Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2017, Az.: 8 LB 59/17

Ablehnung; Auslegung; Bestandskraft; rückwirkende Erteilung; schutzwürdiges Interesse; Niederlassungserlaubnis; Regelung; Staatsangehörigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.11.2017
Aktenzeichen
8 LB 59/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54007
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.02.2016 - AZ: 2 A 250/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zum schutzwürdigen Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, wenn hiervon der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind des Ausländers abhängt.

2. Generelle Aussagen darüber, was mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels in Bezug auf den Geltungszeitraum und eine etwaige Antragsablehnung für andere Zeiträume geregelt worden ist, sind nicht möglich. Der Regelungsgehalt ist durch Auslegung zu ermitteln. Bei der begründungslosen Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt den Umständen der Antragstellung, auf die die Ausländerbehörde reagiert hat, für die Auslegung besondere Bedeutung zu.

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 2. Kammer - vom 3. Februar 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Dezember 2013 verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 5. Juni 2009 bis zum 6. Oktober 2009 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die rückwirkende Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Das Verwaltungsgericht Hannover verpflichtete das Bundesamt durch Urteil vom 8. Februar 1999 zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Von 1999 an erhielt der Kläger fortlaufend Aufenthaltsbefugnisse und vom 4. Mai 2005 an Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG.

Mit Schreiben vom 16. Mai 2008 teilte das Bundesamt der Beklagten mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylVfG nicht vorlägen.

Am 5. Juni 2009 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG.

Der Sohn D. des Klägers (im Folgenden: Sohn) wurde am 28. Juli 2009 geboren.

Am 6. August 2009 wurde dem Kläger ein neuer Reiseausweis für Flüchtlinge ausgehändigt. Die Beklagte erforschte den Sachverhalt und erteilte dem Kläger am 7. Oktober 2009 die Niederlassungserlaubnis.

2011 betrieb der Kläger seine Einbürgerung und beantragte die Miteinbürgerung des Sohnes. Nachdem er den Einbürgerungsantrag zurückgenommen hatte, teilte ihm die Einbürgerungsbehörde mit, eine Miteinbürgerung des Sohnes könne nicht erfolgen. Ein langjähriger rechtmäßiger Inlandsaufenthalt könne erst acht Jahre nach der Geburt, also am 28. Juli 2017, angenommen werden. Die beantragte Feststellung, dass der Sohn deutscher Staatsangehöriger sei, lehnte die Behörde durch Bescheid vom 29. Februar 2012 ab. Dieses Feststellungsbegehren verfolgte der Sohn vor dem VG Hannover (10 A 2619/12) weiter. Das Gericht regte an, dass der Kläger einen Antrag auf rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis stelle, und setzte das Verfahren später aus.

Am 26. April 2013 beantragte der Kläger die auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Der Regionspräsident der Beklagten lehnte den Antrag nach Anhörung durch Bescheid vom 16. Dezember 2013, zugestellt am 20. Dezember 2013, ab. Nach der Mitteilung des Bundesamtes vom 16. Mai 2008 sei es Aufgabe der Ausländerbehörde gewesen, im Rahmen der Beratungs- und Belehrungspflicht auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine Niederlassungserlaubnis zu beantragen. Durch das Versäumnis sei dem Kläger jedoch kein aufenthaltsrechtlicher Nachteil entstanden. Ein Fall, in dem der Aufenthaltstitel rückwirkend zu erteilen sei, liege nicht vor. Das Antragsverfahren sei bestandskräftig abgeschlossen. Ein schutzwürdiges Interesse bestehe nicht. Der Kläger sei im Besitz der Niederlassungserlaubnis. Die familiäre Lebensgemeinschaft sei durch die Erteilung von Aufenthaltstiteln an seine Ehefrau und Kinder ausreichend geschützt. Der Kläger genieße besonderen Ausweisungsschutz. Bezüglich der Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel ergäben sich keine negativen Auswirkungen. Hätte der Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, verbesserte sich nur dessen Rechtsstatus, aber nicht die hier maßgebliche Rechtsposition des Klägers. Es bestehe auch kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Der Antrag sei verspätet. Ein Wiederaufgreifensgrund liege nicht vor. Das Verfahren sei nicht nach Ermessen wieder aufzugreifen. Der Kläger habe kein schützenswertes Interesse an der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der Grundsätze des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Es lägen weder schwere Verfahrensfehler vor, noch sei die Entscheidung offensichtlich rechtswidrig. Da die Niederlassungserlaubnis nicht rechtswidrig erteilt worden sei, sei sie nicht nach § 48 VwVfG zurückzunehmen. Ein Widerruf nach § 52 AufenthG sei ebenfalls ausgeschlossen.

Der Kläger hat am 20. Januar 2014 Klage erhoben. Der rückwirkenden Erteilung könne nicht entgegengehalten werden, dass die Rechtsposition des Sohnes verbessert werden solle. Dieser sei der Leidtragende der Versäumnisse der Beklagten. Diese habe nicht auf eine frühere Antragstellung durch den Kläger hingewirkt. Die Verfahrensdauer, nachdem er die Niederlassungserlaubnis beantragt habe, liege außerhalb seiner Einflusssphäre.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 2013 zu verpflichten, ihm rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 3. Februar 2016 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet. Dem Kläger fehle ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Vergangenheit könne nur beansprucht werden, wenn daran ein schutzwürdiges Interesse bestehe. Es könne offen bleiben, ob die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einschlägig sei, wenn das Antragsverfahren bestandskräftig abgeschlossen sei. Der Kläger habe kein schutzwürdiges Interesse. Ein solches ergebe sich weder im Hinblick auf seine aufenthaltsrechtliche Situation noch auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel. Wäre der Kläger im Zeitpunkt der Geburt des Sohnes bereits im Besitz der Niederlassungserlaubnis gewesen, würde sich allein die Rechtsposition des Kindes verbessern. Es komme nur auf die aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers an. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Dass die Beklagte den Kläger nicht früher auf die Möglichkeit hingewiesen habe, die Niederlassungserlaubnis zu beantragen, habe keinen Rechtsverlust oder sonstigen Nachteil für dessen aufenthaltsrechtliche Stellung bewirkt, so dass sich die Frage nach den Rechtsfolgen eines Beratungsverstoßes nicht stelle. Der Kläger könne auch nicht beanspruchen, so gestellt zu werden, als wenn er seinen Antrag früher gestellt hätte. Ein solcher Herstellungsanspruch sei im Verwaltungsrecht nicht anerkannt. Durch die Dauer der Bearbeitungszeit sei dem Kläger kein Rechtsnachteil entstanden. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, im Wege des Wiederaufgreifens erneut über die bestandskräftige Erteilung der Niederlassungserlaubnis zu entscheiden. Ein Wiederaufgreifensgrund liege nicht vor. Die Beklagte habe in nicht zu beanstandender Weise ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, dass ein schützenswertes Interesse des Klägers die Korrektur der ursprünglich erteilten Niederlassungserlaubnis erforderlich mache. Die ursprüngliche Entscheidung sei nicht rechtswidrig und nicht zurückzunehmen oder zu widerrufen.

Mit der vom Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 17. Mai 2016 (2 LA 65/16) zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis hätte positive Auswirkungen auf seine Rechtsposition, weil er die Möglichkeit hätte, sich einbürgern zu lassen, wenn der Sohn deutscher Staatsangehöriger wäre. Sein Aufenthaltsstatus sei wegen Art. 6 GG mit dem des Sohnes verbunden. Eine getrennte Betrachtung der Rechtspositionen der beiden Personen verbiete sich. Im Hinblick auf den Rechtsverlust des Sohnes könne dem Anspruch auf rückwirkende Erteilung nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger keinen Rechtsverlust erlitten habe. Es bestehe ein Anspruch auf Wiederaufgreifen im Ermessenswege. Die Beklagte sei im Mai 2008 verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass er einen Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis habe. Die Belehrungspflicht setze keine vorangehende Anfrage voraus, sondern sei von der Behörde von Amts wegen zu erfüllen.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 2. Kammer - vom 3. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Dezember 2013 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 5. Juni 2009 bis zum 6. Oktober 2009 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und ergänzt, der Einbürgerung des Klägers stehe eine strafgerichtliche Verurteilung entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die Klage auf rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Insbesondere ist ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Dies setzt voraus, dass der Ausländer an der Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung ein schutzwürdiges Interesse hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers erheblich sein kann, und gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1995 - 1 C 31.93 -, NVwZ 1996, 1225; v. 15.7.1997 - 1 C 15.96 -, NVwZ 1998, 191; v. 29.9.1998 - 1 C 14.97 -, NVwZ 1999, 306; v. 9.6.2009 - 1 C 7.08 -, NVwZ 2009, 1431; v. 26.10.2010 - 1 C 19/09 -, NVwZ 2011, 236; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 24.7.2012 - 2 LB 278/11 -, juris Rn. 30). Außer der Beeinflussung der aufenthaltsrechtlichen Position des Ausländers ist ein schutzwürdiges Interesse in der Rechtsprechung anerkannt worden, wenn sich die rückwirkende Erteilung des Aufenthaltstitels günstig auf dessen Möglichkeit, eingebürgert zu werden, auswirken konnte (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 18.6.2013 - 1 A 144/11 -, juris Rn. 36).

Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis ergibt sich zwar nicht aus einer Verbesserung seiner eigenen Rechtsposition (aa.), aber aus seinem Interesse an der Verbesserung der Rechtsposition seines Sohnes (bb.).

aa. Die rechtliche Stellung des Klägers selbst verbessert sich durch einen Klageerfolg nicht. Er hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht inne. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es seine aufenthaltsrechtliche Position positiv beeinflussen könnte, wenn ihm die Niederlassungserlaubnis früher erteilt worden wäre. Entgegen dem Berufungsvorbringen ist auch nicht zu erkennen, dass es seine Einbürgerung erleichtern könnte, wenn die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis zur Folge hätte, dass der Sohn gemäß § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hätte. Für die Eltern eines deutschen Kindes gibt es keine dem § 9 StAG vergleichbare Vorschrift. Unter Berücksichtigung des Gedankens der staatsangehörigkeitsrechtlichen Einheit in der Familie (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.1985 - 1 B 78/85 -, NJW 1985, 2908, juris Rn. 6) wäre zwar denkbar, dass es zur Begründung einer besonderen Härte i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StAG dienen könnte, dass der Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Der 1977 geborene Kläger wird jedoch noch auf Jahrzehnte keine ältere Person im Sinne dieser Vorschrift sein. Auch aus den VAH-StAR (Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz, Stand 1. Juni 2015) oder der Nds. VV-StAR (Niedersächsische Durchführungsbestimmungen zum Staatsangehörigkeitsrecht, Nds. MBl. 2008, S. 607, geändert durch RdErl.vom 28. 6. 2013, Nds. MBl. 2013, S. 464) ergibt sich nicht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes die Einbürgerung des Klägers erleichtern könnte.

bb. Die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis verhilft dem Sohn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt. Hieraus ergibt sich ein schutzwürdiges Interesse des Klägers.

Das ideelle Interesse des Klägers, dem Sohn den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu ermöglichen, hat besonderes, die Schutzwürdigkeit begründendes Gewicht, weil die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn notwendige Erwerbsvoraussetzung ist. Dem Interesse steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nicht allein sorgeberechtigt ist. Vielmehr haben beide Elternteile durch die gemeinschaftliche Vertretung des Sohnes bei der Erhebung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Klage zum Ausdruck gebracht, dass sie wünschen, dass der Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt.

Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht ein schutzwürdiges Interesse eines Sohnes an der rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seinen Vater verneint. Der Vater habe sich in der Vergangenheit im Bundesgebiet aufgehalten. Auf dessen Interesse an der Verfestigung und Verselbständigung seines Aufenthaltsrechts, das hinter der rückwirkenden Geltendmachung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht, könne sich der Sohn nicht berufen. Denn seinem Interesse an der Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater im Bundesgebiet sei durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Berücksichtigung der schutzwürdigen Bindungen gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK bei eventuellen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Genüge getan (BVerwG, Beschl. v. 2.9.2010 - 1 B 18/10 -, AuAS 2010, 254).

Im Bereich des Aufenthaltsrechts besteht allerdings außer für den Familienangehörigen auch für den betroffenen Ausländer selbst die Möglichkeit, den begehrten Aufenthaltstitel zu beantragen und auf dessen Erteilung im eigenen Namen zu klagen. Der Sohn des Klägers kann den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit hingegen nicht unabhängig von der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger herbeiführen. Vielmehr wird in der staatsangehörigkeitsrechtlichen Literatur die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis als der zutreffende Weg angesehen, um die Erfüllung der Voraussetzung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAG in Fällen nachzuweisen, in denen kein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht innehatte (vgl. Marx, in: GK-StAR, § 4 Rn. 331 ff. (Aug. 2009); Kau, in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, § 4 StAG Rn. 83; wohl auch Hessischer VGH, Beschl. v. 27.7.2007 - 7 UZ 1218/07 -, NvwZ-RR 2008, 108; vgl. zudem OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.5. 2012 - 19 E 700/11 -, juris Rn. 8 ff.). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass schon das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels (ohne die rückwirkende Erteilung selbst) ausreichen könnte und im Rahmen des staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahrens geprüft würde. So hat auch das VG Hannover in dem staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren 10 A 2619/12 darauf hingewiesen, dass sich die Frage stelle, ob der Kläger einen Antrag auf rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis stellen werde, woraufhin der Kläger diesen Antrag gestellt hat und das staatsangehörigkeitsrechtliche Klageverfahren zum Ruhen gebracht wurde.

Überwiegendes spricht weiter dafür, dass es dem Sohn nicht möglich ist, in eigener Person den Erwerb der Staatsangehörigkeit dadurch herbeizuführen, dass er im eigenen Namen die rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger beantragt oder dessen bei der Behörde gestellten Antrag im Wege einer von ihm selbst erhobenen Verpflichtungsklage weiterverfolgt. Denn das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft bzw. des Umgangs dürfte es nicht erfordern, die Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels erstreiten zu können, sondern dürfte auch dann gewahrt werden, wenn nur eine diesen Belangen nicht genügende Ablehnungsentscheidung angefochten werden kann (ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.7.2015 - 11 S 164/15 -, InfAuslR 2015, 433 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Dies muss nicht abschließend entschieden werden. Jedenfalls ist das Risiko des genannten Verfahrensweges unzumutbar groß.

Ist dem Sohn die Verfolgung seines Interesses am Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im eigenen Namen demnach nicht möglich, so scheiterte sein Staatsangehörigkeitserwerb allein an der Personenverschiedenheit von Anspruchsinhaber und Begünstigtem, wenn man ein schutzwürdiges Interesse des Klägers verneinte. Dies widerspräche der auch in anderen Rechtsgebieten anzutreffenden Wertung, dass allein eine Personenverschiedenheit die Durchsetzung eines materiell bestehenden Rechts nicht vereiteln soll (vgl. zur Drittschadensliquidation BVerwG, Urt. v. 26.11.1969 - IV C 22.66 -, BVerwGE 34, 199; BVerwG, Beschl. v. 8.12.1994 - 2 B 101/94 -, NJW 1995, 978; BVerwG, Urt. v. 29.4.2004 - 2 C 2/03 -, BVerwGE 120, 370). Denn in einem solchen Fall liegt eine unnütze Inanspruchnahme von Behörden und Gerichten nicht vor. Nur gegen eine unnütze Inanspruchnahme soll aber die Voraussetzung eines schutzwürdigen Interesses als Ausprägung des Sachbescheidungsinteresses bzw. Rechtsschutzbedürfnisses schützen.

Das schutzwürdige Interesse des Klägers ist nicht dadurch entfallen, dass der Sohn von Juli 2017 an seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, so dass eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG in Betracht kommt. Dies ist dem Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt hier nicht gleichwertig. Nicht nur würde der Kläger um die Früchte der bisherigen Prozessführung im ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren gebracht, er müsste auch in Kauf nehmen, dass den Sohn das Verfahrensrisiko bei Durchführung eines neuen Einbürgerungsverfahrens trifft. Zudem ist die Einbürgerung, anders als der Erwerb durch Geburt, gebührenpflichtig (vgl. § 38 Abs. 2 StAG). Soweit der Kläger darüber hinaus ein durch das Persönlichkeitsrecht geschütztes Interesse an der Kenntnis der eigenen Staatsangehörigkeit geltend macht (vgl. Sächsisches OVG, Urt. v. 5.9.2013 - 3 A 793/12 -, InfAuslR 2014, 8, juris Rn. 29), lässt das Gericht Existenz und Gewicht eines solchen Interesses offen. Es wäre jedenfalls ein Zirkelschluss, ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung der Niederlassungserlaubnis daraus ableiten zu wollen. Denn nur wenn die Staatsangehörigkeit bereits anderweitig erworben wäre, könnte sich ein Interesse an ihrer Kenntnis rechtlich auswirken.

2. Die Klage ist begründet. Der Verpflichtung der Beklagten steht keine bestandskräftige Ablehnung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für den streitgegenständlichen Zeitraum entgegen (a.). Der Kläger hat einen Anspruch auf deren Erteilung (b.).

a. In der Erteilung der Niederlassungserlaubnis mit Wirkung vom 7. Oktober 2009 lag keine Ablehnung einer Erteilung für vorausliegende Zeiträume. Insoweit wurde keine Regelung getroffen, die der Bestandskraft fähig wäre.

Welche Regelung die Ausländerbehörde im Rahmen der Bescheidung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels trifft, ist durch Auslegung des Verwaltungsakts festzustellen. Generelle Aussagen über den Regelungsgehalt, soweit er den Geltungszeitraum und eine etwaige Antragsablehnung für andere Zeiträume betrifft, sind nicht möglich. Der Regelungsgehalt ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsaktes (BVerwG, Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21.12 -, juris Rn. 15 m. w. N.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.8.2016 - 11 ME 61/16 -, NdsVBl. 2017, 53, juris Rn. 8; vgl. BVerwG, Urt. v. 18.6.1980 - 6 C 55.79 -, BVerwGE 60, 223, juris Rn. 22).

Bei der begründungslosen Erteilung der Niederlassungserlaubnis kommt den Umständen der Antragstellung, auf die die Ausländerbehörde reagiert, besondere Bedeutung zu. Für das Visumverfahren gilt beispielsweise, dass sich das Begehren des Ausländers auf Erteilung eines Besuchsvisums nicht allein deswegen erledigt, weil die angegebenen Reisedaten verstrichen sind. Liegen keine Anhaltspunkte für einen termingebundenen Besuchsanlass (z.B. Beerdigung, Hochzeit, Geburtstag) vor, ist der Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums für einen kurzfristigen Besuchsaufenthalt dahin auszulegen, dass der Antragsteller auch nach Ablauf der angegebenen Reisedaten weiterhin an seinem Besuchswunsch und dessen zeitnaher Verwirklichung festhält und den Beginn der Gültigkeit des beantragten Visums auf den Zeitpunkt der Erteilung hinausgeschoben wissen möchte (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011 - 1 C 1/10 -, BVerwGE 138, 371). Entsprechend gilt für nach der Einreise beantragte Aufenthaltstitel, dass die Erteilung regelmäßig für einen beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft begehrt wird, wenn sich nicht aus dem Antragsinhalt oder dem Verhalten des Antragstellers ergibt, dass die Erteilung ab Antragstellung oder ab einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.12.2013 - 11 S 1770/13 -, VBlBW 2015, 216).

Der Kläger begehrte die frühestmögliche Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Seinem Antrag war nicht zu entnehmen, dass es ihm darüber hinaus auf die Geltung in einem bestimmten Zeitraum besonders ankomme. Insbesondere wurde auf die bevorstehende Geburt des Sohnes und erst recht auf die Bedeutung der Niederlassungserlaubnis für dessen Staatsangehörigkeit nicht hingewiesen. Für die Beklagte ergab sich keine Notwendigkeit zu prüfen, ob eine rückwirkende Erteilung zu erfolgen hatte und das dafür erforderliche schutzwürdige Interesse vorlag. Maßgeblich für die Auslegung des Verwaltungsakts ist damit, dass aus der Perspektive des Empfängerhorizonts nicht anzunehmen war, dass die Beklagte eine rückwirkende Erteilung geprüft hatte. Dann gibt es keine Anhaltspunkte für die Auslegung, eine solche Erteilung sei abgelehnt worden. Insoweit wurde nichts geregelt.

Die vorstehenden Erwägungen bedeuten nicht, dass der Antragsteller, der nur eine frühestmögliche Erteilung nach Bearbeitung begehrt hat, im Nachhinein keine rückwirkende Erteilung ab Antragstellung mehr verlangen kann. Der Antrag i.S.d. § 81 Abs. 1 AufenthG ist gestellt. Dadurch, dass er den Gültigkeitsbeginn offen gelassen hat, ist eine Erteilung ab Antragstellung nicht ausgeschlossen. Macht der Antragsteller später, auch nach Erteilung des Aufenthaltstitels für die Zukunft, ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung geltend, kann darüber zusätzlich entschieden werden (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 29.9.1998 - 1 C 14/97 -, NVwZ 1999, 306 und BVerwG, Urt. v. 15.7.1997 - 1 C 15/96 -, NVwZ 1998, 191, wo die Frage einer bestandskräftigen Ablehnung aber nicht in den Blick genommen wurde). Davor, dass Ausländer missbräuchlich nach längerer Zeit noch eine rückwirkende Erteilung fordern und dadurch unnötigen Verwaltungsaufwand auslösen, ist die Behörde durch das Erfordernis des schützenswerten Interesses ausreichend geschützt.

b. Die Voraussetzungen der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für den Zeitraum 5. Juni bis 6. Oktober 2009 sind erfüllt.

Anspruchsgrundlage ist § 26 Abs. 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift in der im angestrebten Gültigkeitszeitraum geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) war einem Ausländer, der seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG besitzt, eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 73 Abs. 2a AsylVfG mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme nicht vorliegen.

Den gemäß § 81 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Antrag hatte der Kläger am 5. Juni 2009 gestellt.

Er hatte seit dem 4. Mai 2005, mithin seit über drei Jahren, Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 inne. Allerdings war die Aufenthaltserlaubnis vom 4. Mai 2005 bis zum 4. Mai 2007 gültig gewesen, und die nächste Aufenthaltserlaubnis wurde erst am 19. Juli 2007 erteilt, ohne dass eine Rückwirkung angeordnet wurde. Der Verlängerungsantrag vom 30. April 2007 hatte jedoch die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. Diese Zeit wird angerechnet (vgl. Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 26 AufenthG Rn. 16; Burr, in: GK-AufenthG, § 26 Rn. 17 (Juli 2011)). Die Negativbescheinigung des Bundesamtes lag vor.

Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen stehen nicht entgegen, denn im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Abs. 3 AufenthG war gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG a.F. von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abzusehen. Der allgemeine Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG war nicht erfüllt. Hierfür ergaben die von der Beklagten im August 2009 durchgeführten Ermittlungen keinen Anhaltspunkt. Es ist nicht ersichtlich, dass es sich zwischen dem 5. Juni 2009 und diesem Zeitpunkt anders verhalten haben könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.