Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.12.2001, Az.: 74 IK 184/01
Entscheidungsbefugnisse des Insolvenzrichters i.R.d. Eröffnungsverfahrens; Anforderungen an den Erlass von eilbedürftigen Anordnungen; Zulässigkeit der Abänderung von Anordnungen des Vollstreckungsgerichts durch das Insolvenzgericht; Umfang des dem Schuldner zu belassenden Betrages
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 17.12.2001
- Aktenzeichen
- 74 IK 184/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 31321
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2001:1217.74IK184.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Duderstadt - 07.11.2001 - AZ: 1 M 1151/01
- AG Duderstadt - 07.11.2001 - AZ: 1 M 1197/01
Rechtsgrundlagen
- § 36 Abs. 4 InsO
- § 114 Abs. 3 InsO
- § 18 Abs. 2 RPflG
- §§ 850 ff. ZPO
Fundstellen
- KTS 2002, 300
- Rpfleger 2002, 170
- ZVI 2002, 25-26
Verfahrensgegenstand
Vermögen des Herrn ...
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Entscheidungen gem. §36 Abs. 4 InsO i.V.m. §§850 ff. ZPO im Eröffnungsverfahren, für die grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig ist, kann der Insolvenzrichter entsprechend §18 Abs. 2 RPflG treffen.
- 2.
Eilbedürftige Anordnungen können ohne vorherige Anhörung der übrigen Beteiligten unter dem Vorbehalt der Abänderbarkeit ergehen.
- 3.
Vom Vollstreckungsgericht getroffenen Anordnungen können vom Insolvenzgericht gem. §36 InsO i.V.m. §§850 ff. ZPO abgeändert werden.
- 4.
Dem Schuldner ist soviel zu belassen, dass ihm neben den laufenden Betriebsausgaben noch der Pfändungsfreibetrag verbleibt.
Tenor:
Die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichtes Duderstadt vom 07.11.2001 (1 M 1151/01 und 1 M 1197/01) nach Maßgabe des Beschlusses vom 04.12.2001 (1 M 1151/01) werden mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Drittschuldnerin Aachener und Münchener Versicherungs AG ab dem 17.12.2001 bis zum 31.12.2001 monatlich nur einen pfändbaren Betrag von 1.015,70 DM und ab dem 01.01.2002 monatlich nur einen pfändbaren Betrag von 301 € einbehält. Derüberschießende Betrag ist an den Schuldner auszuzahlen. Diese Anordnung gilt auch gegenüber der Drittschuldnerin Volksbank Eichsfeld-Northeim e.G.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht wegen der Eilbedürftigkeit ohne vorherige Anhörung der übrigen Beteiligten unter dem Vorbehalt einer Abänderung. Dem Schuldner wird aufgeben, binnen zwei Wochen die monatlichen Betriebsausgaben nachzuweisen.
Die Entscheidung erfolgt gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der anwaltlich vertretene Schuldner hat am 21.11/22.11.2001 Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt. Der Schuldner betrieb von 1983 bis 1993 eine Versicherungsagentur, die er schließen mußte. Im wesentlichen aus dieser Tätigkeit stammen Forderungen von zehn Gläubigem in einer Gesamthöhe von ca. 97.000,00 DM. Im Jahre 1999 eröffnete der Schuldner erneut eine Versicherungsagentur. Seine durchschnittlichen Provisionseinnahmen einschließlich abnehmender Bürokostenzuschüsse der Versicherung betragen im Jahr 2001 monatlich 4.585,00 DM. Die monatlichen Betriebsausgaben belaufen sich auf 1.585,00 DM, so dass ihm nach Steuern 2.671,20 DM netto verbleiben. Der Schuldner errechnet sich einen pfändbaren monatlichen Betrag von 1.015,70 DM und ab dem 01.01.2002 einen monatlich pfändbaren Betrag von 602,00 DM bzw. 301 €.
Mit Beschluß vom 27.11.2001 hat das Insolvenzgericht Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gem. §§306 Abs. 2, 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO untersagt und bereits eingeleitete Maßnahmen eingestellt mit Ausnahme von unbeweglichen Gegenständen und für vor Erlaß dieses Beschlusses erfolgte Pfändungen von Arbeitseinkommen des Schuldners. Das Wohnsitzgericht des Schuldners hatte bereits zuvor am 07.11.2001 Pfändungs- undÜberweisungsbeschlüsse wegen Forderungen einer der Gläubigerinnen gegen den Schuldner erlassen. Drittschuldner sind ein weiteres Kreditinstitut, zugleich Gläubigerin des vorliegenden Verfahrens, der Arbeitgeber des Schuldners hinsichtlich der Provisions- und Kostenzuschußansprüche sowie das Finanzamt im Hinblick auf Steuererstattungsansprüche des Schuldners für das Jahr 2000. Nach Angaben des Schuldners wurde der Beschluß seinem Arbeitgeber am 21.11.2001 zugestellt, die Zustelldaten bei den weiteren Drittschuldner sind nicht mitgeteilt.
Am 29.11.2000 stellt der Schuldner einen Aufhebungs- bzw. Einstellungsantrag bei seinem Wohnsitzgericht. Mit Beschluß vom 04.12.2001 stellte das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung aus den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen vom 07.11.2001 mit der Maßgabe ein, dass die gepfändeten und insoweit auch pfändbaren Beträge gem. §§850 ff ZPO weder an die Gläubigerin noch an den Schuldner auszuzahlen, sondern von den Drittschuldnern bis auf weiteres einzubehalten oder zu hinterlegen sind.
Der Schuldner weist daraufhin, dass nach der Rechtsprechung auch Provisionsansprüche eines Versicherungsagenten unter Arbeitseinkommen im Sinne des §850 Abs. 1 ZPO fallen. Nach seinen Angaben ergibt sich bei einer monatlichen Zahlung von 4.585,00 DM ein Pfändungseinbehalt von 2.588,70 DM. Von dem verbleibenden Betrag von 1.936,30 DM verbleibe nach Abzug der monatlichen Betriebskosten von 1.585,00 DM nur ein Betrag von ca. 400,00 DM. Folge der Pfändungslage sei, dass der Schuldner seinen Betrieb schließen müsse und die im Schuldenbereinigungsplan angestrebte Gläubigerbefriedigung mit einer Quote von ca. 70 % sich nicht erreichen lasse.
Der Schuldner beantragt,
die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Duderstadt vom 07.11.01 (1 M 1151/01 und 1 M 1197/01), auch in der Form des Beschlusses vom 04.12.2001 (1 M 1151/01), aufzuheben und insofern den Beschluß des Insolvenzgerichts vom 27.11.2001 auch hinsichtlich des bereits vorher gepfändeten Arbeitseinkommens abzuändern,
hilfsweise,
die vorgenannten Pfändungs- undÜberweisungsbeschlüsse mit der Maßgabe aufzuheben und die Zwangsvollstreckung einzustellen, dass die Drittschuldnerin monatlich den gegenwärtigen pfändbaren Betrag von DM 1.015,70 und ab 01.01.2002 den pfändbaren Betrag von DM 602,00 (301,00 €) einbehält und auf das Hinterlegungskonto des Insolvenzgerichts einzahlt und die weitere Provisionen und Kostenzuschüsse monatlich an den Schuldner auszahlt.
I.
Gem. §36 InsO in der ab dem 01.12.2001 geltenden Fassung ist bereits im Eröffungsverfahren das Insolvenzgericht zuständig u.a. für Entscheidungen gem. §850 f Abs. 1,§,850 i ZPO. Auch im Eröffnungsverfahren ist zuständig der Rechtspfleger (AG Göttingen NZI 2000, 493, 494; FK-InsO/Schmerbach, 3. Auflage, §2 Rz. 32 a; Vallender NZI 2001, 561, 562). Aus der Regelung des §18 Abs. 2 Rechtspflegergesetz ergibt sich allerdings die Befugnis des Richters zur Entscheidung. Von dieser Befugnis macht der Richter Gebrauch.
II.
Gem. §114 Abs. 3 InsO sind vor der Eröffnung des Verfahrens erfolgte Pfändungen wirksam bis zum Zeitpunkt der Eröffnung. Vor diesem Hintergrund hat das Insolvenzgericht den Beschluß vom 27.11.2001 von dem gem. §§306 Abs. 2, 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO getroffenen Beschluß ausgenommen die vor Erlaß jenes Beschlusses erfolgten Pfändungen von Arbeitseinkommen des Schuldners. Auch wenn das Insolvenzgericht befügt ist, alle Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen (vgl. FK-InsO/Schmerbach§6 Rz. 57) besteht hier keine Veranlassung, die Beschlüsse des Wohnsitzgerichtes des Schuldners oder den Beschluß des Insolvenzgerichtes vom 27.11.2001 abzuändern. Es ist nicht ersichtlich und vorgetragen, dass die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 07.11.2001 rechtswidrig sind.
III.
Gem. §§36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 3 InsO i.V.m. §§850 f Abs. 1, 850 i Abs. 1 ZPO hat das Insolvenzgericht allerdings angeordnet, dass dem Schuldner ein entsprechender Betrag verbleibt, damit er seine laufende Betriebsausgaben decken kann und nicht gezwungen ist, den Betrieb einzustellen.
IV.
Für diese Berechnung hat das Insolvenzgericht zunächst die Angaben des Schuldners zugrunde gelegt. Im Hinblick auf die drohende Einstellung des Betriebes hat das Insolvenzgericht die Anordnung getroffen, obgleich der Schuldner noch keine Unterlagen vorgelegt hat. Dies wird der Schuldner binnen 2 Wochen nachzuholen haben.
Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit ist auch der pfändende Gläubiger nicht angehört worden. Insoweit ergeht die vorliegende Entscheidung unter dem Vorbehalt der Abänderung nach Anhörung des Gläubigers. Dieser erhält Gelegenheit zur Stellungnahme ebenfalls innerhalb von 2 Wochen.
V.
Der Beschluß wird der pfändenden Gläubigerin und den beiden konkret betroffenen Drittschuldnern förmlich zugestellt, ebenso dem Schuldner im Hinblick auf die er folgte Fristsetzung zum Nachweis der Betriebsausgaben.