Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.12.2004, Az.: 2 ME 1245/04
Anfechtung; Beamter; Belehrungspflicht; Beratungspflicht; Dienstherr; Disziplinarverfahren; Entlassung; Entlassungsantrag; Fürsorgepflicht; Post; unabdingbare Vertrauensgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.12.2004
- Aktenzeichen
- 2 ME 1245/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 02.09.2004 - AZ: 2 B 3199/04
Rechtsgrundlagen
- § 30 BBG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Entlassung eines Beamten auf Verlangen und zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn bei Entgegennahme und Bescheidung des Entlassungsantrags.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. September 2004 bleibt ohne Erfolg, da es das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt hat, dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und die damit verbundenen und in der Hauptsache angefochtenen Bescheide zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht hat seine auf § 30 BBG gestützte Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller einen wirksamen Entlassungsantrag gestellt habe, den er im Nachhinein nicht widerrufen, zurücknehmen oder anfechten könne. Der Antragsteller habe sich bei Abgabe der maßgeblichen Erklärung vom 25. Mai 2004 weder in einem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum befunden, noch sei er durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zur Abgabe des Entlassungsantrags bestimmt worden. Auch lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin durch die Entlassung des Antragstellers die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verletzt haben könnte. Ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht könne insbesondere nicht darin gesehen werden, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller noch am Tage der Antragstellung aus dem Beamtenverhältnis entlassen habe.
Der Senat teilt in allen Punkten die rechtliche Würdigung der Vorinstanz und macht sich deren Entscheidungsgründe im Einzelnen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu eigen. Das Beschwerdevorbringen, das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bestimmt, rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
Der Senat vermag dem Antragsteller nicht in seiner Annahme zu folgen, das Verwaltungsgericht habe dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Entlassung einen zu geringen und daher im Ergebnis nicht zu rechtfertigenden Stellenwert eingeräumt; insbesondere sei das Verwaltungsgericht nicht von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der mit der Klage angefochtenen Entlassungsverfügung ausgegangen und habe zudem das die sofortige Vollziehung rechtfertigende Interesse nicht konkret benannt. Mit diesen Angriffen gegen die angefochtene Verfügung vom 25. Mai 2004 und die nachgeschobene Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 11. Juni 2004 verkennt der Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht die die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung rechtfertigenden Erwägungen der Antragsgegnerin vom 11. Juni 2004 - Fortzahlung der Dienstbezüge bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache bei gleichzeitiger Gefährdung der Durchsetzbarkeit eines Rückzahlungsanspruchs - gewürdigt und für tragfähig angesehen hat. Auch durfte das Verwaltungsgericht die von ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung maßgeblich an dem zu erwartenden Ausgang des Klageverfahrens orientieren, wobei der Hinweis auf die geringen Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels nichts anderes besagt, als dass sich die angefochtene Entlassungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird mit der Folge, dass an der sofortigen Vollziehbarkeit eines rechtmäßigen Verwaltungsakts regelmäßig ein gerechtfertigtes öffentliches Interesse besteht.
Anders als der Antragsteller meint, vermag der Senat im Hinweis des Antragstellers, ihm sei die Bedeutung und Tragweite der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nicht bekannt gewesen, einen Anfechtungsgrund für den Entlassungsantrag vom 25. Mai 2004 nicht zu erkennen. Dabei kann es auf sich beruhen, ob das Verwaltungsgericht seine Einschätzung, der Antragsteller habe den Entlassungsantrag bewusst gestellt, um einem Strafverfahren und einem Disziplinarverfahren zu entgehen, unter anderem auf das später gefertigte anwaltliche Schreiben vom 25. Juni 2004 stützen durfte. Denn dieser Hinweis auf die fehlende Kenntnis über die Bedeutung des Entlassungsantrages ist nicht geeignet, die eigentliche Feststellung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, der Antragsteller sei bei Abgabe des Entlassungsantrags keinem Inhalts- oder Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB unterlegen, sondern habe sich mit Blick auf die Bedeutung und Tragweise der angestrebten Entlassungsverfügung allenfalls in einem unbeachtlichen Motivirrtum, also einem Irrtum im Beweggrund befunden, welcher ein Anfechtungsrecht nicht begründet. Im Übrigen teilt der Senat die Annahme des Antragstellers, die Bedeutung seines Entlassungsantrags sei für ihn nicht überschaubar gewesen, nicht, da die Antragsgegnerin anlässlich des Personalgesprächs am 25. Mai 2004 auf die Folgen der Beendigung des Beamtenverhältnisses hingewiesen hat, wie dies im Einzelnen der von dem Antragsteller unterzeichneten Verhandlungsniederschrift vom 25. Mai 2004 zu entnehmen ist.
Im Hinblick auf die der vorstehend genannten Verhandlungsniederschrift vom 25. Mai 2004 beigefügten Belehrungen über die Konsequenzen des Ausscheidens aus dem öffentlichen Dienst vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin durch die Entgegennahme des Entlassungsantrags und seiner sofortigen Bescheidung gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verstoßen haben könnte. Dies gilt umso mehr, als die Antragsgegnerin in ihrer Belehrung im Einzelnen auf die finanziellen Folgen der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis eingegangen ist und auf die fehlenden Ansprüche auf finanzielle Zuwendungen wie Dienst- und Versorgungsbezüge, Übergangsgeld, Unterhaltsbeitrag oder die Abgeltung etwaigen Resturlaubs hingewiesen hat. Soweit hat der Antragsteller in diesem Zusammenhang eine weitere Aufklärung über finanzielle Folgen anderer Art, wie über einen fehlenden Anspruch auf Arbeitslosengeld oder über die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialhilfe vermisst hat, legt die Beschwerde nicht dar, dass die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht einen Aufklärungsmaßstab umfasst, der im Hinblick auf die angesprochenen finanziellen Zuwendungen über den dienstrechtlichen Rahmen hinausgeht und andere Lebenssachverhalte einzubeziehen hat. Er muss sich vielmehr entgegenhalten lassen, dass dem Dienstherrn bei Entgegennahme eines formgültigen Entlassungsantrags generell überhaupt keine allgemeine Verpflichtung trifft, einen Beamten über die Rechtsfolgen einer Entlassung zu belehren (BVerwG, Urt. v. 05.11.1969 - V C.43.69 -, BVerwGE 34, 168, 173). Der Dienstherr darf im Regelfall vielmehr davon ausgehen, dass sich der Beamte über die Folgen seines Antrags im Klaren ist. Aus Gründen der Fürsorge kann sich allenfalls dann eine Belehrungs- oder Beratungspflicht ergeben, wenn sich der Beamte erkennbar in einem Irrtum über die Folgen seines Antrags befindet oder wenn der Antrag in einem Zustand heftiger seelischer Erregung gestellt wurde oder sonstige außergewöhnliche Umstände den Beamten zur Antragstellung veranlasst haben und bei verständiger Würdigung des Sachverhalts anzunehmen ist, dass er den Antrag bei vernünftiger oder reichlicher Überlegung nicht gestellt hätte. Darüber hinaus überspannen die von dem Antragsteller vermissten Angaben und Hinweise auf spätere Lohnersatzleistungen den Umfang der Aufklärungspflicht des Dienstherrn. Wie sich die berufliche Zukunft eines aus dem Dienst entlassenen Beamten gestaltet und welche finanziellen Zuwendungen dieser im Zusammenhang mit seinem neuen beruflichen Umfeld beanspruchen kann, hängt in erster Linie von seiner Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt ab und ist der Einflusssphäre sowie dem Zuständigkeitsbereich seines bisherigen Dienstherrn entzogen. Im Übrigen dürfte es - worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist - hinreichend bekannt sein, dass ein Arbeitssuchender, der keine Beiträge an die Solidargemeinschaft der Arbeitslosenversicherten geleistet hat, auch keine Ansprüche gegen die Versichertengemeinschaft geltend machen kann. Gegenteiliges folgt entgegen der Annahme des Antragstellers auch nicht aus den auf Seite 6 seiner Antragsbegründung vom 24. Juni 2004 angeführten Rechtsprechungs- und Literatur nachweisen. Diesen Nachweisen ist lediglich zu entnehmen, dass ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht zur Rechtswidrigkeit einer Entlassungsverfügung führen kann; sie besagen dagegen nicht, dass die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht Hinweise und Angaben über die von dem Antragsteller vermissten Lohnersatzleistungen umfasst.
Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin nicht dadurch gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verstoßen hat, dass sie noch am Tag der Antragstellung die Entlassung des Antragstellers verfügt und ihm die Entlassungsurkunde ausgehändigt hat. Abgesehen davon, dass der Dienstherr lediglich berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, den Ablauf der zweiwöchigen Rücknahmefrist nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BBG abzuwarten (vgl. dazu Zängl, in: GKÖD, Stand: Dezember 2004, § 30 BBG, RdNr. 37), war dem Antragsteller zu dem Zeitpunkt seiner Entlassung am 25. Mai 2004 seit mehreren Tagen bekannt, dass er, nachdem die Antragsgegnerin die Manipulationen bei der Abrechnung eingenommener Nachnahmebeträge aufgedeckt und am 19. Mai 2004 zum Gegenstand einer ausführlichen Befragung gemacht hatte, mit schwerwiegenden dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen musste. Dabei mag er in erster Linie mögliche auf ihn zukommende disziplinarrechtliche Maßregelungen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt haben. Es kann in diesem Zusammenhang indes nicht als unzulässiges Überraschungsangebot oder gar als nicht zu rechtfertigende Ausnutzung der Arglosigkeit des Antragstellers angesehen werden, wenn ihm sein Dienstherr bei gleichzeitigem Verzicht auf eine straf- und disziplinarrechtliche Ahndung seiner Dienstpflichtverletzungen mit Blick auf einen folgenden beruflichen Neuanfang das unverzügliche Ausscheiden aus dem Dienst im Wege eines freiwilligen Entlassungsverfahrens nahe legte. Das gilt um so mehr, als in dem nachdrücklichen Vorhalten eines Straf- oder Disziplinarverfahrens durch den Dienstherrn eine widerrechtliche Drohung nicht gesehen werden kann (vgl. Battis, BBG, 3. Aufl., 2004, § 30, RdNr. 4; Zängl a.a.O. RdNr. 27) und ein anschließendes Disziplinarverfahren voraussichtlich ohnehin zu einer Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst geführt hätte. Seine Auffassung, dass die Entfernung aus dem Dienst nicht als einzige Disziplinarmaßnahme in Erwägung zu ziehen und auch an eine Kürzung der Dienstbezüge zu denken gewesen sei, ist mit der einschlägigen disziplinarrechtlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. Der Antragsteller muss sich insoweit vielmehr entgegenhalten lassen, dass ein Beamter der sich an ihm amtlich anvertrauten oder zugänglichem Geld vergreift und in diesem Zusammenhang von Postkunden eingezogene Nachnahmebeträge und Zustellungsentgelte - sei es auch nur vorübergehend - unberechtigt für eigene Zwecke verwendet, ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich der ihm obliegenden dienstlichen Pflichten begeht. Eine solche Pflichtverletzung zerstört regelmäßig das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Beamten. Die Post ist auf diese Zuverlässigkeit beim Umgang mit anvertrauten und eingezogenen Geldern angewiesen. Eine lückenlose Kontrolle ist nicht möglich und muss weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für den geordneten Ablauf des Postbetriebs unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, kann nach der ständigen disziplinargerichtlichen Rechtsprechung nicht länger Beamter bleiben (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 06.05.1998 - 1 D 45/97 -; Urt. v. 23.11.1988 - 1 D 25/88 -, Dok.Ber. B 1989, 135).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 2, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG (i.d.F. des Art. 1 KostRMoG v. 05.05.2004 (BGBl. S. 718), vorbei der sich danach ergebende Streitwert in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes um die Hälfte zu ermäßigen ist.