Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.03.2012, Az.: 13 LA 190/11
Erfordernis der Anwesenheit einer sachkundigen Person i.S.d. § 50 AMG während der Öffnungszeiten des betreffenden Einzelhandelsgeschäfts auf Grundlage des § 52 Abs. 3 AMG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.03.2012
- Aktenzeichen
- 13 LA 190/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 12639
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0321.13LA190.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 50 AMG
- § 52 Abs. 3 AMG
Fundstellen
- AB 2012, 15
- DÖV 2012, 529
- GesR 2012, 316-317
- GewArch 2012, 222-223
- MedR 2012, 536-538
- NordÖR 2012, 309-310
- PharmaR 2012, 216-218
Amtlicher Leitsatz
§ 52 Abs. 3 AMG erfordert die Anwesenheit einer sachkundigen Person im Sinne des § 50 AMG während der Öffnungszeiten des betreffenden Einzelhandelsgeschäfts.
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung des Beklagten, eine weitere Person zu bestimmen, die über Sachkenntnis über Arzneimittel verfügt, die zum Verkehr außerhalb von Apotheken freigegeben sind.
Die Klägerin, ein Einzelhandelsunternehmen, bietet in ihrer Filiale in B. für den Verkehr außerhalb von Apotheken freigegebene Arzneimittel zur Selbstbedienung an. In dieser Filiale verfügen zwei Mitarbeiter über einen Sachkenntnisnachweis nach § 50 Abs. 2 AMG. Anlässlich einer Überprüfung der Filiale stellte der Beklagte fest, dass bei täglichen Öffnungszeiten von 7:00 Uhr bis 21:00 Uhr die kontinuierliche Anwesenheit sachkundigen Personals nicht gewährleistet war. Aus diesem Grunde ordnete er an, eine weitere Person mit der erforderlichen Sachkenntnis zu bestimmen. Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils setzen voraus, dass gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, jeweils zit. nach [...]). Da das Erfordernis der ernstlichen Zweifel auch auf die Ergebnisrichtigkeit abstellt, dürfen sich die Zweifel indessen nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen, sondern es ist zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen. Für die Zulassung der Berufung wegen des Vorliegens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen hingegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, a.a.O.).
Die Darlegung derartiger Zweifel ist der Klägerin nicht gelungen.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, § 52 Abs. 3 AMG setze eine ständige Anwesenheit der sachkundigen Person während der normalen Öffnungszeiten des Einzelhandelsgeschäftes der Klägerin voraus (vgl. dazu und zu § 50 Abs. 1 AMG bereits BayVGH, Beschl. v. 25. Juli 1995 - 25 B 94.4201 -, [...]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. Januar 1984 - 5 Ss (OWi) 20/84 - 21/84 I -, MDR 1984, 690; Beschl. v. 7. Juli 1989 - 5 Ss (OWi) 228/89 - (OWi) 98/89 I -, [...]; Rehmann, AMG, 3. Aufl. 2008, § 50, Rdnr. 1; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 50 AMG, Anm. 4, Loseblatt, Stand 2007). § 52 Abs. 3 AMG sieht für Arzneimittel, die für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, eine Ausnahme von dem in § 52 Abs. 1 Nr. 2 AMG grundsätzlich festgelegten Verbot der Selbstbedienung vor, wenn eine Person zur Verfügung steht, die die Sachkenntnis nach § 50 AMG besitzt. Nach § 50 Abs. 1 AMG darf außerhalb von Apotheken Einzelhandel mit Arzneimitteln im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG, die zum Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, nur betrieben werden, wenn der Unternehmer, eine zur Vertretung des Unternehmers gesetzlich berufene oder eine von dem Unternehmer mit der Leitung des Unternehmens oder mit dem Verkauf beauftragte Person die erforderliche Sachkenntnis besitzt. Bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstellen muss für jede Betriebsstelle eine Person vorhanden sein, die die erforderliche Sachkenntnis besitzt. Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 AMG besitzt die erforderliche Sachkenntnis, wer Kenntnisse und Fertigkeiten über das ordnungsgemäße Abfüllen, Abpacken, Kennzeichnen, Lagern und Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die zum Verkehr außerhalb der Apotheke freigegeben sind, sowie Kenntnisse über die für diese Arzneimittel geltenden Vorschriften nachweist.
Nicht nur dem verwendeten Begriff des "zur Verfügung Stehens", sondern auch der Entstehungsgeschichte des Gesetzes lässt sich die vom Gesetzgeber der geforderten sachkundigen Person zugemessene Bedeutung unmissverständlich entnehmen.
In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 7. Januar 1975 (BT-Drucks. 7/3060) war in § 49 (Verbot der Selbstbedienung, heute § 52 AMG) unter Absatz 1 folgende Regelung vorgesehen:
"Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 dürfen nicht im Wege der Selbstbedienung einschließlich durch Automaten in den Verkehr gebracht werden." Hierzu hieß es in der Begründung zu dem Gesetzentwurf (a.a.O. S. 57):
"Das bereits für Apotheken geltende Verbot der Selbstbedienung (§ 10 Abs. 2 der Apothekenbetriebsordnung) wird als allgemeiner Grundsatz in das Arzneimittelgesetz übernommen und erfasst auch den Verkehr außerhalb der Apotheken. Die Abgabe im Wege der Selbstbedienung stellt nicht die für Arzneimittel angemessene Abgabeform dar. Das Arzneimittel als Ware besonderer Art bedingt eine unmittelbare Abgabe durch eine fachkundige Person. Nicht zuletzt soll der unkontrollierte Zugang zu Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche und damit verbundene Gefahren unterbunden werden. Als Selbstbedienung in diesem Sinne ist auch die Abgabe durch Automaten anzusehen."
Diesen strengen Gesetzesvorschlag milderte der Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit in seinem Antrag vom 12. April 1976 (BT-Drucks. 7/5025) in der Folge ab. Vorgeschlagen wurde nunmehr folgende Fassung des § 49: "Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 dürfen nicht durch Automaten in den Verkehr gebracht werden. Durch andere Formen der Selbstbedienung dürfen sie nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn eine Person, die die Sachkenntnis nach § 47 [heute § 50 AMG] besitzt, zur Verfügung steht." In dem Bericht des Ausschusses vom 28. April 1976 (BT-Drucks. 7/5091) wurde dazu ausgeführt (a.a.O. S. 18):
"Der Ausschuss hielt es für geboten, die Vorschrift an die praktischen Gegebenheiten anzupassen, ohne damit die gesundheitspolitischen Gesichtspunkte zu vernachlässigen. Die Abgabe durch Automaten stellt keine dem Arzneimittel angemessene Abgabeform dar. Deshalb wird insoweit der Vorschlag im Regierungsentwurf übernommen. Der Ausschuss hält es jedoch für vertretbar, andere Formen der Selbstbedienung unter den vorgesehenen Voraussetzungen zu gestatten.
Eine sachkundige Person steht im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 zur Verfügung; wenn sie zur Beratung erreichbar ist."
Aus der Übernahme der vom Ausschuss vorgeschlagenen Formulierung in den Gesetzestext wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Verbrauchern durch die Anwesenheit einer sachkundigen Person die Möglichkeit einer Beratung einräumen wollte.
Diese Funktion der vorgeschriebenen sachkundigen Person kann auch den weiteren in diesem Zusammenhang bestehenden gesetzlichen Regelungen entnommen werden. So fordert § 50 Abs. 2 Satz 1 AMG neben Kenntnissen über die einschlägigen Vorschriften auch Kenntnisse und Fertigkeiten hinsichtlich des ordnungsgemäßen Abfüllens, Abpackens, Kennzeichnens, Lagerns und Inverkehrbringens der betreffenden Arzneimittel. Dazu gehören auch gewisse Grundkenntnisse über Wirkungen und Zusammensetzungen dieser Arzneimittel (vgl. BT-Drucks. 7/5091, S. 18). Infolgedessen schreibt § 4 Abs. 2 Nr. 6 der auf Grundlage des § 50 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AMG erlassenen Verordnung über den Nachweis der Sachkenntnis im Einzelhandel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln vom 20. Juni 1978 (BGBl I 1978, 753) die Prüfung vor, ob der betreffende Mitarbeiter die mit dem unsachgemäßen Umgang mit freiverkäuflichen Arzneimitteln verbundenen Gefahren kennt. Die vom Gesetz geforderte sachkundige Person ist mithin nicht nur für die fachgerechte Behandlung und Lagerung der freiverkäuflichen Arzneimittel verantwortlich, sondern auch für deren ordnungsgemäße Abgabe an die Kunden. Zwar trifft den Einzelhandelsbetrieb keine gesetzliche Beratungspflicht, es muss aber eine Person bereitstehen, die in der Lage ist, bei Bedarf auf die Gefahren einer fehlerhaften bzw. missbräuchlichen Verwendung der zum Verkauf angebotenen Medikamente aufzuklären. Dies erfordert die Anwesenheit einer sachkundigen Person zu den Öffnungszeiten des betreffenden Einzelhandelsgeschäftes, da nur so eine jederzeitige Erreichbarkeit während der Verkaufszeit sichergestellt werden kann. Dem hat das Gesetz auch dadurch Rechnung getragen, dass es für jede Betriebsstelle das Vorhandensein einer Person mit entsprechender Sachkunde vorschreibt. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es angesichts der auch von diesen Präparaten ausgehenden Gefahren gerechtfertigt, die Abgabe freiverkäuflicher Arzneimittel im Wege der Selbstbedienung außerhalb von Apotheken zuzulassen. Anhaltspunkte für einen unverhältnismäßigen Eingriff dieser Berufsausübungsregelung in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und das von Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum der Klägerin sind im Hinblick auf den von der Bestimmung bezweckten Schutz der Volksgesundheit nicht erkennbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. April 1987 - 1 BvL 25/84 -, BVerfGE 75, 166).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).