Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.11.2017, Az.: 13 LB 239/17

Aufhebung und Zurückverweisung; Berufungsbegründung; Sachantrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.11.2017
Aktenzeichen
13 LB 239/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54011
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.06.2017 - AZ: 4 A 198/17

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 27. Juni 2017 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2017 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ab, drohte dem Kläger die Abschiebung an und befristete die Wirkungen der Abschiebung auf dreißig Monate.

Hiergegen hat der Kläger am 6. Februar 2017 bei dem Verwaltungsgericht Braunschweig Klage - 4 A 39/17 - erhoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 4 B 40/17 - beantragt. Nachdem die Beklagte dem Verwaltungsgericht mitgeteilte hatte, dass der Kläger von seiner bisherigen Anschrift in A-Stadt, C. Straße, von Amts wegen abgemeldet worden und seine neue Anschrift unbekannt sei, hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 7. März 2017 als unzulässig abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 4. April 2017 - 13 ME 59/17 - verworfen.

Mit Verfügung vom 7. März 2017, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 13. März 2017, hat das Verwaltungsgericht den Kläger aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Verfügung das gerichtliche Verfahren zu betreiben, insbesondere seine Anschrift mitzuteilen und zur Glaubhaftmachung eine Meldebescheinigung vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass nach fruchtlosem Verstreichenlassen der Frist die Klage als zurückgenommen gelte. Unter dem 27. März 2017 hat der Kläger das Verwaltungsgericht auf seine Stellungnahme vom 10. März 2017 im Beschwerdeverfahren 13 ME 59/17 hingewiesen. Dort hatte er an Eides statt versichert, unverändert in der Wohnung A-Stadt, C. Straße, zu leben. Auch Post erreiche ihn dort. Das Verwaltungsgericht habe bei der Adressierung seine Vor- und Nachnamen vertauscht. Eine aktuelle Meldebescheinigung hat der Kläger nicht vorgelegt. Mit Beschluss vom 7. Juni 2017 hat das Verwaltungsgericht das erstinstanzliche Klageverfahren eingestellt und festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gilt.

Am 12. Juni 2017 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht die Fortsetzung des Klageverfahrens beantragt, da die Einstellung zu Unrecht erfolgt sei. Das Verwaltungsgericht hat hierauf mit Urteil vom 27. Juni 2017 - 4 A 198/17 - festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gilt.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 1. September 2017 - 13 LA 203/17 -, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 6. September 2017, wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen. Mit Verfügung vom gleichen Tage hat der Berichterstatter des Senats die Beteiligten darauf hingewiesen, dass im Berufungsverfahren auf den entsprechenden Antrag eines Beteiligten auch eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht in Betracht komme, und die Beteiligten um Äußerung gebeten, ob ein solcher Antrag gestellt werde.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 bat der Kläger, die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils vom 27. Juni 2017 an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Der Berichterstatter des Senats wies mit Verfügung vom 9. Oktober 2017 den Kläger darauf hin, dass die Berufung mangels Begründung unzulässig sei, und hörte die Beteiligten zu einer möglichen Verwerfung der Berufung an. Der Kläger machte hierauf geltend, dass sein Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 mit Blick auf die Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 1. September 2017 den Anforderungen an eine Berufungsbegründung genüge. Vorsorglich beantragte er die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist.

II.

Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwGO durch Beschluss entscheidet, ist unzulässig und daher nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen.

1. Die mit Beschluss des Senats vom 1. September 2017 zugelassene Berufung des Klägers ist nicht fristgerecht begründet worden.

Nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die vom Oberverwaltungsgericht nach § 124a Abs. 5 VwGO zugelassene Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Über dieses Begründungserfordernis ist der Kläger im Zulassungsbeschluss des Senats vom 1. September 2017 belehrt worden. Der Zulassungsbeschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 6. September 2017 zugestellt worden. Damit ist die Begründungsfrist am 6. Oktober 2017 abgelaufen. Eine Berufungsbegründung ist bis zu diesem Zeitpunkt beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht nicht eingegangen.

Der durch den Kläger mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 allein gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht genügt den Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht.

Nach § 124a Abs. 6 Satz 1 und 3 in Verbindung mit § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO ist die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Dieses Begründungserfordernis ist keine bloße Förmelei (so BVerwG, Beschl. v. 20.3.2003 - BVerwG 3 B 143.02 -, NJW 2003, 3288). Erst die Begründung der Berufung durch den Berufungsführer zeigt, ob, in welchem Umfang und weshalb er das Berufungsverfahren durchführen will. Dies muss in einem gesonderten Schriftsatz des Berufungsführers nach Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht deutlich zum Ausdruck kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.5.2006 - BVerwG 6 B 77.05 -, Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 31 m.w.N.). Hierzu kann eine Bezugnahme auf das Vorbringen im vorausgegangenen Zulassungsverfahren genügen und selbst eine solche kann entbehrlich sein, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere dem angefochtenen Urteil, dem Antrag auf Zulassung der Berufung und dem Zulassungsbeschluss, hinreichend deutlich ergibt, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb das Berufungsverfahren durchgeführt werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.3.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, NVwZ-RR 2004, 541 m.w.N.). Maßgeblich sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.3.2017 - BVerwG 9 B 2.17 -, juris Rn. 2 m.w.N.).

Hier hat der Kläger nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb er das Berufungsverfahren durchführen will. Seinem Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 ist - als Reaktion auf die Anfrage des Berichterstatters des Senats - nur ein Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO zu entnehmen. Jedwede Begründung oder auch nur eine schlichte Bezugnahme auf das vorausgegangene Zulassungsverfahren fehlen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang und unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls ist nicht hinreichend klar, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb der Kläger das Berufungsverfahren durchführen will. Es ist schon zweifelhaft, ob in dem bloßen Begehren einer (erneuten) Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens auf einen Willen zur Durchführung auch eines Berufungsverfahrens geschlossen werden kann. Selbst bejahendenfalls bliebe offen, in welchem Umfang, mit welchem konkreten Antrag und weshalb der Kläger ein Berufungsverfahren durchführen will. Der bloße (Verfahrens-)Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO ist kein (Sach-)Antrag im Sinne des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 19.1.1993 - 9 L 297/89 -, juris Rn. 7; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 124a Rn. 25). Auch ein Rückgriff auf die Begründung des Zulassungsantrags im Schriftsatz vom 30. August 2017 und auf den Zulassungsbeschluss des Senats vom 1. September 2017 erhellt weder einen Antrag noch die Berufungsgründe. Beide verhalten sich nur zu einem Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der zur Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geführt hat. Ihnen ist aber nichts zum materiellen Begehren des Klägers und dessen Begründetheit zu entnehmen. Die verwaltungsprozessuale Berufung ist allein mit der Aufhebung eines verfahrensfehlerhaften erstinstanzlichen Prozessurteils aber nicht erschöpft. Denn nach §§ 128, 129 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht den Streitfall innerhalb des im Berufungsverfahren gestellten Sachantrags vielmehr im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht und berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel. Hieran ändert auch die Möglichkeit der Beteiligten nichts, nach § 130 Abs. 2 VwGO die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht zu beantragen. Denn der Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO ist kein das Oberverwaltungsgericht bindender und den Berufungsgegenstand beschränkender Sachantrag im Sinne der §§ 128, 129 VwGO (vgl. Eyermann, a.a.O., § 129 Rn. 2 f.).

Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, anhand des weiteren klägerischen Vorbringens zu ermitteln, ob, in welchem Umfang, mit welchem Antrag und weshalb er das Berufungsverfahren durchführen will. Dabei wird nicht verkannt, dass die Anforderungen an eine Berufungsbegründung mit Blick auf die Gebote des effektiven Rechtsschutzes und des fairen Verfahrens nicht überspannt werden dürfen, der Zugang zu einer berufungsgerichtlichen Überprüfung verwaltungsgerichtlicher Urteile also nicht unverhältnismäßig erschwert werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.1.2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Es ist aber weder nach dem Wortlaut des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO noch nach dessen Normzweck Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, einen Berufungsantrag und die vom Berufungsführer fristgebunden "im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe)" aus nicht näher bezeichneten Schriftsätzen herauszufiltern.

2. Dem Kläger kann auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist gewährt werden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht erfüllt. Danach ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.

Der Vortrag des Klägers lässt nicht erkennen, dass seinen Prozessbevollmächtigten an dem allein vorgebrachten Irrtum über das Erfordernis einer Berufungsbegründung ein Verschulden nicht trifft. Für den Senat ist nicht nachzuvollziehen, dass allein oder jedenfalls maßgeblich aus dem zeitlichen Zusammentreffen des Zulassungsbeschlusses des Senats vom 1. September 2017 und der Anfrage des Berichterstatters vom gleichen Tage zur Möglichkeit eines Vorgehens nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ein unverschuldeter Irrtum über das Erfordernis einer fristgerechten Berufungsbegründung entstanden sein soll. Dies gilt insbesondere für einen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfahrenen Rechtsanwalt, wie es der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist. Denn der Zulassungsbeschluss des Senats weist ausdrücklich auf das Begründungserfordernis hin (vgl. Beschl. v. 1.9.2017, Umdruck S. 4 f.: "Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. ... Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig ...") und der Verfügung des Berichterstatters ist nicht ansatzweise eine Beschränkung oder gar Aufgabe des Begründungserfordernisses zu entnehmen. Alleine die Annahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers, bei einem Antrag auf Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht sei eine Berufungsbegründung nicht erforderlich, exkulpiert ihn nicht. Denn dabei übersieht er, dass dem Senat erst auf eine zulässige Berufung hin die Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 VwGO eröffnet ist und der Senat von dieser Möglichkeit nur Gebrauch machen darf, aber nach seinem Ermessen auch selbst eine Sachentscheidung treffen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.9.2014 - BVerwG 4 B 30.14 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Diese bei der gebotenen Sorgfalt anzustellenden Überlegungen hätten dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die Irrigkeit seiner Annahme ohne Weiteres vor Augen führen müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).