Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.12.2004, Az.: 1 LA 287/03
Klage gegen die Genehmigung eines Stalles wegen unzumutbarer Gerüche; Ablehnung der Einholung von Gutachten durch das Gericht; Bauen eines Stalles im Außenbereich; Pflicht zur Duldung von landwirtschaftlichen Gerüchen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.12.2004
- Aktenzeichen
- 1 LA 287/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 34944
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2004:1221.1LA287.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 25.07.2003 - AZ: 2 A 178/01
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO
- § 244 StPO
Fundstelle
- BauR 2005, 68-69 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Bauvorbescheid - Antrag auf Zulassung der Berufung
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat - hat
am 21. Oktober 2004
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 25. Juli 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für das Verfahren im ersten Rechtszug auf 12.500,-- EUR und für das Zulassungsverfahren auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich zum Schutze seines Wohngrundstücks im Außenbereich vor ihm unzumutbar erscheinenden Gerüchen gegen die Genehmigung des sog. Stalles Nr. 9 des Beigeladenen. Dessen Aufstellungsort liegt gut 100 m westlich des klägerischen Grundstücks. Darin will der Beigeladene 300 weitere Schweine mästen. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen gegen den entsprechenden Bauvorbescheid der Beklagten vom 7. März 2001 und den Bauschein vom 28. Januar 2002 nebst der dazu ergangenen Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Weser-Ems vom 24. Oktober 2001 und 28. Januar 2003 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zusammengefasst und mit der hier angegriffenen Entscheidung abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das im Vorbescheidsverfahren eingeholte Immissionsschutzgutachten der Landwirtschaftskammer Weser-Ems vom 30.1.2001 (BA B) und seine Eilentscheidung vom 18. November 2002 - 2 B 14/02 - bezogen. Auf die Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich der rechtzeitig gestellte, auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gestützte Zulassungsantrag des Klägers. Er meint, das Verwaltungsgericht habe seinen Antrag, ein weiteres Immissionsgutachten einzuholen, in der mündlichen Verhandlung nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, die hier anstehenden Fragen seien durch die Immissionsbegutachtung vom 30. Januar 2001 bereits vollständig beantwortet.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Angriff, die angegriffene Entscheidung beruhe auf einem Verfahrensfehler, greift nicht durch.
Mit dem Zulassungsantrag wendet sich der Kläger nicht grundsätzlich gegen die Befugnis des Verwaltungsgerichts, in entsprechender Anwendung des § 244 StPO die Einholung weiterer Gutachten abzulehnen. Das entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. B. v. 12.4.1972 - VI B 65.71 -, VwRspr. 24, S. 413). Er meint lediglich, das oben zitierte Gutachten habe nicht ausgereicht, weil es die Frage der Verträglichkeit beider miteinander konkurrierenden Nutzungen unzutreffend behandele. Denn - erstens - ende die Isoplethe, welche die Landwirtschaftskammer für die allein vom Grundstück des Beigeladenen ausgehenden Gerüche einer Intensität von 1 Geruchseinheit je Kubikmeter Luft (1 GE/m³) an 10 % der Jahresstunden gebildet habe, nur wenige Meter vor seinem Nebengebäude und seinem Wohnhaus; schon das könne nicht als ausreichend angesehen werden. Zweitens leide die Begutachtung unter dem nicht nachvollziehbar erklärten Mangel, dass die Isoplethe, welche den Geruchseintrag von 1 GE/m³ an 10 % der Jahresstunden für die Betriebe des Beigeladenen und des Herrn Ostermeyer darstellen solle, nur geringfügig näher an sein Wohnhaus heranrücke, obwohl diese beiden Betriebe westlich seines Wohngrundstückes lägen. Wegen der gesteigerten Geruchsfracht müsse die Isoplethe daher erheblich weiter greifen und dabei sein Wohnhaus mit dem an seiner Südwestseite angelegten Freisitzes einschließen.
Diese Rügen greifen nicht durch. Sie ziehen das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis nicht in Zweifel mit der Folge, dass die angegriffene Entscheidung nicht auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht.
Das Verwaltungsgericht hat eingangs der Entscheidungsgründe (S. 9 Mitte UA) zur Begründung unter anderem den Inhalt seines Eilbeschlusses vom 18. November 2002 uneingeschränkt in Bezug genommen und zur weiteren Begründung hierauf verwiesen. Am Ende dieses Beschlusses hatte das Verwaltungsgericht - ergänzend, aber selbstständig tragend - ausgeführt, eine Antragsstattgabe müsse zudem deshalb ausscheiden, weil im Außenbereich und Dorfgebieten Geruchseinwirkungen von nur 1 GE/m³ an 15 % oder sogar 20 % der Jahresstunden hingenommen werden müssten.
Hiergegen enthält das Zulassungsantragsvorbringen keine Ausführungen. Auch der Senat hat (unter anderem in seinem Urteil vom 25.7.2002 - 1 LB 980/01 -, RdL 2002, 313 = NVwZ-RR 2003, 24 [OVG Niedersachsen 25.07.2002 - 1 LB 980/01] = AgrarR 2003, 58) der GIRL Folgendes entnommen: In Anlage 2 zum Einführungserlass zur GIRL (vom 14.11.2000, NdsMBl. 2001, 224) wird zu Nr. 3.1 (Zuordnung der Immissionswerte) ausgeführt, dass der für Gewerbe- und Industriegebiete angegebene Immissionswert von 0,15 (d.h.: an bis zu 15 % der Jahresstunden dürfen 1 GE/m³ auf das Grundstück einwirken) auch für die Bereiche gelte, in denen die Landwirtschaft überwiege. In den Erläuterungen der Anlage 2 zur Nr. 5 wird sogar unter Bezug auf eine MIU-Begutachtung (vgl. Anl. 2, Zu Nr. 1, 3. Abs. = S. 231 des Ministerialblattes) ausgeführt, in begründeten Fällen könne in Dorfgebieten der Geruchseintrag von 1 GE/m³ sogar bis zu 20 % der Jahresstunden betragen, ohne dass die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschritten werde.
Diese Ausführungen gelten auch hier. Das Grundstück des Klägers liegt eindeutig im Außenbereich (vgl. Übersichtskarte in BA B). In seiner näheren Umgebung liegen massiert landwirtschaftliche Betriebe. Das begründet eine erhöhte Pflicht des Klägers, landwirtschaftliche Gerüche hinnehmen zu müssen. Der in jedem Fall statthafte Geruchseintrag beträgt daher 1 GE/m³ an 15 % der Jahresstunden. Die gegen die Begutachtung der Landwirtschaftskammer Weser-Ems vom 30. Januar 2001 erhobenen Einwendungen werden sich - selbst wenn sie inhaltlich zuträfen - in keinem Fall so auswirken, dass selbst dieser Wert überschritten würde. Die angegriffene Entscheidung kann daher nicht im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen. Schon deshalb scheidet die Zulassung der Berufung aus.
Es kommt hinzu, dass das Verwaltungsgericht schon im Eilbeschluss vom 18. November 2002 den zweiten Zulassungsangriff ausreichend behandelt hatte. Gerade die vom Kläger in der Zulassungsantragsbegründung (S. 3) genannten Zahlen belegen die Richtigkeit der Annahme, auch bei Kumulation der von den Betrieben des Beigeladenen und des Landwirts J. ausgehenden Gerüche werde nur das Nebengebäude des Klägers, nicht aber dessen Wohnhaus und dessen geschützter Außenwohnbereich von der dann maßgeblichen Isoplethe erfasst. Denn ein "reiner Westwind" ist auch nach dem Zulassungsantragsvorbringen nur in 9,8 % der Jahresstunden zu verzeichnen, während der Südwestwind, welche sich gerade hinsichtlich des Hofes Ostermeyer günstig auf das Wohngrundstück des Klägers auswirkt, weil er die Gerüche an dessen Grundstück vorbeitreibt, an 15,5 % der Jahresstunden bläst.
Auch der erste Zulassungsangriff ist nicht schlüssig. Wenn man sich schon durch ein spezielles Berechnungsverfahren nicht mit den kreisförmig verlaufenden Immissionsradien der VDI-Richtlinie 3471 begnügt, sondern konkret den Verlauf zu ermitteln sucht, ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, dann zu Lasten des Landwirts "Zuschläge" zu machen, die dann doch, d.h. entgegen der Berechnung, die Annahme unzumutbarer Geruchsbeeinträchtigungen belegen sollen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Streitwertbeschluss:
Unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für das Verfahren im ersten Rechtszug auf 12.500,-- EUR und für das Zulassungsverfahren auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Die Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts ist gem. § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG in der hier noch anzuwendenden Altfassung zu korrigieren. Der Kläger hat sich zwar gegen mehrere Bescheide gewandt. Diese Klagehäufung rechtfertigt eine Addierung der Streitwerte indes nur dann, wenn der Angriff gegen die Baugenehmigung im Verhältnis zum Bauvorbescheid gem. dem hier noch anzuwendenden § 5 ZPO eine selbstständige Bedeutung hat (vgl. BW VGH, B. v. 10.11.1994 - 3 S 1795/94 -, JurBüro 1995, 539 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerwG). Das ist nicht der Fall. Schon im Vorbescheid vom 7. März 2001 ist die Verträglichkeit der konkurrierenden Nutzungen abschließend geregelt. Der Bauschein vom 28. Januar 2002 fügt dem keine weitere Beschwer hinzu, sondern übernimmt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zum Verhältnis von Vorbescheid und Bauschein (vgl. z.B. B. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BauR 1999, 1163 = BRS 62 Nr. 190) lediglich die abschließend bereits unter dem 7. März 2001 getroffene Regelung. Daher ist aufgrund der vom Verwaltungsgericht insoweit zutreffend angestellten Erwägungen für das Verfahren im ersten Rechtszug nur der Wert von 12.500,-- EUR maßgeblich. Für das Zulassungsverfahren ist gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. iVm. Nr. 8 lit. a) der regelmäßigen Streitwertannahmen des 1. und 9. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts für Verfahren, die nach dem 1.1.2002 anhängig geworden sind (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197), ein Wert von 15.000,-- EUR anzunehmen.
Claus
Dr. Rettberg