Sozialgericht Aurich
Urt. v. 04.12.2012, Az.: S 32 R 286/10
Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 04.12.2012
- Aktenzeichen
- S 32 R 286/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 41469
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2012:1204.S32R286.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI
- § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI
Tenor:
Der Bescheid vom 28.7.09 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.7.10 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin ab Antragstellung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 50%.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Sie begehrt inhaltlich die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung evtl. auch als Rente bei Berufsunfähigkeit.
Die Klägerin ist am G. 1956 geboren und beantragte mit dem 19.06.2009 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 28.07.2009 abgelehnt, die ablehnende Entscheidung durch Widerspruchsbescheid vom 28.07.2010 bestätigt.
Bei der Klägerin ist ein GdB von 40 und die Gleichstellung als Schwerbehinderte anerkannt. Die Klägerin hatte zunächst eine Ausbildung zur Hauswirtschaftsgehilfin in den Jahren von 1973 bis 1975 durchgeführt, hierbei keinen Abschluss erlangt. Danach absolvierte sie mit Erfolg in der Zeit von 1976 bis 1978 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. In der Folge war sie in der Zeit von 1978 bis Mai 2009 als Altenpflegerin bei verschiedenen Arbeitgebern erwerbstätig. Die letzte Tätigkeit wurde aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen aufgegeben. Die Klägerin führte im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit als Altenpflegerin keine weiteren Fortbildungen durch.
Die Klägerin leidet insbesondere unter einer weichteilbetonten Schmerzsymptomatik beider Hände. Des weiteren besteht bei ihr ein Verschleiß des linken Knies, der unter Nutzung eines Gehstocks teilweise ausgeglichen wird, ein Wirbelsäulenverschleiß im Bereich der Lendenwirbelsäule, ein Zustand nach Behandlung eines sogenannten Karpaltunnelsyndroms beidseits, ein Bluthochdruck und eine Adipositaserkrankung. Eine längere depressive Reaktion befindet sich in Remission.
In der Widerspruchsentscheidung vertrat die Beklagte die Auffassung, die Klägerin könne als "Pflegefachkraft in der Pflegebegutachtung" erwerbstätig sein. Deswegen käme die Bewilligung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht in Betracht.
Zeitlich vor Stellung des Antrags auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung hatte die Klägerin Rehabilitationsmaßnahmen in H. vom 04.09. bis 25.09.2008 durchgeführt. Der Entlassungsbericht vom 17.10.2008 stellt in sozialmedizinischer Hinsicht dar, dass die Klägerin mittelschwere körperliche Arbeiten 6 Stunden arbeitstäglich durchführen könne unter bestimmten Leistungseinschränkungen. Die Leistungseinschränkungen resultierten daraus, dass ihr linkes Bein in der Funktion eingeschränkt war. So dürfe die Klägerin nicht mittelschwer oder schwer heben oder tragen, sie dürfe keine Tätigkeiten im Bücken und unter Rotation der Beine durchführen, ein Klettern oder Steigen und Tätigkeiten auf unebenen Grund seien nicht abzuverlangen.
Im Verwaltungsverfahren bezüglich des Rentenantrages wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch Herrn I. auf dem Fachgebiet der Orthopädie begutachtet, wobei das Gutachten mit dem Datum vom 21.07.2009 vorlag. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin ausgeübte Erwerbstätigkeit als Altenpflegerin nur noch im zeitlichen Rahmen von drei bis sechs Stunden erwerbstäglich durchführbar sei. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im zeitlichen Rahmen von sechs Stunden oder mehr arbeitstäglich durchführen unter bestimmten Leistungseinschränkungen. Die Arbeiten müssten innen unter Schutz vor Kälte durchgeführt werden und in Wechselhaltung zwischen Sitzen und Gehen. Häufiges Treppensteigen, Haltungskonstanzen seien ebenso auszuschließen wie Akkordarbeiten. Weiter lies die Beklagte die Klägerin im Widerspruchsverfahren durch Dr. J. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet begutachten, wobei das Gutachten mit dem 15.03.2010 vorgelegt wurde. Auf seinem Fachgebiet kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass sowohl die Tätigkeit als Altenpflegerin als auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfange von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich abverlangbar wären. Diese Tätigkeiten könnten stehend, gehend und zeitweise sitzend unter Ausschluss von Nachtschicht durchgeführt werden.
Mit Bescheid vom 09.11.2011 wurde ein Antrag der Klägerin auf Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme medizinischer Art durch die Beklagte abgewiesen. Diese ablehnende Entscheidung wurde darauf gestützt, dass ambulante medizinische Maßnahmen vorrangig vor stationären Maßnahmen ausreichend seien. Die Klägerin ist der Auffassung, dass entgegen der Ansicht der Beklagten die medizinischen Voraussetzungen des Bezuges einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt seien. Jedenfalls sei ihr eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren, da sie ihre Tätigkeit als Altenpflegerin nicht mehr ausüben könne und eine zumutbare Verweisungstätigkeit durch die Beklagte nicht benannt sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist nach dem Ergebnis der gerichtlichen Sachverhaltsermittlungen weiterhin der Auffassung, dass die medizinischen Voraussetzungen der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vorlägen. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin bestehe nicht. Bezüglich einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit müsse sich die Klägerin auf eine Tätigkeit als Pflegefachkraft der Pflegebegutachtung verweisen lassen. Diese Tätigkeit könnte sie aus medizinischen Gründen weiterhin durchführen und die Verweisung darauf sei der Klägerin auch zumutbar, insbesondere sei die Tätigkeit im zeitlichen Rahmen von drei Monaten oder weniger zu erlernen.
Die Kammer holte im Gerichtsverfahren Befundberichte von die Klägerin behandelnden Ärzten ein. In der Folge der Bewertung der Inhalte dieser Befundberichte erhob die Kammer dadurch Beweis, dass ein medizinisches Sachverständigengutachaten auf dem Gebiet der Orthopädie in Auftrag gegeben wurde. Das Gutachten wurde durch den Sachverständigen Dr. K. unter dem Datum vom 19.09.2011 vorgelegt. Bezüglich des Ergebnisses der Begutachtung wird auf die in den Akten befindliche Ausfertigung des Gutachtens Bezug genommen. Weiterer Gegenstand der Entscheidungsfindung waren die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2012.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet und teilweise unbegründet.
I.
Die angefochtenen Bescheide sind bezüglich der Ablehnung der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtmäßig ergangen. Die Klägerin ist diesbezüglich durch die Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gem. § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches gesetzlicher Rentenversicherung (SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert in diesem Sinne, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsermittlungen steht für das Gericht fest, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin mindestens 6 Stunden erwerbstätig sein kann. Sie ist daher nicht im Sinne des § 43 Abs. 3 SGB VI erwerbsgemindert. Diese Einschätzung stützt das Gericht auf das im Laufe des Gerichtsverfahrens eingeholte medizinische Sachverständigengutachten und die im Ergebnis übereinstimmenden sozialmedizinischen Einschätzungen der von der Beklagten beauftragten Gutachter sowie die Inhalte der vorliegenden Befundberichte. Insbesondere das durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen erstellte medizinische Sachverständigengutachten auf dem Gebiet der Orthopädie stellt sich für das Gericht als schlüssig und nachvollziehbar dar. Der Gutachter schätzt die sozialmedizinische Leistungsfähigkeit der Klägerin der Gestalt ein, dass diese leichte körperliche Arbeiten im Umfange von 6 Stunden oder mehr arbeitstäglich sitzend oder in Wechselhaltung ohne stehende Tätigkeit durchführen könne. An Leistungseinschränkungen formulierte der Gutachter, dass kein Heben und Tragen über 5 kg abverlangt werden könne, keine Haltungsmonotonien, kein Hocken oder Knien, keine Überkopfarbeiten. Des Weiteren müssten Tätigkeiten unter Schutz vor Nässe, Kälte oder Zugluft stattfinden und unter Ausschluss von Akkord, besonderem Stress und besonderem Zeitdruck. Aufgrund der starken Handprobleme der Klägerin lägen Einschränkungen bei der Feinmotorik vor, die besondere Anforderungen an die feinmotorische Fähigkeit ausschlössen.
Diese Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen kann auch nicht durch das von der Klägerin vorgelegte Schreiben des sie behandelnden Facharztes für Innere Medizin Dr. L. vom 04.12.2011 entkräftet werden. Die dort getroffene Erwägung, dass konkret und praktisch eine Arbeitsstelle für die Klägerin nicht gefunden werden kann, ist nach oben ausgeführter gesetzlicher Lage nicht entscheidungserheblich. Es kommt nicht auf ein konkretes Arbeitsmarktrisiko an, sondern auf die abstrakten Möglichkeiten, Erwerbstätigkeiten auszuüben. Bezüglich der von dem behandelnden Arzt ausgeführten besonderen Symptomatik im Bereich der Hände kann das Gericht nur feststellen, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige diese Symptomatik in seinem Gutachten umfassend gewürdigt hat. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat ausdrücklich hochgradige Einschränkungen der Fingerfunktion sowie der Greiffähigkeit festgestellt. Insbesondere wurde dargestellt, dass die grobe Kraft eingeschränkt sei. Der Gutachter bewertete diese Problematik bezüglich der Hände insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass zumindest teilweise keine objektive funktionelle Einschränkung erkennbar sei. Vielmehr liege ein Mischbild subjektiver und objektiver funktioneller Einschränkungen vor, welches Einschränkungen bei feinmotorischen Tätigkeiten bedinge. Die Stellungnahme des behandelnden Arztes legt keine davon abweichenden gesundheitlichen Probleme im Bereich der Hände dar. Der behandelnde Arzt bewertet die sozialmedizinischen Konsequenzen dieser Handproblematik anders als der medizinische Sachverständige des Gerichts. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die Einschätzung des behandelnden Arztes keine gutachterlich fundierte Bewertung ist, sondern als Einschätzung aus der Behandlungssituation der Klägerin resultiert. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat demgegenüber umfassende Erfahrung im Bereich der sozialmedizinischen Einschätzungen und hat eine isolierte spezifische Begutachtung der Klägerin durchgeführt. Von daher erscheinen die durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen getroffenen Konsequenzen der gesundheitlichen Einschränkungen für das Gericht nachvollziehbarer und überzeugender.
II.
Die zulässige Klage ist bezüglich der Ablehnung der Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit begründet. Die angefochtenen Bescheide sind diesbezüglich rechtswidrig ergangen und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 Abs. 1 SGB VI.
Der Gesetzgeber gewährt einem Versicherten einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht schon dann, wenn er seinen bisherigen Beruf im Sinne des Gesetzes aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Vielmehr verlangt das Gesetz von einem Versicherten, dass er einen zumutbaren beruflichen Abstieg in Kauf nimmt und sich vor Inanspruchnahme einer Rente mit einer geringer wertigen Erwerbstätigkeit in diesem Sinne zufrieden gibt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf einen zumutbaren anderen Beruf verwiesen werden kann, ist er Berufsunfähig im Sinne des Gesetzes (BSG vom 28.11.1985, Satz a 2200, § 1246 RVO Nr. 132; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 24.10.2006, Az.: L 2 KN 32/06 zitiert nach ).
Berufsunfähig sind folglich Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Bezüglich der Bestimmung der Zumutbarkeit einer anderen beruflichen Tätigkeit hat das BSG ein sogenanntes Mehrstufenschema entwickelt. 1. Stufe: hoch qualifizierte Facharbeiter und Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion, 2. Stufe: Facharbeiter bei Tätigkeit in einem anerkannten Lehrberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig aber drei Jahren, 3. Stufe: angelernte Arbeiter bei Tätigkeit in einem Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von bis zu zwei Jahren, 4. Stufe: ungelernte Arbeiter. Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit ist die Zuordnung einer Tätigkeit innerhalb des Schemas zur nächst niedrigen Stufe möglich:
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig die medizinische Situation der Klägerin der Gestalt zu bewerten, dass die Ausübung einer Berufstätigkeit als Altenpflegerin nicht mehr in einem zeitlichen Umfang von mehr als drei Stunden abverlangt werden kann. Diese Einschätzung der Beteiligten wird durch das Gericht ausdrücklich geteilt. Die Einschätzung des von der Beklagten bestellten Gutachters I. von 2009, die von einer Möglichkeit der Ausübung der Tätigkeit als Altenpflegerin im zeitlichen Rahmen von drei bis sechs Stunden erwerbstätig ausgeht, scheint für das Gericht nicht überzeugend. Weitere Erörterungen diesbezüglich sind in Anbetracht der übereinstimmenden Einschätzung der Beteiligten entbehrlich.
Der von der Beklagten ausdrücklich formulierte Verweisungsberuf der Pflegefachkraften der Pflegebegutachtung stellt im konkreten Fall der Klägerin keinen tauglichen Verweisungsberuf im Sinne der obigen Rechtsprechung dar. Zunächst ist festzustellen, dass die Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin eine Tätigkeit der zweiten Stufe im Sinne des Vierstufenschemas ist. Dementsprechend ist die Klägerin nur auf andersartige vergleichbare Facharbeitertätigkeiten oder Tätigkeiten in einem Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von bis zu zwei Jahren verweisbar. Die Verweisung ist dabei möglich auf Tätigkeiten, für die eine Anlernzeit von drei Monaten ausreichend ist (ständige Rechtsprechung siehe Nachweise bei Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VI 73. Ergänzungslieferung 2012 § 240 Rn 92; insbesondere LSG NRW vom 30.03.2011 AZ: L 8 R 602/10 zitiert nach ).
Für die Klägerin ist die Ausübung der Tätigkeiten einer angestellten Pflegefachkraft in der Pflegebegutachtung nicht innerhalb von drei Monaten erlernbar. Die Kammer lässt dabei ausdrücklich dahingestellt, ob bei Versicherten mit einem anderen Ausbildungshintergrund eine Anlernzeit von weniger als drei Monaten denkbar ist. Die Klägerin hat im Laufe ihrer Tätigkeit als Altenpflegerin keinerlei Verwaltungstätigkeiten übernommen, geschweige denn entsprechende Fortbildungen durchgeführt. Sie hat bislang keinerlei Begutachtungen bzgl. Pflegestufen o. ä. durchgeführt. Sie hat vielmehr ausweislich ihrer Erwerbsbiografie ausschließlich die handwerklich geprägte Tätigkeit der Altenpflegerin ausgeübt. Von daher bedürfte es eines deutlich längeren Zeitraums als drei Monaten um der Klägerin die erforderlichen EDV-Kenntnisse zur Bearbeitung von Anträgen auf Bewilligung von Pflegestufen sowie überhaupt den theoretischen Hintergrund bzgl. der Regulatorien des Gesetzes zur Sozialen Pflegeversicherung des 11. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) näher zu bringen.
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17.06.2009 (AZ. L 2 R 65/09 zitiert nach ), die von einer zumutbaren Verweisung auf eine Tätigkeit als angestellte Pflegefachkraft in der Pflegebegutachtung ausgeht, kann nach Auffassung der Kammer nicht parallel auf den Fall der Klägerin angewandt werden. In der Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen war die dortige Klägerin bereits als begutachtende Pflegefachkraft tätig. Sie bedurfte des Erwerbs keinerlei neuer Kenntnisse zur Ausübung dieser Tätigkeit. Von daher war die Anlernzeit unter drei Monaten für die dortige Klägerin unproblematisch. Dies unterscheidet sich sehr stark zur Situation der hiesigen Klägerin.
Ebenso liegt keine parallele Situation im Vergleich zur Entscheidung des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 05.11.2008 (AZ: L 7 R 140/06 zitiert nach ) vor, denn die dortige Klägerin war zwar nicht als begutachtende Angestellte bzgl. Pflegestufen tätig gewesen, sie hatte aber im Zuge ihrer Erwerbsbiografie umfangreiche Qualifikationen gerade im Bereich einer Bürotätigkeit erworben. Die dortige Klägerin hatte einen Facharbeiterbrief als Handelskauffrau erworben und war langjährig als Sachbearbeiterin im Bürobereich eingesetzt gewesen. Von daher war auch bzgl. der dortigen Klägerin eine deutlich verringerte Anlernzeit im Vergleich zur hiesigen Klägerin anzunehmen.
Vor dem Hintergrund der Problematik der Anlernzeit bedarf es keiner weiteren Ermittlungen bzgl. der Frage, ob zum Einen überhaupt Stellen als angestellte Pflegefachkräfte in der Pflegebegutachtung verfügbar sind. Hieran könnten gewisse Zweifel bestehen, da der Vorsitzende im Rahmen einer kursorischen Internetrecherche ermittelt hat, dass zumindest aktuell keine entsprechenden Stellen ausgeschrieben sind, sondern allein Fachkräfte in der Pflegebegutachtung auf Honorarbasis gesucht werden. Zum anderen könnte ein weiteres Problem bzgl. der Verweisung auf eine Stelle als Pflegefachkraft in der Pflegegutachtung darin bestehen, dass solche Stellen nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden, sondern eventuell nur im Sinne von sogenannten Schonarbeitsplätzen an ausgewählte Bewerber vergeben werden. Des Weiteren werden solche Stellen nicht von mehreren voneinander unabhängigen Arbeitgebern angeboten, sondern alleine von den medizinischen Diensten der Krankenkassen der jeweiligen Bundesländer. Diesbezüglich geht das Gericht davon aus, dass es sich zwar formal um mehrere Arbeitgeber handelt, diese aber in der Sache einen Arbeitgeber darstellen könnten wegen der inhaltlich gleichen gesetzlichen Regelungen. Bzgl. all dieser Faktoren bedarf es jedoch keiner weiteren Ermittlungen oder einer Entscheidung des hiesigen Gerichts.
Ein weiterer Aspekt, der die Unmöglichkeit der Verweisung auf eine Tätigkeit als Fachkraft der Pflegebegutachtung für die Klägerin bedingt, liegt in ihrer medizinischen Situation. Ausweislich des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K. hat die Klägerin aufgrund ihrer subjektiven und objektiven funktionellen Einschränkungen der Hände Probleme bei feinmotorischen Tätigkeiten, hier exemplarisch Alltagsbelastungen wie z. B. der Bedienung einer Computertastatur. Auch haben sich zumindest ausweislich des hausärztlichen Befundberichtes diese Handproblematiken nicht gebessert, wenn nicht gar verstärkt. Bereits der gerichtlich bestellte Sachverständige geht davon aus, dass die Klägerin Halteleistungen beim Zeitungslesen sowie längere Fahrleistungen aufgrund der Greifeinschränkung beider Hände nicht mehr erbringen kann. Im Rahmen der Tätigkeit als Pflegefachkraft in der Pflegebegutachtung ist es zum Einen erforderlich, dass ein mobiler Computer zuverlässig bedient werden kann, denn gerichtsbekannt werden die Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkasse bzgl. der Feststellung einer Pflegestufe im Sinne des SGB XI schon seit längerem nur unter Bedienung eines mobilen Computers erstellt. Zum Anderen ist es für eine Fachkraft in der Pflegebegutachtung zwingend erforderlich, dass die Antragsteller bzgl. Leistungen nach dem SGB XI in ihrem häuslichen Umfeld besucht und begutachtet werden. Von daher ist es nahezu zwingend erforderlich, dass als Pflegefachkraft in der Pflegebegutachtung ein Kraftfahrzeug genutzt wird, da es in aller Regel nicht immer gegeben ist, dass die zu begutachtenden Personen mit öffentlichem Personennahverkehr erreicht werden könnten. Diese alltägliche dauerhafte Bedienung eines Kraftfahrzeuges ist nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen für die Klägerin ausgeschlossen.
Weitere Verweisungsberufe wurden durch die Beklagte ausdrücklich nicht benannt, dies auch nicht auf Nachfrage im gerichtlichen Verfahren. Die Beklagte nahm vielmehr mit Schreiben vom 28.10.2011 ausschließlich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug, worin einzig und allein der Beruf der Pflegefachkraft der Pflegebegutachtung benannt findet. Von daher hatte das Gericht nicht bzgl. anderer denkbarer Verweisungsfähigkeiten zu ermitteln oder zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren bzgl. der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung unterlegen, sie ist jedoch mit ihrem hilfsweise Begehren bzgl. der Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit siegreich gewesen. Die Höhe der teilweisen Rente erreicht die Hälfte der Höhe der vollen Rente, so dass eine Obsiegensquote von 50% angemessen ist.
Das Gericht versteht den durch die Klägerin formulierten Antrag dabei ausdrücklich weit der Gestalt, dass nicht nur eine Rente wegen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI begehrt wird, sondern auch hiermit hilfsweise die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.