Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.12.2015, Az.: 4 PA 251/15

Ausbildungsverhältnis; Einkommen; Einkünfte; Freibetrag; Pflichtpraktikum; freiwilliges Praktikum; Vergütung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.12.2015
Aktenzeichen
4 PA 251/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45165
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.05.2015 - AZ: 4 A 90/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Vergütung für ein freiwilliges Praktikum handelt es sich nicht um eine Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 23 Abs. 3 BAföG, die ohne Einräumung von Freibeträgen auf den Bedarf des Auszubildenden angerechnet wird.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück – Einzelrichter der 4. Kammer - vom 27. Mai 2015 geändert.

Der Klägerin wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C., D., bewilligt, soweit in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Studentenwerks E. vom 31. Juli 2014 der Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2013 bis August 2014 auf einen monatlichen Betrag von weniger als 420,00 EUR herabgesetzt und eine neue Rückforderung von mehr als 1.936,00 EUR festgesetzt worden ist. Die Klägerin hat monatliche Raten in Höhe von 28,00 EUR an die Landeskasse zu leisten.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist in dem tenorierten Umfang begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bietet die Rechtsverfolgung der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Studentenwerks E. vom 31. Juli 2014 teilweise Aussicht auf Erfolg und rechtfertigt daher insoweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (1.). Der Klägerin ist nach ihrer derzeitigen wirtschaftlichen Lage Prozesskostenhilfe aber nur gegen Zahlung monatlicher Raten zu bewilligen (2.).

1. Die Rechtsverfolgung der Klägerin hat zum maßgebenden Zeitpunkt der Bewilligungsreife ihres Prozesskostenhilfegesuchs Aussicht auf Erfolg geboten, soweit der Beklagte bei der Neuberechnung des Anspruchs auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2013 bis August 2014 davon ausgegangen ist, dass das gesamte bei der ursprünglichen Leistungsbewilligung nicht berücksichtigte Einkommen, das die Klägerin für ein Praktikum bezogen hat, eine Vergütung für ein Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 23 Abs. 3 BAföG darstellt und daher ohne Einräumung des Freibetrags nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG auf den ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf anzurechnen ist.

Gemäß § 23 Abs. 3 BAföG wird die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis abweichend von den Absätzen 1 und 2 voll, also ohne Einräumung der in Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift vorgesehenen Freibeträge angerechnet. Um eine Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis handelt es sich, wenn das Einkommen dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zufließt, also nicht das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen ist, die Anerkennung durch einen Freibetrag verdienen könnten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.11.2000 - 7 S 608/00 -, DVBl 2001, 179; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.2.2011 - 7 A 11082/10 -; Sächs. OVG, Urt. v. 27.11.2013 - 1 A 237/13 -, SächsVBl 2014, 115). Das hat zur Folge, dass eine Vergütung, die für ein Praktikum erzielt wird, das im Rahmen einer Ausbildung absolviert wird, allenfalls dann nach § 23 Abs. 3 BAföG ohne Anrechnung von Freibeträgen anzurechnen ist, wenn es sich um ein im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 BAföG gefordertes Praktikum handelt. Denn nur dann kann davon die Rede sein, dass die Praktikumsvergütung dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zufließt. Hingegen fließen die Einkünfte für freiwillige Praktika dem Auszubildenden nicht praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zu. Sie sind vielmehr das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen des Auszubildenden und stellen daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine Ausbildungsvergütung im Sinne von § 23 Abs. 3 BAföG dar. Das gilt auch in dem Fall, dass ein Praktikum über die in Ausbildungsbestimmungen geforderte Zeit hinaus als freiwilliges Praktikum fortgesetzt wird. Die Praktikumsvergütung, die dem Auszubildenden für die freiwillige Periode des Praktikums zufließt, ist dann nur nach Abzug der Freibeträge auf den Bedarf anzurechnen (so auch Ziffer 23.3.2 BAföGVwV). Dies kommt hier zum Tragen, denn für den von der Klägerin seinerzeit noch an der Hochschule E. absolvierten Bachelorstudiengang Wirtschaftsrecht war nur ein Pflichtpraktikum mit einer Dauer von zwölf Wochen vorgeschrieben, während die Klägerin gemäß dem von ihr bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Praktikumsvertrag (Bl. 451-454 Beiakte A) ein 26-wöchiges Praktikum absolviert hat.

Hiervon ausgehend ergibt sich folgende Berechnung des auf den Anspruch auf Ausbildungsförderung anzurechnenden Einkommens der Klägerin:

Einkommen ohne Ausbildungsvergütung:

Bruttoeinkünfte im Bewilligungszeitraum:

freiwilliger Teil des Praktikums

2.400,00 EUR

Nebentätigkeit

3.360,00 EUR

Gesamt

5.760,00 EUR

Abzug Werbungskostenpauschale (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 9a EStG)

1.000,00 EUR

Abzug Sozialversicherungspauschalbetrag 21,3 % (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG)

1.013,88 EUR

verbleibendes Einkommen

3.746,12 EUR

monatliches Einkommen (§ 22 Abs. 2 BAföG)

  312,18 EUR

Abzug monatlicher Freibetrag

  255,00 EUR

anrechenbares monatliches Einkommen

    57,18 EUR

Ausbildungsvergütung (Pflichtpraktikum)

Bruttoeinkünfte im Bewilligungszeitraum

1.800,00 EUR

Abzug Sozialversicherungspauschalbetrag 21,3 % (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG)

  383,40 EUR

verbleibendes Einkommen

1.416,60 EUR

monatliches Einkommen (§ 22 Abs. 2 BAföG)

  118,05 EUR

Auf den Bedarf anrechenbares monatliches Einkommen:

Einkommen ohne Ausbildungsvergütung

    57,18 EUR

Ausbildungsvergütung

  118,05 EUR

Gesamt

  175,23 EUR

Ist somit auf den monatlichen Bedarf von 597,00 EUR neben dem Einkommen der Mutter der Klägerin in Höhe von monatlich 1,29 EUR Einkommen der Klägerin in Höhe von 175,23 EUR anzurechnen, so verbleibt für den in Rede stehenden Bewilligungszeitraum unter Anwendung der Rundungsvorschrift des § 51 Abs. 3 BAföG ein Anspruch der Klägerin in Höhe von monatlich 420,00 EUR, während in dem angefochtenen Bescheid der monatliche Förderanspruch der Klägerin auf den um 34,00 EUR niedrigeren Betrag von 386,00 EUR herabgesetzt worden ist. Entsprechend ist die in dem Bescheid festgesetzte Rückforderung in Höhe von 2.310,00 EUR für die in den ersten elf Monaten des Bewilligungszeitraums bereits ausgezahlten Leistungen um 374,00 EUR (34,00 EUR x 11 Monate) überhöht.

Dies erlaubt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe allerdings nur in dem tenorierten Umfang, da die Klage nur insoweit Aussicht auf Erfolg bietet. Denn bei summarischer Prüfung sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid noch an weiteren Rechtsfehlern leidet und insgesamt rechtswidrig ist. Der Senat verweist insoweit auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, hinsichtlich deren Richtigkeit bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel bestehen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine ausreichende Anhörung der Klägerin im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X bereits mit den Schreiben vom 27. Mai und 17. Juni 2014 (Bl. 433, 435 Beiakte A) erfolgt sein dürfte, in denen das seinerzeit zuständige Ausbildungsförderungsamt die Klägerin jeweils darauf hingewiesen hatte, dass sie nach Vorlage der Unterlagen über ihr Praktikumsverhältnis mit einer Rückforderung rechnen müsse (vgl. zu den Anforderungen an eine Anhörung den Senatsbeschl. v. 31.03.2010 - 4 LC 281/08 -).

2. Nach den insoweit maßgebenden heutigen Verhältnissen ist der Klägerin Prozesskostenhilfe nur gegen Festsetzung monatlicher Ratenzahlungen zu bewilligen. Gemäß den von der Klägerin auf Anforderung des Berichterstatters des Senates vorgelegten Unterlagen erzielt sie derzeit monatliche Einkünfte durch die Gewährung von Ausbildungsförderung in Höhe von 422,00 EUR sowie aus einer Nebenbeschäftigung in Höhe von durchschnittlich 583,75 EUR, insgesamt also 1.005,75 EUR. Hiervon sind gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 115 ZPO abzusetzen der Einkommensfreibetrag für die Partei in Höhe von derzeit 462,00 EUR, der zusätzliche Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von derzeit 210,00 EUR sowie die von der Klägerin angegebenen monatlichen Belastungen durch die Entrichtung von Unterkunftskosten in Höhe von 150,00 EUR, Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 111,43 EUR sowie Prämien zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von 15,28 EUR, insgesamt mithin 948,71 EUR. Danach verbleibt ein einzusetzendes Einkommen von 57,04 EUR, so dass gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO Monatsraten in Höhe von 28,00 EUR festzusetzen sind.

Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).