Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.02.2001, Az.: 74 IK 136/00
Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit; Antrag auf Zustimmungsersetzung; Einwendungen von Gläubigern gegen eine Zustimmungsersetzung; Erteilung einer Zustimmungsersetzung bei Verlust einer Aufrechnungsmöglichkeit für das Finanzamt mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 27.02.2001
- Aktenzeichen
- 74 IK 136/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29106
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2001:0227.74IK136.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO
- § 24 SGB IV
- § 96 Nr. 1 InsO
- § 114 Abs. 2 InsO
- § 287 Abs. 2 S. 1 InsO
Fundstellen
- InVo 2001, 201-203
- KKZ 2003, 40-41
- NZI 2001, 270-271
- NZI 2001, 36
Verfahrensgegenstand
Vermögen des ...
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin wird der Beschluss vom 20.12.2000 aufgehoben.
Die Einwendungen folgender Gläubiger werden durch eine gerichtliche Zustimmung ersetzt
Es wird festgestellt, dass der mit Schreiben vom 20. Februar 2001 eingereichte, diesen Beschluss als Anlage beigefügte, Schuldenbereinigungsplan gilt.
Gründe
I.
Der Schuldner hat mit Antrag vom 29.08.2000 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit beantragt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung lebte der verheiratete Schuldner von dem Einkommen seiner Ehefrau. Es sind zwei unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden. Im Schuldenbereinigungsplan sind 18 Gläubiger aufgeführt, deren Gesamtansprüche sich auf ca. 90.000,00 DM belaufen. Der Schuldner bot über den Zeitraum von 36 Monaten eine feste Rate von monatlich 400,00 DM an. Ein überarbeiteter Schuldenbereinigungsplan sah eine monatliche Rate von 420,00 DM für einen Zeitraum von 36 Monaten vor. Auf Grund von Einwendungen der Gläubiger hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 20.12.2000 den Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zurückgewiesen, weil eine nur dreijährige Laufzeit des Schuldenbereinigungsplanes die Gläubiger wirtschaftlich schlechter stelle. Dagegen hat der Schuldner rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Er weißt daraufhin, dass er seit Oktober 2000 auf ein Einkommen in Höhe von nunmehr 1.395,26 DM netto verfügt, das er im Hinblick auf Unterhaltspflichten für unpfändbar hält. Im Hinblick auf die bislang nicht zur Verfügung gestellte Kapitallebensversicherung beruft er sich darauf, dass diese zur Altersvorsorge dienen solle, erklärt sich jedoch gleichwohl bereit, den durch Bescheinigung der Versicherung zum 01.04.2001 nachgewiesenen Rückkaufswert von 19.909,69 ÖM den Gläubigern innerhalb von zwei Monaten nach Zustandekommen des gerichtlichen Vergleiches zur Verfügung zu stellen.
Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens hat die ursprünglich Widersprechende Gläubigerin Nr. 9 mit Schreiben vom 15.01.2001 erklärt, dass sie gegen den Plan nunmehr keine Einwende mehr erhebt.
II.Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin sind der Beschluss vom 20.12.2000 aufzuheben und die Einwendungen der widersprechenden Gläubiger durch eine gerichtliche Zustimmungserklärung gem. § 309 Abs. 1 InsO zu ersetzen.
1)
Die erforderliche Kopf- und Summenmehrheit liegt vor. Von den 18 Gläubigern haben drei Gläubiger widersprochen, die von der Gesamtforderung ca. 30 % halten.
2)
Der Gläubiger Nr. 12 hat seine Ablehnung nicht begründest. Damit liegt die gem. § 309 InsO erforderliche Glaubhaftmachung nicht vor, die Einwendungen dieses Gläubigers sind unbeachtlich.
3)
Der Gläubiger Nr. 8 beruft sich darauf, dass ihm auf die Förderung von 2.627,16 DM für den Zeitraum vom 16.07.2000 bis 16.11.2000 Säumniszuschläge gem. § 24 SGB IV in Höhe von 115,00 DM zustünden. Es kann dahinstehen, ob diese Säumniszuschläge zu Recht geltend gemacht werden im Hinblick auf das eingeleitete Insolvenzverfahren. Der Gläubiger Nr. 8 hält von der Gesamtforderung 2,83 %. Die Befriedigungsquote beläuft sich nunmehr auf ca. 21,8 %. Summenmäßig ergibt sich eine Abweichung von ca. 25,00 DM. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes ist eine mathematisch genaue Anteilsberechnung nicht erforderlich, Abweichungen bis 100,00 DM stellen keinen Insolvenzgrund gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 InsO dar (Beschluss vom 27.09.1999, 74 ik 24/99, Nds. Rechtspflege 2000, 74; Beschluss vom 17.11.1999, 74IK 38/99, Nds. Rechtspflege 2000, 173; Beschluss vom 25.02.2000, 74 IK 60/99, ZInsO 2000, 233,234[AG Göttingen 25.02.2000 - 74 IK 60/99]; FK-InsO/Grote § 309 Rz. 12).
4)
Schließlich stehen auch die Einwendungen der Gläubigerin Nr. 2 einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen.
a)
Die Gläubigerin Nr. 2 hat sich zunächst darauf berufen, da$ der Schuldner sich lediglich für drei statt fünf bzw. sieben Jahren zur Zahlung verpflichtet hat sowie dass lediglich die Zahlung einer festen Rate von 420,00 DM vorgesehen ist, folglich Einkommenssteigerungen nicht an die Gläubiger weitergegeben werden. Gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 2. Halbsatz InsO ist jedoch im Zweifel zugrundezulegen, dass die Einkommensverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt des Antrages nach Satz 1 während der gesamten Dauer des Verfahrens maßgeblich bleiben. Den Antrag auf Zustimmungsersetzung hat der Schuldner mit Einreichung des Insolvenzantrages vom 29.08.2000, bei Gericht eingegangen am 3)01.08.2000, gestellt. Einkommen erzielt der Schuldner erst seit Oktober 2000. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war kein pfändbares Einkommen vorhanden; nach der gesetzlichen Vermutung war davon auszugehen für die Laufzeit eines Schuldenbereinigungsplanes.
Inwieweit Veränderungen während eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens zu berücksichtigen sind und ob auf den Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO abzustellen ist, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Die vom Schuldner überreichte Gehaltsabrechnung für den Monat November 2000 weist einen Nettoverdienst von 1.395,26 DM aus. Auch unter Berücksichtigung eines Nettoeinkommens der Ehefrau von knapp 3.000,00 DM ist davon auszugehen, dass kein pfändungsfreier Betrag vorliegt. Der Schuldner und seine Ehefrau sind nämlich unterhaltspflichtig gegenüber zwei minderjährigen Kindern (geboren 1988 und 199Ö). Zum Unterhalt ist der Schuldner anteilig verpflichtet jedenfalls in Höhe des über dem pfändungsfreien Betrag hinausgehenden Anteiles von ca. 175,00 DM.
b)
Soweit sich die Gläubigerin Nr. 2 darauf beruft, dass der Schuldner seine Lebensversicherung zur Schuldentilgung einsetzen müsste, ist dies im überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan vom 20. Februar 2001 vorgesehen.
c)
Schließlich beruft sich die Gläubigerin zu 2) darauf dass ihr durch den Abschluss des Schuldenbereinigungsplanes die Aufrechnungsmöglichkeit mit Steuererstattungsansprüchen bis zum Abschluss des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens genommen werde. Der überarbeitete Schuldenbereinigungsplan sieht statt einer Laufzeit von drei Jahren vor, dass zwei Monate nach Zustandekommen des gerichtlichen Vergleiches der Schuldner eine Einmalzahlung leistet und nach Eingang der Einmalzahlung die nach bestehenden Restforderungen erlassen werden. Der Einwand ist unbeachtlich. Zum einen ist die Zahlung lediglich Lebensversicherung im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden (s. o. a), der Verlust der Aufrechnungsmöglichkeit tritt zwangsläufig ein.
Zum anderen steht der Verlust einer Aufrechnungsmöglichkeit für das Finanzamt mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen. Ein Teil der Rechtsprechung nimmt zwar eine wirtschaftliche Schlechterstellung im Sinne des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO an, wenn ein Schuldenbereinigungsplan keine Aufrechnungsmöglichkeit mit Steuererstattungsansprüchen für das Finanzamt versieht (LG Koblenz ZInsO 2000, 507[LG Koblenz 13.06.2000 - 2 T 162/00]). Begründet wird dies damit, dass die Aufrechnungsverbote in der InsO enummerativen Charakter hätten und die Vorschrift des § 96 Nr. 1 InsO von der Verweisung in § 114 Abs. 2 InsO ausgenommen sei. Die Gegenauffassung (AG Neuwied NZI 2000, 334) stellt auf den insolvenzrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger (§§1, 294 InsO) ab und sieht in einer Aufrechnungsmöglichkeit des Finanzamtes eine unzulässige Sonderbefriedigung dieses konkreten Gläubigers (vgl. § 294 Abs.2 InsO). Dieser Auflassung ist zuzustimmen. Dafür spricht auch die Regelung des § 287 Abs.3 InsO, wonach sogar Individualvereinbarungen unwirksam sind, soweit sie die Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO vereiteln oder beeinträchtigen.
Allerdings erwähnt § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nur Forderungen des Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis. Dazu zählt Arbeitseinkommen. Lohneinkommenssteuererstattungen sollen kein Arbeitseinkommen darstellen (FK-InsO/Ahrens § J287 Rz. 44). Ob diese Auffassung zutrifft oder eine differenzierende oder gar gegenteilige Auffassung geboten ist (vgl. die Nachweise a.a.O.), kann dahinstehen. Die erwähnte Kommentierung geht nämlich gleichwohl davon aus, dass diese Erstattungsansprüche zur Insolvenzmaske gehören auf Grund der Pfändungsmöglichkeit zwar nicht gem. § 850 Abs. 2 ZPO, aber nicht § 829 ZPO.
Die Kommentierung zur KO (Kuhn/Uhlenbruck KO, § 1 Rz. 73b) ging davon aus, dass der Erstattungsanspruch aus einem Lohnsteuerjahresausgleich zur Konkursmasse gehörte. Es wurde allerdings danach differenziert, ob der Erstattungsanspruch im Wesentlichen durch die Tatsache der Konkurseröffnung bedingt war; in diesem Fall sollte der nach Eröffnung anfallende Erstattungsanspruch konkursfrei sein. Gem. § 35 InsO gehört allerdings auch Neuerwerb zur Insolvenzmasse. Steuererstattungsansprüche werde daher grundsätzlich als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (BK-Breutigam § 35 Rz. 3$; HK-InsO/Eickmann § 35 Rz. 16; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rz. 59).
Ob die Pfändungsvorschriften der §§ 850 ff. ZPO hinsichtlich Steuererstattungsansprüchen anwendbar sind, kann dahinstehen. Grundsätzlich sind die §§ &5Q ff. ZPO im Insolvenzverfahren zwar anwendbar (AG Göttingen NZI2000, 493; zuletzt OLG Köln ZInsO 2000, 603[OLG Köln 16.10.2000 - 2 W 189/00]). Sie dienen jedoch in erster Linie dem Schutz des Schuldners. Verzichtet der Schuldner darauf und vergrößert er dadurch die Insolvenzmasse, so ist dies nicht zu beanstanden. Dieser Betrag kann dann aber auch allen Gläubigern gleichmäßig zur Verfügung gestellt werden. Im vorliegenden Fall stellt sich die Problematik auf Grund der Verpflichtung des Schuldners lediglich zu einer Einmalzahlung nicht.
III.
Einer erneuten Zustellung des überarbeiteten Schuldenbefreiungsplanes vom 20. Februar 2001 an die widersprechenden Gläubiger oder alle Gläubiger bedurfte es nicht. Dieser Plan stellt nämlich die Gläubiger besser, indem sie statt der Summe von 15.200,00 DM (3 Jahre monatlich 420,00 DM) eine Gesamtsumme von 19.909,69 DM erhalten. Zur Klarstellung hat das Insolvenzgericht im Beschlusstenor ausgesprochen, dass dir gerichtliche Vergleich in der Form des überarbeiteten Schuldenbereinigungsplanes vom 20.02.2001 gilt.