Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 14.03.2001, Az.: 74 IK 99/99
Möglichkeit einer Zustimmungsersetzung bei einem "flexiblen" Nullplan; Annahme eines Schuldenbereinigungsplanes durch den Gläubiger; Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 14.03.2001
- Aktenzeichen
- 74 IK 99/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2001:0314.74IK99.99.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Göttingen - 13.08.2001 - AZ: 10 T 36/01
Rechtsgrundlagen
- § 309 InsO
- § 51 SGB I
- § 52 SGB I
- § 208 SGB III
Fundstellen
- NZI 2001, 36
- ZInsO 2001, 527-528 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Vermögen des ...
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei einem "flexiblen" Nullplan ist eine Zustimmungsersetzung (§ 309 InsO) möglich.
- 2.
Haushaltsrechtliche Vorschriften stehen einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen.
- 3.
Keine wirtschaftliche Schlechterstellung gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO stellen dar
- a)
Abweichungen bis zu 100 DM
- b)
Verlust der Möglichkeit, Zahlung ausgefallener Gesamtversicherungssozialbeiträge gem. § 208 SGB III zu erhalten
- c)
Verlust von Verechnungsmöglichkeiten gem. §§ 51, 52 SGB
- 4.
Die Vermutung, dass die Verhältnisse des Schuldners während der gesamten Verfahrensdauer maßgeblich bleiben (§ 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 2. Halbsatz InsO), gilt auch für die Uneinbringlichkeit von Forderungen des Schuldners.
Tenor:
Die Einwendungen folgender, im überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan vom 16.01.2001 in Verbindung mit der ergänzenden Vereinbarung vom 28.09.2000 aufgeführter, Gläubiger werden durch eine gerichtliche Zustimmung ersetzt:
Es wird festgestellt, dass die laut Schuldenbereinigungsplan dem Gläubiger Nr. 21 zustehende Forderung nunmehr dem Gläubiger Nr. 10 zusteht.
Gründe
Der Schuldner hat am 15.12.1999 Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt. Der am 11.09.1941 geborene Schuldner ist gelernter Koch bzw. Kellner und seit Februar 1999 arbeitslos. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bezog er wöchentliche Arbeitslosenhilfe in Höhe von 276,36 DM. Im Verlaufe des Verfahrens hat der Schuldner mehrere Schuldenbereinigungspläne vorgelegt. Der letzte, vom 16.01.2001 datierte Plan weist 28 Gläubiger auf, deren Gesamtforderung sich auf ca. 198.000,00 DM beläuft. Der Schuldner hat sich in der ergänzenden Vereinbarung vom 28.09.2000 verpflichtet, den jeweils pfändbaren Betrag gem. §§ 850c ff ZPO zu zahlen. Die monatliche Rate beträgt zurzeit 0,00 DM.
Auf Antrag des Schuldners waren die Zustimmungen der widersprechenden Gläubiger gem. § 309 InsO zu ersetzen. Von den 28 Gläubigern haben 12 Gläubiger widersprochen, die von der Gesamtforderung ca. 35 % halten.
I.
Die Gläubiger Nr. 1 c, 1 d, 1 e und 8 haben ihre Einwendungen nicht begründet, wie es § 309 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 InsO fordert. Ihre Einwendungen sind dahmit unbeachtlich.
II.
Die Gläubiger Nr. 4, 7 und 14berufen sich darauf, dass der Schuldner lediglich einen Nullplan vorgelegt hat. Dieser Einwand ist unbeachtlich jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Schuldner einen so genannten "flexiblen" Nullplan vorgelegt hat. Der Schuldner hat sich verpflichtet, bei einer Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse die pfändbaren Beträge an die Gläubiger abzuführen. Weiter ist ein in § 295 InsO nachgebildete Regelung in der ergänzenden Vereinbarung zum Schuldenbereinigungsplan vom 28.09.2000 enthalten. Daher kommt eine Zustimmungsersetzung grundsätzlich in Betracht (AG Göttingen, 74 IK 13/99, Beschluss vom 11.9.1999, NZI 1999, 468 = ZInsO 1999, 589[LG Konstanz 15.09.1999 - 6 T 38/99] = InVo 1999, 388 = DZWIR 1999, 481 = VuR 2000, 28).
III.
Die Gläubiger Nr. 9 und Nr. 28 berufen sich darauf, dass ihre Forderung höher sei als im Schuldenbereinigungsplan angegeben. Die Abweichungen beruhen darauf, dass zwischen Einreichung des Planes und Ablauf der Frist zur Stellungnahme der Gläubiger monatliche Säumniszuschläge angefallen sind. Es kann dahinstehen, inwieweit nach Beantragung eines Insolvenzverfahrens Säumniszuschläge überhaupt noch geltend gemacht werden können. In der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes ist anerkannt, dass eine mathematisch genaue Anteilsberechnung nicht erforderlich ist. Abweichungen bis zu einem Betrag von 100,00 DM sind tolerierbar. Bei einem qualifizierten Nullplan mit geringer Wahrscheinlichkeit, dass jemals Zahlungen geleistet werden, ist auch eine Abweichung von 450,00 DM für unbedenklich erklärt worden (74 IK 13/99, Beschluss vom 11.09.1999, s. o.). Im vorliegenden Fall beträgt beim Gläubiger Nr. 9 die Abweichung 14,00 DM (2.391,27 DM statt 2.405,27 DM) und beim Gläubiger Nr. 28 90,00 DM (1.967,59 DM statt 2.057,59 DM). Im Ergebnis handelt es sich um Abweichungen, die einer Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nicht entgegenstehen.
IV.
Der Gläubiger Nr. 3 beruft sich auf sein früheres Schreiben vom 31.07.2000. Darin fuhrt er aus, dass im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Ablehnung mangels Masse die Möglichkeit bestünde, die Forderung gem. § 208 Abs. 1 SGB III geltend zu machen. Der Gläubiger Nr. 3 erhält zwar durch die Annahme des Schuldenbereinigungsplanes keinen Anspruch auf Zahlung ausgefallener Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegen das Arbeitsamt. Dies steht jedoch einer Zustimmungsersetzung nicht gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO entgegen. Eine wirtschaftliche Schlechter Stellung liegt jedenfalls nach dem Sinne der Vorschrift nicht vor (LG Göttingen, Beschluss vom 17.01.2001, 10 T 72/00). Die wirtschaftliche Schlechterstellung folgt aus der spezial gesetzlichen Regelung des § 208 SGB III, der als Anspruchsvoraussetzung eine Eröffnung des Verfahrens oder Abweisung mangels Masse voraussetzt. Aus dieser möglicherweise unvollständigen oder unglücklichen gesetzlichen Regelung folgt der Nachteil für den Gläubiger, nicht aber aus der vom Schuldner im Schuldenbereinigungsplan vorgesehenen Verteilung seines Einkommens und Vermögens. Zudem sind für die Vergleichsrechnung nur Zahlungen zu berücksichtigen, die der Gläubiger bei Verfahrenseröffnung aus der Insolvenzmasse erhält, nicht aber Leistungen von Dritten.
V.
Der Gläubiger Nr. 22 vertritt die Auffassung, der Schuldner lege nicht hinreichen dar, weshalb er eine Erwerbstätigkeit nicht nachgehen könne. Es kann dahinstehen, ob nicht der Versagungsgrund des § 290 InsO, sondern auch der Versagungsgrund des § 296 InsO im Rahmen einer Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO berücksichtigt werden kann . Es kann im vorliegenden auch dahinstehen, welche Anforderungen hinsichtlich der Darlegung und Glaubhaftmachung an den Vortrag eines Gläubigers gem. § 309 Abs. 2 Satz 2 InsO zu stellen sind. Der Schuldner ist fast 60 Jahre alt. Seit Februar 1999 bezieht er Arbeitslosenhilfe. Gerichtsbekanntermaßen besteht keine Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner in seinem Beruf als Kellner oder Koch konjunktur- und altersbedingt noch eine Anstellung findet.
VI.
1.)
Der Gläubiger Nr. 23 wendet sich zunächst gegen den Nullplan. Diese Einwendung ist unbeachtlich (s. o. Ausführungen zu Gläubiger Nr. 4, 7 und 14).
2.)
Die angeführten, nicht näher spezifizierten haushaltsrechtlichen Bedenken stehen einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen. § 309 InsO ist eine Spezialregelung, die Regelungen z.B. nach der AO (OLG Köln ZIP 2000, 2263 = EWiR 2001, 173) oder auch nach der BHO/LHO (AG Göttingen, 74 IK 91/99, Beschluss vom 7.4.2000) vorgeht.
3.)
Schließlich wirft der Gläubiger Nr. 23 die Frage auf, ob ein Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht komme, da ein überwiegender Teil der Schulden aus einem früheren Geschäftsbetrieb des Schuldners resultiere. Dazu ist zu bemerken, dass nach gegenwärtiger Gesetzeslage dem Schuldner als ehemals selbstständig Tätigem das Verbraucherinsolvenzverfahren offen steht. Darüber hinaus lässt sich dem Vortrag des Gläubigers Nr. 23 nicht entnehmen, inwieweit einer der Versagungsgründe des § 309 InsO eingreifen soll.
VII.
1.)
Der Gläubiger Nr. 27 hat sich zunächst darauf berufen, dass die ergänzenden Vereinbarungen zum Schuldenbereinigungsplan einen unzulässigen stufenweisen Teilerlass vorsehe. In der ergänzenden Vereinbarung vom 28.09.2000 ist dieser stufenweise Teilerlass nicht mehr enthalten.
2.)
Dass ein flexibler Nullplan einer Zustimmungsersetzung nicht entgegensteht, ist oben (Gläubiger Nr. 4, 7 und 14) ausgeführt worden.
3.)
a)
Weiter beruft sich der Gläubiger Nr. 27 (Landesarbeitsamt) darauf, er verfuge über eine Aufrechnungslage, die nach § 94 InsO aufrechtzuerhalten sei, der Schuldner stehe im Leistungsbezug beim Arbeitsamt Erfurt. Dem Vortrag des Gläubigers Nr. 27 lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass zurzeit auch tatsächlich eine Aufrechnung erfolgt. Dies ist in Anbetracht der - bei Antragstellung im Dezember 1999 gezahlten - wöchentlichen Arbeitslosenhilfe in Höhe von 263,41 DM auch unwahrscheinlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner erhöhte Ansprüche gegen das Arbeitsamt erwerben wird, sind nicht ersichtlich und vorgetragen. Gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ist aber im Zweifel davon auszugehen, dass die Einkommensverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Antragstellung während der gesamten Dauer des Verfahrens maßgeblich bleiben. Eine Schlechterstellung lässt sich nicht feststellen.
b)
Soweit das Landesarbeitsamt daraufhin weist, seine Forderung sei beim Rentenversicherungsträger zur Verrechnung vorgemerkt, liegt in dem (möglichen) Verlust einer Verrechnungsmöglichkeit keine wirtschaftliche Schlechterstellung. Verrechnungsmöglichkeiten gem. §§ 51, 52 SGB I fallen nämlich nach der vom Landgericht Göttingen gebilligten Rechtsprechung des Insolvenzgerichtes Göttingen nicht unter die Vorschrift des § 94 InsO (AG Göttingen 74 IK 90/99, Beschluss vom 07.11.2000 und Nichtabhilfebeschluss vom 13.12.2000; bestätigt durch LG Göttingen, Beschluss vom 16.01.2001, 10 T 166/00). § 94 InsO setzt eine Aufrechnungslage voraus. Dazu müssen gem. § 387 BGB gegenseitige Forderungen bestehen. Dieses Erfordernis wird durch § 52 SGB I nicht außer Kraft gesetzt. § 52 SGB I soll keine zusätzliche Erfüllungsmöglichkeit gewähren, sondern nur durch Schaffung einer Verrechnungsmöglichkeit der Vereinfachung und Effizienz der Sozialverwaltung dienen.
4.)
Schließlich beruft sich der Gläubiger Nr. 27 darauf, dem Schuldner stehe eine Forderung in Höhe von 34.000 DM gegen Frau P. zu, bei ernsthafter Einziehung könne nicht ausgeschlossen werden, dass während der Laufzeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens mit anschließender Wohlverhaltensperiode Beträge zur Masse gezogen werden könnten. Es kann dahinstehen, welche Anforderungen an eine Darlegung und Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes durch einen Gläubiger gestellt werden im Hinblick auf die in § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zu Grunde gelegte Vermutung, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass u.a. die Vermögensverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Antragstellung während der gesamten Dauer des Verfahrens maßgeblich bleiben. Gerichtsbekanntermaßen ist die Drittschuldnerin unpfändbar. In der Vergangenheit waren gegen sie mehrere Konkursverfahren anhängig. VIII.
Schließlich ist im Schuldenbereinigungsplan eine Forderung eingestellt für den Gläubiger Nr. 21, Herrn B., auf Grund eines Urteiles des Landgerichtes Göttingen vom 23. Juni 1999. Aus dem von der Gläubigerin Nr. 10 vorgelegten Protokoll vom 06.10.2000 des Landgerichtes Mühlhausen (6 O 227/00) ergibt sich, dass Herr B. seine Forderung abgetreten hat an die Gläubigerin Nr. 10. Der Schuldner hat inzwischen mit Schriftsatz vom 12.03.2001 dem Insolvenzgericht gegenüber klargestellt, dass die ursprünglich dem Gläubiger Nr. 21 zustehenden Forderung nunmehr dem Gläubiger Nr. 10 zusteht. Dies hat das Insolvenzgericht zur Klarstellung in den Beschlusstenor aufgenommen. Die Gläubiger Nr. 10 und Nr. 21 erhalten den Beschluss ebenfalls förmlich zugestellt.
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