Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.05.2001, Az.: 74 IK 6/01

Berücksichtigung der während der Prüfdauer eines Schuldenbereinigungsplanes anfallenden Säumniszuschläge bei der Prüfung der wirtschaftlichen Schlechterstellung; Berücksichtigung der Säumniszuschläge des Finanzamtes können ab Antragstellung; Versagung der Restschuldbefreiung im eröffneten Verfahren; Befugnis des Finanzamtes zur Aufrechnung mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners; Durch einen Schuldenbereinigungsplan eintretender Verlust der - tatsächlich nicht bestehenden - Aufrechnungsmöglichkeit als wirtschaftliche Schlechterstellung

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
10.05.2001
Aktenzeichen
74 IK 6/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 29180
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2001:0510.74IK6.01.0A

Fundstellen

  • InVo 2001, 445
  • NZI 2001, 605
  • ZInsO 2001, 768 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die während der Prüfdauer eines (überarbeiteten) Schuldenbereinigungsplanes anfallenden (weiteren) Säumniszuschläge sind bei der Prüfung der wirtschaftlichen Schlechterstellung i.S.d. § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO nicht zu berücksichtigen.

  2. 2.

    Säumniszuschläge des Finanzamtes können spätesten ab Antragstellung nicht mehr in voller Höhe, sondern nur noch zur Hälfte des Betrages berücksichtigt werden.

  3. 3.

    Eine Zustimmungsersetzung gemäß § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO scheidet nur aus, wenn im eröffneten Verfahren eine Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 InsO erfolgen würde oder es sich um eine von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 InsO ausgenommene Forderung handelt.

  4. 4.

    Im eröffneten Verfahren steht dem Finanzamt nicht die Befugnis zu, mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners aufzurechnen. Der durch einen Schuldenbereinigungsplan eintretende Verlust der - tatsächlich nicht bestehenden - Aufrechnungsmöglichkeit stellt keine wirtschaftliche Schlechterstellung i.S.d. § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO dar.

Tenor:

Die Einwendungen folgender, im überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan vom 1. März 2001 aufgeführter Gläubiger werden durch eine gerichtliche Zustimmung ersetzt:

Gläubiger Nr. 3.

Gründe

1

Auf Antrag des Antragstellers sind die Einwendungen des widersprechenden Gläubigers durch eine gerichtliche Zustimmung zu ersetzen (§ 309 InsO).

2

Die erforderliche Kopf- und Summenmehrheit liegt vor. Von den fünf Gläubigern hat lediglich ein Gläubiger widersprochen, der von der Gesamtforderung 46,91 % hält.

3

Die Einwendungen des Finanzamtes G. greifen nicht durch. Das Insolvenzgericht kann die fehlende Zustimmung des Finanzamtes gem. § 309 InsO ersetzen unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Ansprüchen, die aus zivilrechtlichen Forderungen herrühren. Die Voraussetzungen eines Erlasses nach § 227 AO oder einer Stundung gem. § 222 AO müssen nicht vorlieget (OLG Köln ZIP 2000, 2263 = EWiR 2001, 173).

4

1.)

Zur Begründung seiner ablehnenden Stellungnahme beruft sich der Gläubiger zunächst auf eine dem Schreiben vom 25. April 20D1 beigefügte Anlage. Dabei handelt es sich um eine Übersicht über die Steuerrückstände des Schuldners. In der Gesamtsumme von 81.206,26 DM sind enthalten Säumniszuschläge in Höhe von 9.548,00 DM. Im überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan vom 1. März 2001 ist die Forderung des Gläubigers angegeben mit 79.817,96 DM. Dabei ist zugrunde gelegt die Summe, die der Gläubiger im Schreiben vom 29. Januar 2001 mitgeteilt hatte und in der Säumniszuschläge in Höhe von 7.677,00 DM enthalten sind.

5

Die Abweichung in der Forderungshöhe von h-388,30 DM hindert eine Zustimmungsersetzung nicht.

6

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes sind Abweichungen im Bereich bis zu 100,00 DM hinzunehmen, da [eine mathematisch genaue Anteilsberechnung nicht erforderlich ist (74 IK 60/99, Beschluss vom 25.02.2000, ZlnsO 2000, 33). Dieser Gesichtspunkt greift im vorliegenden Fall jedoch nicht ein. Die Befriedigungsquote der Gläubiger beträgt 20,38 %, es ergibt sich eine Abweichung von 277,66 DM.

7

Die Abweichung der Forderung erklärt sich jedoch daraus, dass inzwischen die Säumniszuschläge des Gläubigers zu 3) angewachsen sind. In der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes ist anerkannt, dass bei Abweichenden Berechnungen aufgrund eines veränderten Zinsstandes vom Schuldner nicht ständig die Einreichung neuer Schuldenbereinigungspläne mit Aktuellem Zinsstand verlangt werden kann (74 IK 38/99, Beschluss vom 17. November 1999, Nds. Rechtspflege 2000, 173). Dieser Gesichtspunkt greift auch im vorliegenden Fall bei anwachsenden Säumniszuschlägen ein.

8

Hinzu kommt, dass nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Finanzamt nicht berechtigt ist, uneingeschränkt Säumniszuschläge geltend zu machen. Vielmehr verlieren .bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners die Säumniszuschläge ihren Zweck, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen; sie sind in der Regel zur Hälfte zu erlassen (BFH ZIP 2001, 427, 428).

9

2.)

Weiter begründet der Gläubiger zu 3) seine ablehnende Haltung wie folgt:

10

"Aus Sicht des Finanzamts handelt es sich beim o. a. Insolvenzschuldner nicht um einen redlichen Schuldner i. S. § 1 InsO. Der o. a. Schuldner hat durch wiederholte und fortgesetzte Nichtabgabe von Steuererklärungen; (Umsatzsteuer 1995-99 und Einkommensteuer 1996-99) in eklatanter Weise | gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen."

11

Auch dies steht einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen. Bedeutsam wäre der Vortrag des Gläubigers zu 3) nur dann, wenn aus ihm ein Versagungsgrund gemäß § 290 InsO folgen würde (AG Göttingen 74 IK 40/99, Beschluss vom 19.11.1999 NZI 2000, 92, 93; 74 IK 82/99, Beschluss vom 04.12.2000) oder es sich um eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handeln würde gemäß § 302 Nr. 1 InsO (AG Göttingen 74 IK 12/99, Beschluss vom 20. Juli 1999, EzInsR InsO § 309 Nr. 3). Dann würde nämlich (der Gläubiger durch den Schuldenbereinigungsplan wirtschaftlich schlechter gestellt als bei Eröffnung des Verfahrens und anschließender Restschuldbefreiung. Davon ist im vorliegenden Fall jedoch nicht auszugehen.

12

Ein Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 InsO ist nicht dargelegt. Ebenso wenig ist dargelegt, dass und ggf. in welcher Höhe Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührten.

13

3.)

Soweit sich der Gläubiger Nr. 3 das Recht vorbehalten hat, mit Steuererstattungsguthaben aufzurechnen, kann es dahin stehen, ob der Gläubiger daraus einen Grund zur Versagung der Zustimmungsersetzung herleiten will. In der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes (74 IK 136/00, Beschluss vom 27. Februar 2001, NZI 2001, 270) ist es anerkannt, dass der Verlust einer Aufrechnungsmöglichkeit für das Finanzamt mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners einer Zustimmungsersetzung nicht entgegensteht, da eine solche Aufrechnungsbefugnis dem Finanzamt auch im eröffneten Verfahren nicht zusteht.

Schmerbach Richter am Amtsgericht