Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.1997, Az.: I 500/95

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.12.1997
Aktenzeichen
I 500/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 27896
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1209.I500.95.0A

In dem Rechtsstreit

wegen 1) gesonderter u. einheitlicher Feststellung 1992,

2) Gewerbesteuermeßbetrags 1992

hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. Dezember 1997, an der mitgewirkt haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

ehrenamtliche Richterin . Landwirtin

ehrenamtlicher Richter . Bauingenieur

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin (Kl.) gewerbliche Einkünfte oder solche aus selbständiger Arbeit erzielt.

2

Die Kl. hat zwei Gesellschafter, die eine Gemeinschaftspraxis als Krankengymnasten ausüben. Sie ermittelt ihren Gewinn durch eine Einnahme-/Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Auf dieses Weise errechnete sie für das Streitjahr einen Gewinn aus selbständiger Arbeit in Höhe von 119. 830 DM. Dieser Berechnung folgte der Beklagte (Bekl.) im Anschluß an eine Betriebsprüfung (BP) nicht. Der Prüfer stellte fest, daß die Kl. neben Einnahmen aus freiberuflicher krankengymnastischer Tätigkeit in Höhe von 510.470,71 DM weitere Einnahmen aus dem Verkauf von Nackenkissen und behandlungsunterstützenden Cremes (Bio-Sun-Produkte) in Höhe von 6.481,95 DM erzielt hatte, ohne beide Tätigkeitsbereiche rechtlich oder organisatorisch voneinander zu trennen. Er vertrat die Auffassung, daß die Kl. aus dem Verkauf der Nackenkissen und Cremes gewerbliche Einkünfte erzielt habe. Wegen dieser gewerblichen, Einkünfte seien gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG sämtliche Einkünfte der Kl. als gewerblich zu qualifizieren. Der Bekl. schloß sich dieser Auffassung an. Mit Änderungsbescheid vom 5. Oktober 1995 stellte er gewerbliche Einkünfte er Kl. für das Streitjahr in Höhe von 125. 236 DM einheitlich und gesondert fest. Außerdem erließ er einen entsprechenden Gewerbesteuermeßbetragsbescheid.

3

Dagegen hat die Kl. nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Feststellung der Einkunftsart wendet. Sie ist der Auffassung, daß ihre Einnahmen aus den Warenverkäufen nur geringfügig seien. Sie machten lediglich 1,25 % der Gesamteinnahmen aus. Es gehe nicht an, wegen derartiger Bagatellumsätze die gesamten Einkünfte als gewerblich zu qualifizieren. Das Steuerrecht kenne zahlreiche Bagatellgrenzen, bei denen weitaus höhere Umsätze als steuerlich unschädlich angesehen würden. Eine derartige Bagatellgrenze müsse in verfassungskonformer Auslegung auch bei der Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG berücksichtigt werden. Im übrigen verfolge sie mit dem Verkauf der Produkte keine Gewinnerzielungsabsicht. Ihr Rohgewinnaufschlag liege nur bei knapp über 20 %; ihre Abgabepreise lägen erheblich unter den empfohlenen Verkaufspreisen der Industrie. Sie verstehe den Verkauf der Kissen und der Bio-Sun-Produkte als Dienst am Patienten, um ihnen den Weg zum Fachhandel zu ersparen. Sämtliche Waren würden fast ausschließlich an Patienten verkauft. Die Nackenkissen trugen dazu bei, Nackenbeschwerden zu lindern, bei den Bio-Sun-Produkten handele es sich um behandlungsunterstützende Cremes. Einen Gewinn erziele sie aus dem Verkauf dieser Produkte nicht. Ordne man einen Teil der insgesamt angefallenen Kosten im Verhältnis des Umsatzes den Warenverkäufen zu, so ergebe sich für das Streitjahr daraus ein Verlust von mehr als 3. 000 DM. Das sei auch in den Folgejahren nicht anders. Das gelte auch für die Jahre ab 1995, seitdem der Handel ausgegliedert worden sei und von den Ehefrauen der Gesellschafter fortgeführt werde.

4

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Bekl. den angefochtenen Bescheid mit Rücksicht auf den Vorlagebeschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23. Juli 1997 (IV 317/91) für vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) erklärt (Az. BVerfG: 1 BvL 23/97). Die Kl. hat den so geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

5

Sie beantragt,

  1. 1

    unter Änderung des Bescheides über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung 1992 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 27. November 1995 festzustellen, daß die Einkünfte der Praxis für Krankengymnastik solche aus selbständiger Arbeit sind,

  2. 2

    den Bescheid für 1992 über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag vom 11. Oktober 1995 und den Einspruchsbescheid vom 27. November 1995 aufzuheben.

6

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie ist der Ansicht, mit dem Verkauf der Kissen und der Cremes übe die Kl. eine typisch gewerbliche Tätigkeit aus, die im Regelfall durch Sanitäts- und Reformhäuser erbracht werde. Sie sei der eines Krankengymnasten wesensfremd und sei weder notwendiges Hilfsmittel noch Bestandteil seiner Berufsausübung. Die Kl. übe diese gewerbliche Tätigkeit auch mit Gewinnerzielungsabsicht aus. Im Streitjahr habe die Kl. mit dem Verkauf der Nackenkissen gerade erst begonnen. In der Anfangsphase einer unternehmerischen Tätigkeit lasse ein Verlust noch nicht auf eine fehlende Gewinnerzielungsabsicht schließen. Außerdem sei die Verlustberechnung der Kl. nicht korrekt. In die Totalgewinnberechnung für die gewerbliche Betätigung seien solche Kosten nicht einzubeziehen, die für den Hauptbetrieb -; also die Praxis -; unentbehrlich seien.

8

Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage- und Vorverfahren verwiesen.

Gründe

9

I.

Die Klage hat keinen Erfolg.

10

1. Im angefochtenen Feststellungsbescheid hat der Bekl. zutreffend sämtliche Einkünfte der Kl. den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet.

11

a. Soweit die Gesellschafter der Kl. als Krankengymnasten tätig geworden sind, hat die Kl. Einkünfte aus selbständiger Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt.

12

b. Dagegen stellt der Verkauf der Kissen und der Cremes eine gewerbliche Tätigkeit dar. Mit dem An- und Verkauf von Waren wird ein Grundhandelsgewerbe im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) betrieben. Die daraus erzielten Einkünfte sind ihrem Wesen nach solche aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 EStG. Das gilt auch, soweit sie ein Angehöriger eines Heilberufes erzielt (vgl. Urteil des BFH vom. 26.05.1977 V R 95/76; BStBl II 1977, 879).

13

Die Kl. betreibt diese gewerbliche Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht. Die für die Annahme gewerblicher Einkünfte erforderliche Gewinnerzielungsabsicht liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger einen Totalgewinn, ein positives Gesamtergebnis erzielen will. Ob diese subjektive Absicht vorliegt, ist anhand objektiver Merkmale festzustellen (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Einzelne Umstände können einen Anscheinsbeweis für das Vorliegen oder Fehlen dieser Absicht liefern, der vom Steuerpflichtigen entkräftet werden muß (Urteil des BFH vom 21.08.1990 VIII R 25/86, BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564 [BFH 21.08.1990 - VIII R 25/86]).

14

Im Streitfall liegt ein solcher Anscheinsbeweis für eine Gewinnerzielungsabsicht vor, weil die Kl. erst kurz vor dem Streitjahr mit dem An- und Verkauf der Nackenkissen und Bio-Sun-Produkte begonnen hat. Bei jedem neugegründeten Unternehmen spricht grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß es in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird (BFH, BFHE 163, 524, [BFH 21.08.1990 - VIII R 25/86] BStBl II 1991, 564 [BFH 21.08.1990 - VIII R 25/86]).

15

Der Kl. ist es nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften. Insbesondere läßt sich aus ihren Gewinnberechnungen nicht erkennen, daß ein positives Gesamtergebnis nicht erzielbar ist. Übt ein Steuerpflichtiger sowohl eine freiberufliche als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, dann ist für die Frage, ob die gewerbliche Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird, gedanklich von zwei Teilbetrieben auszugehen, deren Betriebsvermögen getrennt zu ermitteln sind (Urteil des BFH vom 18.05.1995 IV R 31/94; BStBl II 1995, 718). Ist einer der beiden Teilbetriebe dazu bestimmt, dem anderen in einer Weise zu dienen, daß er ohne ihn nicht existieren würde, dann sind Aufwendungen, die für den Hauptbetrieb unentbehrlich sind, nicht in die Berechnung des Totalgewinns einzubeziehen. Sie dienen in vollem Umfang der Gewinnermittlung des Hauptbetriebes und können nicht -; auch nicht anteilig -; dem gedachten dienenden Betrieb zur Begründung fehlender Gewinnerzielungsabsicht zugeordnet werden (BFH, IV R 31/94; BStBl II 1995, 718 [BFH 18.05.1995 - IV R 31/94]).

16

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen gegeben. Wie die Kl. vorgetragen hat, werden die Kissen und die Cremes in überwiegender Zahl an Patienten verkauft, sie versteht den Verkauf als Dienst am Patienten. Das Gericht sieht in dem Warenverkauf daher einen Teilbetrieb in vorgenanntem Sinne, der der krankengymnastischen Praxis dient und der ohne die Praxis, nicht existieren würde. Dementsprechend sind bei seiner Gewinnermittlung solche Kosten nicht zu erfassen, die für die krankengymnastische Praxis unentbehrlich sind. Dies sind bei der Kostenermittlung des Streitjahres nahezu alle der im Schriftsatz des Klägervertreters vom 21. Dezember 1995 (Bl. 11 der Gerichtsakten) genannten Kosten, wie z. B. die Löhne und Gehälter, die sozialen Aufwendungen, Kfz.-Kosten, Abschreibungen oder Versicherungen. Läßt man diese Kosten bei der Gewinnberechnung des gewerblichen Teilbetriebes außer Acht, so ergibt sich für das Streitjahr ein Gewinn. Für die Folgejahre gilt gleiches. Dieser Gewinn steht der Annahme fehlender Gewinnerzielungsabsicht entgegen, der Anscheinsbeweis für Gewinnerzielungsabsicht ist nicht entkräftet.

17

c. Die beiden Tätigkeitsbereiche der Kl., die freiberufliche krankengymnastische Tätigkeit einerseits und die gewerbliche andererseits, sind nicht derart miteinander verflochten, daß beide als einheitliche gemischte Tätigkeit aufgefaßt werden könnten. Eine derartige einheitliche Erfassung beider Betätigungen setzt voraus, daß sie sich gegenseitig bedingen und derart miteinander verflochten sind, daß sie nach der Verkehrsauffassung als eine einheitliche Tätigkeit anzunehmen sind (vgl. Urteile des BFH vom 11. Juli 1991 IV R 102/90, BStBl II 1992, 413, vom 18. Mai 1995 IV R 31/94; BStBl II 1995, 718, vom 24. April 1997 VI R 60/95, BStBl II 1997, 567 [BFH 24.04.1997 - IV R 60/95]). Dieser Zusammenhang fehlt im Streitfall. Wie der Bekl. zutreffend vorträgt, werden die von der Kl. vertriebenen Nackenkissen und Cremes üblicherweise in Reform- und Sanitätshäusern verkauft.

18

d. Da die Kl. neben der freiberuflichen Tätigkeit auch eine gewerbliche im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt, gilt ihre Tätigkeit in vollem Umfang als Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Dies gilt auch dann, wenn -; wie im Streitfall -; die Einkünfte aus gewerblicher Betätigung nur geringfügig sind. Der eindeutige Wortlaut des Gesetzes läßt eine andere Auslegung nicht zu. Der Senat sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung des BFH im Urteil vom 10. August 1994 I R 133/93, BStBl II 1995, 171.

19

Das Gericht ist ferner der Auffassung, daß die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG verfassungsrechtlichen Ansprüchen auch dann standhält, wenn ihr Anwendungsbereich auch geringfügige gewerbliche Betätigungen einschließt. Auch insoweit verweist der Senat auf das Urteil des BFH vom 10. August 1994 I R 133/93, BStBl II 1995, 171.

20

Damit haften dem Gewinnfeststellungsbescheid keine rechtlichen Bedenken an.

21

2. Für den Gewerbesteuermeßbetragsbescheid gilt gleiches. Insbesondere unterhält die Kl. in vollem Umfang und mit ihrer gesamten Tätigkeit einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Der Begriff des Gewerbebetriebes im Sinne des GewStG -; gegen das das Gericht ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken trägt -; ist identisch mit dem ertragsteuerlichen in § 15 EStG (vgl. Beschluß des BFH, GrS vom 25.06.1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751).

22

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

23

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung -; insbesondere zur Reichweite der Regelungswirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG -; zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).