Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 26.05.2017, Az.: L 15 AS 62/17 B ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.05.2017
Aktenzeichen
L 15 AS 62/17 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53588
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 03.03.2017 - AZ: S 35 AS 272/17 ER

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zum Anspruch auf SGB II-Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wenn die zuständige Ausländerbehörde den Verlust der Freizügigkeitsberechtigung festgestellt hat. Auch wenn gegen den Bescheid der Ausländerbehörde Widerspruch eingelegt worden ist und damit eine Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht erfolgen kann, begründet allein die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht.

2. Dass nach § 41 Abs. 7 SGB II dem Leistungsträger eingeräumte Auswahl- und Entschließungsermessen ist nicht allein aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II stets "auf Null" reduziert.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 3. März 2017 aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, den Antragstellerinnen zu 1. und 2. vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gewähren. Insoweit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 3. zu tragen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Den Antragstellerinnen wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt J. zu ihrer Vertretung beigeordnet.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz). Soweit sich der Antragsgegner gegen seine Verpflichtung zur Erbringung vorläufiger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) an die Antragstellerin zu 3. für die Zeit vom 7. Februar bis 31. August 2017 wendet, ist die Beschwerde unbegründet (dazu unter 1.). Im Übrigen ist die Beschwerde begründet (dazu unter 2.).

1.) Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) Bremen den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 3. vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Die Antragstellerin zu 3. erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, sie ist insbesondere hilfebedürftig, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bremen und ist erwerbsfähig.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Antragstellerin zu 3. auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. b) SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II sind hiernach Ausländer, deren Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen. Die Antragstellerin gehört zwar als bulgarische Staatsangehörige zu diesem Personenkreis. Sie hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr für ein Aufenthaltsrecht nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) oder nach dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz – AufenthG - (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R) zusteht. Die Antragstellerin zu 3. hat für die hinsichtlich der Vermittlung eines Aufenthaltsrechts allein in Frage kommenden Tätigkeit als Verkäuferin bei der Firma Pyramide in Bremen eine Ausübung einer Erwerbstätigkeit, aus der eine zum Aufenthalt berechtigende Arbeitnehmereigenschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU folgen könnte, nicht glaubhaft gemacht.

Die Arbeitnehmereigenschaft ist gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrach-tung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Ar-beitsverhältnisses betreffen, festzustellen (Europäischer Gerichtshof- EuGH -, Urteile vom 6. November 2003 - C-413/01 und vom 21. Februar 2013 - C-46/12). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch bei "geringfügig Beschäftigten" ist zu prüfen, ob die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung trotz der geringen Arbeitszeiten als "tatsächlich und echt" angesehen werden kann. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu be-rücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses.

Betrachtet man das erzielte Einkommen und die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit, so lässt sich die Tätigkeit - wie bereits zutreffend vom SG ausgeführt - nur als völlig untergeordnet und unwesentlich charakterisieren. Die wöchentliche Arbeitszeit (Monatsverdienst zuletzt 155 €, Stundenlohn 8,84 € = 17,5 Stunden monatlich: 4,33  = 4 Stunden wöchentlich), ist mit 10,39 % der Arbeitszeit eines voll Erwerbstätigen (38,5 Wochenstunden) zunächst gering. Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass für das Beschäftigungsverhältnis ein Monatsentgelt von lediglich höchstens 155 € erzielt werden kann. Von einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit kann nach alledem nicht ausgegangen werden.

Eine Leistungsberechtigung folgt jedoch aus der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 4, 1. Halbsatz SGB II. Nach dieser ab 29. Dezember 2016 geltenden Neuregelung des § 7 Abs. 1 SGB II besteht - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nach einem fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik ein Anspruch auf SGB II-Leistungen. Der Gesetzgeber geht insoweit davon aus, dass nach fünf Jahren von einer ausreichenden Verfestigung des Aufenthaltes gesprochen werden kann (BT-Drucks. 18/10211, S. 14).  Die Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 S. 5 SGB II) und setzt - entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners - keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus (BT-Drucks. 18/10211, S. 14).  Die Verfestigung tritt nicht ein oder entfällt, wenn der Unionsbürger nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU zur Ausreise verpflichtet ist, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat.

Vorliegend hat die Antragstellerin zu 3. einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik seit 2. Juli 2007 glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen. Da es auf die materielle Freizügigkeitsberechtigung - entgegen der Rechtslage bis 28. Dezember 2016 - nicht mehr ankommt, ist unerheblich, dass der Aufenthalt der Antragstellerin zu 3. nicht freizügigkeitsberechtigt i.S.d. FreizügG/EU ist.  Eine Feststellung der Ausreiseverpflichtung der Antragstellerin zu 3. durch die Ausländerbehörde liegt - anders für die Antragstellerin zu 1. und 2. - bislang nicht vor.

2.) Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner demgegenüber verpflichtet, den Antragstellerinnen zu 1. und 2. vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Die Antragstellerinnen zu 1. und 2.  unterliegen dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für Ausländer. Die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II greift nicht ein, da die Ausländerbehörde den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat.

Den Antragstellerinnen zu 1. und 2. steht weder ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU noch nach dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R) zu. Die Antragstellerin zu 1. ist insbesondere nicht erwerbstätig, so dass keine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU besteht. Auch eine Arbeitnehmertätigkeit mit einer Dauer von über einem Jahr, die eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU vermitteln könnte, hat die Antragstellerin zu 1. nicht glaubhaft gemacht. Den Antragstellerinnen zu 1. und 2. steht auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU zu. Nach dieser Vorschrift haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Selbst wenn für die Antragstellerinnen zu 1.  und 2. davon ausgegangen werden kann, dass sie sich seit Anmeldung in Bremen am 2. Juli 2007 (Antragstellerin zu 1.)  und  seit  25. Juli 2008 (Antragstellerin zu 2.) durchgängig im Bundesgebiet aufgehalten haben, begründet dies kein Daueraufenthaltsrecht. Denn Voraussetzung hierfür ist ein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet. Dieser setzt einen Aufenthalt voraus, der auf Freizügigkeit beruht, d.h. auf dem FreizügG/EU. Hierfür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Weder ist ersichtlich noch behauptet, dass die Antragstellerin zu 1.  in dieser Zeit (durchgängig) Arbeitnehmerin oder Selbständige gewesen ist. Auch ein Aufenthaltsrecht in dieser Zeit als Nichterwerbstätige scheidet aus. Dieses setzt voraus, dass neben ausreichenden Existenzmitteln auch ein ausreichender Krankenversicherungsschutz besteht (§ 4 S. 1 FreizügG/EU). Hiervor kann nicht ausgegangen werden, da die Antragstellerinnen fast durchgängig Leistungen nach dem SGB II bezogen haben.

Der Senat kann vorliegend offen lassen, inwieweit zu der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Rechtslage ein Aufenthaltsrecht aus einem etwaigen Schulbesuch der Antragstellerin zu 2.  für diese und die Antragstellerin zu 1. aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 folgen könnte. Denn auch wenn sich ein solches Aufenthaltsrecht ergäbe, folgte daraus keine Leistungsbe-rechtigung nach dem SGB II (vgl. dazu ausführlich: Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2016 - L 15 AS 226/15 B ER und vom 5. Oktober 2016 - L 15 AS 215/16 B ER). Seit dem 29. Dezember 2016 sind die Antragstellerinnen zu 1. und 2. ohnehin nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II für den Fall, dass sie ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 besitzen, von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

Ein Leistungsanspruch folgt auch nicht aus dem langjährigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Antragstellerinnen zu 1. und 2. haben zwar glaubhaft gemacht, dass sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem Beschluss vom 3. März 2017 Bezug genommen. Dies führt jedoch vorliegend nicht zu einer Leistungsberechtigung aufgrund der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 4, 1. Halbsatz SGB II, da der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden ist (§ 7 Abs. 1 S. 4, 2. Halbsatz SGB II). Die Ausländerbehörde der Freien Hansestadt Bremen hat mit Bescheid vom 8. Dezember 2016 den Verlust der Freizügigkeitsberechtigung sowie die Verpflichtung der Antragstellerinnen zu 1. und 2. zur unverzüglichen Ausreise aus dem Bundesgebiet festgestellt. Damit liegt die erforderliche Verlustfeststellung nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU vor.

Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerinnen zu 1. und 2. gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2016 Widerspruch erhoben haben und damit eine Durchsetzung der Ausreisepflicht noch nicht erfolgen kann. Denn unabhängig von der Frage der Durchsetzbarkeit, die davon abhängt, ob Rechtsmittel eingelegt worden sind (§ 7 Abs. 1 S. 4 FreizügG/EU), begründet bereits die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B; Geyer in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 3; Brinkmann in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 5; vgl. auch Kurzidem in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 2). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 erfolgten Änderung des § 7 FreizügG/EU entsteht die Ausreispflicht nicht mehr erst dann, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung des Verlustes (BT-Drucks. 16/5065, S. 211; Beschluss des 11. Senats a.a.O.; Geyer, a.a.O.). Somit wirkt auch schon die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeitsberechtigung einer Festigung des Aufenthaltsrechtes entgegen bzw. der Aufenthalt kann  nicht mehr als verfestigt i.S. des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II angesehen werden (so auch BT-Drucks. 18/10211 S. 14: „Sollte die Ausländerbehörde allerdings feststellen, dass ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Absatz 1 FreizügG/EU nicht (mehr) besteht, ist der Aufenthalt nicht mehr verfestigt.“).

Die Antragstellerinnen zu 1. und 2. haben auch keinen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen aufgrund einer direkten oder entsprechenden Anwendung von § 41a Abs. 7 SGB II (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Februar 2017 - L 8 SO 344/16 B ER). Nach dieser Vorschrift kann über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen vorläufig entschieden werden, wenn 1. die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist oder 2. eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist. Aus dem Wortlaut der Vorschrift (sog. „Kann-Vorschrift) folgt, dass zumindest die Entscheidung, ob Leistungen vorläufig erbracht werden, im Ermessen des Leistungsträgers steht (vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 41a Rn. 3). Dies bedeutet, dass dessen Verpflichtung zur Leistungsgewährung, insbesondere in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, nur dann in Betracht kommt, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, also das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere folgt aus einer etwaig drohenden Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch den Ausschluss von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII keine Ermessensreduzierung auf Null (so aber: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Februar 2017, a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. November 2015 - L 6 AS 1480/15 B ER). Das nach § 41a Abs. 7 SGB II eingeräumte Ermessen ist nicht allein aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II stets „auf Null“ reduziert.

Bereits zu den vor Inkrafttreten des § 41a SGB II geltenden Vorschriften  der §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F., 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III hat der Senat die Auffassung vertreten, dass die Anhängigkeit eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof, in dem die Vereinbarkeit einer Vorschrift des SGB II, von der die Entscheidung über einen Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand ist, den zuständigen Träger nicht ohne weiteres zur vorläufigen Gewährung unterhaltssichernder Leistungen verpflichtet (Beschlüsse vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER und vom 24. Juli 2014 - L 15 AS 202/14 B ER). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die seit 1. August 2016 geltende  Vorschrift des § 41a SGB II fest. Der Senat schließt sich dem 13. Senat des erkennenden Gerichts an, der in seinem Beschluss vom 18. April 2017 (L 13 AS 113/17 B ER) diesbezüglich ausführt:

„Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber § 41a Abs. 7 SGB II als Ermessensvorschrift ausgestaltet hat, obwohl ihm der Umstand bewusst gewesen sein dürfte, dass es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um solche handelt, die das Existenzminimum sichern, folgt, dass zu diesem Aspekt weitere Umstände hinzutreten müssen, um eine Ermessensreduzierung auf Null zu begründen (vgl. insoweit bereits zu § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER und Beschluss vom 24. Juli 2014 - L 15 AS 202/14 B ER; so offenbar auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. August 2014 - L 10 AS 1593/14 B - Rn. 6; vgl. zur Ermessensausübung im Rahmen des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 SGB III auch Düe in: Brand, SGB III, 7. Aufl. 2015, § 328 Rn. 18). Ansonsten wäre es folgerichtig gewesen, die Vorschrift von Anfang an als gebundene Entscheidung auszugestalten, da im Rahmen des SGB II in jedem Fall existenzsichernde Leistungen betroffen sind. Als im Rahmen der Ermessensausübung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III sachgerechte Entscheidungskriterien sind insbesondere anerkannt worden die Wahrscheinlichkeit, mit der sich als Ergebnis rechtlicher Klärung in einem beim EuGH, dem BVerfG oder dem BSG anhängigen Verfahren ein Leistungsanspruch als gegeben erweisen wird, die Möglichkeit der Deckung des Existenzminimums durch andere Leistungen, z.B. Nothilfeleistungen nach dem SGB XII (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.), sowie die Autorität des Gerichts, welches einen Vorlagebeschluss beim BVerfG erlassen bzw. ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH initiiert hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Es sind keine Gründe ersichtlich, diese Erwägungen nicht auch der Ermessensausübung in § 41a Abs. 7 SGB II zugrunde zu legen. Die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 23 SGB XII (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R) ist demgegenüber nicht auf § 41a Abs. 7 SGB II übertragbar (a.A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16. Februar 2017, a.a.O.). Der Senat hat bereits zu der der zitierten Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Rechtslage entschieden, dass er dieser Rechtsprechung nicht folgt und weiterhin eine Ermessensausübung im Rahmen von § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII erforderlich hält. Nach seiner Auffassung hatte das BSG mit seiner Rechtsprechung die Reichweite der gesetzlichen Ermächtigung in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII überschritten. Zugleich entstand ein Widerspruch zu dem Anspruchsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII, da entgegen dessen grundsätzlicher Wertung die Reichweite der vom BSG angenommenen Ermessensreduzierung den von § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII allenfalls vorgesehenen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Einzelfall zu einem regelhaften Leistungsanspruch aller EU-Bürger vom siebten Monat ihres Aufenthalts an verdichtete (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2016 - L 13 AS 247/16 B ER). Ebenso wie bei § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII würde die gesetzliche Ermächtigung zur Gewährung von vorläufigen Leistungen nach § 41a Abs. 7 SGB II überschritten, wenn regelmäßig eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen würde, weil existenzsichernde Leistungen streitig sind. Wie bereits soeben dargelegt, sind im Rahmen von § 41a Abs. 7 SGB II im Einzelfall andere Umstände als die denkbare Versagung von existenzsichernden Leistungen im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen. Die Einführung eines regelhaft zu gewährenden vorläufigen Leistungsanspruches über § 41a Abs. 7 SGB II liefe zudem dem gesetzgeberischen Willen zuwider, (EU-)Ausländer, die einem der in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bzw. § 23 Abs. 3 SGB XII geregelten Leistungsausschlüsse unterfallen, bis zur Ausreise auf Härtefallleistungen zu beschränken (vgl. Bundestagdrucksache [BT-Drucks.] Nr. 18/10211, S. 15f.).

Die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 41a Abs. 7 SGB II bedarf daher nach Auffassung des Senats einer sorgfältigen Prüfung. Soweit sich dabei die vorstehend aufgeführten Entscheidungskriterien als sachgerecht erweisen, wird der Grundsicherungsträger im Rahmen seines Entschließungsermessens berücksichtigen dürfen, dass eine höchstrichterliche Vorlage zum BVerfG derzeit ebenso wenig vorliegt wie ein höchstrichterliches Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH und sich zudem in Rechtsprechung und Literatur ein Konsens oder auch nur ein überwiegende Meinung dahingehend, dass der Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger nach altem und/oder neuen Recht verfassungswidrig ist, keineswegs herausgebildet hat. Ferner wird der Grundsicherungsträger berücksichtigen dürfen, dass das Existenzminimum der Antragsteller vorerst dadurch sichergestellt ist, dass bis zu einer etwaigen Ausreise aus dem Bundesgebiet Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3, 4 SGB XII (in der Fassung vom 22. Dezember 2016, gültig ab 29. Dezember 2016), bei Vorliegen unzumutbarer Härten nach § 23 Abs. 3 S. 5 SGB XII auch für einen Zeitraum von mehr als einem Monat, gewährt werden können. Für die Bewilligung von vorläufigen Leistungen nach § 41a Abs. 7 SGB XII besteht daher im Ergebnis kein Bedarf (vgl. bereits unter Berücksichtigung der Nothilfeleistungen nach dem SGB XII: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014, a.a.O.).

Dies gilt insbesondere für EU-Ausländer, die ohne weiteres grundsätzlich auf die Möglichkeit einer Ausreise aus dem Bundesgebiet zulässiger- und zumutbarerweise verwiesen werden können. Denn diese halten sich unter Inanspruchnahme der Möglichkeit der Freizügigkeit innerhalb des Gebietes der Europäischen Union aufgrund einer autonomen Entscheidung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Diese Entscheidung können sie, gerade wegen der herrschenden Freizügigkeit, jederzeit rückgängig machen (ähnlich: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. März 2016 - L 9 AS 1580/15 B ER - juris Rn. 81; a.A. wohl: BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 15/15 R, Rn. 32 - juris). Eine Ausreise scheitert insbesondere nicht an fehlenden finanziellen Mitteln, da nach § 23 Abs. 3a SGB XII die Kosten einer Rückreise (darlehensweise) übernommen werden können.

Insoweit besteht nach Auffassung des Senates zwischen EU-Ausländern und Auszubildenden, die nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sind, weil ihr Ausbildungsgang nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) dem Grunde nach förderfähig ist, eine vergleichbare Ausgangssituation. Letztere haben für den Fall, dass sie dem Leistungsausschluss unterfallen und die Härtefallregelung des § 27 Abs. 3 SGB II nicht einschlägig ist, lediglich die Wahl ihren Lebensunterhalt z.B. durch Aufnahme einer Beschäftigung zu bestreiten oder das Studium abzubrechen und damit Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ist nach dem BSG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 59/12 R, vom 30. September 2008 - B 4 AS 28/07 R sowie die Urteile vom 6. September 2007 - B 14 AS/7b AS 36/06 R und B 14/7b AS 28/06 R; a.A.: SG Mainz, Beschluss vom 18. April 2016, a.a.O.). Es ist nicht ersichtlich, warum Auszubildenden eine Rücknahme ihrer Entscheidung, eine Ausbildung durchzuführen, oder eine bedarfsdeckende Tätigkeit zu dessen Finanzierung aufzunehmen, in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise grundsätzlich zugemutet werden kann, jedoch nicht EU-Ausländern eine Ausreise oder die Aufnahme einer (nicht-)selbständigen Tätigkeit, die ein nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallendes Aufenthaltsrecht begründet. Insbesondere die Begründung des Arbeitnehmerstatus stellt einen EU-Ausländer nicht vor unüberwindbare Hindernisse, da die Grenze, oberhalb derer von einem nicht völlig unwesentlichen und untergeordneten Arbeitsverhältnis gesprochen werden kann, bereits bei einem sog. Minijob mit einem monatlichen Einkommen von höchstens 450,00 € bestehen kann (vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht in: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. Juli 2014, a.a.O.). Die aufzunehmende Tätigkeit muss insbesondere nicht das Existenzminimum abdecken (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R, Rn. 18 - juris).“

Nach alledem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das Entschließungsermessen des Grundsicherungsträgers im Rahmen des § 41a Abs. 7 SGB II im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null gebunden sein könnte.

Eine Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers nach § 75 SGG zu dem vorliegenden Eilverfahren kommt nicht in Betracht. Denn ein etwaiger Anspruch gegen diesen ist wegen seines Ausnahmecharakters, namentlich der Abhängigkeit einer auf den Einzelfall bezogenen Ermessensentscheidung unter Vorbringen besonderer Umstände, die der Ausreise ggf. auch längerfristig entgegenstehen, gesondert geltend zu machen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. März 2017 - L 15 AS 26/17 B ER und vom 7. März 2016 - L 15 AS 185/15 B ER). Aus Wortlaut und Sinn sowie Zweck der nunmehr für (EU-)Ausländer geltenden Regelungen nach § 23 SGB XII folgt, dass die Leistungsgewährung an (EU-)Ausländer weiterhin einen Ausnahmecharakter besitzt, so dass diese Leistungen gesondert bei dem Sozialhilfeträger geltend zu machen sind und somit dessen Beiladung nicht in Betracht kommt.

(EU-)Ausländer, die einem der in § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB XII geregelten Ausschlusstatbestände unterfallen, erhalten seit dem 29. Dezember 2016 keine Leistungen der Sozialhilfe mehr und sind auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII beschränkt. Danach werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken. Ebenso wie der Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII rechtlich ein aliud zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II darstellte (vgl. ausführlich Beschluss des Senats vom 7. März 2016 - L 15 AS 185/15 B ER), gilt dies auch für den Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 - L 13 AS 113/17 B ER). Denn anders als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, die zwar auf einen Zeitraum von nunmehr höchstens zwölf Monaten begrenzt bewilligt, grundsätzlich aber unbegrenzt gewährt werden können, ist der Bezug der Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII im Regelfall auf höchstens einen Monat beschränkt und dient der Vorbereitung der Ausreise aus dem Bundesgebiet (vgl. BT-Drucks. Nr. 18/10211, S. 16). Zudem folgt aus der Vorschrift, dass in dem jeweiligen Einzelfall zu prüfen ist, wie lange konkret Überbrückungsleistungen bis zu einer Ausreise zu gewähren sind. Diese gesonderte Prüfung obliegt zunächst dem Sozialhilfeträger.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Den Antragstellerinnen ist für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen. Sie können nach den von ihnen ausgefüllten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Rechtsverfolgung im Beschwerdeverfahren nicht, auch nicht teil- oder ratenweise tragen (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 S. 1, 1. Halbsatz, 1. Alternative Zivilprozessordnung, ZPO). Da der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat, hat die Bewilligung  unabhängig von der Frage der Erfolgsaussichten zu erfolgen (§ 119 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).