Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.02.2001, Az.: 14 IK 136/00
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an einen Schuldenbereinigungsplan
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 27.02.2001
- Aktenzeichen
- 14 IK 136/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2001:0227.14IK136.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 96 Nr. 1 InsO
- § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO
- § 24 SGB IV
- § 294 Abs. 2 InsO
Fundstelle
- ZInsO 2001, 329-330 (Volltext mit red. LS)
Entscheidungsgründe
I.
Der Schuldner hat mit Antrag v. 29.8.2000 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit beantragt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung lebte der verheiratete Schuldner von dem Einkommen seiner Ehefrau. Es sind zwei unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden. Im Schuldenbereinigungsplan sind 18 Gläubiger aufgeführt, deren Gesamtansprüche sich auf ca. 90.000 DM belaufen. Der Schuldner bot über den Zeitraum von 36 Monaten eine feste Rate von monatlich 400 DM an. Ein überarbeiteter Schuldenbereinigungsplan sah eine monatliche Rate von 420 DM für einen Zeitraum von 36 Monaten vor. Aufgrund von Einwendungen der Gläubiger hat das Insolvenzgericht mit Beschl. v. 20.12.2000 den Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zurückgewiesen, weil eine nur dreijährige Laufzeit des Schuldenbereinigungsplanes die Gläubiger wirtschaftlich schlechter stelle. Dagegen hat der Schuldner rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Er weist darauf hin, dass er seit Oktober 2000 auf ein Einkommen i.H.v. nunmehr 1.395,26 DM netto verfügt, das er im Hinblick auf Unterhaltspflichten für unpfändbar hält. Im Hinblick auf die bislang nicht zur Verfügung gestellten Kapitallebensversicherung beruft er sich darauf, dass diese zur Altersvorsorge dienen solle, erklärt sich jedoch gleichwohl bereit, den durch Bescheinigung der Versicherung zum 1.4.2001 nachgewiesenen Rückkaufswert von 19.909,69 DM den Gläubigern innerhalb von zwei Monaten nach Zustandekommen des gerichtlichen Vergleiches zur Verfügung zu stellen.
Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens hat die ursprünglich widersprechende Gläubigerin Nr. 9 mit Schreiben v. 15.1.2001 erklärt, dass sie gegen den Plan nunmehr keine Einwendungen mehr erhebt.
II.
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin sind der Beschl. v. 20.12.2000 aufzuheben und die Einwendungen der widersprechenden Gläubiger durch eine gerichtliche Zustimmungserklärung gem. § 309 Abs. 1 InsO zu ersetzen.
1.)
Die erforderliche Kopf- und Summenmehrheit liegt vor. Von den 18 Gläubigern haben drei Gläubiger widersprochen, die von der Gesamtforderung ca. 30 % halten.
2.)
Der Gläubiger Nr. 12 hat seine Ablehnung nicht begründet. Damit liegt die gem. § 309 InsO erforderliche Glaubhaftmachung nicht vor, die Einwendungen dieses Gläubigers sind unbeachtlich.
3.)
Der Gläubiger Nr. 8 beruft sich darauf, dass ihm auf die Forderung von 2.627,16 DM für den Zeitraum v. 16.7.2000 - 16.11.2000 Säumniszuschläge gem. § 24 SGB IV i.H.v. 115 DM zustünden. Es kann dahinstehen, ob diese Säumniszuschläge zu Recht geltend gemacht werden im Hinblick auf das eingeleitete Insolvenzverfahren. Der Gläubiger Nr. 8 hält von der Gesamtforderung 2,83 %. Die Befriedigungsquote beläuft sich nunmehr auf ca. 21,8 %. Summenmäßig ergibt sich eine Abweichung von ca. 25 DM. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes ist eine mathematisch genaue Anteilsberechnung nicht erforderlich, Abweichungen bis 100 DM stellen keinen Versagungsgrund gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 InsO dar (Beschl. v. 27.9.1999, 74 IK 24/99, Nds. Rechtspflege 2000, 74; Beschl. v. 17.11.1999, 74 IK 38/99, Nds. Rechtspflege 2000, 173; Beschl. v. 25.2.2000, 74 IK 60/99, ZInsO 2000, 233, 234[AG Göttingen 25.02.2000 - 74 IK 60/99]; FK-InsO/Grote § 309 Rn. 12).
4.)
Schließlich stehen auch die Einwendungen der Gläubigerin Nr. 2 einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen.
a)
Die Gläubigerin Nr. 2 hat sich zunächst darauf berufen, dass der Schuldner sich lediglich für drei statt fünf bzw. sieben Jahre zur Zahlung verpflichtet hat sowie dass lediglich die Zahlung einer festen Rate von 420 DM vorgesehen ist, folglich Einkommenssteigerungen nicht an die Gläubiger weitergegeben werden. Gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 2. Halbsatz InsO ist jedoch im Zweifel zugrundezulegen, dass die Einkommensverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt des Antrages nach Satz 1 während der gesamten Dauer des Verfahrens maßgeblich bleiben. Den Antrag auf Zustimmungsersetzung hat der Schuldner mit Einreichung des Insolvenzantrages v. 29.8.2000, bei Gericht eingegangen am 31.8.2000, gestellt. Einkommen erzielt der Schuldner erst seit Oktober 2000. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war kein pfändbares Einkommen vorhanden; nach der gesetzlichen Vermutung war davon auszugehen für die Laufzeit eines Schuldenbereinigungsplanes.
Inwieweit Veränderungen während eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens zu berücksichtigen sind und ob auf den Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO abzustellen ist, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Die vom Schuldner überreichte Gehaltsabrechnung für den Monat November 2000 weist einen Nettoverdienst von 1.395,26 DM aus. Auch unter Berücksichtigung eines Nettoeinkommens der Ehefrau von knapp 3.000 DM ist davon auszugehen, dass kein pfändungsfreier Betrag vorliegt. Der Schuldner und seine Ehefrau sind nämlich unterhaltspflichtig gegenüber zwei minderjährigen Kindern (geboren 1988 und 1990). Zum Unterhalt ist der Schuldner anteilig verpflichtet jedenfalls i.H.d. über den pfändungsfreien Betrag hinausgehenden Anteiles von ca. 175 DM.
b)
Soweit sich die Gläubigerin Nr. 2 darauf beruft, dass der Schuldner seine Lebensversicherung zur Schuldentilgung einsetzen müsste, ist dies im überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan v. 20.2.2001 vorgesehen.
c)
Schließlich beruft sich die Gläubigerin zu 2) darauf, dass ihr durch den Abschluss des Schuldenbereinigungsplanes die Aufrechnungsmöglichkeit mit Steuererstattungsansprüchen bis zum Abschluss des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens genommen werde. Der überarbeitete Schuldenbereinigungsplan sieht statt einer Laufzeit von drei Jahren vor, dass zwei Monate nach Zustandekommen des gerichtlichen Vergleiches der Schuldner eine Einmalzahlung leistet und nach Eingang der Einmalzahlung die noch bestehenden Restforderungen erlassen werden. Der Einwand ist unbeachtlich. Zum einen ist die Zahlung lediglich Lebensversicherung im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden (s.o. a.), der Verlust der Aufrechnungsmöglichkeit tritt zwangsläufig ein.
Zum anderen steht der Verlust einer Aufrechnungsmöglichkeit für das FA mit Steuererstattungsansprüchen des Schuldners einer Zustimmungsersetzung nicht entgegen. Ein Teil der Rechtsprechung nimmt zwar eine wirtschaftliche Schlechterstellung i.S.d. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO an, wenn ein Schuldenbereinigungsplan keine Aufrechnungsmöglichkeit mit Steuererstattungsansprüchen für das FA vorsieht (LG Koblenz, ZInsO 2000, 507[LG Koblenz 13.06.2000 - 2 T 162/00]). Begründet wird dies damit, dass die Aufrechnungsverbote in der InsO enumerativen Charakter hätten und die Vorschrift des § 96 Nr. 1 InsO von der Verweisung in § 114 Abs. 2 InsO ausgenommen sei. Die Gegenauffassung (AG Neuwied, NZI 2000, 334) stellt auf den insolvenzrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger (§§ 1, 194 InsO) ab und sieht in einer Aufrechnungsmöglichkeit des FA eine unzulässige Sonderbefriedigung dieses konkreten Gläubigers (vgl. § 294 Abs. 2 InsO). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Dafür spricht auch die Regelung des § 287 Abs. 3 InsO, wonach sogar Individualvereinbarungen unwirksam sind, soweit sie die Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO vereiteln oder beeinträchtigen.
Allerdings erwähnt § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nur Forderungen des Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis. Dazu zählt Arbeitseinkommen. Lohneinkommenssteuererstattungen sollen kein Arbeitseinkommen darstellen (FK-InsO/Ahrens, § 287 Rn. 44). Ob diese Auffassung zutrifft oder eine differenzierende oder gar gegenteilige Auffassung geboten ist (vgl. die Nachweise, a.a.O.), kann dahinstehen. Die erwähnte Kommentierung geht nämlich gleichwohl davon aus, dass diese Erstattungsansprüche zur Insolvenzmasse gehören aufgrund der Pfändungsmöglichkeit zwar nicht gem. § 850 Abs. 2 ZPO, aber nach § 829 ZPO.
Die Kommentierung zur KO (Kuhn/Uhlenbruck KO, § 1 Rn. 73b) ging davon aus, dass der Erstattungsanspruch aus einem Lohnsteuerjahresausgleich zur Konkursmasse gehörte. Es wurde allerdings danach differenziert, ob der Erstattungsanspruch im Wesentlichen durch die Tatsache der Konkurseröffnung bedingt war; in diesem Fall sollte der nach Eröffnung anfallende Erstattungsanspruch konkursfrei sein. Gem. § 35 InsO gehört allerdings auch Neuerwerb zur Insolvenzmasse. Steuererstattungsansprüche werden daher grds. als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (BK-Breutigam, § 35 Rn. 38; HK-InsO/Eickmann, § 35 Rn. 16; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rn. 59).
Ob die Pfändungsvorschriften der §§ 850 ff. ZPO hinsichtlich Steuererstattungsansprüchen anwendbar sind, kann dahinstehen. Grds. sind die §§ 850 ff. ZPO im Insolvenzverfahren zwar anwendbar (AG Göttingen, NZI 2000, 493; 2000, 603). Sie dienen jedoch in erster Linie dem Schutz des Schuldners. Verzichtet der Schuldner darauf und vergrößert er dadurch die Insolvenzmasse, so ist dies nicht zu beanstanden. Dieser Betrag kann dann aber auch allen Gläubigern gleichmäßig zur Verfügung gestellt werden. Im vorliegenden Fall stellt sich die Problematik aufgrund der Verpflichtung des Schuldners lediglich zu einer Einmalzahlung nicht.
III.
Einer erneuten Zustellung des überarbeiteten Schuldenbereinigungsplanes v. 20.2.2001 an die widersprechenden Gläubiger oder alle Gläubiger bedurfte es nicht. Dieser Plan stellt nämlich die Gläubiger besser, indem sie statt der Summe von 15.200 DM (3 Jahre monatlich 420 DM) eine Gesamtsumme von 19.909,69 DM erhalten. Zur Klarstellung hat das Insolvenzgericht im Beschlusstenor ausgesprochen, dass der gerichtliche Vergleich in der Form des überarbeiteten Schuldenbereinigungsplanes v. 20.2.2001 gilt.