Sozialgericht Hildesheim
v. 30.03.2012, Az.: S 54 AS 2005/08

Absenkungsbescheid; Änderungsbescheid; Ausführungsbescheid; einheitlicher Bescheid; Formal-Verwaltungsakt; Regelung; Sanktion; Sanktionsbescheid; Umsetzung; wiederholende Verfügung; formeller Verwaltungsakt; fehlerhaftes Vorverfahren; zweiter Widerspruchsbescheid

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
30.03.2012
Aktenzeichen
S 54 AS 2005/08
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2012, 44307
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Leistungsberechtigte nach dem SGB II haben einen Anspruch auf gerichtliche Aufhebung eines leistungsabsenkenden Änderungsbescheides, der lediglich in Umsetzung eines zeitgleich erlassenen Sanktionsbescheides ergangen ist, sofern sich der Leistungsträger weigert, diesen Änderungsbescheid nach Aufhebung des in Bezug genommenen Sanktionsbescheides ebenfalls aufzuheben oder für erledigt bzw. gegenstandslos zu erklären.

Tenor:

Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 4. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 25. September 2008 (W 1498/08) wird aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung eines von ihm erlassenen Änderungsbescheides, der auf einen Sanktionsbescheid ergangen ist.

Der Beklagte bewilligte dem seit 2005 im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehenden Kläger für den Folgezeitraum April bis September 2008 mit Bewilligungsbescheid vom 05.03.2008 (Bl. 14 ff. der beigezogenen Gerichtsakte (GA) S 54 AS 2045/08) die Regelleistung i.H.v. 347,- € monatlich, für die Monate April und Mai 2008 jedoch nur in um 30 % abgesenkter Höhe aufgrund einer vorangegangenen Sanktion. Der hiergegen vom Kläger am 30.03.2008 erhobene Widerspruch (Bl. 18 GA S 54 AS 2045/08) blieb zunächst erfolglos (vgl. Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 25.09.2008 (W 1060/08, Bl. 19 ff. GA S 54 AS 2045/08); die nachfolgend zur erkennenden Kammer am 28.10.2008 erhobene Klage war indes erfolgreich: der Beklagte hob den Bewilligungsbescheid vom 05.03.2008 auf und entschied über den Leistungsanspruch des Klägers mit Änderungsbescheid vom 01.11.2010 neu (Bl. 38, 48 ff. GA S 54 AS 2045/08).

Nachdem der Beklagte den Kläger wegen wiederholter Pflichtverletzungen aus einer zwischen den Beteiligten geschlossenen Eingliederungsvereinbarung mit diversen, vorliegend nicht streitgegenständlichen Absenkungsbescheiden sanktioniert hatte, verfügte er mit Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 (Bl. 16 ff. der beigezogenen Gerichtsakte (GA) S 54 AS 2035/08) unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, Abs. 3 und 6 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X den vollständigen Wegfall der Regelleistung für den Zeitraum April bis Juni 2008.

Gegen diesen Sanktionsbescheid legte der Kläger - nach Erlasses eines teilabhelfenden Saktionsbescheides vom 07.05.2008 - erfolglos Widerspruch ein, vgl. Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 25.09.2008 (W 1016/08; Bl. 6 ff. GA S 54 AS 2035/08). Die hierauf am 28.10.2008 zur erkennenden Kammer erhobene Anfechtungsklage hatte Erfolg. Der Beklagte hob aufgrund der Ausführungen der Kammer in ihrem Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 16.08.2010 (Bl. 35 f. GA S 54 AS 2035/08) mit Schriftsatz vom 22.09.2010 „den Bescheid vom 19.03.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1016/08) auf.“

Neben dem e.g. Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 erließ der Beklagte am 04.04.2008 den im vorliegenden Klageverfahren streitgegenständlichen, in der Standardsoftware der Jobcenter A2LL erstellten Bescheid über die „Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“ – kurz: Änderungsbescheid (Bl. 13 ff. GA) –, in dem er dem Kläger „Leistungen für die Zeit vom 01.04.2008 bis 30.06.2008 in folgender Höhe bewilligt[e]:“ Für April bis Juni 2008 setzte er die Regelleistung auf 0,- € fest. Unter der Überschrift „Folgende Änderungen sind eingetreten:“ führte der Beklagte aus: „Sanktion über 100 % gem. Sanktionsbescheid vom 19.03.2008! Der Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wird deshalb teilweise aufgehoben. Im beigefügten Berechnungsbogen finden Sie Einzelheiten zur Berechnung und Änderung der Leistungshöhe.“

Dem Änderungsbescheid vom 04.04.2008 fügte der Beklagte auf Seite 2 eine Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit der Einlegung eines Widerspruchs bei. Dieser folgend legte der Kläger am 27.04.2008 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2008 (W 1498/08, Bl. 6 ff. GA) als unzulässig zurückwies. In den Gründen führte der Beklagte aus, der Widerspruch des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, weil dieser durch den hier angefochtenen Änderungsbescheid nicht beschwert sei. Eine Regelung sei lediglich durch den Sanktionsbescheid vom selben Tage [gemeint hat der Beklagte jedoch den Sanktionsbescheid vom 19.03.2008], nicht aber durch den Änderungsbescheid getroffen worden. Dieser führe lediglich die Regelungen des Sanktionsbescheides aus.

Der Kläger hat am 28.10.2008 die vorliegende Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Ansicht, der hier streitgegenständliche Änderungsbescheid erfülle alle Merkmale eines (feststellenden) Verwaltungsaktes i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X und sei daher der Anfechtung zugänglich. Er setze die ihm nach Sanktionierung zustehenden Leistungen für den Zeitraum April bis Juni 2008 fest. Durch den Änderungsbescheid werde der im Klageverfahren S 54 AS 2035/08 streitgegenständlich gewesene Sanktionsbescheid erst hinreichend bestimmt i.S.d. § 33 Abs. 1 SGB X. Der Beklagte selbst habe bei Erlass des Änderungsbescheides dies offensichtlich so gesehen, sonst hätte er diesem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Jedenfalls erfülle der Änderungsbescheid alle Kriterien eines sog. Formal-Verwaltungsaktes.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Änderungsbescheid des Beklagten vom 04.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1498/08) aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und ist der Ansicht, der hier streitgegenständliche Änderungsbescheid treffe keine Regelung i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X. Es handele sich vielmehr um einen sog. Ausführungsbescheid i.S.d. Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 18.09.2003 – B 9 V 82/02 B). Der Änderungsbescheid bezwecke lediglich die Umsetzung der mit Sanktionsbescheid vom selben Tage verfügten 100%-igen Absenkung der Regelleistung. Soweit man in dem hier streitgegenständlichen Änderungsbescheid eine (feststellende) Regelung erblicke, sei dieser jedenfalls gem. § 96 SGG Gegenstand des unter dem Aktenzeichen S 54 AS 2045/08 anhängig gewesenen Klageverfahrens geworden.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 16.08.2010 (Bl. 37 GA) dem Kläger Prozesskostenhilfe im Wesentlichen mit der Begründung bewilligt, er könne erfolgreich um Rechtsschutz nachsuchen, weil der streitgegenständliche Änderungsbescheid jedenfalls alle Kriterien eines sog. Formal-Verwaltungsaktes erfülle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Gerichtsakten S 54 AS 2035/08 und 2045/08 nebst hierzu beigezogener Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Kammer entscheidet gemäß § 105 Abs.1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu telefonisch angehört; Einwände hiergegen haben die Beteiligten nicht vorgebracht.

Die Anfechtungsklage ist zulässig. Sie ist gem. § 54 Abs. 1 und 2 SGG statthaft, denn sie richtet sich gegen einen belastenden, weil rechtswidrigen Verwaltungsakt des Beklagten.

Es kann dahinstehen, ob der vorliegend angefochtene Änderungsbescheid des Beklagten die Merkmale eines Verwaltungsaktes i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X aufweist, insbesondere inhaltlich eine (weitere oder bloß feststellende) Regelung enthält oder aber ob er nur die im Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 getroffene Regelung wiederholt (näher zur sog. wiederholenden Verfügung vgl. Engelmann in: von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 6. Auflage, § 31 Rn. 32).

Fernliegend ist die Annahme des Beklagten, es handele sich bei dem hier streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 04.04.2008 um einen sog. Ausführungsbescheid. Wie der Beklagte zunächst zutreffend ausführt, kann von einem Ausführungsbescheid nach bisherigem Begriffsverständnis nur bei solchen Bescheiden gesprochen werden, die in Ausführung eines (ggf. noch nicht rechtskräftigen) Urteils erlassen werden (Engelmann, a.a.O., § 31 Rn. 30 m.w.N.), so auch in dem vom Beklagten zitierten Beschluss des BSG vom 18.09.2003 (B 9 V 82/02 B -, zit. nach juris). Bei Ausführungsbescheiden ist nach deren Inhalt zu differenzieren, ob sie eine eigenständige Regelung treffen oder aber ausschließlich die Regelung einer vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung umsetzen (näher dazu Engelmann, a.a.O). Der Beklagte hat vorliegend, wie er selbst einräumt, keine gerichtliche Entscheidung ausgeführt, sondern wollte mit dem Änderungsbescheid vom 04.04.2008 bloß seinen Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 umsetzen. Gegen die Annahme eines Ausführungsbescheides spricht im vorliegenden Fall zudem die zu § 31 SGB II in der hier anzuwendenden, bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung ergangene Rechtsprechung des BSG zur Entbehrlichkeit eines dem erlassenen "Absenkungsverwaltungsakt" vorgeschalteten, zusätzlichen, den Eintritt eines Sanktionstatbestandes feststellenden Verwaltungsaktes (Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R -, SozR 4-4200 § 31 Nr. 3, zit. nach juris Rn. 14 f.). Aus dieser Entscheidung des BSG folgt, dass es zur Umsetzung einer Sanktion während des laufenden Bewilligungszeitraums lediglich eines nach § 48 SGB X erlassenen Änderungsbescheides (sog. Absenkungsverwaltungsakt) bedarf, wobei die Kammer die hiermit in der Verwaltungspraxis der Jobcenter verbundenen Probleme nicht verkennt, denn die vom Beklagten bisher verwendete Standardsoftware A2LL ermöglichte den Erlass eines einzigen, den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot gem. § 33 Abs. 1 SGB X und dem Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 SGB X genügenden "Absenkungsverwaltungsaktes" offensichtlich nicht.

Offen bleiben kann auch, ob der im Verfahren S 54 AS 2035/08 streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 und der vorliegend angefochtene Änderungsbescheid vom 04.04.2008 als einheitlicher Bescheid im Sinne der zum Arbeitsförderungsrecht bzw. SGB III ergangenen Rechtsprechung des BSG bei Minderung des ALG I wegen eingetretener Sperrzeiten angesehen werden kann (näher dazu Urteil vom 18.08.2005 - B 7a AL 4/05 R -, SozR 4-1500 § 95 Nr. 1, zit. nach juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Aus ihr lässt sich jedoch nur die Verpflichtung des Gerichtes zur umfassenden Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen im Rahmen eines sog. Höhenstreits im Interesse der Meistbegünstigung des Klägers herleiten, sofern dieser sein Begehren nicht ausdrücklich auf einzelne Regelungen i.S.d. § 31 SGB X beschränkt (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.08.2005 - B 7a/7 AL 94/04 R -, BSGE 95, S. 80 ff, zit. nach juris Rn. 13). Dieser Grundsatz wird indes nur in den Fällen relevant, in denen der Kläger, obwohl die Behörde mehrere Bescheide erlassen hat, von vorn herein nur einen Widerspruch und nachfolgend eine Klage mit den Begehren auf Gewährung höherer Leistungen erhebt. Schlussfolgerungen für den vorliegend entscheidungserheblichen Sachverhalt der doppelten Erhebung von Widersprüchen gegen jeden einzelnen Bescheid und nachfolgenden Anfechtungsklagen lassen sich aus dieser Rechtsprechung nach Auffassung der Kammer nicht ziehen.

Die Statthaftigkeit der vorliegenden Anfechtungsklage folgt jedenfalls aus dem Umstand, dass der hier streitgegenständliche Änderungsbescheid vom 04.04.2008 alle Merkmale eines sog. Formal-Verwaltungsaktes bzw. formellen Verwaltungsaktes aufweist: Verfügungssatz bzw. Tenor, Gründe und Rechtsbehelfsbelehrung sowie die Bezeichnung als Bescheid (näher dazu Engelmann, a.a.O., § 31 Rn. 23 und Rn. 60c m.w.N.). Allein aus diesem Grund kann der Kläger mit der vorliegenden Anfechtungsklage seinen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Änderungsbescheides vom 04.04.2008 in rechtlich zulässiger Weise vor den Sozialgerichten verfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.2003 - B 4 RA 60/02 R -, FEVS 55, S. 145 ff. = juris, insb. Rn. 16 und 18), weil die mit Sanktionsbescheid vom 19.03.2008 gegen den Kläger verhängte 100%-ige Leistungskürzung in dem Parallelverfahren S 54 AS 2035/08 keinen Bestand hatte und der Kläger nicht dem Risiko ausgesetzt werden darf, dass seinem wieder aufgelebten Leistungsanspruch für den hier entscheidungserheblichen Sanktionszeitraum April bis Juni 2008 vom Beklagten ggf. die Bestandskraft des hier streitgegenständlichen Änderungsbescheids entgegen gehalten wird (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dass diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, zeigt das prozessuale Verhalten des Beklagten im vorliegenden Klageverfahren, denn er hat im Verfahren S 54 AS 2035/08 mit Schriftsatz vom 22.09.2010 lediglich erklärt, "der [Sanktions-]Bescheid vom 19.03.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides 25.09.2008 (W 1016/08) wird aufgehoben." Eine Bescheidaufhebung hinsichtlich seines hier streitgegenständlichen Änderungsbescheides vom 04.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1498/08) hat er hingegen weder im erledigten Klageverfahren S 54 AS 2035/08, noch im vorliegenden Klageverfahren erklärt. Die Kammer vermag dieses prozessuale Verhalten des Beklagten nur dahingehend zu deuten, dass dieser an seinem Änderungsbescheid vom 04.04.2008 weiter festhalten will. Dass und aus welchen Gründen sich dieser Änderungsbescheid auf sonstige Weise i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat, hat der Beklagte weder vorgetragen noch ist dies für die Kammer derzeit ersichtlich.

Der Zulässigkeit der Anfechtungsklage steht auch nicht doppelte Rechtshängigkeit des Streitgegenstandes entgegen. Insbesondere ist der hier streitgegenständliche Änderungsbescheid des Beklagten vom 04.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1498/08) nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des mittlerweile erledigten Klageverfahrens S 54 AS 2045/08 oder eines anderen, vom Kläger seit dem 28.10.2008 wegen diverser Sanktionierungen parallel geführten Klageverfahren geworden.

Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des [bereits rechtshängigen] Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

Der vorliegend angefochtene Änderungsbescheid vom 04.04.2008 ist – ebenso wie die weiteren, vom Beklagten angeführten, von ihm zur Umsetzung diverser Sanktionen erlassener Änderungsbescheide vom 07.05. und 26.05.2008 – nicht erst nach Klageerhebung am 28.10.2008 u.a. gegen den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 05.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1060/08) erlassen worden. Er ist zudem auch nicht erst nach Erlass des e.g. Widerspruchsbescheides, aber noch vor Klageerhebung im Verfahren S 54 AS 2045/08 am 28.10.2008 ergangen (zur Einbeziehung gem. § 96 Abs. 1 SGG in diesen Konstellationen näher Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 96 Rn. 2 m.w.N.). Vielmehr ist der hier streitgegenständliche Änderungsbescheid vom 04.04.2008 nach Einlegung des Widerspruchs gegen den Bewilligungsbescheid vom 05.03.2008 am 30.03.2008 und vor Erlass des hierauf ergangenen Widerspruchsbescheides vom 25.09.2008 (W 1060/08) ergangen, sodass im Hinblick auf das Widerspruchsverfahren W 1060/08 die Anwendung des § 86 SGG geboten war. Danach wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens, sofern er während des Vorverfahrens den (mit Widerspruch angefochtenen) Verwaltungsakt abändert. Diese Verpflichtung zur Einbeziehung des vorliegend angefochtenen Änderungsbescheides vom 04.04.2008 in das damals bei der Widerspruchsstelle des Beklagten anhängige Widerspruchsverfahren W 1060/08 hat derselbe missachtet. Stattdessen hat er auf den (unzulässigen oder nur überflüssigen bzw. unschädlichen: str., vgl. einerseits Binder in: Lüdtke, Kommentar zum SGG, 3. Auflage, § 86 Rn. 5; andererseits Leitherer, a.a.O., § 86 Rn. 4) Widerspruch des Klägers ein weiteres Widerspruchsverfahren (W 1498/08) eingeleitet und durch einen (zweiten) Widerspruchsbescheid vom 25.09.2008 zum Abschluss gebracht.

Aus diesem fehlerhaften Vorgehen des Beklagten folgt jedoch nicht die Unzulässigkeit der vorliegenden Anfechtungsklage wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung gem. § 78 Abs. 1 SGG bzw. die Verpflichtung der Kammer zur Aussetzung des Klageverfahrens zur Nachholung eines (ordnungsgemäßen) Vorverfahrens (dazu Leitherer, a.a.O., § 86 Rn. 5; Binder, a.a.O., § 86 Rn. 5 a.E.; Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, § 86 Rn. 5; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage, IV. Kapitel Rn. 43). Bezieht die Widerspruchsstelle bewusst oder unbewusst einen nach Einlegung des Widerspruchs ergangenen Folgebescheid entgegen ihrer Verpflichtung gem. § 86 SGG nicht in das laufende Widerspruchsverfahren ein, so ist der (erste) Widerspruchsbescheid - hier der Widerspruchsbescheid vom 25.09.2008 (W 1060/08) - fehlerhaft (Krasney/Udsching, a.a.O.). Eine Verpflichtung zur Aussetzung des Klageverfahrens bis zur Entscheidung der Widerspruchsstelle über den Folgebescheid besteht jedoch nur dann, wenn eine solche Entscheidung der Widerspruchsstelle (bisher) nicht vorliegt. Davon abzugrenzen ist der hier entscheidungserhebliche Fall, dass die Widerspruchsstelle über den Folgebescheid - den hier angefochtenen Änderungsbescheid vom 04.04.2008 - durch einen weiteren förmlichen Widerspruchsbescheid - hier der Widerspruchsbescheid vom 25.09.2008 (W 1498/08) - entschieden hat, sodass das nach § 78 Abs. 1 SGG erforderliche Vorverfahren auch insoweit durchgeführt wurde. Ein derartig doppelt durchgeführtes Widerspruchsverfahren ist zwar nicht verwaltungspraktisch und widerspricht der in § 86 SGG zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers, eine umfassende und beschleunigte Sachprüfung durch die Widerspruchsstelle zu ermöglichen und dabei divergierende Entscheidungen zu vermeiden (vgl. Breitkreuz, a.a.O., § 86 Rn. 1); es fordert auch eine doppelte Kostenentscheidung gem. § 63 SGB X heraus. Das fehlerhafte Vorgehen des Beklagten im Widerspruchsverfahren kann gleichwohl nicht zu prozessual nachteiligen Folgen für den Kläger führen, insbesondere nicht die Unzulässigkeit seiner (weiteren) Anfechtungsklage gegen den Folgebescheid in der Gestalt des (zweiten) Widerspruchsbescheides begründen, auch wenn sich der Kläger einer Erweiterung des Klagegegenstandes des mittlerweile erledigten Klageverfahrens S 54 AS 2045/08 gem. § 99 SGG verschlossen hat.

Die zulässige Anfechtungsklage ist zudem begründet, denn der Änderungsbescheid des Beklagten vom 04.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 25.09.2008 (W 1498/08) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG.

Zur Begründung nimmt die Kammer Bezug auf ihre Ausführungen in ihrem Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 16.08.2010 im zwischen den Beteiligten parallel geführten Klageverfahren S 54 AS 2035/08, mit dem sie die Unverhältnismäßigkeit des vom Beklagten erlassenen Sanktionsbescheides vom 19.03.2008 herausgestellt und der zur Bescheidaufhebung im Klageverfahren S 54 AS 2035/08 geführt hat. Es kann deshalb im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob dem Beklagten im Sanktionsrecht des SGB II nach der Entscheidung des BSG vom 17.12.2009 (a.a.O.) überhaupt die Befugnis zum Erlass zweier Verwaltungsakte (feststellender Sanktionsbescheid und zu dessen Umsetzung ein auf § 48 SGB X gestützter Änderungsbescheid) zusteht (sog. VA-Befugnis; dazu näher Engelmann, a.a.O., § 31 Rn. 5).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Beklagten.