Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 03.04.2012, Az.: S 42 AY 147/11 ER
Ausschluss eines Ausländers von den privilegierenden Leistungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG; Berücksichtigung einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer; Verpflichtung des Ausländers zur ordnungsgemäßen Angabe seiner Identitätsdaten
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 03.04.2012
- Aktenzeichen
- S 42 AY 147/11 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 20144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2012:0403.S42AY147.11ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 AsylbLG
- § 49 Abs. 2 AufenthG
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 27. Dezember 2011 wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner des Inhalts, diesen einstweilen bis zur Entscheidung in der bei der Kammer unter dem Aktenzeichen S 42 AY 14/12 anhängigen Hauptsache zur vorläufigen Gewährung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ab Antragstellung bei der erkennenden Kammer zu verpflichten, weil die vom Antragsgegner seit ihrer Einreise am 30.03.2002 geduldeten, weil passlosen Antragstellerinnen eigenen Angaben zufolge der serbischen Minderheit aus dem Kosovo angehörten und als solche vor der Ausländerbehörde keine falschen Angaben zu ihrer Identität und Herkunft sowie Staatsangehörigkeit gemacht, sich somit nicht rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG verhalten hätten, ist unbegründet, denn die Antragstellerinnen haben keinen Anordnungsanspruch und keinen Anordnungsgrund für ein derartiges Begehren glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung scheitert dabei nicht schon an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes vor dem Hintergrund, dass es die Antragstellerinnen versäumt haben, gegen die mit Bescheid der Gemeinde F. vom 19.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 30.06.2011 bereits zum 01.12.2010 mit Dauerwirkung verfügte Zurückstufung der Leistungen nach dem AsylbLG vom bisherigen Bezug von Analog-Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG auf den künftigen Bezug von Grundleistungen in Form von Ersatzleistungen gem. § 3 Abs. 2 AsylbLG gerichtlich vorzugehen, sondern den Widerspruchsbescheid vom 30.06.2011 haben bestandskräftig werden lassen, sodass sie sich in der Hauptsache auf eine Überprüfung der e.g. Bescheide im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens gem. § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 SGB X - diesbezüglich haben die Antragstellerinnen am 09.03.2012 die bei der Kammer unter dem Aktenzeichen S 42 AY 30/12 anhängige Untätigkeitsklage erhoben - verweisen lassen müssen (näher zum regelmäßigen Wegfall des Anordnungsgrundes wahlweise Rechtschutzbedürfnisses in den Fällen des § 44 SGB X: Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Aufl., Rn. 32 m.w.N.). Zwar hat der Antragsgegner den in der Hauptsache S 42 AY 14/12 streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 18.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2012 allein aus Anlass der zum 01.11.2011 wirksam gewordenen Veränderung der Abschläge des Stromversorgers G. und der hieraus folgenden Zahlungsmodalitäten sowie der geänderten Aufteilung der Kosten der Unterkunft erlassen (vgl. Hinweis der Kammer an die Beteiligten vom 08.02.2012). Gleichwohl kann hieraus nicht gefolgert werden, dass der Antragsgegner in dem Änderungsbescheid vom 18.10.2011 über das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG dem Grunde und der Höhe nach nicht erneut entschieden, sondern sich insoweit auf die im Bescheid der Gemeinde F. vom 19.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 30.06.2011 getroffene bestandskräftige Regelung zurückgezogen hat. Den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 13/07 R - (zit. nach [...] Rn. 11), insbesondere dem dort vorgenommenen Verweis auf das Urteil des BVerwG vom 14.07.1998 (5 C 2/97 -, Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 17), das eine Vorabentscheidung dem Grunde nach hinsichtlich der Kürzung der Sozialhilfe für Ausländer gem. § 120 Abs. 2 Satz 4 BSHG für zulässig erachtet hat, lässt sich wohl entnehmen, dass eine Vorabentscheidung über eine grundlegende Fragestellung des Sozialrechtsverhältnisses - etwa das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Leistungen in besonderen Fällen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Leistungsberechtigten - auf dem Gebiet des Asylbewerberleistungsrechts weiterhin grundsätzlich denkbar bzw. möglich sein soll. Der Antragsgegner hat, wie sich aus den gewählten Formulierungen des in der Hauptsache streitgegenständlichen Änderungsbescheides vom 18.10.2011 bei verständiger Würdigung eines objektiven Bescheidempfängers ergibt, einen solchen Entscheidungsweg indes nicht gewählt. Er hat vielmehr - insoweit übereinstimmend mit dem der e.g. Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Sachverhalt - die Bewilligung von Analog-Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG abgelehnt und den Antragstellerinnen gleichzeitig mit Dauerwirkung Grundleistungen in Form von Ersatzleistungen (Wertgutscheinen) gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG ab dem 01.11.2011 zugesprochen. Hierfür spricht die Textpassage auf Seite 3 des Änderungsbescheides vom 18.10.2011 unter der Überschrift "Zur Berechnung der Leistungen nach dem AsylbLG", in der von einer (vollständigen) Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerinnen im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von laufenden Leistungen (nach dem AsylbLG) sowie der "Berechnung und Art der Leistungen" die Rede ist. Zudem hat der Antragsgegner in den Gründen seines hierzu erlassenen Widerspruchsbescheides vom 17.01.2012, die sich ausschließlich zur Frage des Vorwurfs rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer verhalten, zu erkennen gegeben, dass er eine vollständige Überprüfung der Weiterbewilligung von Asylbewerberleistungen ab dem 01.11.2011 auch im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG gegenüber den Antragstellerinnen im Verwaltungsverfahren vorgenommen hat und vornehmen wollte. Daraus folgt im Ergebnis, dass sich der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren nicht auf die Bestandskraft des die Umstellung der Leistungsgewährung erstmals regelnden Bescheides der Gemeinde F. vom 19.11.2010 berufen kann.
Indes haben die Antragstellerinnen einen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht mit der für eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache nötigen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.
Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragstellerinnen die danach erforderliche Vorbezugszeit von 48 Monaten erfüllen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich hinsichtlich der Frage, ob die Antragstellerinnen die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese ist bezüglich der Antragstellerin zu 1.) im Sinne des Antragsgegners, d.h. positiv zu beantworten. Hieraus folgt mit Blick auf die minderjährige Antragstellerin zu 2.), dass gemäß § 2 Abs. 3 AsylbLG auch ihr die begehrten Analog-Leistungen bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit zu versagen sind.
Wie das Bundessozialgericht in seinem grundlegenden Urteil vom 17. Juni 2008 (- B 8/9b AY 1/07 R -, BSGE 101, S. 49 ff., zit. nach [...]) entschieden hat, setzt der Rechtsmissbrauch in objektiver Hinsicht zunächst ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten des Leistungsberechtigten (sog. Missbrauchstatbestand) voraus. Der Ausländer soll von privilegierten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen sein, wenn diese Vergünstigung auf gesetz- oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der Leistungsberechtigte darf sich somit nicht auf einen Umstand berufen, den er selbst treuwidrig herbeigeführt hat, wobei der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss (BSG, a.a.O., [...] Rn. 33). Als derartige erhebliche Pflichtverletzung ist der Antragstellerin zu 1.) ihre nachhaltige - weil vorliegend langjährige (seit Einreise im März 2002 fortdauernde) -, unter Verstoß gegen § 49 Abs. 2 AufenthG vorgenommene Täuschung über ihre wahre Identität und Herkunft gegenüber der Ausländer- und Leistungsbehörde des Antragsgegners vorzuwerfen (vgl. Beschluss der 34. Kammer des erkennenden Gerichtes vom 25.05.2005 - S 34 AY 8/05 ER -, zit. nach [...] LS 2; Oppermann in: [...]Praxiskommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG Rn. 63; Hohm in: Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Loseblatt-Kommentar, Stand: 44. Erg.lfg. Dez. 2011, § 2 Rn. 88 m.w.N.).
Gemäß § 49 Abs. 2 AufenthG (erste Alternative) ist jeder Ausländer verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auf Verlangen die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Zu den erforderlichen Angaben hinsichtlich der Identität eines Ausländers (sog. Identitätsmerkmale) zählen mindestens der Name(n), der/ie Vorname(n), der/die Geburtsname(n), Geburtsdatum und Geburtsort sowie der letzte Wohnort im Herkunftsstaat (vgl. Ziff. 49.2.4 AllgVwV AufenthG; Dienelt in: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 9. Auflage, § 49 Rn. 3). Ein vorsätzlicher Verstoß gegen diese Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Angaben hinsichtlich der aufgezählten Identitätsmerkmale ist - auch wenn nur im Hinblick auf einzelne der genannten Merkmale (vgl. Ziff. 95.1.5.4 AllgVwV AufenthG) - gem. § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG strafbewehrt. Bei geduldeten Ausländern ist im Einzelfall aufgrund falscher Angaben zur Identität sogar der speziellere strafschärfende Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber derartige Falschangaben unter Strafe gestellt hat, lässt sich für das Asylbewerberleistungsrecht schlussfolgern, dass die Verletzung dieser speziellen ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht im Rahmen der leistungsrechtlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG generell als erheblich einzustufen ist. Der Gesetzgeber wollte mit dem Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG gezielt der wachsenden Tendenz zur Verschleierung der Identität und Staatsangehörigkeit entgegenwirken, weil oftmals über Jahre hinweg vollziehbare Rückführungsentscheidungen allein deswegen nicht durchgesetzt werden können und in dieser Zeit Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2008 - 2 Ss 126/08 -, StV 2010, S. 251 ff., zit. nach [...] Rn. 18). Diesem gesetzgeberischen Anliegen liefe eine die Umstände des Einzelfalls abwägende Bewertung des Verstoßes gegen § 49 Abs. 2 AufenthG im Rahmen der leistungsrechtlichen Prüfung zuwider. Ohnehin bietet der vorliegende Fall der Antragstellerin zu 1.) hierzu auch keinen Anlass.
Die Kammer braucht nicht zu entscheiden, ob die Antragstellerin zu 1.) im Rahmen ihrer Personalienerhebung am 08.04.2002 vor der Ausländerbehörde des Antragsgegners (Bl. 2 bis 4 AuslA) auch Falschangaben zu ihrem Vor- und Nachnamen sowie Geburtsnamen gemacht hat. Hierfür könnte, worauf der Antragsgegner zutreffend verweist, der für den verstorbenen Ehemann der Antragstellerin zu 1.), Herrn H., erstellte amtliche serbische Auszug aus dem Geburtsregister vom 15.09.2008 sprechen (Bl. 115 f. GA). Dort ist die Eheschließung des H. am 08.02.1989 in einem Ort bei I. (heutige Republik Serbien) mit einer Frau J. beurkundet. Ob die Antragstellerin zu 1.) personenidentisch mit der genannten Frau J. ist, lässt sich anhand der vorgelegten Ausländerakten derzeit nicht sicher feststellen. Als Indizien hierfür streiten allerdings die Angaben der Antragstellerin zu 1.) gegenüber der Fachärztin Frau K. in L. im Rahmen der Sozialanamnese zur Erstellung des fachpsychiatrischen Gutachtens vom 09.09.2010 (Bl. 222 ff. AuslA) über den Zeitpunkt des Kennenlernens ihres verstorbenen Ehemannes im Jahre 1988 und zu ihrem Alter bei Eheschließung (16 Jahre) sowie der verwechselbar ähnliche Nachname ihrer Mutter (M.).
Jedenfalls hat die Antragstellerin zu 1.) gegenüber der Ausländerbehörde des Antragsgegners zur Überzeugung der Kammer über viele Jahre Falschangaben zu ihrem Geburtsort und zu ihrem letzten Wohnort vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat gemacht. Sie hat gegenüber der Ausländerbehörde erstmals am 08.04.2002 angegeben, am 14.03.1972 in N. (heutige Republik Kosovo) geboren zu sein; letzter Wohnort sei der Ort O. im Verwaltungsbezirk N. gewesen. Diese Angaben wiederholen sich, soweit es den Geburtsort betrifft, in den zahlreichen, von ihr persönlich unterschriebenen Anträgen auf Verlängerung ihrer Duldung. Der Antragsgegner hat deshalb über Jahre in der irrigen Annahme, es handele sich bei der Antragstellerin zu 1.) und ihren Familienangehörigen um Angehörige der ethnischen Minderheit der Serben aus dem Kosovo, von deren Rückführung in die Republik Serbien Abstand genommen. Ein im September 2009 von der Ausländerbehörde unternommener Versuch der Anmeldung der Antragstellerinnen und ihrer Familienangehörigen zur Rückführung in den Kosovo unter Verwendung der von ihnen angegebenen Identitätsmerkmale blieb erfolglos (vgl. Bl. 99 ff. AuslA). Dies veranschaulicht, dass das der Antragstellerin zu 1.) vorwerfbare Fehlverhalten nicht nur abstrakt-generell, sondern vorliegend zudem konkret-individuell die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland beeinflusst hat (näher zum Kausalitätserfordernis Beschluss der Kammer vom 01.02.2012 - S 42 AY 177/10 ER -, [...] Rn. 56).
Daneben haben die Antragstellerinnen im Januar 2007 auch in dem einstweiligen Rechtschutzverfahren S 40 AY 13/07 ER vor der 40. Kammer des erkennenden Gerichtes angegeben, serbische Staatsangehörige aus dem Kosovo zu sein, die der dortigen Minderheit der Serben angehört hätten (vgl. den in der Antragsschrift vom 24.01.2007 (Bl. 1 GA S 40 AY 13/07 ER) in Bezug genommenen Widerspruch der früheren Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen vom 24.01.2007 (Bl. 5 GA S 40 AY 13/07 ER)). Ausschließlich diese unzutreffenden Angaben zur Herkunft der Antragstellerinnen aus dem Kosovo haben seinerzeit die für den Antragsgegner handelnde Gemeinde Friedland ausweislich des Abhilfebescheides vom 07.02.2007 (Bl. 13 ff. GA S 40 AY 13/07 ER) bewogen, dem damaligen Begehren der Antragstellerinnen auf Gewährung von Analog-Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG zu entsprechen.
Die Unrichtigkeit der Angaben der Antragstellerin zu 1.) zu ihrem Geburts- und letzten Wohnort offenbarte sich erst anlässlich des Verfahrens zur Beschaffung serbischer Passersatzpapiere, mit denen die Antragstellerinnen und ihre Familienangehörigen in die Republik Serbien zurückgeführt werden sollten. Zwar hat die Ausländerbehörde des Antragsgegners in ihrem entsprechenden Ersuchen an die ZAAB Niedersachsen vom 17.06.2010 (Bl. 131 ff. AuslA) die Angaben der Antragstellerin zu 1.) zu den genannten Identitätsmerkmalen übernommen. Diese Angaben hat indes das Ministerium des Inneren der Republik Serbien in seiner Antwort vom 28.07.2010 auf die Anmeldung der Antragstellerinnen zur Rückführung (Bl. 142 AuslA) von Amts wegen dahingehend korrigiert, dass die Antragstellerin zu 1.) mit dem Geburtsort Grosnica im Verwaltungsbezirk Kragujevac (Republik Serbien) und die minderjährige Antragstellerin zu 2.) - ebenso wie ihre beiden volljährigen Geschwister - mit dem Geburtsort Kragujevac im gleichnamigen Verwaltungsbezirk in den serbischen Melderegistern erfasst sind. Mit den so abgeglichenen Daten sind nachfolgend die serbischen Passersatzpapiere (PEP) durch das Generalkonsulat in Hamburg ausgestellt worden (vgl. Schreiben der ZAAB Niedersachsen vom 16.08.2010, Bl. 153 AuslA, sowie die Kopien der PEP, Bl. 54 ff. GA). Die Kammer hat somit keine Veranlassung, den von den Antragstellerinnen im vorliegenden Verfahren geäußerten Zweifeln nachzugehen, die vorgelegten serbischen PEP seien aufgrund unrichtiger Angaben der Ausländerbehörde des Antragsgegners zu den Geburtsorten der Antragstellerinnen ausgestellt worden. Soweit es den Sohn bzw. Bruder der Antragstellerinnen, Herrn P., betrifft, hat dieser der Ausländerbehörde des Antragsgegners zwischenzeitlich einen gültigen serbischen Reisepass vorgelegt, aus dem ebenfalls der im Rahmen des PEP-Beschaffungsverfahrens ermittelte Geburtsort Kragujevac in Serbien - und nicht wie von der Antragstellerin zu 1.) und ihrem verstorbenen Ehemann als gesetzliche Vertreter seit Einreise über Jahre angegeben: Pristina - amtlich beurkundet hervorgeht. Diesen Pass hat Herr P. selbst mit seinen eigenen Angaben zu seinem Geburtsort gegenüber dem serbischen Generalkonsulat beantragt und entsprechend ausgestellt bekommen. Die geschilderten Verfahrensabläufe bieten somit für die Vermutungen der Antragstellerinnen einer Einflussnahme des Antragsgegners keinerlei Anknüpfungspunkte. Es obliegt vielmehr den Antragstellerinnen, den Beweis der inhaltlichen Unrichtigkeit der vom serbischen Innenministerium und dem serbischen Generalkonsulat ausgestellten Dokumente durch andere amtliche serbische Urkunden (Serbischer Reisepass, licna carta, Auszug aus dem Geburten- und Melderegister) gegenüber der Ausländerbehörde des Antragsgegners zu führen, soweit es ihre behauptete Geburt im und Herkunft aus dem Kosovo betrifft.
Für die inhaltliche Richtigkeit der in den PEP amtlich registrierten serbischen Geburtsorte und der Herkunft der Antragstellerinnen aus Serbien sprechen zudem die von der Antragstellerin zu 1.) selbst gemachten Angaben gegenüber der Fachärztin Frau K. im Rahmen ihrer Sozialanamnese und der von ihr geschilderten Fluchtgeschichte zur Erstellung des fachpsychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 09.09.2010 (Bl. 222 ff. AuslA). Dort hat die Antragstellerin zu 1.) erklärt, das Geburtsland ihrer Kinder sei Serbien (Gutachten S. 6, a.a.O.) und nicht der Kosovo. Zudem hat sie angegeben, bereits im Jahre 1999 aus dem Kosovo zu ihren Eltern und Cousinen nach Serbien geflohen zu sein. Auf Nachfrage hat sie gegenüber der Gutachterin diese zeitlichen Abläufe dahingehend präzisiert, dass sie und ihre (Kern-)Familie bis zum Jahre 2002 in Serbien gewohnt und dort sogar ein Haus gekauft hätten; von Serbien aus (und damit nicht aus dem Kosovo kommend) seien sie in die Bundesrepublik eingereist, weil die Situation in Serbien ebenfalls schlimm gewesen sei, u.a. hätten sie und ihr Ehemann dort keine Arbeit gehabt (Gutachten S. 11, a.a.O.).
Der Antragstellerin zu 1.) ist, soweit es das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft, zudem widersprüchliches Vorbringen hinsichtlich der Angaben zu ihrem Geburtsort vorzuhalten. Während sie der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin gegenüber stets erklärt hat, in Pristina geboren zu sein (vgl. zuletzt der Antrag auf Verlängerung ihrer Duldung vom 01.12.2011, Bl. 429 AuslA), versichert sie gegenüber der erkennenden Kammer nunmehr an Eides Statt, in dem Ort Kosovo Polje - Verwaltungsbezirk Pristina - geboren zu sein (Eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1.) vom 16.12.2011, Bl. 34 GA). Ein sachlicher Grund dafür, warum die Antragstellerin zu 1.) von ihrer bisherigen Angabe zum Geburtsort (Pristina) aktuell abrückt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ob und inwieweit dieses widersprüchliche prozessuale Verhalten der Antragstellerin zu 1.) strafrechtliche Bedeutung erlangt, vermag die Kammer derzeit nicht abzuschätzen.
Jedenfalls ist das beschriebene Fehlverhalten der Antragstellerin zu 1.) ihr subjektiv vorwerfbar. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG setzt nach der Rechtsprechung des BSG sowohl Vorsatz bezüglich der tatsächlichen Umstände, die das Fehlverhalten begründen, als auch der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer voraus (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, a.a.O., [...] Rn. 39; sog. subjektive Komponente = Verschulden, [...] Rn. 32). Diesen doppelten Vorsatz kann die Antragstellerin zu 1.) nicht in Abrede stellen. Ihr prozessuales Verhalten lässt den sicheren Schluss zu, dass sie fortlaufend absichtlich falsche Angaben zu ihrem Geburts- sowie letzten Wohnort im Herkunftsstaat gemacht hat, um ihren weiteren Verbleib in der Bundesrepublik zu sichern. Dieser Befund wird durch die Verurteilung der Antragstellerin zu 1.) u.a. gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 10.08.2011 - 63 Cs 33 Js 15547/10 (315/11) - zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen bestätigt (Bl. 414 ff. AuslA).
Es ist schließlich weder vorgetragen und glaubhaft gemacht worden, noch liegen greifbare Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die Ausreisepflicht der Antragstellerin zu 1.) unabhängig von ihrem vorwerfbaren Fehlverhalten in dem gesamten Zeitraum ab ihrer Einreise am 30.03.2002 nicht hätte vollzogen werden können. Aus der fachlichen Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.07.2011 (Bl. 418 ff. AuslA) ergibt sich insbesondere, dass trotz der geltend gemachten psychischen Erkrankung der Antragstellerin zu 1.) kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt (näher hierzu Beschluss der Kammer vom 01.02.2012 - S 42 AY 177/10 ER, [...] Rn. 70 ff.).
Einwände gegen die Höhe der vom Antragsgegner aktuell gewährten Grundleistungen machen die Antragstellerinnen auf Nachfrage des Kammervorsitzenden im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geltend (vgl. Aktenvermerk vom 08.03.2012, Bl. 89 GA), sodass in dieser Hinsicht auch kein Bedürfnis für eine vorläufige Regelung besteht. Die Überprüfung dieser Berechnungen bleibt deshalb dem anhängigen Hauptsacheverfahren S 42 AY 14/12 vorbehalten. Dort wird auch der Frage nachzugehen sein, ob die Antragstellerinnen angesichts der zu Tage getretenen Motive ihrer Ausreise aus Serbien den Tatbestand des § 1a Nr. 1 AsylbLG verwirklichen sowie über gem. § 7 AsylbLG einzusetzendes Einkommen und/oder Vermögen verfügen, wofür der Ermittlungsvermerk der Polizeistation F. vom 05.07.2010 (Bl. 135 AuslA) Anhaltspunkte liefert, aus dem sich das Vorhandensein von Konten sowie Nachlass des verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters der Antragstellerinnen bei der Sparkasse F. ergibt. Zudem wird anhand der Angabe der Antragstellerin zu 1.) gegenüber der Fachärztin Frau Q., sie habe in Serbien ein Haus, zu überprüfen sein, ob die Angabe der Schwägerin der Antragstellerin zu 1.) gegenüber der Ausländerbehörde (vgl. Bl. 122 AuslA) zutrifft, die Familie der Antragstellerinnen erziele laufende, in Deutschland verfügbare Einkünfte aus der Vermietung dieses Hauses in Serbien.
Im Ergebnis bleibt das Begehren der Antragstellerinnen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung somit ohne Erfolg.
Gemäß § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier mangels hinreichender Erfolgsaussichten aus den vorstehenden Gründen nicht vor. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung und berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Antragstellerinnen.