Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 26.09.2001, Az.: 74 IK 56/01

Zustimmungsersetzung und flexibler Nullplan

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
26.09.2001
Aktenzeichen
74 IK 56/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 29388
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2001:0926.74IK56.01.0A

Fundstelle

  • ZInsO 2001, 974-975 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Regelungen der §§ 307 Abs. 1 Satz 2, 308 Abs. 3 Satz 2 InsO schließen es aus, dass ein Gläubiger erstmals mit der sofortigen Beschwerde gegen eine Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 3 Satz 3 InsO ihm bereits bekannte Versagungsgründe gem. § 309 InsO geltend macht.

  2. 2.

    Es bleibt unentschieden, ob im Hinblick auf die Regelung in § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 2. Halbsatz InsO ein Schuldner verpflichtet ist, im Falle einer Einkommensverbesserung den pfändbaren Teil des Einkommens den Gläubigern zur Verfügung zu stellen (sogenannter "flexibler" Nullplan).

  3. 3.

    Bei einem "flexiblen" Nullplan, bei dem keine Wahrscheinlichkeit für eine Einkommensverbesserung besteht, ist eine Zustimmungsersetzung auch dann möglich, wenn die rein rechnerische Benachteiligung eines Gläubigers sich auf 1.243,27 DM beläuft bzw. sein Anteil an der Gesamtforderung nicht nur 3,69 % beträgt, sondern 11,93 % (Fortführung von AG Göttingen, Beschluss vom 11.9.1999 - 74 IK 13/99 - NZI 1999, 468 = ZInsO 1999, 598[AG Göttingen 11.09.1999 - 74 IK 13/99] = InVo 1999, 388 = DZWiR 1999, 481 = VuR 2000, 28).

Gründe

1

I.

Mit Schreiben v. 30.3.2001 hat die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt, verbunden mit einem Antrag u.a. auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO. Die Schuldnerin hat 13 Gläubiger, deren Gesamtforderungen 13.286,56 DM betragen. Die Laufzeit des Planes beträgt 84 Monate. Monatliche Raten kann die Schuldnerin z.Zt. nicht zahlen, sie hat sich jedoch verpflichtet, das nach § 850c ZPO pfändbare monatliche Einkommen an die Gläubiger zu verteilen (sog. flexibler Nullplan).

2

Zu dem mit Antragstellung eingereichten PKH- Antrag ist den Gläubigerin Nr. 1 - 4 formlos Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Mit Beschl. v. 18.5.2001 ist der Schuldnerin PKH bewilligt worden. Die Unterlagen sind allen Gläubigern zugestellt worden zur Stellungnahme binnen eines Monates auch zum Antrag auf Zustimmungsersetzung. Die Gläubiger Nr. 2, 4 und 5 haben widersprochen. Mit Beschl. v. 27.6.2001 hat das Insolvenzgericht die Einwendungen dieser Gläubiger gem. § 309 InsO ersetzt. Hinsichtlich der Gläubigerin Nr. 5 ist in dem Beschl. ausgeführt, dass die gem. § 309 erforderliche Glaubhaftmachung nicht vorliegt, da die Ablehnung nicht näher begründet ist. Im Schreiben der Gläubigerin Nr. 5 v. 8.6.2001 heißt es wie folgt: "Der Schuldenbereinigungsplan wird abgelehnt."

3

Gegen den am 9.7.2001 zugestellten Beschl. hat die Gläubigerin zu 5), ein Inkassounternehmen, mit Schriftsatz v. 13.7.2001, bei Gericht eingegangen am 17.7.2001, sofortige Beschwerde eingelegt. Die Gläubigerin weist darauf hin, dass sie im Schuldenbereinigungsplan lediglich mit einer Forderung von 490,75 DM aufgeführt ist. Die Gläubigerin zu 5) beruft sich auf zwei Forderungen aus Vollstreckungsbescheiden des AG Hagen. Der Vollstreckungsbescheid v. 16.4.1997 weist eine Hauptforderung von 157,36 DM aus, als Gesamtforderung berechnet die Gläubigerin 523,95 DM. Der Vollstreckungsbescheid v. 9.7.1997 weist als Hauptforderung 624,48 DM aus, als Gesamtforderung berechnet die Gläubigerin 1.210,07 DM.

4

Im Schreiben v. 15.8.2001 beruft sich die Schuldnerin darauf, dass sie den Überblick über ihre Verbindlichkeiten verloren hatte und dass die Vorermittlungen zur Erstellung eines Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses mehr als ein halbes Jahr dauerten. Die Schuldnerin weist darauf hin, dass die vorgelegten Verzeichnisse auf den Angaben der Gläubiger beruhen. Hätte die Gläubigerin zu 5) das ihr nach § 307 InsO zugestellte Verzeichnis korrigiert, wäre sie, die Schuldnerin, bereit gewesen, einen geänderten Plan vorzulegen. Darüber hinaus vertritt die Schuldnerin die Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung des auf 11,93 % erhöhten Anteiles der Gläubigerin zu 5) an den Gesamtforderungen eine Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO möglich sei.

5

II.

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zu 5) ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Das Insolvenzgericht hilft der sofortigen Beschwerde nicht ab und legt die Akten dem LG Göttingen zur Entscheidung vor.

6

1.

Die sofortige Beschwerde ist bereits unzulässig. Sie ist zwar fristgerecht beim Insolvenzgericht eingegangen. Allerdings fehlt der sofortigen Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis, da von einem missbräuchlichen Rechtsbehelf auszugehen ist.

7

Die Gläubigerin zu 5) hat zu den ihr übersandten Schreiben der Schuldnerin v. 15.8.2001 innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben. Daher ist davon auszugehen, dass das von der Schuldnerin vorgelegte Verzeichnis auf den Angaben der Gläubiger, also auch der Gläubigerin zu 5), basiert. Bei dieser Sachlage ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Gläubigerin zu 5) innerhalb der Monatsfrist zur Stellungnahme zu den Verzeichnissen mit Schreiben v. 8.6.2001 lediglich mitteilte, dass der Schuldenbereinigungsplan abgelehnt wird. Die beiden Vollstreckungsbescheide stammen aus dem Jahre 1997, als Prozessbevollmächtigte sind dort aufgeführt die die Gläubigerin zu 5) auch in diesem Verfahren vertretenden Rechtsanwälte.

8

Es ist anerkannt, dass Voraussetzung für einen Rechtsbehelf das Rechtsschutzinteresse ist, das beispielsweise fehlen kann, wenn die nachzuprüfende Entscheidung verfahrensmäßig überholt ist (Zöller/Gummer, ZPO, § 567 Rn. 12). Ein Fall der verfahrensmäßigen Überholung liegt hier zwar nicht vor. Auch bestimmt § 570 ZPO, dass die Beschwerde auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden kann. Präklusionsvorschriften enthält erst die ZPO in der ab dem 1.1.2002 geltenden Fassung. Andererseits ist für das Insolvenzverfahren anerkannt, dass ein schützenswertes Interesse für die Geltendmachung von Rechten vorliegen muss. Dies normiert in § 14 Abs. 1 InsO, der für den Antrag eines Gläubigers ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fordert. In Rechtsprechung und Literatur sind unter dem Begriff der Missbrauchsfälle Fallkonstellationen anerkannt, in denen die Durchführung eines Insolvenzverfahrens unzulässig ist. Dieses wird beispielsweise bejaht bei Stellung eines Insolvenzantrages als Druckmittel auf den Schuldner zur Erbringung von Ratenzahlungen oder bei Geltendmachung einer Teilforderung (FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 42, Rn. 44 i.V.m. Rn. 19). Der gesetzgeberische Zweck des gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens zielt auf eine Entlastung der Justiz (FK- InsO/Kohte, Vorbem. vor §§ 304 ff. Rn. 2). Durch die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung nach § 309 InsO soll verhindert werden, dass ein Schuldenbereinigungsplan an der obstruktiven Verweigerung der Zustimmung einzelner Gläubiger scheitert (FK- InsO/Grote, § 309 Rn. 1).

9

Dieses Bestreben des Gesetzgebers würde unterlaufen und konterkariert, wenn man die vorbehaltlose Geltendmachung von Gründen, die einer Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO entgegenstehen, erst im Beschwerdeverfahren zulässt. Mit der Zustellung der Verzeichnisse werden die Gläubiger aufgefordert, zu den Verzeichnissen und dem Schuldenbereinigungsplan Stellung zu nehmen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Gläubiger werden weiter gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Rechtsfolgen des § 308 Abs. 3 Satz 2 InsO hingewiesen, wonach innerhalb der Monatsfrist nicht angemeldete Forderungen erlöschen. Von den Gläubigern ist zu verlangen, dass sie innerhalb dieser Frist ihre Forderungen vollständig anmelden. Lässt man eine einschränkungslose Nachmeldung von Forderungen im Beschwerdeverfahren zu, kann das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren auf längere Zeit verzögert werden. Legt ein Gläubiger erst im Beschwerdeverfahren beachtliche Gründe für eine Verweigerung der Zustimmungsersetzung vor, muss der Schuldner einen neuen Plan einreichen, der erneut allen Gläubigern förmlich zugestellt werden muss. Danach erfolgt ggf. eine erneute Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass nunmehr ein anderer Gläubiger sofortige Beschwerde einlegt mit der Begründung, auch seine Forderung sei nicht zutreffend berechnet. Für den Schuldner tritt dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Position ein. Der Beginn der Laufzeit des Schuldenbereinigungsplanes oder - im Falle von dessen Scheitern - der Beginn der Restschuldbefreiung verzögert sich im erheblichen Umfang.

10

Es ist davon auszugehen, dass eine während der Monatsfrist des § 307 InsO nicht (vollständig) angemeldete Forderung gem. § 308 Abs. 3 Satz 2 InsO erlischt (ebenso HK- InsO/Landfermann, § 308 Rn. 10; Nerlich/Römermann, § 308 InsO Rn. 22). Im Beschwerdeverfahren kann ein Gläubiger diese Forderung bzw. Forderungsteile nicht nachschieben. Ob und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen zuzulassen sind (beispielsweise entsprechend Wiedereinsetzungsgründe gem. §§ 233 ff. ZPO), muss im vorliegenden Fall nicht erörtert werden. Anhaltspunkte dafür sind nicht vorhanden.

11

2.

Darüber hinaus ist die sofortige Beschwerde unbegründet.

12

a)

Die 31- jährige, geschiedene Schuldnerin bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie hat einen flexiblen Nullplan angeboten mit einer Laufzeit von 84 Monaten. Sofern sie pfändbares Einkommen erzielt, wird dieses unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht gegenüber ihrer 14 Jahre alten Tochter an die Gläubiger verteilt. Es ist anerkannt, dass eine mathematisch genaue Anteilsberechnung nicht erforderlich ist. Das erkennende Gericht hält Abweichungen bis zu 100 DM für unbedenklich im Rahmen einer Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO (zuletzt Beschl. v. 14.3.2001 - 74 IK 99/99 - ZInsO 2001, 527). Bei einem qualifizierten Nullplan mit geringer Wahrscheinlichkeit, dass jemals Zahlungen geleistet werden, hat das Insolvenzgericht auch eine Abweichung von 450 DM für unbedenklich angesehen (Beschl. v. 11.9.1999 - 74 IK 13/99 - NZI 1999, 468 = ZInsO 1999, 598[AG Göttingen 11.09.1999 - 74 IK 13/99] = InVo 1999, 388 = DZWiR 1999, 481 = VuR 2000, 28). Im vorliegenden Fall wird der auf die Höhe der Gesamtforderung bezogene Differenzbetrag von 450 DM aus dem Verfahren 74 IK 13/99 zwar deutlich überschritten. Die Gläubigerin zu 5) gibt ihre Forderungen nunmehr mit insgesamt 1.734,02 DM an. Im Schuldenbereinigungsplan ist sie lediglich mit 490,75 DM aufgeführt. Es ergibt sich ein Differenzbetrag i.H.v. 1.243,27 DM. Dies steht jedoch einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen. Greifbare Anhaltspunkte, dass die Schuldnerin in absehbarer Zeit erwerbstätig werden und über pfändbares Einkommen verfügen wird, bestehen nicht. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Pfändungsfreigrenzen voraussichtlich zum 1.1.2002 erheblich angehoben werden.

13

b)

Das Insolvenzgericht lässt ausdrücklich dahingestellt, ob im Hinblick auf die Regelung gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 2. Halbsatz, dass von gleichbleibenden Einkommensverhältnissen des Schuldners auszugehen ist, ein flexibler Nullplan überhaupt erforderlich ist (so LG Heilbronn, NZI 2001, 434; ähnlich OLG Karlsruhe, NZI 2001, 422; AG Mönchengladbach, ZInsO 2001, 773[AG Mönchengladbach 25.07.2001 - 32 IK 30/01]).

14

c)

Dass auch unter Berücksichtigung des auf 11,93 % erhöhten Anteils an den Gesamtforderungen, die gem. § 309 Abs. 1 InsO erforderliche Kopf- und Summenmehrheit vorliegt, ist im Schreiben der Schuldnerin v. 15.8.2001 S. 2 (...) zutreffend dargelegt worden.