Sozialgericht Aurich
Urt. v. 08.11.2012, Az.: S 35 AS 89/12

Beschränkung der Kosten der Unterkunft aufgrund eines qualifizierten Mietspiegels für eine Stadt; Angemessene Kosten einer Wohnung für einen 1-Personen-Haushalt; Kaltmiete in Höhe von 355,00 Euro zuzüglich eines Betriebskostenabschlags in Höhe von 70,00 Euro

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
08.11.2012
Aktenzeichen
S 35 AS 89/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 42295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2012:1108.S35AS89.12.0A

Tenor:

Die Klage wird hinsichtlich des über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgehenden Gegenstands abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin, sind vom Beklagten zu erstatten zu 1/2.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Beschränkung ihrer Kosten der Unterkunft durch den Beklagten aufgrund des qualifizierten Mietspiegels für die Stadt G., der durch den Gutachterausschuss für Grundstückswerte G. in Zusammenarbeit mit der Stadt G. erstellt worden ist. Sie begehrt die Gewährung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe.

Die Klägerin bezieht vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II.

Die Klägerin bewohnt eine Mietwohnung in der H. in I ... Die Kosten der Wohnung belaufen sich ausweislich des Mietvertrags vom 02.11.2011 auf eine Nettokaltmiete in Höhe von 350,00 Euro zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 75,00 Euro, in der Summe also 425,00 Euro. Die Kosten der Heizung belaufen sich ausweislich der Vertragsbestätigung der J. vom 24.11.2011 auf eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 57,00 Euro.

Am 27.10.2011 sprach die Klägerin beim Beklagten vor. Sie könne eine Wohnung in der H. in I. anmieten. Die Wohnung verfüge über eine Wohnfläche von 69,39 m2, stamme aus dem Baujahr 1972 und die Kaltmiete belaufe sich auf 355,00 Euro zuzüglich eines Betriebskostenabschlags in Höhe von 70,00 Euro. Der Beklagte wies die Klägerin darauf hin, dass die Notwendigkeit des Auszugs aus der jetzigen Wohnung vorliege. Beim Umzug würden die angemessenen Kosten einer Wohnung für einen 1-Personen-Haushalt berücksichtigt. Für die vorbenannte Wohnung sei eine Kaltmiete in Höhe von 252,50 Euro angemessen. Die Betriebsnebenkosten könnten in tatsächlichem Umfang und die Heizkosten in angemessenen Umfang berücksichtigt werden.

Mit dem - nicht angefochtenen - Änderungsbescheid vom 10.11.2011 gewährte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.11. bis zum 31.12.2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung angemessener Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 252,50 Euro. Der Abschlag für die Betriebsnebenkosten werde in tatsächlicher Höhe von 75,00 Euro monatlich berücksichtigt. Nach Einreichung des Nachweises über den zu zahlenden Abschlag für Gas würden ferner die Heizkosten berücksichtigt.

Mit dem klagegegenständlichen Bescheid vom 20.12.2011 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 31.07.2012 in Höhe von 186,82 Euro monatlich. Ausweislich des Bescheids und der Berechnungsbögen sind die Betriebskostenvorauszahlung und die Heizkosten in tatsächlicher Höhe berücksichtigt. Die Nettokaltmiete ist nach wie vor mit einem Betrag in Höhe von 252,50 Euro berücksichtigt.

Mit Änderungsbescheid vom 12.01.2012 änderte der Beklagte die vorbenannte Leistungsgewährung ab. Mit Zahlung eines Betrages in Höhe von 131,91 Euro an die J. aus Heizkostenabrechnung vom 15.12.2011 verbleibe noch eine Schlussrate an die J. in Höhe von 39,28 Euro. Der Forderungsbetrag der J. von vormals 211,19 Euro sei somit ausgeglichen. Eine Zahlung aus den Leistungen der Klägerin an die J. in Höhe von monatlich 40,00 Euro entfalle somit ab März 2012. An der Höhe der monatlich gewährten Leistung nach dem SGB II hat der Beklagte nichts geändert.

Mit Schreiben vom 13.01.2012 legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid vom 20.12.2011 Widerspruch ein. Die Kosten der Unterkunft seien nicht zur vollen Höhe gewährt worden. Gewährt worden seien lediglich 252,50 Euro an Mietanteil. Tatsächlich zahle die Klägerin eine Kaltmiete in Höhe von 350,00 Euro. Jedenfalls hätten die Unterkunftskosten für die Klägerin in Höhe von mindestens 292,00 Euro gezahlt werden müssen. Angemessen seien die Unterkunftskosten dann, wenn sie dem örtlichen Mietspiegel entsprechen. Ein örtlicher Mietspiegel sei insoweit nicht hinreichend bekannt. Es gäbe zwar Mietdatenbanken des L., auf die der Beklagte regelmäßig zurückgreife, diese jedoch nicht offen lege. Sie seien daher nicht maßgeblich. Ferner seien lediglich Leistungen in Höhe von 116,82 Euro ausgezahlt worden. Richtig sei, dass 40,00 Euro direkt an die J. gezahlt wurden. Die anderen Abzüge seien jedoch nicht nachvollziehbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2012 wies der Beklagte den vorbenannten Widerspruch als teilweise unbegründet zurück. Auf den Widerspruch wurden für den Monat Januar 30,00 Euro nachgezahlt. Der Landkreis G. werde als Zahlungsempfänger für einen monatlichen Betrag in Höhe von 30,00 Euro gelöscht. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die angemessene Kaltmiete sich aus dem Produkt der angemessenen Wohnfläche und dem angemessenen Mietzins pro Quadratmeter ergäbe. Nach der Richtlinie über die Soziale Wohnraumförderung in Niedersachsen sei eine Wohnfläche von 50 m2 angemessen. Die Wohnung sei damit erheblich zu groß. Der Mietspiegel der Stadt G. (wie bereits dem Vertreter mehrfach mitgeteilt im Internet veröffentlicht) ermittle für eine Wohnung mit dem Baujahr 1972 und einer Wohnfläche von 50 m2 einen angemessen Quadratmetermietzins in Höhe von 5,05 Euro. Die angemessene Kaltmiete betrage demnach 252,50 Euro. Soweit vorgetragen werde, dass zumindest 292,00 Euro Unterkunftskosten gezahlt werden müssen und dabei auf die Werte der Wohngeldtabelle zu greifen sei, werde darauf hingewiesen, dass bereits 327,50 Euro Unterkunftskosten bewilligt seien.

Mit der am 13.02.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich fort.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren seien. Eine ordnungsgemäße Absenkungsaufforderung sei nicht ergangen. Ferner seien die Berechnungen des Beklagten nicht richtig. Er beziehe sich immer wieder auf die Angaben des L., ohne offen zu legen, wie das L. diese Werte ermittelt habe und verweigere nach wie vor die Einsicht in die entsprechende Mietdatenbank.

Die Klägerin behauptet, dass sie nicht über die vermeintlich zu hohen Unterkunfts- und Heizkosten aufgeklärt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20.12.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2012 abzuändern und der Klägerin die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Klägerin über die angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten aufgeklärt zu haben. Er nimmt dazu auf seinen Gesprächsvermerk vom 27.10.2011 Bezug.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Bescheid vom 20.12.2011, in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12.01.2012, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.01.2012 rechtmäßig sei. Die Werte des Mietspiegels seien auf de Homepage der Stadt A. (www. G ...de) veröffentlicht. Ferner seien die Unterkunftskosten auch unter Berücksichtigung der Wohngeldtabelle und eines Zuschlags in Höhe von 10 % unangemessen hoch. Es würden sogar höhere Kosten der Unterkunft gezahlt. Die Klägerin sei ohne eine kommunale Zusicherung in die aktuelle Wohnung eingezogen. Einer Kostenabsenkungsaufforderung habe es auch daher nicht bedurft.

Mit Aufklärungsverfügung vom 14.08.2012 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des L. G ... Aufgrund der Aufklärungsverfügung hat der L. G. mit Stellungnahme vom 04.09.2012 Durchschnittswerte aus sämtlichen dem Mietspiegel für die Stadt G. zugrundeliegenden Bestandsmieten errechnet und zwar für die Wohnungen bis einschließlich 50 m2, Wohnungen mit mehr als 50 m2 bis 60 m2, Wohnung mit mehr als 60 m2 bis 75 m2, Wohnungen mit mehr als 75 bis 85 m2 und schließlich Wohnungen mit mehr als 85 m2.

In der mündlichen Verhandlung am 08.11.2012 hat der Beklagte die Klage zu einem Mietwert von 5,10 Euro gerechnet auf 50 m2, in der Summe 255,00 Euro an Kaltmiete anerkannt.

Die Klägerin hat durch ihren Prozessbevollmächtigten das Teilanerkenntnis angenommen, den Rechtsstreit jedoch nicht für erledigt erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung durch die Kammer waren.

Entscheidungsgründe

Die gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist hinsichtlich des über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgehenden Teils nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20.12.2011, in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12.01.2012, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.01.2012, in Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 08.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus gehender Anspruch zu.

1. Der Klägerin steht nicht bereits deshalb ein Anspruch auf Gewährung ihrer Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu, weil sie nicht ordnungsgemäß auf die angemessenen Kosten der Unterkunft hingewiesen worden wäre.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind zwar Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, solange als Bedarf anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel längstens für sechs Monate. Daraus folgert das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung, dass ein Leistungsempfänger zunächst auf seine Obliegenheit zur Kostensenkung hingewiesen werden muss.

Dies ist jedoch ordnungsgemäß durch den Beklagten geschehen. Ausweislich des Gesprächsvermerks vom 27.10.2011 wurde die Klägerin vor Abschluss des Mietvertrags darauf hingewiesen, dass ihr lediglich Kosten in Höhe von 252,50 Euro bezogen auf die Nettokaltmiete gewährt werden könnten.

Dieser Hinweis genügt den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Insbesondere ist er im Wesentlichen richtig und versetzte damit die Klägerin in die Lage, eine Wohnung zu einem angemessenen Mietpreis zu finden.

2. Der Klägerin stehen auch keine über das Anerkenntnis des Beklagten hinausgehenden Kosten der Unterkunft zu.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Nach der Produkttheorie des Bundessozialgerichts bestimmen sich die angemessenen Kosten der Unterkunft nach der Produkttheorie. Danach sind die Kosten angemessen, soweit sie dem Produkt aus einerseits der aufgrund der landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen für die entsprechende Personenzahl angemessenen Wohnfläche und andererseits dem - aufgrund eines möglichst lokalen Maßstabs zu ermittelnden - angemessenen Mietzinses pro Quadratmeter entsprechen.

a) Nach dem niedersächsischen Wohnraumförderungsbestimmungen ist - als erster Faktor des Produkts - für eine Person eine Wohnfläche von 50 m2 angemessen.

b) Als zweiter Faktor des Produkts ist als lokaler Maßstab auf den Mietspiegel für die Stadt A. zurückzugreifen.

aa) Er kann als schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angewandt werden.

Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.09.2009, Az. B 4 AS 18/09 R, abrufbar unter www..de, Rn. 18, muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze (vgl. BSG, Urt. v. 18.06.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R) auf Grundlage eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" erfolgen, um ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln auch innerhalb eines Vergleichsraums zu gewährleisten. Das schlüssige Konzept soll die hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (vgl. BSG, Urt. v. 18.06.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R 0; BSG, Urt. v. 19.03.2008, Az. B 11b AS 41/06 R). Dabei muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen einfachen oder qualifizierten Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und 558d BGB abstellen (vgl. BSG Urt. v. 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R; BSG, Urt. v. 18.06.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R, abrufbar unter www..de, Rn. 7). Entscheidend ist vielmehr, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein "angemessenes Maß" hinreichend nachvollziehbar ist.

Nach der vorbenannten Entscheidung vom 22.09.2009, Az. B 4 AS 18/09 R, abrufbar unter www..de, Rn. 19, ist ein Konzept ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall. Schlüssig im Sinne dieser Entscheidung ist das Konzept, wenn zumindest die folgenden Vorgaben erfüllt:

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung). - Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, beispielsweise welche Art von Wohnungen, Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße. - Der Beobachtungszeitraum ist angegeben. - Die Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel) ist festgelegt. - Die eingezogenen Daten sind hinsichtlich ihres Umfangs repräsentativ. - Die Datenerhebung ist valide. - Die anerkannten mathematischstatistischen Grundsätze der Datenauswertung sind gewahrt. - Schließlich müssen die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) angegeben sein.

(1.) Die Kammer ist in der Entscheidung vom 15. März 2012, Aktenzeichen S 35 AS 1245/09, davon ausgegangen, dass der vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte G. erstellte Mietübersicht für den Landkreis A. in qualitativer Hinsicht eine ordnungsgemäße Grundlage zur Mietpreisermittlung darstellt.

Die dortigen Erwägungen zur Repräsentativität, Validität und Einhaltung der mathematisch-statistischen Grundsätze können angesichts des gleichartigen qualitativen Ansatzes auf den Mietspiegel für die Stadt G. übertragen werden.

Auch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.12.2011, Aktenzeichen B 4 AS 19/11 R, kann für die Bestimmung der angemessenen Reverenzmiete im Rahmen eines schlüssigen Konzepts - als vorrangige Möglichkeit vor Heranziehung der Wohngeldtabelle - auf einen qualifizierten Mietspiegel zurückgegriffen werden, Orientierungssatz Nr. 4, ferner Randnummer 23.

Da bei der Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels die Repräsentativität der Stichprobe durch die Annahme der Chancen gleicher Wahrscheinlichkeit der Abbildung der im Detail unbekannten Realität der Grundgesamtheit des Gesamtwohnungsbestands fingiert werde und eine umfassende verfahrensrechtliche Absicherung durch die beteiligten Interessengruppen stattfinde, sei von der Repräsentativität der Datenerhebung auch im Rahmen des schlüssigen Konzepts regelmäßig auszugehen, Randnummer 24 der vorbenannten Entscheidung.

(2.) Auch der Gegenstand der Beobachtung ist nachvollziehbar definiert.

(a.) Dafür spricht bereits, dass es sich um einen Mietspiegel im Sinne des § 558d BGB Abs. 1 BGB handelt. Danach ist ein qualifizierter Mietspiegel ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist.

(b.) Nachdem durch den Gutachterausschuss und den Beklagten Werte aus dem gesamten Wohnungsmarkt erhoben worden sind - ohne dass Differenzierungen nach Standard der Wohnungen vorgenommen worden wären - ist damit den Leistungsempfängern jedenfalls das Leben in einer Wohnung einfachen Standards ermöglicht. Der Beklagte hat sich insoweit im Wesentlichen für den vom Bundessozialgericht aufgezeigten Weg entschieden, den gesamten Wohnungsmarkt zu beobachten und den Leistungsempfängern alle Wohnungen bis zur Obergrenze des durchschnittlichen Mietpreises zur Verfügung zu stellen. Dies begegnet keinen Bedenken.

(c.) Nachdem als Vergleichsmaßstab die jeweilige durchschnittliche Nettokaltmiete einer Größenklasse ermittelt worden ist, bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Vergleichbarkeit und der Transparenz der ermittelten Werte.

(3.) Die Datenerhebung ist ferner ausschließlich in dem jeweils genau eingegrenzten und über den jeweiligen gesamten Vergleichsraum erfolgt. Nachdem als Vergleichsmaßstab grundsätzlich die Miete am Wohnort heranzuziehen ist (BSG, Urt. v. 07.11.2006, Az. 7b AS 10/06 R, abrufbar unter www..de, Rn. 24; siehe auch: BSG, Urt. v. 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R), stellt die Stadt A. darüber hinaus einen homogenen Lebens- und Wohnbereich dar. Bei der Festlegung des Vergleichsraums zur Ermittlung einer angemessenen Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen sind nämlich ausreichend große Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung zu definieren, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urt. v. 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08 R, abrufbar unter www..de, Leitsatz 2).

(4.) Die aus dem schlüssigen Konzept gezogenen Schlüsse sind zunächst auf der Homepage der Stadt A. (www. G ...de) veröffentlicht und ergeben sich sodann aus den nachstehenden Erwägungen.

bb) Namentlich ist aber umstritten, wie aus diesem Mietspiegel der angemessene Quadratmetermietpreis zu ermitteln ist.

(1.) Der Beklagte wendet die Tabellen des Mietspiegels wie einen Mietspiegel an. Den Leistungsempfängern werden die nach der von ihnen bewohnten Objektart (Wohnung, Einfamilienhaus oder Reihenhaus bzw. Doppelhaushälfte), der von Ihnen bewohnten Altersklasse und der für Sie nach der niedersächsischen Richtlinie über die Sozial Wohnraumförderung maßgeblichen Wohnungsgröße - zivilrechtlich - angemessenen Kosten gewährt. Diese Anwendung beruht auf der vom Beklagten in wohl ständiger Praxis umgesetzten Entscheidung des Sozialgerichts G. vom 12. Oktober 2005, Az. S 15 AS 159/05.

(a.) Bei einer - wie beispielsweise der dem Verfahren S 35 AS 1245/09 zu Grunde liegenden - Wohnung aus dem Jahr 1998 ist dieses Konzept in der Anwendung unbedenklich. Indem dem jeweiligen Leistungsempfänger die Anmietung einer recht neuen Wohnung zum nahezu höchsten erhobenen Durchschnittspreis ermöglicht wird, ist dieser meistbegünstigt.

Bei der Verweisung auf ältere Baualtersklassen mag hingegen nicht unbedingt der einfache Standard gewahrt sein. Auch könnte gerade bei den älteren Baualterklassen die derzeitige Verfügbarkeit nicht sichergestellt sein.

(b.) Gegen dieses Konzept der Anwendung spricht insofern weiter, dass für sämtliche Leistungsempfänger - entsprechend dem jeweiligen Alter der von ihnen bewohnten Wohnungen - ein unterschiedlicher Mietpreisstandard gilt. Daraus könnte sich eine Ungleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Lebenssachverhalte resultieren, die nicht mit Art. 3 GG in Einklang zu bringen wäre.

(c.) Ferner spricht aus pragmatischen Gründen dagegen, dass die Leistungsempfänger kaum ordnungsgemäß zur Kostensenkung aufgefordert werden können. Der angemessene Mietpreis folgt jeweils aus dem Alter der jeweiligen Wohnung. Für jeden Leistungsempfänger gilt ein individueller Wert.

(2.) Die Kammer hält den unter Berücksichtigung aller in den qualifizierten Mietspiegel für die Stadt G. einbezogenen Bestandsmietwerte gebildeten Durchschnittswert für maßgeblich.

(a.) Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.12.2011, Aktenzeichen B 4 AS 19/11 R, Orientierungssatz Nr. 5, ferner Randnummer 33, erfüllt wegen der Besonderheiten von Mietspiegeln zwar die Bildung eines arithmetischen Mittelwerts aus den Mietwerten die Anforderungen an ein mathematisch-statistisch nachvollziehbares Konzept regelmäßig nicht.

(aa.) Ausweislich des Tatbestands des vorbenannten Urteils, dort Randnummer 4, hat das Sozialgericht Duisburg den von ihn als angemessen angesehenen Wert für die Nettokaltmiete von 4,12 Euro je Quadratmeter errechnet, in dem es den Durchschnittswert aus den unteren Spannwerten der normalen Wohnlage der Baualtersstufen 1 bis 4 (bis 1984) aus den Mietspiegel 2005 der Stadt Duisburg gebildet hat. Dabei hat das Sozialgericht Wohnungen mit einer Bezugsfertigkeit nach 1984 ausgeklammert. Das Sozialgericht hat - im Gegensatz zum hiesig verfolgten Ansatz - also eine umfassende qualitative Begrenzung des beobachteten Wohnungsmarkts vorgenommen.

(bb.) Weiter weist das Bundessozialgericht unter Randnummer 33 der Entscheidung darauf hin, dass wegen der Besonderheiten von Mietspiegeln die Bildung eines arithmetischen Mittelwerts die Anforderung an ein mathematisch - statistisch nachvollziehbares Konzept regelmäßig nicht erfülle. Insbesondere könne eine nicht nach tatsächlicher Häufigkeit gewichtete Einbeziehung des Mittelwerts für Wohnungen der Baualtersklasse 4 eine nach dem tatsächlichen Wohnungsbestand im Vergleichsraum nicht gerechtfertigte Erhöhung der Angemessenheitsgrenze bewirken.

(cc.) Einerseits darf also bei Vorgehen nach der Methodik des Sozialgerichts Duisburg nicht auf den arithmetischen Mittelwert abgestellt werden. Werden hingegen keine einzelnen Tabellenfelder des Mietspiegels oder einzelne Werte aus der Erhebung ausgeklammert - mithin keine qualitative Begrenzung des beobachteten Wohnungsmarkts vorgenommen - begegnet die Bildung eines Durchschnittswerts keinen durchgreifenden Bedenken.

Andererseits darf nicht einfach ein Durchschnittswert aus den Einzelwerten der jeweiligen Baualtersklassen gebildet werden. Vielmehr hält die Kammer unter dem vom Bundessozialgericht unter Randnummer 33 der vorbenannten Entscheidung angesprochenen Gesichtspunkt - nach tatsächlicher Häufigkeit gewichtete Einbeziehung - die Bildung eines Durchschnittswertes aus sämtlichen in die Stellung des Mietspiegels eingeflossenen Bestandsmieten für sinnvoll, wenn nicht gar erforderlich:

Indem sämtliche Bestandsmietwerte in die Erhebung einfließen ist sichergestellt, dass der Wohnraum entsprechend seiner Häufigkeit auf den Mietmarkt repräsentiert wird.

(b.) In ähnlichem Sinne führt das Bundessozialgericht unter Randnummer 26 der vorbenannten Entscheidung zur hinreichenden Verfügbarkeit von Wohnungen aus, dass bei einem Herausgreifen bestimmter Mietspiegelwerte durch weitere Ermittlungen abgesichert werden müsse, dass der hinter diesem berücksichtigten Werten stehende tatsächliche Wohnungsbestand im Vergleichsraum die Anmietung einer angemessenen Wohnung im gesamten Vergleichsraum ermögliche.

(aa.) Daraus könnte bereits im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei Berücksichtigung sämtlicher Mietspiegelwerte zur Erstellung des schlüssigen Konzepts darüber hinaus gehende Verfügbarkeitsermittlungen untunlich sind. Entsprechend hat das Bundessozialgericht unter Randnummer 15 der vorbenannten Entscheidung herausgestellt, dass im Regelfall davon ausgegangen werden könne, dass in ausreichendem Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft verfügbar seien. Bei einer unbeschränkten Wohnungsmarktbeobachtung ist die Verfügbarkeit also regelmäßig indiziert.

(bb.) Ferner dürfen nach der vorbenannten Entscheidung des Bundessozialgerichts die Leistungsberechtigten nicht durch die Berücksichtigung nur bestimmter Mietspiegelfelder de facto auf bestimmte Bezirke und Ortsteile mit besonders verdichteter Bebauung beschränkt werden, weil dies neben der tatsächlichen Ausklammerung eines Teils des Vergleichsraums gleichzeitig das Risiko einer Ghettoisierung birgt, Randnummer 26.

Die zusätzliche Verfügbarkeitsprüfung sei gefordert, weil es zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete für einen qualifizierten Mietspiegel ausreiche, nur ein repräsentativer Rücklauf von Datensätzen (in der Regel 30 Angaben) für die durch die jeweiligen Tabellenfelder beschriebenen Wohnungstypen vorhanden sei. Die Besetzung einzelner Tabellenfelder eines Mietspiegels lasse daher zunächst nur die Vermutung zu, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung ein bestimmter Wohnungsmietwert auf dem Gesamtwohnungsmarkt überhaupt vorhanden gewesen ist und erlaube keinen Rückschluss auf seine Häufigkeit, Randnummer 26 der vorbenannten Entscheidung.

Dementsprechend weist auch das Bundessozialgericht unter Randnummer 28 der vorbenannten Entscheidung darauf hin, dass nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgegangen werden könne, dass unter Heranziehung grade nur das rechnerischen Durchschnittswerts aus den untersten Spannwerten der Wohnungen in normaler Wohnlage der Baualtersklassen 1 bis 4 in gesamten Vergleichsraum angemessener Wohnraum einfachen Standards in ausreichendem Maße vorhanden sei.

(cc.) Demgegenüber kann aber bei Berücksichtigung sämtlicher in dem Mietspiegel eingeflossenen Bestandsmietwerte davon ausgegangen werden, dass im hinreichenden Maße Wohnungen verfügbar sind. Schließlich ist im ersten Schritt der gesamte Wohnungsmarkt betrachtet worden und im zweiten Schritt mit der Durchschnittsbildung die untere und die obere Hälfte des Wohnungsmarkts abgebildet worden:

Indem den Leistungsempfängern die untere Hälfte des Mietmarks zur Verfügung gestellt wird, ist vielmehr - entsprechend Randnummer 15 der vorbenannten Entscheidung - auch die hinreichende Verfügbarkeit indiziert.

(c.) Der von der Kammer gewählte Ansatz geht ferner davon aus, dass sich aufgrund des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage für ein Gut auf einen Markt ein angemessener Preis bildet. Dabei stellt der Durchschnittswert den mittleren Preis auf dem Markt dar. Demgegenüber spiegeln sich bessere Wohnlagen und/oder Wohnungsausstattungen tendenziell in einem höheren und schlechtere Wohnlagen und/oder Wohnungsausstattungen tendenziell in einem niedrigeren Preis wieder.

Im Rahmen der Marktwirtschaftlichkeit des Ansatzes darf also davon ausgegangen werden, dass die höherwertigen Wohnungen auch mit einem höheren Preis abgebildet werden. Dementsprechend wird bei Anwendung eines Durchschnittswertes tendenziell der unterhalb dieses Durchschnittswertes liegende Mietmarkt abgebildet. Damit ist den Leistungsempfängern grundsätzlich die untere Hälfte des Bestandsmietmarkts zur Verfügung gestellt.

Berücksichtigt man weiter, dass die Neuabschluss- und Angebotsmieten tendenziell höher sind als die Bestandsmieten sind damit die Leistungsempfänger nicht nur auf die untere Hälfte des Mietmarktes, sondern möglicherweise sogar auf weniger als 40 % des aktuell verfügbaren Mietmarktes verwiesen. Damit kommt dieser Ansatz dem im Rahmen der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts eingeforderten einfachen Standard mit hoher Wahrscheinlichkeit erstaunlich nahe. Der von der Kammer gewählte Ansatz stellt damit in diesem Sinne sicher, dass die Leistungsempfänger im Wesentlichen auf den einfachen Standard verwiesen sind.

(3.) Entsprechend der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.12.2012, Aktenzeichen B 4 AS 19/11 R, kommt es - ohne künftigen besonderen Anlass - nicht weiter auf die hinreichende Verfügbarkeit von Wohnungen zu den hier ermittelten Durchschnittsmietpreis an. Bei unbeschränkter Betrachtung des Wohnungsmarkts ist die Verfügbarkeit regelmäßig indiziert.

(a.) Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.12.2011, Aktenzeichen B 4 AS 19/11 R, müssen die angemessenen Reverenzmiete bereits bei der Ermittlung der abstrakt angemessenen Kosten so festgelegt werden, dass es dem Leistungsberechtigten grundsätzlich möglich ist, im gesamten räumlichen Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten, Randnummer 15. Eine nach tatsächlicher Häufigkeit gewichtete Einbeziehung von Wohnungen in den Mittelwert gewährleistet, dass den Leistungsempfängern auch unter dem Gesichtspunkt der Verfügbarkeit und Häufigkeit die untere Hälfte des Wohnungsmarkts zur Verfügung gestellt ist, Randnummer 33.

(b.) Lediglich wenn sich auf Seiten eines Leistungserbringers Hinweise ergeben, dass der Mietmarkt sich wesentlich entwickelt hat und daraus Verfügbarkeitsprobleme folgen können, dürfte der Leistungserbringer gezwungen sein, weitere Verfügbarkeitsermittlungen anzustellen.

Beispielsweise könnte sich im Gebiet der Stadt G. auswirken, dass das Unternehmen M. durch seinen nach wie vor hohen Mitarbeiterbedarf und der damit einhergehenden Zuzüge nach A. Effekte auf den Mietmarkt ausgelöst hat. Der Mietpreis könnte dadurch maßgeblich gestiegen sein. Dem wäre gegebenenfalls im Rahmen der Anwendung des ab dem 01.01.2013 gültigen Mietspiegels Rechnung zu tragen.

cc) Der Sorge des Beklagten, dass im Falle eines zu hoch gesetzten durchschnittlichen Mietpreises auch Umzüge in eine mietwucherische Wohnung zugestimmt werden müsste, kann im Rahmen des Zustimmungsverfahrens begegnet werden.

Insbesondere dürfte nicht einem Leistungsempfänger eine Zustimmung durch Verwaltungsakt zu erteilen sein, wenn er dadurch in eine mietwucherische Wohnung entlassen wird. Diese Konstellation könnte sich insbesondere ergeben, da im Rahmen der Produkttheorie die Qudratmeterzahl mit zumindest 50 berücksichtigt wird, teilweise Leistungsempfänger aber eine kleinere Wohnung aufgefunden haben.

Bei Erteilung der Zustimmung zur Kostentragung hinsichtlich einer mietwucherischen Wohnung entstünde aber ein unauflösbarer Konflikt mit § 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuch und § 291 Strafgesetzbuch. Der Leistungsempfänger kann und muss daher im Rahmen des Zusicherungsverfahrens gem. § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II hinreichend geschützt werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Die Berufung war gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

Schellong