGB XII mit AsylbLG, Loseblatt, Stand: 77. AL April 2012, § 1 Rn. 44 unter Bezugnahme auf LSG Berlin, a.a.O.; Hohm, a.a.O., § 1 Rn. 20; Fasselt, a.a.O., § 1 Rn. 12; Frerichs in: [...]Praxiskommentar zum SGB XII, § 1 AsylbLG Rn. 125; ebenso VG Hamburg, Beschluss vom 19. September 2006 - 10 AE 709/06 -, zit. nach [...] Rn. 14). Dementsprechend war der Antragsteller vorliegend zumindest bis zur Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides des BAMF vom 16. August 2011 am 29. August 2011 nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG leistungsberechtigt; eine Leistungseinschränkung gemäß § 1a Nr. 1 AsylbLG war dem Antragsgegner bis zu diesem Zeitpunkt in jedem Fall verwehrt. Die erkennende Kammer ist daneben der Auffassung, dass die Leistungsberechtigung des Antragstellers nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG über die Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides des BAMF vom 16. August 2011 hinaus bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in dem beim VG Göttingen anhängigen Klageverfahren - 2 A 213/11 - fortdauert (in diesem Sinne wohl auch Decker, a.a.O., § 1 AsylbLG Rn. 18, der bei erfolgloser Klage das Fortbestehen der Leistungsberechtigung gem. § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG bejaht). Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG lässt sowohl einen zeitlich engen, auf die Dauer des sog. Vorprüfungsverfahrens des BAMF beschränkten, als auch den hier befürworteten, zeitlich weiten Anwendungsbereich zu, der erst mit der Bestandskraft der Entscheidung des BAMF endet. Anders als vom LSG Berlin (a.a.O., BA S. 6 f.) vertreten, sprechen die Gesetzesmaterialien sowie Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG für den vorliegend favorisierten zeitlich weiten Anwendungsbereich. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420) zu Art. 8 Nr. 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb des Zuwanderungsgesetzes, mit dem die heutige Nr. 7 (im Gesetzentwurf der Bundesregierung wortgleich noch Nr. 4) in § 1 Abs. 1 AsylbLG eingefügt wurde, zielte diese spezielle Regelung lediglich darauf ab, die Asylfolge- und Zweitantragsteller den Asylerstantragstellern gleichzustellen. Zur "Eingrenzung der missbräuchlichen, häufig mehrfachen Folgeantragstellung" hielt es der Gesetzgeber für erforderlich, den Anwendungsbereich des AsylbLG für diese Personengruppe "auf den Zeitraum vor der Entscheidung des Bundesamtes" zu erweitern, weil er offenbar der Annahme war, nach der damaligen Gesetzeslage eröffne sich erst nach der Entscheidung des Bundesamtes eine Leistungsberechtigung dieser Antragsteller nach dem AsylbLG über § 1 Abs. 1 Nr. 1 (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 120 f.). Intention des Gesetzgebers war es danach, die Dauer der Leistungsberechtigung von Asylfolge- und Zweitantragstellern einerseits sowie Erstantragstellern andererseits nach dem AsylbLG gleichzuschalten (vgl. Deibel, a.a.O., S. 323). Es sollte mit der Einfügung der heutigen Nr. 7 in § 1 Abs. 1 AsylbLG verhindert werden, dass Asylfolge- und Zweitantragsteller ab Antragstellung bis zur Entscheidung des Bundesamtes Sozialleistungen nach günstigeren Leistungsgesetzen (z.B. Sozialhilfe gem. § 23 SGB XII) erhalten (in diesem Sinne ausdrücklich auch LSG Berlin, a.a.O.) Der mit der Norm des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG verfolgte Zweck der vollständigen Gleichstellung von Asylfolge- und Zweitantragstellern mit Asylerstantragstellern kann in zeitlicher Hinsicht aber nur erreicht werden, wenn die Leistungsberechtigung der erstgenannten Personengruppe gemäß dem speziellen Tatbestand der Nr. 7 nicht schon mit Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamtes über das Wiederaufgreifen des Asylverfahrens endet, sondern in Anlehnung an das Ende der Leistungsberechtigung für Erstantragsteller nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG durch Erlöschen der Aufenthaltsgestattung u.a. gem. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG, der eben auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Bundesamtes abstellt. Das gesetzgeberische Ziel der Gleichstellung von Asylfolge- und Zweitantragstellern mit Asylerstantragstellern hat zur Konsequenz, dass für beide Personengruppen die Möglichkeit der Leistungseinschränkung gem. § 1a AsylbLG von vorn herein - d.h. ab Antragstellung - nicht eröffnet ist. Das Argument der bisherigen Befürworter eines zeitlich engen Anwendungsbereiches des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG, ab Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamtes über den Folgeantrag bestehe kein Bedürfnis mehr für diesen speziellen Tatbestand, weil bei negativer Entscheidung des Bundesamtes die Leistungsberechtigung des Betroffenen (wieder) aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG oder - im Falle der (fortlaufenden) Duldungserteilung - aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG folge (so aber ausdrücklich LSG Berlin, a.a.O., BA S. 7), ist deshalb zirkelschlüssig. Denn das Bedürfnis für die in zeitlicher Hinsicht weite Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG folgt erst aus der weiteren Sperrung einer Leistungseinschränkung gem. § 1a AsylbLG (vgl. Deibel, a.a.O., S. 323, der die Rechtfertigung für den speziellen Tatbestand der Nr. 7 allein in der Sperrung des § 1a AsylbLG sieht). Dem aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) folgenden Gebot einer sehr restriktiven Auslegung und Anwendung des § 1a AsylbLG (vgl. dazu oben) kann mit der hier vertretenen, zeitlich weiten Anwendung des speziellen Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG Rechnung getragen werden; diese Lesart ist deshalb spätestens seit dem 18. Juli 2012 verfassungsrechtlich geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Antragsgegners.

Gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen lagen hier ab Antragstellung vor; die hinreichenden Erfolgsaussichten des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes folgen aus den vorstehenden Ausführungen.