Sozialgericht Aurich
Beschl. v. 17.04.2012, Az.: S 35 AS 53/12 ER
Anrechnung eines Guthabens aus der Nebenkostenabrechnung des Vermieters als Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 17.04.2012
- Aktenzeichen
- S 35 AS 53/12 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 42296
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2012:0417.S35AS53.12ER.0A
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 3 SGB II
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 13.03.2012 gegenüber dem Bescheid des Antragsgegners vom 07.03.2012 wird angeordnet. Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin, sind vom Antragsgegner zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anrechnung ihres Guthabens aus der Nebenkostenabrechnung ihres Vermieters als Einkommen auf ihre Leistungen nach dem SGB II.
Im Nebenkostenabrechnungszeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2011 entrichtete die Antragstellerin folgende Abschläge für Kosten der Unterkunft und Heizung: Ausweislich des Mietvertrages zahlte sie 320,- Euro für Kaltmiete und weitere 75,- Euro für Nebenkosten an ihren Vermieter. Der Heizkostenabschlag belief sich ausweislich der D. -Abrechnung vom 10. Juni 2010 vom 01.01. bis zum 30.06.2010 auf 71,- Euro und ausweislich der D. -Abrechnung vom 14.06.2011 auf 78,- Euro vom 01.07. bis zum 31.12.2011.
Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin im vorbenannten Nebenkostenabrechnungszeitraum die Kosten der Unterkunft und Heizung wie folgt: Ausweislich der Berechnungsbögen zu dem Bescheiden vom 06.06.2011, 16.06.2011 und schließlich 14.11.2011 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 348,40 Euro. Diese setzen sich wiederum zusammen aus einer anerkannten monatlichen Kaltmiete in Höhe von 320,- Euro, Nebenkosten in Höhe von 75,- Euro, Heizkosten zentral in Höhe 60,03 Euro und Warmwasserkosten in Höhe von 8,37 Euro. Anschließend erfolgte eine "ggfs. Kürzung der mtl. Aufwendungen nur angemessene Unterkunftskosten" in Höhe von 115,- Euro.
Ausweislich der Abrechnung über Mietnebenkosten 2011, die dem Antragsgegner am 06.03.2012 zugegangen ist, ist der Antragstellerin im vorbenannten Nebenkostenabrechnungszeitraum ein Guthaben in Höhe von 171,12 Euro entstanden.
Mit Bescheid vom 07.03.2012 änderte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung der Antragstellerin hinsichtlich des Zeitraumes vom 01.04. bis zum 30.04.2012 ab. Ihr wurden Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 557,85 Euro gewährt. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung seien im Monat nach der Gutschrift aus der vorgelegten Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2011 in Höhe von 171,12 Euro und somit im Monat April gemindert.
Ausweislich des Berechnungsbogens zu dem Bescheid bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin eine anerkannte monatliche Kaltmiete in Höhe von 280,- Euro, Heizkosten in Höhe von 66,37 Euro und Warmwasserkosten in Höhe von 8,60 Euro. Davon erfolgte eine "ggf. Kürzungen der mtl. Aufwendungen Senkung der Unterkunftskosten durch Guthabennebenkosten" in Höhe von 171,12 Euro. Nebenkosten sind in dem Bescheid nicht bewilligt.
Unter dem 13.03.2012 legte die Antragstellerin gegen den vorbenannten Bescheid Widerspruch ein.
Mit dem am 13.03.2012 eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren einstweilen gerichtlich fort.
Sie ist der Ansicht, dass ihr das Nebenkostenguthaben nicht vom Bedarf für Kosten der Unterkunft für den Monat April 2012 abgezogen werden dürfe. Ferner sei keine ordnungsgemäße Nebenkostenabrechnung seitens der Vermieter erfolgt. Daher dürfe die Abrechnung nicht ungekürzt übernommen werden. Weiter sei die Einkommensanrechung nicht in ordnungsgemäßer Weise erfolgt, da der Arbeitgeber keinen Lohn zahle.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 13.03.2012 gegenüber dem Bescheid des Antragsgegners vom 07.03.2012 anzuordnen und ihr Nebenkosten in Höhe von 75,- Euro zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass das Nebenkostenguthaben in voller Höhe auf die Kosten der Unterkunft anzurechnen sei. Aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 3 S. 1 ergebe sich gerade keine betragsmäßige Einschränkung der Guthabenanrechnung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung durch den Kammervorsitzenden waren.
II.
1. Der Antrag ist gem. § 86b Abs. 1 überwiegend zulässig. Lediglich soweit er sich gegen die Einkommensanrechnung wendet ist er unzulässig. Die Antragstellerin ist insoweit nicht beschwert. Auf das angerechnete Erwerbseinkommen wird ihr ein Freibetrag in selber Höhe gewährt.
2. Im Übrigen ist der Antrag begründet. Das Suspensivinteresse überwiegt das Vollzugsinteresse. Der angegriffene Bescheid vom 17.03.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Der Antragsgegner durfte das Nebenkostenguthaben der Antragstellerin in Höhe von 171,12 Euro nicht auf die Kosten der Unterkunft im Monat April 2012 anrechnen.
Nach § 22 Abs. 3 SGB II mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht.
Aufgrund der vorbenannten Vorschrift können von einem Leistungsberechtigtem nach dem SGB II lediglich Rückzahlungen und Guthaben angerechnet werden, soweit Rückzahlungen und Guthaben die tatsächlich vom Grundsicherungsträger bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung an dem Leistungsempfänger zurückführen. Bei der Vorschrift des § 22 Abs. 3 handelt es sich nämlich entweder um eine besondere Aufhebungs- und Erstattungsvorschrift oder jedenfalls um eine privilegierende Einkommenanrechnungsvorschrift.
a. Zwar mag aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 3 1. Hs. SGB II noch ein Anderes gefolgert werden können. Danach ist keine Begrenzung der Anrechnung der Rückzahlung oder der Gutschrift ersichtlich. Jedoch ist nicht bloß am Wortlaut dieses ersten Halbsatzes zu verhaften.
b. Bereits aus dem systematischen Zusammenhang mit § 22 Abs. 3 2. Hs. SGB II ergibt sich anderes. Nach dem zweiten Halbsatz dieses Absatzes bleiben Rückzahlungen, die sich auf Kosten für Haushaltsenergie beziehen, außer Betracht. Aus diesem Zusammenhang folgt, dass eine Aufhebung- und Erstattung beziehungsweise eine Einkommensanrechnung nur insoweit erfolgen soll, als der Leistungsberechtigte nach dem SGB II die Kosten nicht bereits selbst dem Regelsatz getragen hat.
c. Auch der systematische Zusammenhang mit § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II spricht für dieses Verständnis. Nach dem ersten Halbsatz dieser Norm werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Mehr soll der Leistungsempfänger nicht erhalten.
Wenn ein Leistungsempfänger nun durch ein Guthaben mehr zurückerhält, als er tatsächlich an Kosten hatte, so wäre dies nicht mit vorbenannter Norm in Einklang zu bringen. Dem Leistungsempfänger soll daher im Rahmen des § 22 Abs. 3 SGB II der über die Wertung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinausgehende Vorteil abgeschöpft werden. Dazu bedürfte es eigentlich einer Aufhebung- und Erstattung gem. §§ 48, 50 SGB X hinsichtlich des vergangenen Abrechungszeitraums. Dies wäre dogmatisch sauber.
Praktisch könnte diese Lösung nicht überzeugen. Regelmäßig rechnet der Energieversorger im Monat nach der Abrechung das Guthaben mit dem künftigen Abschlag auf. Dem trägt § 22 Abs. 3 SGB II Rechnung. Es dabei also nicht um Einkommensanrechnung im Sinne des § 11 SGB II, sondern um Vorteilsabschöpfung. Diente die Norm hingegen der Einkommensanrechnung, müsste auch Stromguthaben angerechnet werden. Dies ist aber gerade nicht der Fall, vgl. Bundessozialgericht, Urt. v. 23.08.2011, Az. B 14 AS 186/10 R, www..de, Rn. 18.
Auch der zweite Halbsatz des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II - "soweit diese angemessen sind" - soll den Leistungsempfänger nur zum sparsamen Umgang im Sinne eines notwendigen Bedarfs anhalten. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass dem Leistungsempfänger ein Guthaben, das er aus der Regelleistung selbst aufgebaut hat, wieder entzogen werden soll. Dann dürften die Leistungsempfänger auch nicht sparen.
d. Nachdem der Antragstellerin monatlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 348,40 Euro bewilligt worden sind - worauf sich der Kürzungsbetrag in Höhe von 115,- Euro bezieht ergibt sich aus den Bescheiden hinsichtlich des Nebenkostenabrechnungszeitraumes nicht - ergeben insgesamt im Nebenkostenabrechnungszeitraum bewilligte Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 4180,80 Euro.
Demgegenüber hatte die Antragstellerin im vorbenannten Nebenkostenabrechnungszeitraum tatsächliche Aufwendungen in Höhe von insgesamt 5634,- Euro, von denen 3840,- Euro auf die Miete, 894,- Euro auf die Heizkostenabschläge und schließlich 900,- Euro auf die Nebenkostenabschläge entfallen.
Die Antragstellerin hat also Kosten der Unterkunft in Höhe und Heizung in Höhe von 1.453,20 Euro selbst aus ihrem Regelsatz getragen.
Daher kann ihr das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung in Höhe von 171,12 Euro nicht auf die Kosten der Unterkunft angerechnet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.