Sozialgericht Aurich
Urt. v. 08.03.2012, Az.: S 35 AS 1104/10

Anspruch eines Sozialhilfeempfängers auf Gewährung einer Versicherungspauschale

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
08.03.2012
Aktenzeichen
S 35 AS 1104/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 42293
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2012:0308.S35AS1104.10.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Die Widerklage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger, sind zu 1/2 vom Beklagten zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (im Folgenden: SGB II) unter Gewährung der Versicherungspauschale für die Kläger zu 3) und zu 4).

Die Kläger zu 3) und zu 4) sind im Rahmen eines Familientarifs privat unfallversichert. Versicherungsnehmerin ist die Klägerin zu 2).

Mit Schreiben vom 28.05.2010 beantragten die Kläger die Gewährung der Versicherungspauschale für die Kläger zu 3) und zu 4).

Mit Bescheid vom 15.06.2010 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2010 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger vom 15.06.2012 als unbegründet zurück.

Mit der am 23.09.2012 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren gerichtlich fort.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 02.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2010 abzuändern und den Klägern Leistungen unter Berücksichtigung der privaten Unfallversicherung zugunsten der Kinder zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Kläger zur Erstattung der bereits gewährten Versicherungspauschale zu verurteilen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung durch die Kammer waren.

Entscheidungsgründe

I.

Die teilweise zulässige Klage ist nicht begründet.

1. Hinsichtlich des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) ist die Klage bereits nicht zulässig. Sie sind durch die Nichtberücksichtigung der Versicherungspauschale bei den Klägern zu 3) und zu 4) nicht beschwert.

2. Hinsichtlich der Kläger zu 3) und zu 4) ist die Klage nicht begründet. Ihnen steht kein Anspruch auf Absetzung der Versicherungspauschale zu. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

a. Unschädlich ist entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch, dass die Kläger zu 3) und zu 4) die Versicherung nicht selbst - als Versicherungsnehmer - abgeschlossen hat. Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG die Versicherungspauschale unabhängig davon in Abzug zu bringen, ob tatsächlich Beiträge zu privaten Versicherungen aufgewendet worden sind (vgl BSG Urteile vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 3; 18.6.2008 - B 14 AS 55/07 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 4; 13.5.2009 - B 4 AS 39/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 23). Die mangelnde Abzugsmöglichkeit der Versicherungspauschale vom Einkommen des Kindes, das in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist in der Rechtsprechung des BSG damit gerechtfertigt worden, dass im Regelfall das Kind an den für die Bedarfsgemeinschaft abgeschlossenen Versicherungen partizipiert und sein Einkommen in erster Linie zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts dienen soll (BSG Urteil vom 13.5.2009 - B 4 AS 39/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 23). Unter Berücksichtigung dessen soll die durch die Änderung der Alg II-V eröffnete Möglichkeit, auch vom Einkommen des minderjährigen Kindes in der Bedarfsgemeinschaft eine Versicherungspauschale in Abzug zu bringen, daher nur dann ergriffen werden können, wenn für das Kind eine eigene Versicherung abgeschlossen worden ist, die sein Einkommen auch tatsächlich belastet. Dieses setzt jedoch nur voraus, dass eine für das Kind zu finanzierende Versicherung vorhanden ist, die nicht in der Gesamtvorsorge der Bedarfsgemeinschaft aufgeht. Nicht erforderlich ist, dass das Kind den Versicherungsvertrag selbst geschlossen hat. Ebenfalls unschädlich ist, dass es sich im vorliegenden Fall um eine "Paketversicherung" handelt, vgl. Bundessozialgericht, Urt. v. 10.05.2011, Az. B 4 AS 139/10 R, abrufbar unter www..de, Rn. 24

b. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10.05.2011, Az. B 4 AS 139/10 R, abrufbar unter www..de, Rn. 21, wird in der Rechtsprechung von Bundessozialgericht und vormals dem Bundesverwaltungsgericht zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Hinblick auf Versicherungsbeiträge im existenzsichernden Bereich darauf abgestellt, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblicherweise Vorsorgeaufwendungen zu tätigen pflegen und andererseits, welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Hilfebedürftigen prägen (BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 7/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; abgrenzend zur Arbeitslosenhilfe wegen deren Funktion der Lebensstandardsicherung: BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 7 AL 24/04 R - BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1; s zur Sozialhilfe nach dem SGB XII: BSG Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R - BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1; vgl zum BSHG: BVerwG Urteil vom 27.6.2002 - 5 C 43/01 - BVerwGE 116, 342; Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl 2002, § 76 RdNr 38; Schmitt/Hillermeier, BSHG, Stand Dezember 1996, § 76 RdNr 92).

Nach der vorbenannten Entscheidung wird der Prozentsatz von 50 % der gesamten Bevölkerung, die eine derartige Versicherung hielten, nicht erreicht. Der Anteil an privat unfallversicherten Kindern aus Familien mit geringen finanziellen Mitteln ist dementsprechend geringer, vgl. LSG Hamburg, Urt. v. 11.11.2010, Az. L 5 AS 58/07, abrufbar unter www..de.

Der durchschnittliche Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze pflegt daher üblicherweise keine Vorsorgeaufwendungen für private Unfallversicherungen zu tätigen.

c. Schließlich liegen auch in den Personen der Kläger zu 3) und zu 4) keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die dazu führen, dass eine solche private Absicherung als angemessen zu bewerten ist. Es ist keine besondere Gefährdung aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung oder einer sonstigen besondere Gefährdungen ersichtlich. Der gesteigerte Aktivitätsdrang der Kläger zu 3) und zu 4) begründet keine wesentlich vom Durchschnitt abweichende Gefährdungslage.

II.

Die Widerklage ist abzuweisen. Der Beklagte ist insbesondere auf die §§ 44 ff. SGB X verwiesen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz.

Schellong