Sozialgericht Aurich
Urt. v. 09.02.2012, Az.: S 35 AS 16/11
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufrechnungserklärung; Aufrechnung einer Forderung aus einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegen laufende Leistungen nach dem SGB II
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 09.02.2012
- Aktenzeichen
- S 35 AS 16/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 42294
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2012:0209.S35AS16.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 43 S. 1 SGB II
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aufgrund des Bescheides vom 24.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2011 für den Zeitraum vom 01.03.2010 bis zum 31.08.2010 monatlich weitere 20,00 Euro zu zahlen, soweit diese nicht bereits gezahlt worden sind. Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin, sind vom Beklagten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung einer Forderung aus einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegen die laufenden Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin befindet sich in Privatinsolvenzverfahren.
Mit bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16.04.2008 hob der Beklagte gegenüber der Klägerin seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (im Folgenden SGB II) für den Zeitraum vom 01.10.2007 bis zum 29.02.2008 teilweise auf und forderte einen Betrag in Höhe von 1.920,00 Euro zur Erstattung an.
Am 27.11.2009 wurde unter der Geschäftsnummer F. bei dem Amtsgericht G. das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
Am 25.11.2010 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin mangels zur verteilender Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben.
Mit Bescheid vom 24.03.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 712,90 Euro monatlich hinsichtlich des Zeitraumes vom 01.03. bis zum 31.08.2010. Auf Seite des Bescheides ist unter Zahlungsempfänger aufgeführt, dass an die H. ein "Festbetrag vorrangig BA" abgeführt werde.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Tilgung einer noch bestehenden Restforderung erfolge monatlich ein Auszahlungsbetrag von 20,00 Euro an die H ... Im Folgenden wird der Bescheid vom 17.04.2008 erwähnt. Eine Aufrechnung könne gem. § 43 Satz 1 SGB II erfolgen. Im August 2009 habe die Widerspruchsführerin ein Darlehen in Höhe von 200,00 Euro erhalten. Die insgesamt bestehenden Forderungen haben ursprünglich mit einer Rate von 50,00 Euro bedient werden sollen. Die Widerspruchsführerin selbst habe am 23.10.2009 um eine Reduzierung der monatlichen Rate auf 20,00 Euro gebeten. Diesen Wunsch sei entsprochen worden.
Mit der am 06.01.2011 beziehungsweise am 16.02.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich fort.
Sie ist der Auffassung, dass die Aufrechnung im Privatinsolvenzverfahren nicht möglich sei. Die Forderungen seien nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden. Die Aufrechnung sei der gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung unzulässig.
Die Klägerin beantragt daher,
die Beklagte zu verurteilen, festgesetzte Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 712,90 Euro monatlich ab dem 01.09.2010 abzüglich geleisteter 692,90 Euro monatlich auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass sowohl die Aufrechnung im Insolvenzverfahren zulässig sei und außerdem eine ordnungsgemäße Aufrechnung vorliege.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung durch die Kammer waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 43 Satz 1 SGB II überwiegend vor. Danach können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder Schadensersatz handelt, die der Hilfsbedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Die zeitliche Grenze ergibt sich aus Satz 2. Es fehlt jedoch an einer ordnungsgemäßen Aufrechnungserklärung des Beklagten
I.
Die wörtlich benannten Voraussetzungen des § 43 Satz 1 SGB II sind gewahrt.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17.04.2008 ist hinsichtlich der Aufhebung und Erstattung bereits bestandskräftig.
Hinsichtlich des Verschuldensgrades der Antragstellerin enthält er zwar keine Feststellungen. Die Antragstellerin dürfte jedoch bei der Nichtangabe, dass ihre Kinder Ausbildungsförderung erhalten zumindest grob fahrlässig gehandelt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem derartigen Maße außer Acht lässt, dass es jeden billig und gerecht Denkenden oder zumindest einem Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises eingeleuchtet hätte. Angesichts der bei Antragstellung erfolgten Hinweise dürfte es der Antragstellerin bekannt gewesen sein, dass dieser Umstand anzuzeigen ist. Im Übrigen dürfte es auch bekannt sein, dass Leistungen nach dem SGB II der Sicherung des Lebensunterhaltes nur dann gewährt werden, wenn man keine andere Möglichkeit hat diesen Bedarf zu bedienen. Insofern drängt es sich förmlich auf, dass jede Einkommenserzielung bei Antragstellung oder auch im Laufe des Bewilligungszeitraumes der Behörde anzuzeigen ist.
Es begegnet auch keinen Bedenken, dass die Klägerin lediglich durch Unterlassen gehandelt hat. Für falsche Angaben im Sinne des § 43 SGB Satz 1 SGB II reicht ein Unterlassen im Sinne der §§ 60 ff. SGB I aus. Dies entspricht dem Zweck der letzteren Vorschriften. Diese sollen der Behörde maßgebliche Umstände zur Kenntnis zu bringen. Im Rahmen des SGB II ist dies insbesondere der Empfang geldwerter Leistungen von anderer Stelle.
II.
Der Aufrechnung steht nicht entgegen, dass über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren bereits eröffnet wurde. § 43 SGB II ist im laufenden Insolvenzverfahren weiterhin anwendbar.
1. Zwar ordnen die §§ 94 und 96 InsO an, dass eine Aufrechnung nur bei bestehender Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren weiterhin zulässig ist. Diese Vorschriften sind vorliegend wohl grundsätzlich anwendbar (vgl. insofern BSG, Urt. v. 10.12.2003, Az. B 5 RJ 18/03 R, www.bundessozialgericht.de und BGH, Beschl. v. 29.05.2008, Az. IX ZB 51/07, www.bundesgerichtshof.de). Jedoch hilft diese Vorschrift insofern nicht weiter, als mit Leistungen aufgerechnet werden soll, die nach der Stellung des Insolvenzantrages liegen. Diesbezüglich lag aber bei Stellung des Insolvenzantrags noch keine Aufrechungslage vor.
2. Auch liegen die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 InsO nicht vor. Danach kann die Aufrechnung erfolgen mit Bezügen aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge und zwar für einen Zeitraum vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonats.
Bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich wohl jedoch weder um Bezüge aus einen Dienstverhältnis noch um an deren Stelle tretende laufende Bezüge (anderer Ansicht wohl: BGH, Beschl. v. 29.05.2008, Az. IX ZB 51/07, www.bundesgerichtshof.de). Die Bezüge nach dem SGB II sind zwar laufend, sie treten jedoch nicht an Stelle von Bezügen aus einem Dienstverhältnis. Insofern ist beachtlich, dass die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II keine Versicherungsleistungen darstellen, sondern lediglich Grundsicherungsleistungen, die Jedermann, der erwerbsfähig ist, zustehen. Insofern ist ein vorheriges Dienstverhältnis keine Voraussetzung der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und die Bezüge treten nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht an deren Stelle. Daran ändert der Grundsatz des Forderns nichts.
3. Die Vorschrift des § 43 SGB II ist jedoch dennoch anwendbar.
a. Die Wertungen der Insolvenzordnung stehen dem nicht entgegen. Die Insolvenzordnung ist darauf gerichtet, eine Gläubigerbenachteilung zu verhindern. Jedoch kann eine Gläubigerbenachteiligung vorliegend nicht eintreten. Die Leistungen nach dem SGB II dienen der Sicherung des Existenzminimums dienen und sind daher nicht der Pfändung unterworfen. Anderes gilt nur bei vorsätzlichen Taten, § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO.
b. Auch hat der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 43 SGB II bedacht, dass sich Empfänger von Leistungen nach dem SGB II sich in Insolvenz befinden können. Es ist zwar nicht der Regelfall des Bezuges von SGB II Leistungen, dass ein Insolvenzverfahren anhängig ist. Jedoch ist dies auch nicht gänzlich fernliegend. Vor allem spricht für diese Einschätzung, dass die InsO bei Erlass des SGB II und auch während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens bereits seit längerem bestand.
c. Zudem deutet § 290 InsO auf die Anwendbarkeit des § 43 SGB II im Insolvenzverfahren hin. Nach § 43 SGB II ist die Aufrechnung nur möglich bei vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Handeln. Ebenso ist nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn dies im Schlusstermin von einem Insolvenzgläubiger beantragt worden ist und wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden.
III.
Es liegt jedoch keine wirksame Aufrechnung im Sinne des § 43 SGB II vor, da es an einer hinreichend bestimmten Erklärung bzw. einem hinreichend bestimmten Verwaltungsakt fehlt.
1. Zunächst kann die Frage dahinstehen, ob eine Aufrechung durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat (so BSG, Vorlagebeschl. v. 25.02.2010, Az. B 13 R 76/09 R, www.bundessozialgericht.de) oder durch einfache Erklärung erfolgen kann. Da der Beklagte durch Verwaltungsakt gehandelt hat, ist darin jedenfalls als Minus eine Aufrechnungserklärung enthalten.
2. An einer Aufrechnungserklärung mögen zwar entsprechend der Auffassung des Beklagten geringe Anforderungen zu stellen sein. Diese geringen Anforderungen entbinden jedoch nicht von dem notwendigen Inhalt einer Aufrechnung. Der notwendige Inhalt einer Aufrechnung setzt zumindest voraus, dass der Aufrechnungswille im Sinne der Ausübung eines Gestaltungsrechts, die Forderung und die Gegenforderung der Aufrechnungserklärung entnommen werden können. Dies ist zur Bestimmtheit der dinglich wirkenden Aufrechnung erforderlich. Ohne die hinreichende Bestimmtheit der betroffenen Forderung können selbige nicht zum Erlöschen gelangen. Die Anforderungen an eine Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt entsprechen hinsichtlich des vorbenannten Inhaltes den Anforderungen an eine Aufrechnungserklärung gem. § 388 BGB. Diesen Voraussetzungen genügt weder der ursprüngliche Bescheid noch der Widerspruchsbescheid.
a. Die im Verwaltungsakt jedenfalls enthaltene Erklärung ist jedenfalls aber nicht hinreichend bestimmt i.S.d. § 33 Abs. 1 SGB X. Bei Auslegung des Bescheides vom 24.03.2010 entsprechend der Vorschrift des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist nicht erkennbar, dass, womit und in welchem Umfang eine Aufrechung erfolgen soll. Der Vermerk, dass an die H. ein "Festbetrag vorrangig BA" gezahlt wird, ist nur wenig aussagekräftig.
b. Diese Mängel hat auch nicht der Widerspruchsbescheid vom 17.01.2010 geheilt.
Der Widerspruchsbescheid nimmt lediglich darauf Bezug, dass eine Aufrechnung durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung erfolgt sei. Er erwähnt zwar sowohl die Forderung, mit der hier wohl aufgerechnet worden sein soll. Ferner benennt er, dass eine Aufklärung rechtsgeschäftlich vereinbart worden sei. Der Bescheid hat jedoch keinen gestaltenden Inhalt, sondern nimmt lediglich auf zurückliegende Tatsachen Bezug.
3. Etwaige rechtsgeschäftliche Vereinbarungen über eine Aufrechnung haben im Rahmen des SGB II keine Bedeutung. § 43 SGB II räumt den Leistungsträger zwar eine Aufrechnungsmöglichkeit ein. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Aufrechnung durch Verwaltungsakt erfolgen soll. Die Norm des § 43 SGB II hält keine Ermächtigung, durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zu handeln.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.