Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.11.2017, Az.: 7 ME 100/17

Einschätzungsprärogative; Ladenöffnung; Prüfungsmaßstab; Sonn- und Feiertagsruhe; Sonn- und Feiertagsschutz; Sonntagsöffnung; verfassungskonforme Auslegung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.11.2017
Aktenzeichen
7 ME 100/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53998
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.10.2017 - AZ: 1 B 101/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Hat die Gemeinde die Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen abgelehnt, kommt aufgrund der gemeindlichen Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Frage, ob die (Anlass-) Veranstaltung für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom auslöst, der die bei einer alleinigen Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteigt, im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) eine (vorläufige) Gestattung der Öffnung lediglich dann in Betracht, wenn diese Voraussetzung eindeutig und bei jeder Betrachtungsweise gegeben ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 1. Kammer - vom 19.10.2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Den am 18.07.2017 gestellten Antrag auf Genehmigung einer Verkaufsstellenöffnung am Sonntag, den 05.11.2017 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr, lehnte die Antragsgegnerin aufgrund einer nicht hinreichenden Konkretisierung der Anlassveranstaltung und mangelnder Angaben zur räumlichen Abgrenzung mit Bescheid vom 14.09.2017 ab, da unter diesen Voraussetzungen ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Ausnahme vom allgemeinen Sonntagsschutz nicht erkennbar sei. Der hiergegen gerichtete Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte bei dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg.

Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.

§ 5 Abs. 1 Satz 1 NLöffVZG kann in Niedersachsen Grundlage für die begehrte Erlaubnis der Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen sein (Beschl. des Senats v. 05.05.2017 - 7 ME 31/17 -, juris). Die Norm entspricht (gerade noch) den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere den aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV folgenden Mindestanforderungen an den Sonn- und Feiertagsschutz (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 01.12.2009 - 1 BvR 2857/07 -, juris), und ist einer einschränkenden Auslegung im Hinblick auf die „strenge Anlassbezogenheit“ der Öffnung, wie sie durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2015 (Az. 8 CN 2.14, juris, zu § 14 Abs. 1 LadSchlG; dazu kritisch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.03.2017 - 6 S 309/17 -, u. v. 26.10.2016 - 6 S 2041/16 -, beide juris) gefordert wird, zugänglich (Beschl. des Senats v. 05.05.2017, aaO Rn. 12ff.; u.v. 13.09.2017 - 7 ME 77/17 -, juris Rn. 6ff.). Erforderlich ist danach im Kern, dass die für die Ladenöffnung am Sonntag anlassgebende Veranstaltung den Sonntag prägt und die Geschäftsöffnung sich als bloßer Annex zu dieser darstellt, die Ladenöffnung in räumlichem Bezug zum konkreten Marktgeschehen verbleibt und prognostiziert werden kann, dass die Veranstaltung für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom auslöst, der die bei einer alleinigen Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2015, aaO, Rn. 36). Die Frage, ob die beabsichtigte sonntägliche Ladenöffnung durch einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gerechtfertigt ist, unterliegt grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Hinsichtlich der Prognosen künftiger Ereignisse etwa zur Besucherzahl besteht dagegen eine gemeindliche Einschätzungsprärogative; das Gericht hat jedoch zu prüfen, ob die bei der Entscheidung über die Freigabe der Ladenöffnung vorgenommene Prognose schlüssig und vertretbar ist (BVerwG, Urt. v. 11.11.2015, aaO, juris Rn. 36; u. v. 17.05.2017 - 8 CN 1.16 -, juris Rn. 17).

Die Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin vom 18.07.2017 enthält eine solche  - positive - Prognose für die Freigabe der Ladenöffnung anlässlich der geplanten Veranstaltung „Feuer und Eis“ am Sonntag, den 05.11.2017 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr, nicht. Sie hat vielmehr zu Recht kritisiert, dass es an hinreichend prüfbaren Angaben für die Genehmigung der beantragten Sonntagsöffnung fehle. Mit ihren Ausführungen im Prozess und im Beschwerdeverfahren unterstützt die Antragsgegnerin zwar nunmehr die Position des Antragstellers und kritisiert die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung, sie hat daraus aber (bisher) nicht die prozessualen Konsequenzen gezogen, ihren Ablehnungsbescheid aufzuheben und die beantragte Erlaubnis nunmehr zu erteilen. Hinsichtlich der erforderlichen Prognose für die zu erwartenden Besucherströme steht der Antragsgegnerin - wie oben dargelegt - jedoch eine Einschätzungsprärogative zu. Sie kann durch das Gericht nicht ersetzt werden, das keine eigene Prognose vornehmen darf (BVerwG, Urt. v. 11.11.2015, aaO, juris Rn. 36). Im gerichtlichen Verfahren kommt infolgedessen allenfalls eine Kontrolle in Betracht, ob die genannten Voraussetzungen eindeutig und bei jeder Betrachtungsweise gegeben sind und daher jede andere als eine stattgebende Entscheidung rechtswidrig wäre, wobei - aufgrund der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - hierfür auch in tatsächlicher Hinsicht eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen muss.

Gemessen an den danach zugrunde zu legenden Maßstäben kann die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg haben. Der Senat hält es nach den ihm im Beschwerdeverfahren vorliegenden Informationen nicht für sicher, dass die für den Sonntagnachmittag geplanten Aktionen einen Besucherstrom generieren werden, der den der geplanten Verkaufsöffnung übertrifft. Der Antrag vom 18.07.2017 gibt dafür nichts her. Auch die vom Antragsteller nachgeschobenen Plausibilitätsabschätzungen hinsichtlich der zu erwartenden Besucherströme und deren Verteilung auf Marktgeschehen und zu öffnende Verkaufsstellen sind nicht aussagekräftig genug. Es kann nicht mit der gebotenen Evidenz festgestellt werden, dass die Anziehungskraft der angekündigten Attraktionen ein Eigengewicht entfalten wird, dass jenes der Sonntagsöffnung - die Gestattung wird für immerhin 86 Betriebe begehrt - im betroffenen Innenstadtbereich in dem erforderlichen Umfang übertrifft, auch wenn berücksichtigt wird, dass bestimmte, insbesondere Lebensmitteleinzelhandels- und Versorgungsbetriebe insoweit außer Betracht bleiben können, weil sie von der Öffnungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen werden. Eine eindeutige Feststellung, dass insbesondere die beiden geplanten Hauptaktionen des Sonntagnachmittages, eine Modenschau, auf der Wintermoden für Erwachsene und Kinder gezeigt werden sollen, sowie das Schnitzen von (insgesamt 3) Eisskulpturen an verschiedenen Plätzen - zusammen mit dem geplanten kulinarischen Angebot - mehr Besucher anziehen werden als die geplante Verkaufsöffnung, kann derzeit nicht getroffen werden. Die Besucherprognose für den am Tag davor, Samstag, den 04.10.2017, stattfindenden „Feuerabend“ kann nicht herangezogen werden, um die Verkaufsöffnung am Sonntag als bloßen Annex einer „Gesamtveranstaltung“ an beiden Tagen des Wochenendes zu qualifizieren. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass beide Veranstaltungen eine - über den Synergieeffekt der erneuten Nutzung der bereits aufgestellten Infrastruktur hinausgehende - Verknüpfung aufweisen, die sie als „ein Ereignis“ darstellen würden. Sowohl die geplanten Aktionen des Samstages im Rahmen des „Feuerabends“ wie die des Sonntagnachmittages bei der Veranstaltung „Feuer und Eis“ sind am jeweiligen Tag - mit Ausnahme der Feldschmiede - abgeschlossen und weisen keine echte inhaltliche oder thematische Verklammerung mit Events des Folge- bzw. Vortages auf, so dass der Eindruck eines einheitlichen Festgeschehens nicht entsteht.

Dem Antragsteller ist zwar zuzugeben, dass eine Besucherprognose im Hinblick auf den Umstand, dass die Veranstaltung erstmalig stattfinden soll, schwierig ist, weil nicht auf Vergangenheitswerte zurückgegriffen werden kann. Der von ihm vorgenommene Vergleich mit anderen Innenstadtveranstaltungen mit Sonntagsöffnung, wie dem „Cityfest“, und ohne Sonntagsöffnung, wie dem „Streetfood-Circus“, erscheint grundsätzlich auch nicht ungeeignet, um das Besucherinteresse prognostisch abzuschätzen. Gleiches gilt für eine Evaluierung des Besucherinteresses anlässlich einzelner Veranstaltungen mittels Fragebögen. Beachtenswert ist zudem sicher der Hinweis der Antragsgegnerin, die Werbegemeinschaften kleinerer Städte, wie der Antragsteller, verfügten nur über einen ehrenamtlich tätigen Vorstand, so dass die Anforderungen an die Plausibilisierung der Antragsangaben nicht ein Maß erreichen dürften, das einer erfolgreichen Antragstellung von vornherein entgegenstehe. Auch erscheinen Anforderungen, die in Formulierungen des Verwaltungsgerichts in einzelnen Punkten hervortreten, wie hinsichtlich der Darlegung des Veranstaltungskonzepts und des Nachweises der Größe der vorgesehenen Veranstaltungsfläche, die mit 13.000 m² auf Anhieb nicht übermäßig groß erscheint, als sehr hoch. In seinem Beschluss vom 13.09.2017 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an eine gemeindliche Prognose nicht überspannt werden dürfen (Beschl. des Senats v. 13.09.2017, - a.a.O. -, juris Rn. 14). Hier sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts aber ohne weiteres tragfähig, dass aufgrund der Prognose (allein) des Antragstellers eine sichere Aussage dazu, ob die Veranstaltung „Feuer und Eis“ ohne die Sonntagsöffnung mehr Besucher anzöge als die alleinige Sonntagsöffnung, nicht zuverlässig getroffen werden kann.

Eine Verpflichtung zur Neubescheidung ist vom Antragsteller nicht beantragt; sie käme im Übrigen - als Minus zum Verpflichtungsbegehren - nur in Betracht, wenn die Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin als rechtswidrig beurteilt werden müsste. Das ist jedoch nicht der Fall, da dem Antrag vom 18.07.2017 - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - aufgrund seiner mangelnden Konkretisierung in dieser Form nicht stattgegeben werden konnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).