Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 21.09.2001, Az.: 71 K 5/01
Zwangsversteigerungsantrag als ein Verstoß gegen Treu und Glauben; Erschwerung der Verwertung der Konkursmasse durch die Zwangsversteigerung; Vermehrung der Konkursmasse durch den Bau des Heizwerkes
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 21.09.2001
- Aktenzeichen
- 71 K 5/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29145
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2001:0921.71K5.01.0A
Rechtsgrundlage
- § 30c ZVG a.F.
Tenor:
Das Zwangsversteigerungsverfahren aus dem Anordnungsbeschluss vom 6.2.2001 wird gemäß § 30 c ZVG (a.F.) auf Antrag des Konkursverwalters einstweilen eingestellt.
Das Verfahren wird nur auf Antrag der Gläubigerin fortgesetzt.
Der Antrag kann nur gestellt werden, wenn der Konkursverwalter zustimmt oder wenn der Einstellungsgrund ( Erschwerung der Verwertung der Konkursmasse durch die Zwangsversteigerung ) wegfällt oder wenn der Gläubigerin unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse die Einstellung nicht mehr zuzumuten, das Konkursverfahren beendet ist oder die Grundstücke aus der Konkursmasse freigegeben sind.
Der Fortsetzungsantrag muss spätestens binnen 6 Monaten ab dem Ende des Konkursverfahrens bei dem Vollstreckungsgericht eingehen, weil sonst das Verfahren aufgehoben werden muss.
Gründe
Die Gläubigerin vollstreckt wegen eines dinglichen Anspruchs in den im Grundbuch von Wibbecke Band 6 Blatt 173 eingetragenen Grundbesitz der Fa. Gebrüder Kühne GmbH, die sich in Konkurs befindet.
Der Anordnungsbeschluss ist dem Schuldner mit dem Hinweis auf die Vollstreckungsschutzmöglichkeit nach § 30 c ZVG (a.F.) am 9.12.2001 zugestellt worden. Er hat am 14.2.2001 (bei Gericht eingegangen am 16.2.001) beantragt, das Verfahren einstweilen einzustellen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Zwangsversteigerungsantrag stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Die Gläubigerversammlung habe seinerzeit einstimmig die Fortführung des Unternehmens beschlossen; diesen Beschluss habe die Rechtsvorgängerin der Gläubigerin ( Bayerische Vereinsbank AG ) mitgetragen. Dadurch sei ein Vertrauenstatbestand für den Konkursverwalter, den Gläubigerausschuss und die gesamte Gläubigergemeinschaft in der Weise gesetzt worden, dass die Fortführung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin durch den Konkursverwalter nicht durch die Einleitung von Zwangsversteigerungsverfahren beeinträchtigt werden dürfe. Ziel der Fortführung sei eine sanierende Übertragung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin.
Ferner sei aus der selben Zielrichtung heraus u.a. mit der Rechtsvorgängerin der betreibenden Gläubigerin ein Sicherheitenvergleich geschlossen worden, in dem die Aufhebung des seinerzeit anhängigen Zwangsverwaltungsverfahrens und der Verzicht auf Nutzungsentschädigung für die Nutzung von Anlagevermögen durch den Konkursverwalter vereinbart worden sei.
Während der Fortführung in den Jahren 1995 bis 1999 habe auf Grund der schlechten Ertragslage für alle bundesdeutschen Sägewerke kaum in Chance zur Veräußerung des Unternehmens bestanden.
Im Jahr 2000 habe sich die Ertragslage derart verbessert, dass ein Gewinn von 2.8 Millionen DM ( cash-flow Verbesserung von rd. 10,8 Millionen DM) erwirtschaftet worden sei, von dem unbedingt nötige Investitionen getätigt worden seien.; daher sei jetzt die Prognose für eine sanierende Übertragung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin günstig. Die Situation der Gemeinschuldnerin werde sich in Zukunft noch mehr verbessern, weil ein Angebot der EAM Energie-Plus GmbH vorliege, die in unmittelbarer Nähe des Kühne-Werkes ein Biomasseheizkraftwerk bauen wolle, in dem der gesamte Restholzanfall verströmt werden soll. Dies bedeute für die Konkursmasse einen Mehrerlös von mehr als 1 Million DM jährlich, außerdem werde das Heizkraftwerk dem Kühne-Werk Wärme zum Selbstkostenpreis liefern und einen eigenen Gleisanschluss bauen, den die Gemeinschuldnerin unentgeltlich mitbenutzen könne.
Interessenten für die Übernahme des Unternehmens seien vorhanden, ein konkretes Übernahmeangebot gebe es derzeit nicht. Im Übrigen sei die Angabe der derzeitigen Interessenten gegenüber der betreibenden Gläubigerin für das Unternehmen der Gemeinschuldnerin nicht sachdienlich.
Die Gläubigerin verfolge zum Nachteil der übrigen Gläubigergemeinschaft mit der Zwangsversteigerung sachfremde Ziele, zumal sie die Forderung gegen die Gemeinschuldnerin bereits vor Jahren ausgebucht habe.
Zur weiteren und näheren Begründung wird auf die Schriftsätze vom 14.2., 12.4., 27.4., 15.6., 23.7. und 14.8.2001 verwiesen.
Die Gläubigerin ist zu dem Antrag des Konkursverwalters gehört worden. Sie hat mit Schriftsatz vom 12.3.2001 beantragt, den Antrag des Konkursverwalters zurückzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen vorgetragen:
Der Konkursverwalter bemühe sich seit 6 Jahren vergeblich um eine Veräußerung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin.
Der Sicherheitenvergleich gelte nicht für das Zwangsversteigerungsverfahren und nicht für vorrangige Grundschulden. Der Konkursverwalter zahle keine Nutzungsentschädigung, außerdem verliere ihr Sicherungsgut weiterhin Wert. Die Kontaktaufnahme mit möglichen Übernahmeinteressenten rechtfertige nicht die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens. Der Zwangsversteigerungsantrag verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben.
Der Sicherheitenvergleich enthalte keinen Verzicht auf Zwangsversteigerungsmaßnahmen. Neben dem Wertverlust des Anlagevermögens erleide sie einen Zinsverlust von jährlich ca. 1 Million DM. Diese Erhöhung der Forderung sei der Gläubigerin nicht zuzumuten; weil diese durch den Verwertungserlös nicht gedeckt würden. Der Konkursverwalter investiere "ins Blaue hinein" ohne konkrete Verkaufsaussichten vortragen zu können in der Hoffnung, dadurch das Werk für einen möglichen Investor interessanter machen zu können.
Sie verfolge keine -wie vom Konkursverwalter vorgetragenen- sachfremden Interessen, ihr ginge es lediglich, nachdem das Konkursverfahren bereits 6 Jahre laufe, um die Rückzahlung ihrer Kredite. Bei dem vom Konkursverwalter vorgelegten Angebot handele es sich lediglich um eine Konzeption bzw. eine völlig unverbindliche Projektstudie und um kein rechtsverbindliches Angebot. Wegen der weiteren und näheren Begründung wird auf die Schriftsätze vom 12.3., 25.5., 10.7., 10.8. und 18.9.2001 verwiesen.
Die Konkursakten 71 N 14/93 wurden beigezogen.
Der Antrag des Schuldners ist form- und fristgerecht gestellt; er ist auch begründet.
Gemäß § 30c ZVG a.F. ist, wenn der Schuldner ( hier Eigentümer) sich im Konkurs befindet, auf Antrag des Konkursverwalters das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilen einzustellen, wenn durch die Versteigerung die angemessene Verwertung der Konkursmasse wesentlich erschwert werden würde oder wenn ein Zwangsvergleichsvorschlag eingereicht ist. Der Antrag ist abzulehnen, wenn die einstweilige Einstellung dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist.
Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung liegen hier vor, denn durch die Zwangsversteigerung einzelner zum Betrieb der Gemeinschuldnerin gehörender Grundstücke würde die Veräußerung bzw. sanierende Übertragung des Unternehmens nicht nur wesentlich erschwert sondern möglicherweise verhindert, weil die Bemühungen des Konkursverwalters zur Erhaltung des Betriebes durch Gesamtveräußerung ( gegenüber der Einzelverwertung durch die Grundstücksversteigerung ) vereitelt würden, siehe hierzu Jonas/Pohle, ZwVNotrecht6, § 30 c Anm. 1 b und 2 a.
Bei Durchführung der Zwangsversteigerung besteht durch die unterschiedlichen Rangpositionen der Rechte, auf Grund derer die Zwangsversteigerungen angeordnet worden sind, nicht die Möglichkeit der Versteigerung im Gesamtausgebot.
Die Einzelversteigerung, auch wenn bei einigen Grundstücken die Möglichkeit der Verbindung der Verfahren mit der Folge der Versteigerung im Gruppenausgebot besteht, lässt mit Sicherheit einen erheblich geringeren Wert erwarten, als bei einer späteren Veräußerung, die nach der derzeitigen wirtschaftlichen Lage des Betriebes der Gemeinschuldnerin erwartet werden kann.
Ebenfalls kann nicht außer Acht gelassen werden, dass Grundstücke, die trotz Überbauung nicht im Gesamtausgebot versteigert werden können, z. B. Flurstück 18/7 (71 K 6/01, betrieben aus dem Recht III Nr. 7 ) und Flurstück 18/15 ( 71 K 13/01, betrieben aus dem Recht III Nr. 1 ) bei der Bewertung einen Verlust erleiden werden.
Dies ist jedoch nicht im Interesse der Konkursgläubiger-Gesamtheit, das gegenüber dem Interesse der das Verfahren betreibenden Gläubigerin das größere Gewicht hat ( siehe hierzu Zeller/Stöber: ZVG 15.Aufl., Rdn. 3 zu § 30 c).
Die Gläubiger haben in der Gläubigerversammlung am 1.3.1995 und in der außerordentlichen Gläubigerversammlung am 19.1.1996 einstimmig die Fortsetzung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin beschlossen und die Entscheidung über die Schließung des Unternehmens auf den Konkursverwalter übertragen, der jedoch nur mit Zustimmung des Gläubigerausschusses entscheide kann. In der Gläubigerausschusssitzung vom 23.2.2001 ist der Konkursverwalter gebeten worden, die betreibende Gläubigerin zur Rücknahme ihres Zwangsversteigerungsantrages zu bewegen, was de facto bedeutet, dass der Gläubigerausschuss mit der Fortführung des Unternehmens einverstanden ist.
Die Gläubigerin verfolgt mit ihrem Zwangsversteigerungsantrag lediglich ihre eigenen Interessen, die aber -wie oben ausgeführt - gegenüber dem Interesse der Gesamtgläubiger zurücktreten müssen.
Das Unternehmen befindet sich nach zunächst unbestrittenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten derzeit in einer positiven wirtschaftlichen Lage, die die Fortführung des Unternehmens zum Zwecke der Veräußerung bzw. sanierenden Übertragung sinnvoll und sachlich gerechtfertigt erscheinen lässt.
Das Konkursrecht zielte zwar primär auf die Zerschlagung des schuldnerischen Betriebes; diese Zielsetzung ist jedoch mit dem In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung am 1.1.1999 modifiziert aufgegeben worden ( § 1 InsO ).
Bei einer Entscheidung über die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens darf dieser -auch sozial relevante- Aspekt nicht unbeachtet bleiben.
Die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens würde auch unzweifelhaft zur Schließung des Betriebes der Gemeinschuldnerin fuhren, was , da der Betrieb derzeit unbestritten Gewinne erwirtschaftet, die der Gesamtgläubigerschaft im Falle der Veräußerung zugute kämen, auch den Verlust von über 300 Arbeitsplätzen in einer wirtschaftlich relativ schwachen Region bedeuten würde.
Andererseits würde sich die wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin durch den Bau des Biomasseheizkraftwerkes nochmals erheblich verbessern, was die Chancen für die Veräußerung bzw. sanierende Übertragung des Unternehmens nochmals erhöhen würde.
Die Verhandlungen mit der EAM Energie GmbH stehen nach dem Vortrag des Konkursverwalters unmittelbar vor einem positiven Abschluss; sollte das Zwangsversteigerungsverfahren durchgeführt werden, würde damit auch der Bau des Heizwerkes hinfällig, das ja gerade zwecks Verstromung des Restholzanfalls des schuldnerischen Unternehmens errichtet werden soll.
Beide Aspekte - sowohl die wirtschaftliche Konsolidierung als auch die Vermehrung der Konkursmasse durch den Bau des Heizwerkes - dienen eindeutig dem Interesse der Gesamtgläubigerschaft des Konkursverfahrens, dem - wie oben ausgeführt - der Vorrang vor dem Partikularinteresse der betreibenden Gläubigerin einzuräumen ist.
Demgegenüber ist die einstweilige Einstellung für die betreibende Gläubigerin nicht unzumutbar. Der Antrag des Konkursverwalters wäre nämlich nur dann zurückzuweisen, wenn sich die Bank selbst in einer ernsten Krise befände (Vallender in Rpfleger 1997, 355, Hintzen in Rpfleger 1999, 260); das ist jedoch von der Gläubigerin nicht vorgetragen worden.
Dem Einstellungsantrag des Konkursverwalters war daher zu entsprechen.