Sozialgericht Aurich
Beschl. v. 28.09.2012, Az.: S 35 AS 255/12 ER

Verrechnung eines Betriebskostenguthabens mit dem Bedarf der Leistungen für Unterkunft und Heizung

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
28.09.2012
Aktenzeichen
S 35 AS 255/12 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 41461
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2012:0928.S35AS255.12ER.0A

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 03.09.2012 gegenüber dem Bescheid des Antragsgegners vom 30.08.2012 wird angeordnet. Die Kosten des Rechtsstreits, insbesondere die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin, sind vom Antragsgegner zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Aufhebungsbescheid, mit dem der Antragsgegner ein Betriebskostenguthaben gem. § 22 Abs. 3 SGB II mit den Leistungen der Antragstellerin nach dem SGB II hinsichtlich des Monats September 2012 verrechnete.

Die Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II.

Sie bewohnt gemeinsam mit ihrem Sohn, Herrn D., eine Wohnung unter der Anschrift E. in F ... Für diese Wohnung entrichtete sie vom 01.01. bis zum 31.05.2011 monatlich eine Miete in Höhe von 270,00 Euro zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 126,55 Euro, in der Summe 396,55 Euro. Ausweislich des Schreibens des G. vom 12.05.2011 änderte sich die Betriebskostenvorauszahlung anlässlich des Anschlusses an die Gaszentralheizung zum 01.06.2011. Vom 01.06 bis zum 31.12.2011 entrichtete die Antragstellerin monatlich eine Miete in Höhe von 270,00 Euro zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 120,55 Euro, in der Summe 390,55 Euro.

Im Abrechnungszeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2011 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Kosten der Unterkunft vom 01.01. bis zum 31.05.2011 in Höhe von 366,00 Euro und vom 01.06. bis zum 31.12.2011 in Höhe von 372,00 Euro.

Die Antragstellerin hat also im Abrechnungszeitraum Kosten der Unterkunft (Mietzins zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung - ohne Heizkostenvorauszahlung) in Höhe von 4.716,60 Euro gezahlt. Demgegenüber hat der Antragsgegner der Antragstellerin Kosten der Unterkunft in Höhe von 4.434,00 Euro gewährt. Die Klägerin hat 282,60 Euro selbst aus ihren Leistungen nach dem SGB II getragen.

Ausweislich der Betriebskostenabrechnung des G. vom 20.07.2012 ist bei der Antragstellerin im Abrechnungszeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2011 ein Betriebskostenguthaben in Höhe von 486,82 Euro entstanden.

Mit Bescheid vom 22.08.2012 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin vom 01.09.2012 bis zum 28.02.2013 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 924,00 Euro.

Mit Bescheid vom 30.08.2012 hob der Antragsgegner seinen Bescheid vom 22.08.2012 gem. § 48 Abs. 1 SGB X teilweise für "den Monat" auf. Nunmehr würden für diesen Monat Leistungen in Höhe von 437,18 Euro bewilligt. Nach § 22 Abs. 3 SGB II mindert Rückzahlungen und Guthaben, die den Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, diese Aufwendungen nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift. Die Antragstellerin habe die Rückzahlung bzw. die Gutschrift im Monat September 2012 erhalten. Ihre Kosten für Unterkunft und Heizung minderten sich somit entsprechend im Monat September 2012.

Mit Schreiben vom 03.09.2012 legte die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Anfang des Jahres 2011 sei die Antragstellerin schwer erkrankt und habe diesbezüglich, teilweise im Koma liegend, im Unfallkrankenhaus Hamburg ärztlich versorgt werden müssen. Sie befinde sich noch immer in ärztlicher Behandlung und müsse Zuzahlungen für Medikamente und Hilfsmittel selbst entrichten. Eine Anrechnung in der genannten Höhe sei daher rechtswidrig und hätte wenigstens auf sechs Monate verteilt werden müssen.

Mit dem am selben Tage eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren einstweilen gerichtlich fort.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bescheid des Landreises H. vom 30.08.2012 aufzuheben und den Landkreis H. zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe und Laufzeit ungekürzt fortlaufend zu bewilligen und auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass sein Bescheid vom 30.08.2012 rechtmäßig sei. Er nimmt diesbezüglich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.03.2012, Aktenzeichen B 4 AS 139/11 R, Bezug.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung durch den Kammervorsitzenden waren.

II.

Der gem. § 86b Abs. 1 SGG zulässige Antrag ist begründet. Das Suspensivinteresse aufgrund des Widerspruchs der Antragstellerin vom 03.09.2012 überwiegt das Vollzugsinteresse des Bescheids des Antragsgegners vom 30.08.2012. Der Bescheid des Antragsgegners vom 30.08.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten.

1. Der Bescheid ist bereits formell rechtswidrig. Der Bescheid vom 30.08.2012 steht nicht im Einklang mit § 33 SGB X. Der Tenor des Bescheids ist nicht hinreichend bestimmt. Der Antragsgegner hat den Bescheid vom 22.08.2012 gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X teilweise für "den Monat" aufgehoben.

2. Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtswidrig.

a) Nach § 22 Abs. 3 SGB II mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht.

Ausweislich des Bescheides vom 30.08.2012 hat die Antragstellerin die Rückzahlung bzw. die Gutschrift im Monat September 2012 erhalten. Gleichwohl ist die Anrechnung im selben Monat erfolgt. Dies steht nicht im Einklang mit § 22 Abs. 3 SGB II, nach dem die Anrechnung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift zu erfolgen hat.

b) Ferner steht auch der Umfang der Anrechnung nicht im Einklang mit § 22 Abs. 3 SGB II. Kosten der Unterkunft, die ein Leistungsempfänger aus seinem Regelsatz getragen hat, können dem Antragsteller nicht im Rahmen der Anrechnung eines Betriebskostenguthabens gem. § 22 Abs. 3 SGB II wieder entzogen werden. Dies liefe auf eine verfassungswidrige Unterschreitung des Regelbedarfs gem. § 20 SGB II hinaus. Dies ist nicht der Zweck des § 22 Abs. 3 SGB II.

aa) Der 4. Senat des Bundessozialgerichts ist mit Urteil vom 22.03.2012, Aktenzeichen B 4 AS 139/11 R, davon ausgegangen, dass es nicht entscheidend sei, wie das Guthaben erwirtschaftet worden sei und für welche Zeit die Kosten angefallen seien, sondern dass allein die Verhältnisse im Zeitpunkt der Berücksichtigung maßgeblich wären (Orientierungssatz 1). In diesem Verfahren hatte der Kläger insbesondere eingewandt, dass die Kosten der Unterkunft teilweise von seiner Tochter getragen worden seien.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Bundessozialgericht insbesondere ausgeführt, dass § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II insoweit eine Ausnahme von § 19 Satz 3 SGB II darstelle, als durch ihn die Reihenfolge der Leistungen, bei deren Berechnung das Einkommen Berücksichtigung finde, modifiziert werde. [ ] Dies führe vor dem Hintergrund der Kostentragung im Ergebnis zu einer Entlastung der Kommunalen Träger. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II sei damit eine Spezialvorschrift in Bezug auf die Anrechnung von Einkommen aus Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzurechnen seien, www..de, Rn 17.

Ebenso modifiziere § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II den Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens, Rn 18.

Entscheidend sei nicht, wie das Einkommen erwirtschaftet wurde, und für welche Zeit die Kosten angefallen seien, sondern allein die Verhältnisse im Zeitpunkt der Berücksichtigung. Dass die gemeinsame Tochter des Klägers und seiner Ehefrau im Jahr 2006 für 1/3 der Aufwendungen der Betriebs- und Heizkosten aufgekommen sei, sei demnach grundsicherungsrechtlich unbeachtlich.

bb) Demgegenüber kann das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung des I. vom 20.07.2012 nicht vollständig als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II betrachtet werden. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall wesentlich vom dem des Urteils vom 22.03.2012.

Nachdem die Antragstellerin Kosten der Unterkunft (Mietzins zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung - ohne Heizkostenvorauszahlung) in Höhe von 4.716,60 Euro selbst getragen hat und der Antragsgegner ihr im Abrechnungszeitraum lediglich Kosten der Unterkunft in Höhe von 4.434,00 Euro gewährt hat, können der Klägerin die von ihr selbst aus dem Regelsatz getragenen Kosten in Höhe von 282,60 nicht im Rahmen des § 22 Abs. 3 SGB II wieder entzogen werden. Der Regelsatz wurde mit den Bescheiden aus dem Abrechnungszeitraum gewährt. Ebenso wie Nachzahlungen von Leistungen nach dem SGB II - etwa aufgrund eines Widerspruchs - oder gerichtlichen Verfahrens - können auch diese bereits zu Recht gewährten Leistungen nach dem SGB II nicht wieder entzogen werden, soweit nicht die Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB X vorliegen.

cc) In Einklang damit ist dem Urteil des 14. Senats des Bundessozialgerichts vom 23.08.2011, Aktenzeichen B 14 AS 185/10 R, in seinen Wertungen zu folgen. Die dortigen Wertungen gelten auch für Betriebs- und Heizkosten, die ein Leistungsberechtigter aus dem ihm gewährten Regelsatz getragen hat.

Eine Rückzahlung [ ], die auf Vorauszahlungen in Zeiträumen beruht, in denen Hilfebedürftigkeit nach §§ 7, 9 SGB II bestand, kann aber nach Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 und § 20 SGB II nicht als Einkommen berücksichtigt werden, www..de, Rn. 15. Dies folgt zum einen aus der Wertung, die dem Ausschluss von "Leistungen nach diesem Buch" von der Berücksichtigung als Einkommen in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II zu entnehmen ist. Zum anderen handelt es sich bei den Zahlungen [ ] um die Befriedigung eines dem § 20 SGB II zuzuordnenden Grundbedarfs. Der Bemessung dieses Grundbedarfs nach dem Statistikmodell liegt der verfassungsrechtlich zulässige Gedanke zugrunde, dass die regelbedarfsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert sind und den Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen ermöglichen. Der Hilfebedürftige soll über den Einsatz seiner Mittel (sei es aus der Regelleistung, sei es aus zu berücksichtigendem Einkommen) hinsichtlich des Regelbedarfs im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen können. Dementsprechend schließt der Regelbedarf ausdrücklich einen Ansparbetrag ein, der seine Entsprechung in dem Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II findet. Damit ist es aber auch geboten, Einnahmen, die aus Einsparungen bei den Regelbedarfen resultieren, über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen, Rn. 16.

[ ] Entscheidend ist alleine, dass sie während dieser Zeit hilfebedürftig nach dem SGB II war und sich durch die Berücksichtigung ihres Einkommens aus der Hinterbliebenenrente nichts an der Zusammensetzung ihres verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums nach §§ 20 ff. SGB II änderte, Rn. 17.

[ ] Für die Kürzung der Regelleistung besteht aber ebenso wenig eine Rechtsgrundlage. Hätten die Klägerin und ihre Tochter die Herabsetzung der Abschlagszahlungen [ ] zu einem früheren Zeitpunkt erreicht, wären solche Einsparungen ihnen (und nicht dem Träger der Grundsicherung) zugute gekommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Schellong