Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.12.2004, Az.: 8 LA 262/04

Ablehnung; Beweisantrag; Beweisantragsablehnung; Gehörsrüge; Hilfsbeweisantrag; Insulin; Kosovo; rechtliches Gehör; Sachverständigengutachten; Verletzung des rechtliches Gehörs; zusätzliches Sachverständigengutachten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.12.2004
Aktenzeichen
8 LA 262/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 31.08.2004 - AZ: 5 A 73/04

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die von dem Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen.

2

Die sinngemäß aufgeworfene Frage, ob aus dem Kosovo stammende Roma bei einer Rückkehr in ihr Heimatland in Serbien und Montenegro außerhalb des Kosovo kostenlos ärztlich behandelt werden können, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Die Frage ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 12.1.2004 - 8 L 3730/99 - ) festgestellt, dass das zur Behandlung einer Diabetes-Erkrankung erforderliche (Human-) Insulin im Kosovo regelmäßig verfügbar ist (vgl. ergänzend Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo Pristina vom 6. September 2004 an das VG Augsburg). Dem aus Pristina (Kosovo) stammenden, an Diabetes erkrankten Kläger steht also dort die notwendige Versorgung zur Verfügung. Er ist nicht auf die von dem Verwaltungsgericht lediglich ergänzend angeführte und von dem Kläger nunmehr mit seinem Zulassungsantrag in Zweifel gezogene Niederlassungsmöglichkeit im übrigen Teil von Serbien und Montenegro außerhalb des Kosovo angewiesen.

3

Die Berufung kann auch nicht wegen der von dem Kläger behaupteten Versagung rechtlichen Gehörs wegen einer fehlerhaften Ablehnung seines Hilfsbeweisantrages zugelassen werden. Dieser in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO bezeichnete Verfahrensmangel liegt nicht vor.

4

Ob die gerügte prozessrechtswidrige Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages überhaupt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu begründen vermag (so GK - AsylVfG, § 78, Rn. 658, m. w. N.; VGH Mannheim, Beschl. v. 27.12.1993 - 16 S 2147/93 -, VBlBW 1994, 190 f. [BVerwG 10.12.1993 - BVerwG 1 B 160.93]; im Ergebnis ebenso BVerfG, Beschl. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 -, DVBl. 1993, 1002 f.; OVG Berlin, Beschl. v. 7.10.1999 - 3 N 207/97 -, NVwZ 2000, 1432; VGH Kassel, Beschl. v. 17.1.1996 - 10 ZU 3881/95 - InfAuslR 1996, 186 ff.; vgl. ferner BVerwG, Beschl. v. 30.1.2003 - 1 B 475/02 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 327) oder insoweit nur eine Aufklärungsrüge, die nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG in Asylrechtsstreitigkeiten aber nicht zur Zulassung der Berufung führt, in Betracht kommt (OVG Schleswig, Beschl. v. 3.9.2003 - 3 LA 87/03 -, AuAS 2004, 9 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 13.12.2002 - 1 A 384/02 -, NordÖR 2003, 67; VGH Kassel, Beschl. v. 7.2.2001 - 6 UZ 695/99 -, AuAS 2001, 203; im Ergebnis ebenso BVerwG, Beschl. v. 7.3.2003 - 6 B 16/03 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 55), kann vorliegend dahinstehen (ausdrücklich offen gelassen auch BVerfG, Beschl. v. 20.2.1992 - 2 BvR 633/91 -, NVwZ 1992, 659 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 7.8.2003 - 11 LA 231/03 -; OVG Weimar, Beschl. v. 29.3.1996 - 3 ZO 71/94 -).

5

Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrages stellt nämlich nur dann einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör dar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.4.2004 - 2 BvR 743/03 -; BVerwG, Beschl. v. 12.3.2004 - 6 B 2/04 -; GK-AsylVfG, § 78 Rn. 355, jeweils m. w. N.; ablehnend Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 138 Rn. 98). Dies wiederum ist nicht bereits bei einer aus Sicht eines Beteiligten sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrages der Fall, sondern setzt voraus, dass aus den konkret angegebenen Gründen ein Beweisantrag schlechthin nicht abgelehnt werden darf (VGH Mannheim, Beschl. v. 17.6.1998 - 14 S 1178/98 -, NVwZ- Beilage 1998, 110, m. w. N.). Dem Beteiligten muss durch eine im Ergebnis untragbare Ablehnung die Möglichkeit abgeschnitten worden sein, auf die Tatsachengrundlage des Gerichts durch die gewünschte Beweiserhebung einzuwirken (Dahm, NVwZ 2000, 1385 [OVG Berlin 07.10.1999 - 3 N 207/97]).

6

Ein solcher Fehler haftet der angefochtenen Entscheidung nicht an. Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsbeweisantrag, der sich sinngemäß auf die Feststellung bezog, dass das herkömmliche (Human-)Insulin zur Behandlung des Klägers unzureichend sei, er vielmehr zur Abwendung gesundheitlicher Schäden zwingend auf die beiden ihm verschriebenen Insulinanaloga angewiesen sei, sinngemäß als Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachten angesehen. Diese vertretbare Ansicht hat der Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht angegriffen. Soweit er einwendet, dass das Verwaltungsgericht sich zur Ablehnung eines weiteren Sachverständigengutachten zu Unrecht auf eine eigene Sachkunde berufen und dadurch das rechtliche Gehör verletzt habe, greift dieser Einwand nicht durch. Der von dem Verwaltungsgericht genannte Ablehnungsgrund der eigenen Sachkunde findet im Prozessrecht eine Stütze. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht es im tatrichterlichen Ermessen des Gerichts (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO in entsprechender Anwendung), ob es ein (weiteres) Sachverständigengutachten einholt oder dies insbesondere im Hinblick auf vorliegende Erkenntnismittel oder eine sonst vorhandene eigene Sachkunde ablehnt. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung allerdings für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar begründen und gegebenenfalls angeben, woher es seine Sachkunde hat (vgl. Beschl. v. 5.2.2002 - 1 B 18/02 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 319, m. w. N. ).

7

Ob das Fehlen einer solchen prozessrechtlich gebotenen Begründung für die eigene Sachkunde zugleich auch zu einem Gehörsverstoß führt, weil die Ablehnung des Beweisantrages ohne nähere Begründung der Sachkunde als im Ergebnis untragbar anzusehen ist, oder zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Berufung auf die eigene Sachkunde als Begründung hinreicht (so Schenk in Hailbronner, Ausländerrecht, § 78 AsylVfG Rn. 112), kann vorliegend dahinstehen. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Sachkunde zur Wahrung des rechtlichen Gehörs noch hinreichend begründet. Seine Sachkunde hat es sinngemäß auf die eingereichten Atteste der den Kläger behandelnden Ärzte sowie die Auskunft des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in Belgrad Dr. med. C. vom September 2003 an das Verwaltungsgericht D. gestützt. Nach der Auskunft von Dr. C. sind in Serbien und Montenegro die sogenannten Insulinanaloga Lantus und Novorapid nicht vorhanden, dafür stehe aber ein gutes Sortiment an Insulin-Präparaten mit Schnell-, Langzeit- und Ultralangzeitwirkung zur Verfügung. Die den Kläger behandelnden Ärzte haben angegeben, dass sich durch die Insulinanaloga, mit denen der Kläger behandelt wird, gegenüber den herkömmlichen sogenannten Humaninsulinpräparaten im Einzelfall die Blutzuckerstoffwechsellage optimieren lasse. Insbesondere führe der Einsatz des Insulinanalogon Novorapid mit Kurzzeitwirkung zu einer besseren Senkung der Blutzuckerwerte nach dem Essen sowie der Einsatz des Lantus Insulin zu einer Verminderung der allgemeinen Unterzuckerungsrate. Das Verwaltungsgericht hat daraus zu Recht gefolgert, dass es sich bei der gegenwärtig erfolgenden Behandlung des Klägers mit den aufgeführten Insulinanaloga um eine Optimierung seiner Therapie handelt. Es fehlen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die grundsätzlich ausreichende und in seinem Heimatland übliche Versorgung mit Humaninsulin zu einer im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erheblichen Gefährdung des Klägers führen würde. Diese Einschätzung der besonderen Vorteile von Insulinanaloga entspricht den allgemein zugänglichen Erkenntnissen. Danach (vgl. etwa www. diabetes -forum und diabetesinfo jeweils zu “Insulinanaloga“) unterscheiden sich die Insulinanaloga von dem bisher eingesetzten (Human-)Insulin durch den Austausch einzelner Eiweißbausteine und erlauben durch ihre schnellere Wirkung - wie Novo Rapid - oder durch ihre gleichmäßigere, längere Wirkung - wie Lantus - eine gezieltere, einfachere Stabilisierung des Blutzuckerspiegels. Sie unterscheiden sich aber nicht grundsätzlich in ihrer Wirkungsweise von dem bisher verwandten Humaninsulin. Warum im Falle des Klägers der Einsatz von Insulinanaloga entgegen diesen allgemeinen Erkenntnissen und der eingereichten ärztlichen Atteste, die von “therapeutischen Vorteilen“ bzw. “einer Optimierung der Blutzuckerstoffwechsellage“, nicht aber von einer “Unverzichtbarkeit“ sprechen, an Stelle der verfügbaren Humaninsulinpräparate mit unterschiedlichen Wirkungszeitpunkten zur Abwendung von erheblichen gesundheitlichen Schäden erforderlich sein soll, ist nicht erkennbar und wird von dem Kläger auch nicht begründet. Bei dieser Sachlage durfte sich das Verwaltungsgericht daher zur Ablehnung des Hilfsbeweisantrages auf die dargelegte eigene Sachkunde berufen.

8

Im Übrigen ist die unter Beweis gestellte Frage, die sich auf die Unverzichtbarkeit des Einsatzes der beiden Insulinanaloga bezieht, ohnehin in dieser Form nicht entscheidungserheblich. Denn abweichend von der vom Verwaltungsgericht zitierten Auskunft des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in Belgrad, die sich auf die Verhältnisse in Serbien und Montenegro (ohne den Kosovo) bezieht, ist nach der Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Pristina (Kosovo) vom 6. November 2003 das von dem Kläger eingenommene Insulinanalogon Novo Rapid im Kosovo verfügbar. Daher stellt sich nicht die Frage, welche Folgen es für ihn hat, wenn er auf beide Insulinanaloga bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz verzichten müsste.