Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.2004, Az.: 10 LC 67/02

Anspruch auf Gewährung einer Rinder-Sonderprämie; Gemeinschaftsrechtliche Voraussetzungen für die Gewährung einer Rinder-Sonderprämie; Voraussetzungen für einen Verlust des Anspruchs auf die Prämie wegen mangelhafter Führung des Bestandsregisters; Geltungsbereich des gemeinschaftsrechtlichen Günstigkeitsprinzips bei Änderung der Rechtslage; Ordnungsmäßigkeit einer Prämienkürzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.12.2004
Aktenzeichen
10 LC 67/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 37147
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:1214.10LC67.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 29.01.2002 - AZ: 12 A 4721/00

Fundstelle

  • AUR 2005, 157-160 (Volltext mit red./amtl. LS)

Aus dem Entscheidungstext

1

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rinder-Sonderprämie für das Bewilligungsjahr 1999 und wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung einer Vorschusszahlung und deren Rückforderung.

2

Der Kläger bewirtschaftet in J. einen landwirtschaftlichen Betrieb. Im Jahre 1999 beantragte er mit sieben Anträgen die Gewährung einer Rinder-Sonderprämie für insgesamt 45 Rinder (Antrag vom 17. Februar: sechs Tiere, vom 19. Mai: elf Tiere, zwei Anträge vom 13. Juli: vier und sechs Tiere, Antrag vom 16. August: sechs Tiere, vom 15. Oktober: drei Tiere, vom 13. Dezember: neun Tiere).

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Mit Bescheid vom 1. November 1999 (Bl. 58 der GA) bewilligte der Beklagte dem Kläger im Hinblick auf die Anträge des Klägers vom 17. Februar, 19. Mai und 13. Juli (vier Tiere) 1999 eine Vorschusszahlung für 21 Tiere in Höhe von 3.326,82 DM.

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Am 15. März 2000 überprüfte der Beklagte den Betrieb des Klägers vor Ort und stellte fest, dass in dem Betrieb 207 Tiere, davon 67 männliche Rinder, vorhanden waren. Im Bestandsregister des Klägers waren nach den Ermittlungen des Beklagten 244 Rinder eingetragen. 37 im Bestandsregister eingetragene, aber im Bestand nicht mehr vorhandene Rinder waren nicht aus dem Bestandsregister ausgetragen worden. Anhand vorhandener Belege konnten die Austragungen für einen Teil der nicht mehr im Bestand vorhandenen Tiere nachgeholt werden. Da nach Angaben des Klägers die nicht sofort verfügbaren Belege seinem Steuerberater übergeben worden seien, vereinbarten der Kläger und der Beklagte einen die Kontrolle abschließenden Termin am 21. März 2000. Der Kläger legte dazu ein überarbeitetes, vervollständigtes Bestandsregister vor, in dem sämtliche, nicht mehr auf dem Betrieb des Klägers vorhandene Tiere , zum Teil mit dem Vermerk "tot", ausgetragen worden waren. Für insgesamt 37 am 15. März 2000 nicht vorgefundene Tiere, davon 21 männliche Rinder, fehlten weiterhin die entsprechenden Belege.

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Der Beklagte widerrief mit Bescheid vom 6. Juli 2000 den Bewilligungsbescheid vom 1. November 1999 über die Vorschusszahlung in Bezug auf die Anträge des Klägers vom 19. Mai 1999 (elf Tiere) und vom 13. Juli 1999 (vier Tiere) mit Wirkung für die Vergangenheit und forderte einen Betrag in Höhe von 2.376,30 DM zuzüglich Zinsen zurück. Zugleich bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 17. Februar 1999 hin eine Abschlusszahlung in Höhe von 1.056,18 DM, die er mit dem zurückgeforderten Betrag aufrechnete, und lehnte die Anträge des Klägers auf Gewährung einer Sonderprämie für Rinder vom 16. August, 15.Oktober und 13. Dezember 1999 (insgesamt 24 Tiere) ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass für den Zeitraum von 12 Monaten vor der Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle keine Prämie zu gewähren sei, wenn die Zahl der im Betrieb vorhandenen Tiere von der Zahl der im Bestandsverzeichnis ordnungsgemäß geführten Tiere um mehr als 20% abweiche. Bei der am 15. und 21. März 2000 im Betrieb des Klägers durchgeführten Kontrolle habe bei einem Bestand von insgesamt 67 männlichen Rindern der Verbleib von 21 Tieren nicht geklärt werden können. Der Kläger habe hinreichende Belege für diese Tiere nicht vorlegen können. Da die Abweichung von dem vorhandenen Bestand und den ordnungemäß verzeichneten Tieren ca. 31% betrage und deshalb die 20%-Grenze überschritten sei, seien die Anträge des Klägers auf Gewährung einer Rinder-Sonderprämie der letzten zwölf Monate vor der Vor-Ort-Kontrolle, also auch die Anträge vom 19. Mai und 13. Juli 1999 (insgesamt 15 Tiere), abzulehnen und es sei die Gewährung einer Vorschusszahlung mit Bescheid vom 1. November 1999 zu widerrufen.

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Mit seinem Widerspruch vom 2. August 2000 machte der Kläger geltend, dass eine Kürzung von Prämien bei Fehlern im Bestandsverzeichnis nur in Betracht kommen könne, wenn derartige Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Führung des Bestandsverzeichnisses mindestens bei zwei Kontrollen innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten festgestellt würden. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil lediglich eine Vor-Ort-Kontrolle stattgefunden habe. Im Übrigen liege ein Fall von höherer Gewalt vor; es seien mehrere Tiere infolge eines Krankheitszuges verendet und durch Unglücksfälle sei es zu einem völligen Zusammenbruch der familiären Arbeitsorganisation gekommen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2000, berichtigt mit Bescheid vom 19. Dezember 2000, wies die Bezirksregierung Weser-Ems den Widerspruch des Klägers zurück und lehnte die Anträge des Klägers vom 19. Mai und 13. Juli 1999 auf Gewährung einer Rinder-Sonderprämie für insgesamt 15 Tiere ab. Zur Begründung führte sie aus: Die Anträge des Klägers auf Gewährung einer Rinder-Sonderprämie im Zeitraum der letzten 12 Monate vor der Durchführung der Vor-Ort-Kontrolle im März 2000 seien abzulehnen, weil der Verbleib von 21 männlichen Rindern, die nicht aus dem Bestandsregister ausgetragen worden seien, nicht habe festgestellt werden können. Die Differenz von vorhandenem Bestand und ordnungsgemäß im Register verzeichneten Tieren betrage mehr als 20%, wobei ausschlaggebend für die Zahl der im Bestandsregister geführten Tiere die während einer Vor-Ort-Kontrolle belegten Tiere seien. Nach Abschluss einer Vor-Ort-Kontrolle könnten gleichwohl noch vorgelegte Belege nicht mehr anerkannt werden, auch wenn dadurch unvollständige oder fehlende Eintragungen im Bestandsregister geklärt werden könnten. Die nachträgliche Austragung der Tiere zum 21. März 2000, dem zweiten Tag der Vor-Ort-Kontrolle, könne daran nichts ändern. Denn dieser Termin habe nur dazu gedient, die am 15. März 2000 noch beim Steuerberater befindlichen Abgangsbelege prüfen zu können, nicht aber es dem Kläger zu ermöglichen, die betreffenden Tiere nachträglich aus dem Bestandsverzeichnis auszutragen. Schließlich handele es sich auch nicht um einen Fall höherer Gewalt, da der Kläger noch mindestens sechs Monate Zeit gehabt habe, sich um die Führung des Bestandsregisters zu kümmern.

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Mit seiner am 29. Dezember 2000 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die vom Beklagten herangezogene Ermächtigung für eine Sanktion wegen nicht korrekter Führung des Bestandsregisters - Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 - nicht ausreiche. Denn nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2988/95 sei bei Änderungen von Sanktionsnormen die weniger strenge Bestimmung - hier: die Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 oder jedenfalls die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 - rückwirkend anzuwenden. Danach sei bei Fehlern oder Versäumnissen bei der Führung des Bestandsregisters eine Kürzung der Prämie nur zulässig, wenn derartige Fehler und Versäumnisse bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten festgestellt worden seien. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei diese Regelung nicht nur auf Anträge ab dem 1. Januar 2000 anwendbar, sondern nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2988/95 auch rückwirkend auf vorangegangene Anträge. Die Voraussetzungen der genannten Sanktionsvorschriften lägen nicht vor, so dass der angefochtene Bescheid des Beklagten rechtswidrig sei. Fehl gehe die Erwägung des Beklagten, bei Anwendung des Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 seien alle Beihilfeanträge des Klägers abzulehnen, weil dann eine Abweichung von 30,34% vorliege. Der Beklagte übersehe nämlich, dass nicht - wie der Beklagte annehme - lediglich die Anzahl der für die Gewährung der Sonderprämie in Frage kommenden Tiere, also 67 männliche Rinder, sondern alle sonstigen beihilfefähigen Tiere, also auch weibliche Tiere, für die eine Schlachtprämie beantragt werden könne, für die Ermittlung der Abweichung heranzuziehen seien. Unter diesen Voraussetzungen ergebe sich eine Differenz von 10% bei 209 zu berücksichtigenden Tieren.

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Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm auf seine Anträge vom 17. Februar 1999, 19. Mai 1999, 13. Juli 1999, 16. August 1999, 15. Oktober 1999 und 13. Dezember 1999 Rindersonderprämien für das Jahr 1999 für insgesamt 45 Tiere zu je 171 Euro unter Anrechnung der Gewährung von Rindersonderprämien mit Bescheiden des Beklagten vom 1. November 1999 und 6. Juli 2000 zu gewähren,

den Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 29. November 2000, in der Fassung der Berichtigung vom 19. Dezember 2000, aufzuheben, soweit er dem entgegensteht, und

den Beklagten zu verpflichten, ihm Zinsen in Höhe von 0,5% pro Monat auf einen Betrag von 5.950 Euro seit dem 29. Dezember 2000 zu gewähren.

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Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hat auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen und geltend gemacht, dass die aus Sicht des Klägers anzuwendenden Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 und der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 nicht herangezogen werden könnten. Fehl gehe die Auffassung des Klägers, dass zur Ermittlung der Abweichung der im Bestand vorhandenen Tiere von den im Bestandsverzeichnis nachgewiesenen Tieren auch die weiblichen Tiere im Bestand zu berücksichtigen seien. Es sei vielmehr nach den jeweiligen - verschiedenen - Antragsverfahren zu differenzieren.

12

Mit Urteil vom 29. Januar 2002 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung seiner insoweit entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger die Rindersonderprämie im vom Kläger begehrten Umfang sowie die geltend gemachten Zinsen zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Gewährung einer Rinder-Sonderprämie für das Jahr 1999 im begehrten Umfang. Unstreitig erfülle der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung der Rinder-Sonderprämie nach Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3886/92, wonach für die Gewährung der Prämie nur Tiere in Betracht kämen, die nach den einschlägigen nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ordnungsgemäß identifiziert seien und spätestens am dritten Tag nach ihrem Eintreffen im Betrieb mit einer Identifizierungsnummer in das besondere Register des Erzeugers eingetragen würden. Der Anspruch des Klägers sei nicht infolge der nicht ordnungsgemäßen Führung des Bestandsregisters hinsichtlich sog. Nicht-Antragstiere entfallen. Die Voraussetzungen für eine daran anknüpfende Sanktionierung lägen nicht vor, obwohl der Kläger zum Zeitpunkt der Vor-Ort-Kontrolle 37 nicht mehr im Bestand vorhandene Rinder nicht in seinem Bestandsregister ausgetragen habe und für deren Verbleib keine Belage habe vorlegen können. Es lägen bereits die Voraussetzungen für eine Sanktion nach Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 nicht vor. Aus den einschlägigen Bestimmungen lasse sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht herleiten, dass eine fehlende Austragung nicht mehr im Betrieb vorhandener Tiere im Bestandsregister zum nachträglichen Prämienverlust führe. Denn Art. 10 VO (EWG) Nr. 3887/92 sehe ein differenziertes Sanktionssystem vor, das im Zusammenhang mit der Regelung über Kontrollen stehe. Ziel der Kontrollen sei immer, dass im Betrieb nicht mehr Tiere vorhanden seien als im Bestandsregister eingetragen, also hinreichend identifiziert seien. Daraus folge, dass ein Prämienanspruch nicht zu kürzen sei, wenn Tiere, die bereits in das Bestandsregister aufgenommen worden seien und damit eine Voraussetzung für eine hinreichende Identifizierung erfüllten, nicht ordnungsgemäß ausgetragen worden seien. Die Austragung verendeter und damit nicht mehr bei beihilfefähiger Tiere sei im vorliegenden Fall prämienrechtlich nicht erheblich.

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Die Versäumnisse des Klägers führten darüber hinaus auch dann nicht zu einer Kürzung des Prämienanspruchs, wenn Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 als die gegenüber Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 nach dem Verständnis des Beklagten weniger strenge Regelung anzuwenden wäre. Denn nach Art. 10 c Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 sei eine Prämienkürzung nur zulässig, wenn Fehler oder Versäumnisse in Bezug auf Eintragungen in das Register des Betriebsinhabers bei zwei Kontrollen innerhalb eines Zeitraumes von 24 Monaten festgestellt worden seien. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Auch aus Art. 10 c Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 ergebe sich nicht, dass der Prämienanspruch vollständig entfalle, wenn bereits bei einer Kontrolle eine Differenz von mehr als 20% festgestellt werde. Denn eine Art. 10 Abs. 4 Unterabsatz 3 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 entsprechende Regelung, die für Schlachtprämien nach jeder Kontrolle eine Kürzung vorgesehen habe, fehle in Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999. Im Übrigen sei Art. 10 c dieser Verordnung lediglich eine in Bezug auf die Höhe der Sanktion nach Absatz 2 abweichende Regelung, die die Voraussetzungen der Prämienkürzung nicht berühre.

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Wenn schließlich infolge des sog. Günstigkeitsprinzips Art. 39 VO (EG) 2419/2001 anzuwenden wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Kürzung der Rindersonderprämie ebenfalls nicht vor. Denn nach Art. 39 Abs. 1 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 4 VO (EG) 2419/2001 gälten Tiere im Hinblick auf Verstöße gegen die Vorschriften des Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern erst dann als festgestellt, wenn fehlerhafte Eintragungen in das Register bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt worden seien. Im vorliegenden Fall fehlender Austragungen sei Art. 36 Abs. 4 Buchst. b 1. Alternative VO (EG) Nr. 2419/2001 maßgeblich. Danach sei eine Kürzung der Prämie zu Lasten des Klägers unzulässig, denn die Verstöße gegen die Ordnungsmäßigkeit der Führung des Registers seien nicht bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt worden.

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Gegen diese Entscheidung führt der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung, zu deren Begründung er vorträgt: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, aus den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen ergebe sich nicht, dass bei fehlenden Austragungen nicht mehr im Betrieb befindlicher Tiere die zu gewährende Prämie zu kürzen sei, sei unzutreffend. Denn nach Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 werde der Prämienanspruch gekürzt, wenn im Rahmen einer Vor-Ort-Kontrolle festgestellt werde, dass die Anzahl der auf dem Betrieb festgestellten, für eine Gemeinschaftsbeihilfe in Betracht kommenden Tiere nicht der Anzahl der im Register geführten beihilfefähigen Tiere entspreche. Diese Voraussetzungen seien im Rahmen einer Kontrolle des Betriebs des Klägers festgestellt worden, denn im Bestand des Klägers hätten sich 67 männliche Rinder befunden, während aber 81 Tiere im Register geführt worden seien. Die weitere, damit verknüpfte Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Austragung von Tieren, die verendet und damit ohnehin nicht beihilfefähig seien, sei nicht geboten gewesen, gehe ebenso fehl. Denn aus den in das Bestandsregister aufgenommenen Vermerken "tot" ergebe sich nicht, dass die betreffenden Tiere auch verendet und damit nicht beihilfefähig seien. Bei nicht ordnungsgemäß dokumentiertem Verbleib nicht mehr im Bestand vorhandener Tiere böte sich für einen Prämienempfänger unter den vom Verwaltungsgericht angenommenen Voraussetzungen an, unter der Rubrik "Abgang" immer den Vermerk "tot" aufzunehmen, weil damit mögliche Sanktionen ausgeschlossen wären. Rechtsfehlerhaft sei zudem die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 anzuwenden sei. Der Anwendung dieser Vorschrift unter Berücksichtigung des sog. Günstigkeitsprinzips stehe entgegen, dass nach Art. 2 VO (EG) Nr. 2801/1999 die Regelungen dieser Verordnung nur Anträge beträfen, die sich auf die Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume ab dem 1. Januar 2000 bezögen. Fehlerhaft sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass mangels zweier Kontrollen innerhalb von 24 Monaten, bei denen Fehler festgestellt worden sein müssten, eine Prämienkürzung unzulässig und erst ab der zweiten Kontrolle erheblich sei, ob die festgestellte Abweichung mehr als 20% betrage. Richtig sei vielmehr, dass bereits das bloße Überschreiten der 20%-Grenze unabhängig von der Anzahl der Kontrollen zu einer Ablehnung der Prämienanträge führen müsse. Dies ergebe sich schon mit Blick auf Art. 10 b Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 2801/1999. Danach werde nämlich bei einer Differenz von mehr als 20% keine Beihilfe gewährt. Zudem sei Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 lediglich als Ausnahmefall für Fehler im Bestandsregister oder in Tierpässen zu verstehen, solange nicht die Grenze von 20% überschritten sei. Schließlich sei es rechtsfehlerhaft, die Bestimmungen der Verordnung (EG) 2419/2001 anzuwenden. Diese Verordnung sei nach ihrem Artikel 54 Abs. 2 erst für Prämienanträge ab dem Wirtschaftsjahr oder Prämienzeitraum 2002 anzuwenden. Zudem sei das sog. Günstigkeitsprinzip nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 hier deshalb nicht einschlägig, weil sich die Regelungen nur auf Sanktionen im Zusammenhang mit der Änderung von Gemeinschaftsrecht bezögen, während nach der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 die vorhergehenden Sanktionsregelungen nicht geändert, sondern aufgehoben und unter Einführung eines grundlegend anderen Sanktionssystems Sanktionsvorschriften neu erlassen worden seien. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Die Entscheidung in der Rechtssache C-295/02, in der die rückwirkende Anwendung des Art. 44 VO (EG) Nr. 2419/2001 bestätigt worden sei, beziehe sich ausschließlich auf diese Vorschrift, deren Voraussetzungen im Falle des Klägers aber nicht erfüllt seien.

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Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 12. Kammer - vom 29. Januar 2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts und führt ergänzend aus: Zutreffend habe das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass die Registrierung im besonderen Verzeichnis des Erzeugers allein im Betrieb vorhandene potentielle Antragstiere betreffe. Die Nichtaustragung bereits abgegangener Tiere stelle nur einen Verstoß gegen die Viehverkehrsverordnung dar, der nicht prämienrelevant sei. Dem Gesetz sei überdies nicht die vom Beklagten für richtig gehaltene Auffassung zu entnehmen, dass nach der Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 bei Überschreitung der 20%-Grenze unabhängig von der Anzahl der Kontrollen die Anträge auf Gewährung der Rinder-Sonderprämie abzulehnen seien. Vielmehr sei Voraussetzung einer Sanktion nach Art. 10 c VO (EG) Nr. 2801/1999, dass sowohl die Voraussetzungen des Absatzes 2 als auch die des Absatzes 3 dieser Vorschrift erfüllt seien. Dies ergebe sich bereits daraus, dass Absatz 2 die Quantität der festgestellten Unregelmäßigkeiten und Absatz 3 die Qualität der Verstöße betreffe. Der Europäische Gerichtshof habe dieses Verständnis der Rechtslage in seinen Entscheidungen bestätigt. Unzutreffend sei schließlich die Auffassung des Beklagten, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Rückwirkung weniger strenger Sanktionsregelungen allein auf Art. 44 VO (EG) Nr. 2419/2001 zu beziehen sei. Ausdrücklich habe der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass die Rückwirkungsregelung des Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 nicht durch Art. 53 und 54 VO (EG) Nr. 2419/2001 ausgeschlossen sei. Daraus folge, dass sich die Regelung des Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 auf alle weniger strengen Sanktionsregelungen erstrecke.

19

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung.

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II.

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung der Rinder- Sonderprämie in der von ihm begehrten Höhe; der Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 29. November 2000 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit sie seinem Begehren entgegenstehen.

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Nach Art. 4 b Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl. Nr. 1 148 S. 24) in der hier anzuwendenden Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1633/98 des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. Nr. 1 210 S. 17) können Erzeuger, die in ihrem Betrieb männliche Rinder halten, auf Antrag eine Sonderprämie für höchstens 90 Tiere der in Absatz 2 genannten Altersklassen erhalten. Die Prämie wird nach Absatz 2 Buchst. a der genannten Vorschrift höchstens einmal im Leben eines nicht kastrierten männlichen Rindes im Alter zwischen 10 und 21 Monaten, nach Buchst. b zweimal im Leben eines jeden kastrierten männlichen Rindes, und zwar zum ersten Mal nach Erreichen eines Alters von 10 Monaten und zum zweiten Mal nach Erreichen eines Alters von 22 Monaten gewährt. Art. 4 b Abs. 8 VO (EWG) Nr. 805/68 ermächtigt die Kommission, Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Von dieser Ermächtigung hat die Kommission mit der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen für die Prämienregelung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 805/68über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1244/82 und (EWG) Nr. 714/89 (ABl. Nr. 1 391 S. 20) Gebrauch gemacht, deren Regelungen unbeschadet der Vorschriften über das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. Nr. 1 355 S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. Nr. 1 391 S. 36) gelten. Der nationale Verordnungsgeber hat die Gewährung von Prämien für Rindfleischerzeuger durch die Verordnung über die Gewährung von Prämien für männliche Rinder, Mutterkühe und Mutterschafe (Rinder- und Schafprämien-Verordnung) vom 25. März 1996 (BGBl. I S. 537) mit späteren Änderungen näher ausgestaltet.

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Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2604/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 (ABl. Nr. 1 328 S. 5) wird die Prämie nur für Tiere gewährt, für die ein nationales amtliches Dokument ausgestellt wurde und die nach den einschlägigen nationalen und gemeinschaftlichen Vorschriften ordnungsgemäß identifiziert sind. Nach Art. 14 VO (EWG) Nr. 3886/92 müssen die betreffenden Tiere mit ihren Identifizierungsnummern spätestens am dritten Tag nach ihrem Eintreffen im Betrieb in das besondere Register des Erzeugers eingetragen worden sein. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Voraussetzungen im Falle der vom Kläger benannten 45 sog. Antragstiere vorliegen. Nach dem Prüfbericht des Beklagten zur Vor-Ort-Kontrolle - Rindviehbestände vom 10. April 2000 sind alle in den Anträgen des Klägers im Jahre 1999 aufgeführten Tiere im Bestandsregister vollständig und richtig eingetragen, die vorgeschriebenen Haltungszeiträume eingehalten und die Antragstiere haben sich in den in den Anträgen angegebenen Betriebsstätten befunden.

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Zutreffend ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf Gewährung der Rindersonderprämie nicht infolge einer nicht ordnungsgemäßen Führung des Bestandsregisters in Bezug auf sog. Nicht-Antragstiere entfallen ist. Die vom Beklagten für die Versagung der Rindersonderprämie herangezogene Sanktionsregelung des Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (ABl. Nr. 1 212 S. 23) kommt im vorliegenden Fall wegen des zugunsten des Klägers zu beachtenden Günstigkeitsprinzips nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. Nr. 1 312 S. 1) nicht zur Anwendung. Zwar führt nach Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 3 1. Alternative VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 eine festgestellte Differenz von mehr als 20% zwischen der Zahl der im Betrieb vorhandenen und für eine Prämienbeantragung in Betracht kommenden Tiere im Verhältnis zu der Zahl der im besonderen Register geführten Tiere dazu, dass für einen Zeitraum von 12 Monaten vor der Kontrolle keine Prämie gewährt wird. Allerdings ist diese Sanktionsvorschrift durch die Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 der Kommission vom 21. Dezember 1999 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. Nr. 1 340 S. 29) geändert und abgemildert worden. Nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 kann eine verwaltungsrechtliche Sanktion nur verhängt werden, wenn sie in einem Rechtsakt der Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unregelmäßigkeit vorgesehen wurde. Bei späterer Änderung der in einer Gemeinschaftsregelung enthaltenen Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen gelten die weniger strengen Bestimmungen rückwirkend. Das nicht ordnungsgemäße Führen des Bestandsregisters stellt eine Unregelmäßigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 dar, die zum Prämienverlust und damit eine verwaltungsrechtliche Sanktion im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der genannten Verordnung zur Folge hat.

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Die Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 regelt Verstöße gegen die Bestimmungen über die Registrierung bei nicht beantragten Rindern in dem in die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 neu eingefügten Art. 10 c. Dieser lautet wie folgt:

(1)
Bei anderen als den unter Artikel 10 b fallenden Rindern wird, sofern im Rahmen einer Vor-Ort-Kontrolle festgestellt wird, dass die Anzahl der im Betrieb anwesenden Tiere, die für eine Gemeinschaftsbeihilfe in Betracht kommen oder von Bedeutung sind, nicht der Anzahl

a)
der an die elektronische Datenbank gemäß Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 gemeldeten Tiere,
b)
der im Register des Betriebsinhabers gemäß Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 geführten Tiere,
c)
der Pässe gemäß Artikel 6 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 für die im Betrieb vorhandenen Tiere

entspricht, der Gesamtbetrag der Beihilfe, die dem Antragsteller im Rahmen der betreffenden Beihilferegelung innerhalb der zwölf Monate vor der Vor-Ort-Kontrolle, bei der diese Tatbestände festgestellt wurden, gewährt wurde, außer im Fall höherer Gewalt entsprechend gekürzt.

Die Kürzung wird berechnet anhand der Anzahl aller im Rahmen der Beihilferegelung anwesender Tiere oder der Eintragungen in die elektronische Datenbank gemäß Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 oder der Pässe oder der Register der Betriebsinhaber, wobei die niedrigsten Zahlen heranzuziehen sind.

(2)
Bei Fehlern oder Versäumnissen betreffend die Eintragungen in das Register des Betriebsinhabers oder in den Tierpässen wird eine Kürzung gemäß Absatz 1 jedoch nur vorgenommen, wenn derartige Tatbestände bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten festgestellt wurden.

(3)
Beträgt die bei der Kontrolle vor Ort festgestellte Differenz mehr als 20% der Anzahl der festgestellten beihilfefähigen Tiere, so wird für die zwölf Monate vor der Kontrolle vor Ort keine Prämie gewährt.

25

Zwar betrifft die Verordnung (EG) Nr. 2801/1999 gemäß deren Art. 2 nur Beihilfeanträge, die sich auf Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume ab 1. Januar 2000 beziehen, allerdings wendet der Europäische Gerichtshof die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 dahingehend an, dass trotz eines festgelegten zeitlichen Anwendungsbereichs die weniger strengen Sanktionsregelungen auch für zurückliegende Prämienzeiträume infolge der Rückwirkung gelten (vgl. EuGH, Urt. v. 17. Juli 1997 - C-354/95 -, Nr. 41, EuZW 1998, 183 ff.; Urt. v. 1. Juli 2004 - C-295/02 -). Dem schließt sich der Senat an.

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Nach Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2801/ 1999 wird eine Kürzung nach Absatz 1 nur vorgenommen, wenn Fehler oder Versäumnisse betreffend die Eintragungen in das Register des Betriebsinhabers bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt wurden. Diese Vorschrift kommt dem Kläger hinsichtlich der im Bestandsregister eingetragenen, im Bestand im Zeitpunkt der Vor-Ort-Kontrolle jedoch nicht mehr vorhandenen Tiere zugute, denn der Beklagte hat nur bei einer, an zwei Tagen durchgeführten Vor-Ort-Kontrolle Versäumnisse des Klägers im Hinblick auf die sorgfältige Führung des Bestandsregisters festgestellt.

27

Die dagegen erhobenen Einwände des Beklagten greifen nicht durch.

28

Soweit der Beklagte meint, der nach dem Günstigkeitsprinzip vorgesehenen Anwendung des Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 2801/1999 stehe entgegen, dass nach Art. 2 VO (EG) Nr. 2801/1999 die Regelungen dieser Verordnung nur Anträge erfassten, die sich auf Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume ab dem 1. Januar 2000 bezögen, folgt der Senat dem nicht. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 1. Juli 2004 (a.a.O.) - in Bezug auf die Art. 2 VO (EG) Nr. 2801/1999 inhaltlich gleichartige Bestimmung des Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 - dargelegt, dass der rückwirkenden Anwendung weniger schwerer Sanktionen die Regelungen über den zeitlichen Geltungsbereich gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen nicht entgegenstünden. Denn aus der vierten Begründungserwägung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 ergebe sich, dass ein allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik gemeinsamer Rahmen festgelegt werden müsse, um den Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft wirksam zu bekämpfen. Ferner seien nach der fünften Begründungserwägung der o.g. Verordnung die Verhaltensweisen, die Unregelmäßigkeiten darstellten, sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen im Einklang mit dieser Verordnung in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen. Daraus folge, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber im Bereich der Kontrollen und Sanktionen der auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts begangenen Unregelmäßigkeiten mit dem Erlass der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 eine Reihe allgemeiner Grundsätze aufgestellt und vorgeschrieben habe, dass grundsätzlich alle sektorbezogenen Verordnungen diese Grundsätze beachteten. Nach der o.g. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes weist nichts in der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 darauf hin, dass mit ihr der in Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 aufgestellte Grundsatz der rückwirkenden Anwendung weniger schwerer Sanktionen ausgeschlossen werden sollte. U.a. sei Art. 54 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2419/2001 dahin auszulegen, dass er der Anwendung dieses Grundsatzes nicht entgegenstehe. Unter diesen Voraussetzungen steht nach Auffassung des Senats auch die zeitliche Geltungsanordnung in Art. 2 VO (EG) Nr. 2801/1999 der rückwirkenden Anwendung weniger schwerer Sanktionen nicht entgegen (vgl. auch EuGH, Urt. v. 17. Juli 1997 - C-345/95 -, Slg. I 4559 und juris).

29

Den Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes entnimmt der Senat auch, dass das aus Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 folgende Günstigkeitsprinzip nicht allein - wie aber der Beklagte meint - auf Art. 44 VO (EG) Nr. 2419/2001 beschränkt ist, sondern auf sämtliche gemeinschaftsrechtliche Sanktionsvorschriften anzuwenden ist. Zwar hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 1. Juli 2004 (a.a.O.) unter Nr. 59 seiner Urteilsbegründung ausgeführt, dass unbeschadet der Frage, ob auch die anderen Bestimmungen des Titels IV der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 über die Grundlage der Berechnung der Beihilfen sowie über Kürzungen und Ausschlüsse nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 unter bestimmten Umständen rückwirkend angewandt werden können, nach dieser Vorschrift die weniger strengen Bestimmungen des Art. 44 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 rückwirkend auf Beihilfeanträge anzuwenden seien, die in den zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 fallen. Diese auf Art. 44 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 beschränkte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes hat ihre Ursache allein in der dem Europäischen Gerichtshof nur auf diese Vorschrift bezogene Vorlage des erkennenden Senats; der Europäische Gerichtshof hatte im Rahmen dieser Vorlage keinen Anlass, eine über Art. 44 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 hinausgehende Entscheidung zu treffen. Gleichwohl haben die bereits genannten Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes insbesondere zur vierten und fünften Begründungserwägung zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 und den daraus zu ziehenden Folgerungen Allgemeingültigkeit über Art. 44 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 hinaus.

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Fehl geht der Beklagte, wenn er meint, dass das sog. Günstigkeitsprinzip nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 deshalb keine Anwendung finde, weil sich die genannte Regelung nur auf Änderungen des Gemeinschaftsrechts, nicht aber auf die Aufhebung ganzer Regelwerke unter gleichzeitigem Erlass eines grundlegend neuen Sanktionssystems beziehe. Dieser Auffassung des Beklagten folgt der Senat nicht. Zwar bestimmt Art. 2 Abs. 2 Satz 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95, dass bei späterer Änderung der in einer Gemeinschaftsregelung enthaltenen Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen die weniger strengen Bestimmungen rückwirkend gelten. Daraus ist aber nicht der vom Beklagten favorisierte Schluss zu ziehen, dass mit dem Begriff "Änderungen von Bestimmungen" allein und ausschließlich Vorschriften gemeint sind, die im Wege der Änderung von Vorschriften, nicht aber im Wege des Neuerlasses von Regelwerken anstelle aufgehobener Vorschriften weniger strenge Bestimmungen treffen. Ob eine bestimmte Vorschrift von einer ihr nachfolgenden Vorschrift geändert wird oder ob sie aufgehoben wird und an ihre Stelle eine vollständig neu formulierte Vorschrift tritt, hängt in der Regel davon ab, welches Änderungsprogramm der Gesetzgeber verfolgt und ob er sein Regelungsziel im Wege einer (bloßen) Änderung oder einer kompletten Neufassung der Regelung verfolgen will. Für die Rechtswirksamkeit der geänderten oder vollständig neugefassten Vorschrift ist die dazu getroffene gesetzgeberische Entscheidung ohne Bedeutung. Unter dieser Voraussetzung ist unter dem Begriff "Änderungen von Bestimmungen" allein die materiell-rechtliche Änderung einer Vorschrift, nicht aber die Art und Weise ihrer Änderung zu verstehen.

31

Bestätigt wird dieses Verständnis der Vorschrift durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. In seiner Entscheidung vom 1. Juli 2004 (a.a.O.) hat der Europäische Gerichtshof nicht darauf abgestellt, dass die Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 nicht etwa die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 nur geändert, sondern nach Art. 53 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 aufgehoben und an ihrer Stelle andere Regelungen getroffen hatte. Wie bereits dargelegt, weist nach der o.g. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nichts in der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 darauf hin, dass mit ihr der in Art. 2 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 aufgestellte Grundsatz der rückwirkenden Anwendung weniger schwerer Sanktionen ausgeschlossen werden sollte.

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Unzutreffend ist die Auffassung des Beklagten, dass bereits bei der Überschreitung der 20%-Grenze in Bezug auf die Differenz von im Bestand vorhandenen Tieren und im Bestandsverzeichnis ordnungsgemäß verzeichneten Tieren unabhängig von der Zahl der Kontrollen der Prämienanspruch verfalle. Art. 10 c Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 2801/1999, auf den sich der Beklagte insoweit stützt, ist - wie das Verwaltungsgericht auch insoweit zutreffend erkannt hat - eine allein hinsichtlich der Qualität des Verstoßes und der Höhe der Sanktion von Absatz 2 abweichende Regelung. Die vom Beklagten für richtig gehaltene Auslegung der o.g. Bestimmung wäre vom Wortlaut der Vorschrift nur dann gedeckt, wenn der Begriff der "Kontrolle" mit dem unbestimmten Artikel "einer" verbunden wäre. Erst dadurch wäre vom Gemeinschaftsgesetzgeber deutlich gemacht worden, dass abweichend von Absatz 2 schon die bei einer einzigen Kontrolle festgestellte Differenz von mehr als 20% zum Prämienverlust im Zeitraum von zwölf Monaten vor der Vor-Ort-Kontrolle führen soll. Eine solche oder noch klarere Formulierung hat der Gesetzgeber jedoch nicht gewählt. Unter diesen Voraussetzungen geht die Annahme des Beklagten fehl, Art. 10 c Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 2801/1999 sei lediglich ein Ausnahmefall für Fehler im Bestandsregister oder in Tierpässen, solange nicht die Grenze von 20% überschritten sei.

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Ebenfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht dazu weiter ausgeführt, dass sich - auch im Vergleich zu Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 1678/98 - aus der Regelungssystematik der Vorschrift nicht das vom Beklagten für richtig gehaltene Ergebnis herleiten lasse. Denn es fehlt in Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 2801/1999 eine Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 2 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 1678/98 entsprechende Bestimmung, wonach bei der Sonderprämie gemäß Artikel 8 VO (EWG) 3886/92 - der Schlachtprämie - bereits nach jeder Vor-Ort-Kontrolle eine Kürzung nach Unterabsatz 1 Anwendung findet, wenn derartige Tatbestände (nach Unterabsatz 1) festgestellt werden. Einer solchen Bestimmung hätte es auch in Art. 10 c VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der VO (EG) Nr. 2801/1999 bedurft, um die Auffassung des Beklagten hinreichend abzusichern.

34

Auch wenn infolge des sog. Günstigkeitsprinzips Art. 39 VO (EG) Nr. 2419/2001 anzuwenden wäre, bliebe die Berufung des Beklagten ohne Erfolg.

35

Nach Art. 39 Abs. 1 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 2419/2001 wird der dem Betriebsinhaber gemäß Art. 36 Abs. 3 der Verordnung im Rahmen der Beihilferegelungen für Rinder für den betreffenden Prämienzeitraum zustehende Gesamtbetrag, gegebenenfalls nach Anwendung der Kürzungen gemäß Art. 38 der Verordnung, außer in Fällen höherer Gewalt oder bei außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 48 der Verordnung, um einen Betrag gekürzt, der nach der in Absatz 2 geregelten Formel zu berechnen ist, wenn bei einer Vor-Ort-Kontrolle bei nicht beantragten Rindern Verstöße gegen die Bestimmungen über die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern festgestellt worden sind. Nach Unterabsatz 3 der o.g. Vorschrift findet Art. 36 Abs. 4 der Verordnung entsprechend Anwendung. Nach dem hier einschlägigen Art. 36 Abs. 4 Buchst. b Satz 1 VO (EG) 2419/2001 gilt das betreffende Tier erst dann (bei einer Verwaltungs- oder Vor-Ort-Kontrolle) als nicht festgestellt, wenn es sich bei den festgestellten Unregelmäßigkeiten um fehlerhafte Eintragungen in das Register oder die Tierpässe handelt und diese Fehler bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt wurden.

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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar handelt es sich bei den fehlenden Austragungen aus dem Register der nicht mehr im Bestand des Klägers vorhandenen Rinder um Unregelmäßigkeiten im Hinblick auf die ordnungsgemäße Führung des Bestandsregisters (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95; siehe dazu Senatsurt. v. 28. Oktober 2004 - 10 LC 153/03 -, S. 11/12 des UA), jedoch fehlt es auch hier an einer innerhalb von 24 Monaten bei zwei Kontrollen getroffenen Feststellung im Rahmen einer Verwaltungs- oder Vor-Ort-Kontrolle.

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Unter diesen Umständen lässt der Senat offen, ob mit dem Verwaltungsgericht anzunehmen ist, dass bereits die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 nicht vorliegen.

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Der Zinsanspruch des Klägers ist nach § 14 Abs. 2 MOG in Verbindung mit § 238 AO gerechtfertigt.