Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.12.1997, Az.: VII 659/96

Abzugsfähigkeit von Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten; Höhe der geltendzumachenden Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei ständig wechselnden Einsatzstellen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.12.1997
Aktenzeichen
VII 659/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 16010
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1216.VII659.96.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 1998, 914

Verfahrensgegenstand

Höhe der als Werbungskosten abziehbaren Fahrtkosten bei einem Arbeitnehmer, der den Dienst an seiner regelmäßigen Arbeitsstätte (Seeschiff) an ständig wechselnden Orten aufzunehmen hat.

Einkommensteuer 1994

In dem Rechtsstreit
hat der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 16. Dezember 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1994 vom 3. April 1996 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 4. November 1996 wird die Einkommensteuer auf 1.330 DM herabgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der dem Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Streitig ist, in welcher Höhe Fahrtkosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

2

Die Kl. sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Ehemann ist ... beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie beschäftigt. Als solcher wird er auf den Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiffen ... und ... im Seegebiet der Nord- und Ostsee eingesetzt. Der Kl. ist jeweils mehrere Tage auf See und nimmt seinen Dienst an unterschiedlichen Ablegestellen auf. Den Weg zwischen seiner Wohnung in B. bzw. E. und der jeweiligen Ablegestelle legt er mit dem eigenen Pkw zurück. Soweit der Einsatz an einem anderen Ort endet, sucht er zunächst die Anlegestelle wieder auf um von dort nach Hause zu fahren, oder er läßt sich von seiner Ehefrau zur Ablegestelle fahren und von der Anlegestelle abholen. Mit der Einkommensteuererklärung machte der Kl. die Aufwendungen für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem jeweiligen Abfahrt- bzw. Ankunftsort auf der Grundlage eines Kilometersatzes von 0,52 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend (Gesamtkosten 8.031,40 DM). Wegen der Einzelheiten der Ermittlung wird auf die der Einkommensteuererklärung beigefügte Aufstellung (Ablichtung Bl. 7 und 8 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Durch Einkommensteuerbescheid vom 3. April 1996 berücksichtigte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Fahrtkosten auf der Grundlage des Pauschbetrages nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur in Höhe von 5.406 DM. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies er im Streitpunkt durch Einspruchsbescheid vom 4. November 1996 als unbegründet zurück.

3

Mit der Klage begehren die Kl. die erklärungsgemäße Berücksichtigung der Fahrtkosten. Sie sind der Ansicht, daß im Hinblick auf die Eigenart der von dem Kl. ausgeübten Tätigkeit - ständiger Wechsel der Ablegestellen, an denen er den Dienst aufzunehmen hat - die Aufwendungen für Fahrten dorthin wie solche für Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen zu behandeln seien.

4

Die Kl. beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 3. April 1996 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 4. November 1996 weitere Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 2.626 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er hält an der seiner Einspruchsentscheidung zugrundeliegenden Auffassung fest, daß nicht die jeweiligen Ablegestellen der Schiffe, sondern diese selbst als regelmäßige Arbeitsstätten des Kl. anzusehen seien und es sich bei den Fahrten von der Wohnung zu den jeweiligen Liegeplätzen deshalb um solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte handele, für die nur die in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG genannten Pauschbeträge abzusetzen seien.

Entscheidungsgründe

7

Die Klage ist begründet. Die Aufwendungen des Kl. für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und den Ab- bzw. Anlegestellen der Schiffe sind in der mit der Klage geltend gemachten Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

8

Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Erhaltung und Sicherung der Einnahmen. Zu den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG). Bei Fahrten mit einem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeug sind diese Kosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG zwar nur mit den dort genannten Pauschbeträgen (im Streitjahr bei Benutzung eines Kraftwagens 0,70 Deutsche Mark je Entfernungskilometer) abziehbar. Diese Abzugsbeschränkung gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aber nur bei Fahrten zwischen der Wohnung und einer regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers, nicht hingegen für Fahrten zu sog. ständig wechselnden Einsatzstellen (BFH, Urteil vom 31. Oktober 1973 VI R 98/73, BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258; vom 14. Juli 1978 VI R 179/76, BFHE 125, 555, BStBl II 1978, 660, und vom 2. November 1984 VI R 38/83, BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139). Aufwendungen im Zusammenhang mit derartigen Fahrten sind jedenfalls dann in Höhe der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten abziehbar, wenn die Arbeitsstätten außerhalb des üblichen Arbeitsplatzeinzugsbereichs der Wohnung des Arbeitnehmers liegen (BFH, Urteil vom 20. November 1987 VI R 6/86, BFHE 152, 232, BStBl II 1988, 443). Ausschlaggebend hierfür ist die Überlegung, daß der Arbeitnehmer in solchen Fällen - ebenso wie bei Dienstreisen - nicht die Möglichkeit hat, durch eine entsprechende Wohnsitznahme selbst die Höhe seiner Fahrtaufwendungen zu bestimmen (BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258, BFH, Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 198/77, BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654, und BFHE 152, 232, BStBl II 1988, 443).

9

Im Streitfall wird der Kl. zwar nicht an ständig wechselnden Einsatzorten tätig. Vielmehr stellen die Schiffe, auf denen er seinen Dienst versieht, regelmäßige Arbeitsstätten i.S.d. Abschnitts 37 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuerrichtlinie - LStR - 1993 dar, weil sie den Mittelpunkt der dauerhaft angegebenen beruflichen Tätigkeit des Kl. bilden (vgl. BFH, Urteil vom 24. November 1978 VI R 171-172/76, BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148). Entgegen der Auffassung des FA kann dieser Gesichtspunkt für die Beurteilung des Streitfalls aber keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Die Besonderheit des Streitfalles liegt gerade darin, daß der Kl., um den Dienst an seinen regelmäßigen Arbeitsstätten aufzunehmen, gezwungen ist, ständig wechselnde Orte aufzusuchen. Dies hindert ihn ebenso wie einen Arbeitnehmer mit ständig wechselnden Einsatzstellen daran, seine Fahrtkosten durch eine entsprechende Wohnsitznahme auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Die Entfernungen zwischen den verschiedenen Ab- bzw. Anlegestellen liegen auch deutlich über denjenigen, die Arbeitnehmer üblicherweise zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückzulegen haben.

10

Die Fahrtkosten des Kl. sind daher in Höhe der tatsächlich entstandenen Aufwendungen als Werbungskosten abziehbar. Da der Kl. keine höheren Aufwendungen geltend macht, sind diese mit den für Dienstreisen geltenden Pauschbeträgen in Abschn. 38 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LStR 1993 - im Streitfall also 0,52 DM je Fahrtkilometer - anzusetzen (BFH, Urteil vom 5. November 1971 VI R 207/68, BFHE 103, 472, BStBl II 1972, 137; BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258).

11

Hiernach ändert sich die Steuerfestsetzung wie folgt:

zu versteuerndes Einkommen lt. Einspruchsentscheidung30.919 DM
ab höhere Fahrtkosten (8.032 DM ./. 5.406 DM =)2.626 DM
zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil28.293 DM
Steuer lt. Splittingtabelle3.330 DM
ab Kinderermäßigung nach § 34 f EStG2.000 DM
festzusetzende Einkommensteuer lt. Urteil1.330 DM.
12

Auf diesen Betrag war die Einkommensteuer herabzusetzen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozeßordnung in Verbindung mit§ 151 Abs. 1 und 3 FGO.