Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.12.2004, Az.: 2 LA 943/04

Unfall mit einem Dienstfahrzeug wegen grob fahrlässigen Verhaltens beim Rückwärtsfahren; Unterscheidung der Sorgfaltspflichten im fließenden Verkehr und beim Parken; Antrag auf Zulassung der Berufung; Anforderungen an die Begründung des Antrags

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.12.2004
Aktenzeichen
2 LA 943/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:1215.2LA943.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 25.03.2004 - AZ.: 2 A 1658/03

Fundstellen

  • KommJur 2005, 238-239
  • NVwZ-RR 2005, 329 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Antrag auf Zulassung der Berufung

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 2. Senat -
am 15. Dezember 2004
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 2. Kammer - vom 25. März 2004 zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 5.026,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil vom 25. März 2004 zuzulassen, mit dem das Verwaltungsgericht die von dem Kläger gegen eine Schadensersatzforderung des Beklagten nach § 86 NBG erhobene Klage abgewiesen hat, bleibt erfolglos. Denn der von dem Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch.

2

1.

Der Kläger hat nicht darlegen können, dass das angefochtene Urteil ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit ausgesetzt ist, sodass eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht kommt.

3

1.1

Die Zulassung der Berufung erfordert, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO bezeichneten Zulassungsgründe eindeutig geltend gemacht sowie innerhalb der Antragsfrist aus sich heraus verständlich näher dargelegt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) wird, dass und aus welchen Gründen dieser Zulassungsgrund vorliegen soll. An die Darlegung sind nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1997, 282; s. auch Schenke, NJW 1997, 81; Bader, DÖV 1997, 442; ders., in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 1999, RdNrn. 27ff. zu § 124 a; Seibert, DVBl. 1997, 932; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 34 zu § 124 a). Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbstständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinander setzen. Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Zulassungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringen oder gar eine - ergänzende - Bezugnahme hierauf (Schenke, in: Kopp/Schenke, a.a.O.; vgl. auch Bader, NJW 1998, 409(410)). Insgesamt ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, DVBl. 407).

4

1.2

Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist, und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden.

5

Hiernach ist für die Darlegung hinreichend, dass sich ein Antrag nicht darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, sondern hinreichend fallbezogenen und substantiiert (insoweit hängen die Darlegungsanforderungen auch von der Art und dem Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab) auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingeht, deren Unrichtigkeit mit zumindest vertretbaren, jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen dartut und sich dazu verhält, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht. Für das - gesondert zu prüfende - Darlegungserfordernis reicht es auch bei einer - objektiv im Ergebnis - eindeutig unrichtigen Entscheidung jedenfalls nicht aus, dass die Unrichtigkeit lediglich allgemein behauptet wird, sich diese aber nicht aus dem Antrag selbst, sondern erst nach einer Durchsicht der Akten erschließt. Ernstliche Zweifel i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.1.1999 - 12 L 5431/98 - , NdsVBl. 1999, 93; Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Sept. 2003, RdNrn. 395 g, h zu § 80; Happ, in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1998, RdNr. 20 zu § 124) . Hierbei reicht es aus, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458(1459) = NdsVBl. 2000, 244(245) = NVwZ 2000, 1163).

6

1.3

Nach diesen Grundsätzen kann dem von dem Kläger auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Zulassungsantrag nicht entsprochen werden.

7

1.3.1

Der Kläger will ernstliche Zweifel i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zunächst daraus herleiten, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung vom 25. März 2004 zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass er als Fahrer eines Dienstkraftfahrzeuges am 16. August 2000 beim Zurücksetzen grob fahrlässig i. S. des § 86 Abs. 1 Satz 1 NBG gehandelt und dadurch dem Dienstherrn einen nach § 86 NBG zu ersetzenden Schaden zugefügt habe. So habe das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil den Umfang der von ihm beim Rückwärtsfahren auf dem Parkplatz vor der sog. Baxmannbaude zu beachtenden Sorgfaltspflichten verkannt; zwar seien von der Rechtsprechung für das Rückfahrtsfahren im Grundsatz besondere Sorgfaltspflichten aufgestellt worden, dies sei aber nur für den fließenden Verkehr geschehen. Hier habe sich der Unfall mit dem Dienstfahrzeug hingegen auf einem Parkplatz ereignet, sodass die erwähnten (erhöhten) Sorgfaltspflichten, die für das Rückwärtsfahren gelten würden, nur mit Einschränkungen anzuwenden seien, was das Verwaltungsgericht bei der Würdigung seines - des Klägers - Verhaltens als grob fahrlässig außer Acht gelassen habe.

8

Mit diesem Vorbringen ist es dem Kläger aber nicht gelungen, die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu dem dem Kläger vorzuhaltenden grobfahrlässigen Verhalten, das zu dem Unfallereignis vom 16. August 2000 geführt hat, ernstlich in Zweifel zu ziehen. Allerdings trifft es zu, dass nach der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 5.6.1978 - 3 Ws (B) 160/78 OwiG -, DAR 1980, 247; KG, Urt. v. 22.11.1982 - 12 U 1819/82 -, VRS 64, 103; OLG Hamburg, Beschl. v. 12.11.1999 - 2 Ss 147/99 -, DAR 2000, 41) und Literatur (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, RdNr. 51 zu § 9 StVO) die Bestimmung des § 9 Abs. 5 StVO, die einem Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren besonders hohe Sorgfaltspflichten auferlegt, auf Parkplätzen und in Parkhäusern nur in eingeschränktem Maße Anwendung finden soll, weil auf Parkplätzen geringere Geschwindigkeiten gefahren werden und auf diesen Verkehrsflächen in besonderem Maße mit rückwärts ausparkenden Fahrzeugen gerechnet werden muss. Dies entbindet den auf einem Parkplatz rückwärtsfahrenden Fahrzeuglenker aber nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls nicht von besonderen Sorgfaltspflichten in Bezug auf das eigene, von ihm gelenkte Fahrzeug; denn das Rückwärtsfahrmanöver stellt einen atypischen Verkehrsvorgang dar, dem wegen der vom Normalbetrieb abweichenden technischen Handhabung des rückwärts sich fortbewegenden Fahrzeuges eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet (vgl. OLG Hamburg, a.a.O.), auch werden die Sichtverhältnisse in der Regel eingeschränkt sein, was zur Vermeidung von Unfällen ebenfalls durch erhöhte Sorgfaltspflichten oder - im Falle von Sichteinschränkungen, insbesondere beim Vorliegen eines sog. toten Winkels - durch die Inanspruchnahme eines Einweisers (vgl. Burmann, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl. 2000, RdNr. 70 zu § 9) kompensiert werden muss. Hier hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Kläger, dem überdies nach seinen Erklärungen in der Unfallanzeige vom 17. August 2000 der hier interessierende Parkplatz bekannt war, die markante Douglasie mit einem Stammdurchmesser von mindestens 50 cm nicht nur bei der Rückankunft nach der Nachsuche auf dem Parkplatz, sondern auch beim Verladen seines Schweißhundes und schließlich auch beim Rückwärtsfahren selbst aufgefallen sein muss. Wenn der Kläger gleichwohl die Abfahrt des vor seinem Fahrzeug stehenden Kraftwagens des Forstoberrats B., nach dessen Abfahrt er problemlos und ohne Rückwärtsfahren den Parkplatz hätte verlassen können, nicht abgewartet hat und er trotz des von ihm geltend gemachten 'toten Winkels', in dem sich die Douglasie befunden haben soll, auf eine Einweisung durch B. oder den ebenfalls noch anwesenden Jagdpächter verzichtet hat, so kann es nicht beanstandet werden, wenn dieses Verhalten vom Verwaltungsgericht als grob fahrlässig eingestuft worden ist. Dies gilt auch dann, wenn sich die Douglasie entgegen der Behauptung des Klägers nicht im 'toten Winkel' der drei dem Kläger zur Verfügung stehenden Spiegel befunden haben sollte; denn in diesem Fall hätte der Kläger unter Beobachtung des Baumes in den Spiegeln nur mit äußerster Vorsicht und mit wesentlich geringer Geschwindigkeit als die von ihm gefahrenen ca. 10 km/h, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die ihm ggf. ein sofortiges Anhalten ermöglicht hätte (vgl. Burmann, a.a.O., RdNr. 69), zurückstoßen dürfen.

9

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, die Douglasie sei für ihn wegen des angrenzenden Waldes nicht zweifelsfrei als einzelner Baum erkennbar gewesen, vermag der Senat dieser Behauptung keinen Glauben zu schenken. Die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen beiden Lichtbilder der Douglasie zeigen mit hinreichender Deutlichkeit, dass diese abgesetzt vom Waldrand steht und, wie dies das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend beschreibt, jedem Benutzer des Parkplatz sofort als Solitär ins Auge fallen musste. Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, er sei um seinen wertvollen Schweißhund besorgt und deshalb infolge der dem Hund gewidmeten latenten Aufmerksamkeit in seinem Reaktionsvermögen beim Rückwärtsfahren beeinträchtigt gewesen. Gerade wenn die Aufmerksamkeit und damit das Reaktionsvermögen des Klägers beim Rückwärtsfahren durch seinen Hund tatsächlich beeinträchtigt gewesen sein sollte, hätte er nur dann nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er entweder die Hilfe eines Einweisers in Anspruch genommen oder die Abfahrt des vor ihm parkenden Fahrzeuges abgewartet hätte.

10

1.3.2

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils hat der Kläger auch nicht hinsichtlich der von ihm nach § 86 NBG verlangten Schadenshöhe, die das Verwaltungsgericht gebilligt hat, darlegen können.

11

Soweit der Kläger behauptet, die Schätzung des Schadens (geschätzte Reparaturkosten in Höhe von 14.500 DM) beruhten nicht auf einer gutachtlichen Äußerung, sondern allein auf den Angaben der Firma C. aus D., trifft dies nicht zu. Die Schadensschätzung der Firma C. ist vielmehr von dem Beklagten durch einen Gutachter, den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Kraftfahrzeug-Techniker-Handwerk E. aus F., (auch) überprüft worden. Der Sachverständige hat die angenommene Schadenshöhe von 14.500 DM für angemessen erachtet. Bei dieser Sachlage, d. h. bei einer durch einen Sachverständigen bestätigten Schadensschätzung bedurfte es keiner kostenaufwändigen Begutachtung des verunfallten Fahrzeuges selbst durch einen Gutachter.

12

Dem Kläger ist es auch nicht gelungen, hinsichtlich des von dem Beklagten ermittelten Zeitwerts (Händlereinkaufswerts) im Zeitpunkt des Unfalls, der in dem angefochtenen Urteil ebenfalls gebilligt worden ist, ernstliche Zweifel hervorzurufen. Der Händlereinkaufswert von 14.081 DM ist anhand der konkreten Fahrzeugmerkmale nicht nur nach dem DAT-System bei einem Gebrauchtwagenhändler ermittelt, sondern zusätzlich unter Verwendung der sog. Schwacke-Liste durch einen bei der Bezirksregierung Hannover tätigen amtlich anerkannten Sachverständigen überprüft worden, der den von dem Gebrauchtwagenhändler ermittelten Zeitwert ohne Einschränkungen bestätigt hat. Dieser sorgfältigen Wertermittlung setzt die Darlegung nur die nicht näher belegte Vermutung von etwaigen Vorschäden und die lediglich allgemein gehaltene Behauptung entgegen, Dienstfahrzeuge der Forstverwaltung würden stärkeren Beanspruchungen als ausschließlich im Straßenverkehr eingesetzte Fahrzeuge ausgesetzt sein. Diese nicht näher substantiierte Vermutung und Behauptung genügen aber dem Darlegungsgebot angesichts der aufgezeigten Ermittlung des Zeitwerts nicht, zumal das Unfallfahrzeug im August 2000 erst seit viereinhalb Jahren zugelassen war und einen Kilometerstand von unter 60.000 km aufwies.

13

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

14

3.

Der Streitwert ergibt sich für das bereits im Mai 2004 eingeleitete Rechtsmittelverfahren aus den §§ 71 Abs. 1 Satz 1, 72 Nr. 1 GKG (i.d.F. des Art. 1 KostRMoG v. 5.5.2004, BGBl. I S. 718) i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG a.F. .

15

4.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO/§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.) .

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 5.026,00 EUR festgesetzt.

Munk
Nelle
Prof. Dr. Petersen