Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 19.12.2012, Az.: S 26 AS 1917/12 ER
Erteilung einer Bescheinigung über die Höhe des Pfändungsfreibetrages in Ermangelung finanzieller Ressourcen
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 19.12.2012
- Aktenzeichen
- S 26 AS 1917/12 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 35326
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2012:1219.S26AS1917.12ER.0A
Rechtsgrundlage
- § 850k Abs. 5 S. 2 ZPO
Tenor:
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Rahmen eines Leistungsverhältnisses nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nach einem abgelehnten Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung über die Höhe des Pfändungsfreibetrages vorläufigen Rechtsschutz.
Der 1953 geborene Antragsteller zu 1. bezieht nach weitgehendem Verbrauch zwischenzeitlich ererbten Vermögens seit September 2009 wieder Leistungen nach dem SGB II. Er lebt derzeit mit zwei seiner drei 1992, 1994 und 2000 geborenen Kinder in einer Mietwohnung in F ... Er erhält für die Kinder monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von insgesamt monatlich 1.500,- EUR, Kindergeld in Höhe von monatlich insgesamt 558,- EUR, Wohngeld für die Kinder und selbst Arbeitslosengeld II in Höhe von 82,64 EUR.
Mit Urteil des Amtsgerichts F. vom 21.11.2012 - 25 C 24/12 - wurde der Antragsteller zu 1. zur vorläufig vollstreckbaren Zahlung von 713,30 EUR nebst Zinsen und Kosten an seinen Vermieter verurteilt.
Am 29.11.2012 bestätigte die Postbank die vom Antragsteller zu 1. erbetene Umwandlung seines Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto; auf dieses Konto erfolgen sämtliche Zahlungen an die Antragsteller.
Auf Antrag bescheinigte der Antragsgegner dem Antragsteller zu 1. unter dem 29.11.2012 einen Grundfreibetrag in Höhe von 1.028,89 EUR. Gleichzeitig teilte der Antragsgegner mit, er habe für die Antragsteller zu 2. und 3. keine Bescheinigung ausstellen können, weil diese von ihm keine Leistungen erhielten. Das Kindergeld und andere Leistungen an die Kinder des Antragstellers zu 1. seien von der Familienkasse zu bescheinigen.
Am 04.12.2012 haben die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Aufgrund des aus ihrer Sicht zu niedrig bescheinigten Pfändungsfreibetrages drohten die den Antragstellern zu 2. und 3. zustehenden Gelder gepfändet zu werden. Der Antragsgegner sei zur Bescheinigung verpflichtet und in der Lage. In Ermangelung finanzieller Ressourcen hätten sie keine andere Möglichkeit, die Bescheinigung zu erhalten, um einer unberechtigten Pfändung zu entgehen. Sie dürften nicht zwischen allen Stühlen mit Pfändungsdrohung sitzen gelassen werden, nur weil sich letztlich alle Sozialleistungsträger verweigerten. Der Antragsgegner müsse daher den unter Berücksichtigung des vom Antragsteller zu 1. geleisteten Naturalunterhalts erhöhten Pfändungsfreibetrag bescheinigen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1. vorläufig auch die sich unter Berücksichtigung der Antragsteller zu 2. und 3. ergebenden Freibeträge nach § 850k Abs 2 Nr 1 ZPO zu bescheinigen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Meinung, der Antrag des Antragstellers zu 1. sei bereits unzulässig, weil von der Ablehnung der gewünschten Bescheinigung allein die Antragsteller zu 2. und 3. beschwert seien, die jedoch keine Leistungen von ihm erhielten.
Mit Schreiben vom 06.12.2012 hat der Vermieter den Antragsteller zu 1. zur Zahlung von 1.668,32 EUR bis zum 13.12.2012 aufgefordert und für den Fall der Nichtzahlung die Kündigung des Mietvertrages angedroht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des hiesigen Verfahrens sowie die eingereichten bzw aus dem Verfahren S 54 AS 1234/10 beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Antrag der Antragsteller zu 2. und 3. ist unzulässig, der Antrag des Antragstellers zu 1. zulässig, aber nicht begründet.
1. Richtige Antragsart ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das auf Erteilung einer Bescheinigung iS des § 850k Abs 5 Satz 2 ZPO gerichtete Begehren ist in der Hauptsache als (echte) Leistungsklage iSd § 54 Abs 5 SGG zu verfolgen. Die Entscheidung über die Erteilung dieser Bescheinigung ist kein Verwaltungsakt. Sie bezweckt allein den dem Kontoinhaber möglichen Nachweis der Höhe des Pfändungsfreibetrages gegenüber einem Kreditinstitut, das für diesen ein Pfändungsschutzkonto führt. Die Reichweite ist damit nicht anders als von Sozialleistungsträgern auszustellenden Entgelt- oder Aufrechnungsbescheinigungen, die nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind (vgl BSG Urteil vom 17.11.1970 - 1 RA 91/69 [[...] Rn 16] mwN).
Das Gericht hat den Antrag der Antragsteller unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen in ihrem wohlverstandenen Interesse ausgelegt.
2. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86b Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen. Im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen den Zweck verfolgen, zu verhindern, dass Rechte des Betroffenen durch Zeitablauf vereitelt werden, ist eine Anordnung mit Rücksicht auf die eintretenden wesentlichen Nachteile nur dann erforderlich, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls für den Antragsteller unzumutbar ist, ihn auf eine Entscheidung in einem Hauptsachverfahren zu verweisen. Dagegen dient eine einstweilige Anordnung nicht dazu, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen (Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. August 2006 - L 6 B 200/06 AS).
a) Der von den Antragstellern zu 2. und 3. gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist unzulässig.
Ihnen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil bereits nach dem Gesetzeswortlaut des § 850k Abs 5 Satz 2 ZPO allein der als Inhaber eines Pfändungsschutzkontos verfügungsberechtigte Pfändungsschuldner - hier: der Antragsteller zu 1. - gegenüber dem kontoführenden Kreditinstitut - hier: der Postbank - zum Nachweis des pfändungsfreien Betrages berufen ist.
Entsprechend ist unerheblich, ob die Antragsteller zu 2. und 3. Leistungen vom Antragsgegner beanspruchen können oder nicht.
b) Der vom Antragsteller zu 1. gestellte Antrag ist zulässig.
Er ist zunächst rechtsschutzbedürftig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verletzung eigener Rechte des Antragstellers zu 1. vorliegt.
Der Kammer ist zwar nicht abschließend nachzuvollziehen, aus welchem Grund die Antragsteller sich daran gehindert sehen, für sich jeweils eigene Konten einzurichten; insoweit tragen sie auch nichts vor. Gleichzeitig kann das Gericht aber auch nicht ausschließen, dass die Einrichtung eigener Konten mit Kosten oder sonstigen unzumutbaren Belastungen verbunden wäre. Auch dürfte der Antragsteller zu 1. als Grundsicherungsempfänger ein schützenswertes Interesse nicht abzusprechen sein, die den Haushaltsangehörigen zur Verfügung stehenden Mittel auf einem Konto zu belassen, um unvermeidliche Ausgabenspitzen ohne Schwierigkeiten im Familienverbund ausgleichen zu können.
Soweit der Antragsgegner den Antrag sinngemäß für unzulässig hält, weil allein die Antragsteller zu 2. und 3. von der Bescheinigung eines höheren Pfändungsfreibetrages begünstigt wären, folgt das Gericht dem nicht. Da - wie ausgeführt - allein der Antragsteller zu 1. die Pfändungsfreibeträge gegenüber dem kontoführenden Institut nachweisen kann, kommt es nicht darauf an, welche Zahlungen auf das Pfändungsschutzkonto im Einzelnen hiervon betroffen sind und zu wessen Gunsten diese erfolgen.
c) Der Antrag des Antragstellers zu 1. ist jedoch nicht begründet.
Er hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller sieht das Gesetz keinen Anspruch auf Erteilung der von ihnen begehrten Bescheinigung vor.
Nach § 850k Abs 5 Satz 1 und 2 ZPO ist das Kreditinstitut dem Schuldner zur Leistung aus dem nach § 850k Abs 1 und 3 ZPO nicht von der Pfändung erfassten Guthaben im Rahmen des vertraglich Vereinbarten verpflichtet. Dies gilt für die nach § 850k Abs 2 ZPO nicht von der Pfändung erfassten Beträge nur insoweit, als der Schuldner durch eine Bescheinigung des Arbeitgebers, der Familienkasse, des Sozialleistungsträgers oder einer geeigneten Person oder Stelle im Sinne von § 305 Abs 1 Nr 1 der Insolvenzordnung nachweist, dass das Guthaben nicht von der Pfändung erfasst ist.
Hieraus ergibt sich kein Anspruch des Vollstreckungsschuldners - hier: des Antragstellers zu 1. - auf Ausstellung einer Bescheinigung. Der Gesetzgeber hat eine Pflicht der in § 850k Abs 5 Satz 2 ZPO genannten Stellen zur Ausstellung der dort erwähnten Bescheinigung ausdrücklich verneint (Bundestags-Drucksache 16/7615, 20). Die rechtswissenschaftliche Literatur ist dem gefolgt (Kemper in: Saenger, Handkommentar ZPO, 4. Aufl, § 850k Rn 16; Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl, § 850k Rn 30; Riedel in: Beck-Online-Kommentar ZPO, § 850k Rn 18). Auch die Bundesregierung sah sich zuletzt nicht veranlasst, die Einführung eines Anspruchs auf Ausstellung einer Bescheinigung zu initiieren (vgl Bundestags-Drucksache 17/5411, 3). Im Ergebnis handelt es sich lediglich um eine beispielhafte Aufzählung von Nachweismöglichkeiten im Gesetz.
Der Antragsteller zu 1. ist ohne die begehrte Bescheinigung auch nicht - wie er meint - sich selbst überlassen und grundlegender Rechte beraubt. Vielmehr sieht das Gesetz für die vom Antragsteller zu 1. geschilderte Situation eine Bestimmung der Beträge nach § 850k Abs 2 ZPO durch das örtlich zuständige Vollstreckungsgericht vor, wenn der Schuldner den Nachweis nach § 850k Abs 5 Satz 2 ZPO nicht führen kann (§ 850k Abs 5 Satz 4 ZPO). Dabei überforderte es den schon nach der Antragsschrift im hiesigen Verfahren rechtlich versierten Antragsteller zu 1. insbesondere nicht, gegenüber dem Vollstreckungsgericht den Nachweis über die nicht pfändungsunterworfenen Beträge durch Vorlage von Bescheiden der Sozialleistungsbehörden, Unterhaltstiteln usw zu führen. Die Antragsteller werden damit nicht - wie sie meinen - zu Opfern allseitiger Verweigerung der Sozialleistungsträger, sondern lediglich auf das vorgesehene, rechtsstaatlich legitimierte Verfahren beim fachlich spezialisierten Gericht verwiesen. Sollte es ein rechts- oder sozialstaatlich zweckmäßigeres Verfahren geben - was sich der Kammer, ohne dass es hier darauf ankäme, jedenfalls nicht aufdrängt -, bleibt eine entsprechende Änderung der Legislative vorbehalten.
Auch aus anderen Vorschriften lässt sich kein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der begehrten Bescheinigung herleiten.
Da kein Anordnungsanspruch besteht, kann dahin stehen, ob überhaupt ein Anordnungsgrund vorliegt, nachdem der Vermieter des Antragstellers zu 1. die Zahlungsaufforderung mit einer Kündigungsandrohung - also gerade nicht mit einer Androhung der Kontenpfändung - verknüpft hat und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass eine Kontenpfändung von dritter Seite droht.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.