Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.12.1997, Az.: VII 398/96

Abziehbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgaben; Benennung des Leistungsempfängers; Ermessensgerechte Ausübung des Benennungsverlangens

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.12.1997
Aktenzeichen
VII 398/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 17941
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:1216.VII398.96.0A

Verfahrensgegenstand

Zur Frage der Erfüllung des Benennungsverlangens i.S.v. § 160 AO bei sog. Briefkastenfirmen.

Einkommensteuer 1993

Redaktioneller Leitsatz

Das Verlangen der Finanzbehörde auf Benennung des Leistungsempfängers als Voraussetzung der steuerlichen Berücksichtigung des Betriebsausgabenabzugs ist, wenn der Steuerpflichtige als Rechnungsaussteller eine ausländische Gesellschaft britischen Rechts benannt und damit das Benennungsverlangen erfüllt hat, unabhängig davon ermessensfehlerhaft, ob es sich bei der benannten Firma nach Ansicht der Finanzbehörde um eine reine "Briefkastenfirma" handelt, da dies lediglich eine rechtliche Wertung ist, die für die Frage der Erfüllung des Benennungsverlangens nichts hergibt.

In dem Rechtsstreit hat
der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 16. Dezember 1997,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Elektromeister
ehrenamtliche Richterin ... Verwaltungsfachangestellte
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 14. August 1995 und des Einspruchsbescheids vom 1. Juli 1996 wird die Einkommensteuer auf 316.930 DM festgesetzt.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger betreibt ein Bauunternehmen. Seine Erlöse aus Leistungen betrugen im Streitjahr nahezu 6 Mio. DM. Der Beklagte führte eine Außenprüfung durch, die auch das Streitjahr betraf. Der Außenprüfer stellte fest, daß der Kläger in Leistungsbeziehungen zu den Firmen M Ltd. und K Ltd. stand. Bei der Firma M Ltd. handele es sich nach der Feststellung des Bundesamtes für Finanzen um eine Briefkastenfirma. Als steuerliche Konsequenz sei gemäß § 160 Abgabenordnung (AO) der Betriebsausgabenabzug zu versagen, weil bei Zwischenschaltung einer Schein- oder Briefkastenfirma der tatsächliche Zahlungsempfänger nicht offenbart werde. Ferner sei die Identität zwischen dem tatsächlich Leistenden und dem Zahlungsempfänger nicht gegeben. Entsprechend dieser Auffassungdes Prüfers versagte der Beklagte den Betriebsausgabenabzug für Zahlungen, die der Kläger an die M Ltd. in Höhe von 72.530 DM und an die K Ltd. von 69.913 DM geleistet hatte. Dementsprechend erließ der Beklagte am 14. November 1994 den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.

2

Die Kläger legten Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren reduzierte der Beklagte die Versagung des Betriebsausgabenabzugs teilweise. Nach dem Zweck des § 160 AO solle bei Steuerpflichtigen das erfaßt werden, was beim Empfänger der Zahlung verloren gehe. Da somit keine Doppelbesteuerung erreicht werden solle, sondern eine Art Haftung, seien die Verhältnisse des Empfängers zu berücksichtigen, soweit sie bekannt seien. Da im Streitfall nicht von einer 100 %igen inländischen Steuerpflicht der britischen Bauhandwerker oder der Hintermänner der Firmen M und K auszugehen sei, werde der Betriebsausgabenabzug zur Hälfte zugelassen. Dementsprechend setzte der Beklagte im Einspruchsbescheid vom 1. Juli 1996 die Einkommensteuer auf 350.358 DM herab.

3

Ihre hiergegen erhobene Klage begründen die Kläger im wesentlichen wie folgt: Es sei nicht zutreffend, wenn der Beklagte behaupte, daß klägerseits die Empfänger der Zahlungen nicht genau benannt worden seien. Der Empfänger einer Leistung sei im Sinne von § 160 AO dann genau benannt, wenn er mit richtigem Namen und zutreffender Adresse bezeichnet sei. Der Empfänger müsse ohne besondere Schwierigkeiten bestimmt und ermittelt werden können. Empfänger sei daher, wem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert übertragen worden sei. Im Streitfall habe der Kläger auf Grundlage von Angeboten der Firmen M Ltd. und K Ltd., die die Erstellung einzelner Gewerke des Maurerhandwerkes zum Inhalt gehabt hätten, Subunternehmerverträge abschlossen. Dabei sei entweder nach Pauschalpreisen oder aber nach Einheitspreisen abgerechnetworden. Betriebsleiter beider Firmen sei der deutsche Maurermeister Wiegand gewesen. Die englischen Firmen hätten durch ihre teilweise ausländischen Mitarbeiter die vertraglich geschuldeten Arbeiten erbracht, hierüber ordnungsgemäße Rechnungen erstellt und vom Kläger die vereinbarten Zahlungen erhalten. Soweit das Finanzamt behaupte, die englischen Firmen seien sog. Briefkastenfirmen, werde die zivilrechtliche Rechtslage verkannt. Auch in Deutschland werde eine nach englischem Recht inkorporierte Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden zivilrechtlich anerkannt. Der Kläger habe somit Verträge mit existenten Unternehmen abgeschlossen, sich dabei von der Existenz eines Betriebsleiters im Sinne der Handwerksordnung überzeugt und diesen Betriebsleiter namentlich benannt. Der Kläger habe damit alles Erforderliche getan, um sich davon zu überzeugen, daß Empfänger seiner Geldleistungen die englischen Firmen gewesen seien. Soweit der Beklagte fordere, daß der Kläger auch Namen und Anschriften der auf den Baustellen beschäftigten englischen Bauarbeiter hätte vermerken müssen, gehe dies zu weit. Es könne nicht Aufgabe des Finanzamts sein, daß die Förderung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Rahmen des gemeinsamen europäischen Marktes durch ein enges Veständnis von § 160 AO unterlaufen werde.

4

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Einkommensteuer 1993 insoweit herabzusetzen, als sich der Gewinn aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung weiterer abzugsfähiger Betriebsausgaben in Höhe von 72.222 DM und gleichzeitiger Korrektur der Gewerbesteuerrückstellung ändert.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest. Das Verlangen des Finanzamts, die Empfänger der Leistungen genau zu benennen, sei auch ermessensgerecht. Gehe ein Steuerpflichtiger Geschäftsbeziehungen mit Subunternehmern ein, deren Seriositätzumindest zweifelhaft sei, und treffe er keine entsprechenden Vorkehrungen, so habe er die daran knüpfenden steuerlichen Folgen zu tragen. Der Kläger verkenne im übrigen die Bedeutung von § 160 AO, wenn er die Ermittlung der tatsächlichen Empfänger als Sache der Finanzbehörde ansehe. Eine Empfängerbenennung im Sinne von § 160 AO sei nur dann genau, wenn die Finanzbehörde ohne besondere Schwierigkeiten und ohne Zeitaufwand in der Lage sei, den tatsächlichen Empfänger zu ermitteln, um die Beträge bei diesem zu erfassen. Empfänger sei dabei derjenige, dem der wirtschaftliche Wert tatsächlich zugeflossen sei. Das sei nicht notwendigerweise derjenige, dem der strittige Betrag übergeben worden sei. Der Betriebsleiter Wiegand sei jedenfalls nicht der alleinige Empfänger der Leistungen gewesen.

7

Dem Gericht haben die für die Kläger beim Beklagten unter Steuernummer geführten Steuerakten vorgelegen. Außerdem haben dem Gericht die Betriebsprüfungsarbeitsakte des Beklagten ... vorgelegen. Hieraus ergibt sich zusätzlich noch folgendes: In Bl. 61 ff. der Betriebsprüfungsarbeitsakte befinden sich Unterlagen, die die Firma M Ltd. zum Gegenstand haben. So teilt das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Bielefeld dem Finanzamt Münster unter Datum vom 4. Oktober 1994 mit, die Firma M Ltd. werbe im gesamten Bundesgebiet und biete dieselbständige Übernahme von Maurer-, Verblend- und Schalungsarbeiten an. Dabei erwecke sie bei den Auftraggebern den Eindruck, daß sie mit eigenem Personal tätig werde. Die Werbeschreiben enthielten regelmäßig Hinweise auf niederländische Telefon- und Faxnummern. Das Bundesamt für Finanzen habe festgestellt, daß es sich bei der Firma um eine reine Briefkastenfirma handele. Soweit hier bekannt sei, erfolge die Geschäftsführung tatsächlich von einer Gruppe niederländischer Koppelbaaze aus dem Raum N unter Führung des F D, der noch für eine Reihe weiterer Briefkastenfirmen verantwortlich zeichne. Diese Gruppe werbe in Großbritianien Bauhandwerker per Zeitungsannoncen oder über Kontaktleute an. Den Handwerkern werde dann lediglich gesagt, wann und auf welcher Baustelle sie sich einzufinden hätten oder aber sie würden über Nijmwegen auf die Baustellen gebracht.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Die Zahlungen, die der Kläger im Streitjahr an die Firmen M Ltd. und K Ltd. geleistet hat, sind in vollem Umfang als Betriebsausgaben abziehbar. Der Kläger hat die Zahlungen geleistet, um Leistungen für sein Bauunternehmen zu beziehen. Damit liegen im Ergebnis Aufwendungen vor, die durch den Betrieb veranlaßt sind, folglich Betriebsausgaben im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG. Der Betriebsausgabencharakter der Zahlungen wird vom Beklagten auch nicht bestritten.

10

Der Betriebsausgabenabzug scheitert auch nicht an § 160 Abs. 1 AO. Nach dieser Vorschrift wäre der Betriebsausgabenabzug steuerlich regelmäßig dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde, den Empfänger genau zu benennen, nicht nachkäme. Das Benennungsverlangen nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst hat das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob überhaupt ein Benennungsverlangen an den Steuerpflichtigen geboten ist. Auf einer zweiten Stufe hat die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und inwieweit im Falle der nicht genau bezeichneten Empfänger ein Betriebsausgabenabzug zugelassen werden kann.

11

Der Senat hat bereits Zweifel daran, ob der Beklagte das Benennungsverlangen ermessensgerecht ausgeübt hat. Es ist zu berücksichtigen, daß dem Beklagten Informationen anderer deutscher Finanzbehörden zur Verfügung standen, wonach hinterden englischen Firmen Niederländer aus dem Raum N gestanden hätten. Wäre dies tatsächlich zutreffend, so hätte der Beklagte von sich aus die tatsächlichen Leistungempfänger ermitteln können. Insoweit verfügte der Beklagte über Informationen, die dem Kläger nicht zugänglich waren. Es stellt sich deshalb die Frage, ob das Benennungsverlangen an den Kläger überhaupt noch zumutbar war. Zumutbar ist jedenfalls ein Benennungsverlangen nicht mehr, wenn das Verlangen unverhältnismaßig wäre. Dies kann jedoch im Streitfall dahinstehen. Der Kläger ist jedenfalls dem Benennungsverlangen des Beklagten nachgekommen. Er hat die Rechnungsaussteller, nämlich die englischen Firmen als Empfänger benannt. Empfänger im Sinne von § 160 Abs. 1 Satz 1 AO können auch Gesellschaften sein. Bei den Firmen M Ltd. und K Ltd. handelt es sich nach Aktenlage um Gesellschaften britischen Rechts. Sie sind rechtlich existent. Diese rechtliche Existenz hängt nichtdavon ab, ob sie in England selbst Aktivitäten entfalten. Beide Firmen waren die Vertragspartner des Klägers. Sie hatten sich gegenüber dem Kläger zu Leistungen verpflichtet, die der Kläger erhielt und auch bezahlte. Ist danach der Kläger dem Benennungsverlangen nachgekommen, so können die Rechtsfolgen aus § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht eintreten. Wenn der Beklagte sich demgegenüber darauf beruft, es handele sich bei den englischen Firmen lediglich um "reine" Briefkastenfirmen, bleibt anzumerken, daß dies lediglich eine rechtliche Wertung ist, die für die Frage der Erfüllung des Benennungsverlangens nichts hergibt. Der Beklagte wäre im übrigen dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß es sich praktisch nur um Scheingebilde gehandelt habe, an die der Kläger die Zahlungen geleistet hat. Dem widerspricht aber gerade der Akteninhalt. Denn nach den Erkenntnissen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Bielefeld haben die in Rede stehenden Firmen ihre Leistungen im gesamten Bundesgebiet angeboten. Sie waren demzufolge aktiv gewerblich tätig. Deshalb war es für den Kläger nicht erkennbar, wenn möglicherweise hinter den genannten Firmen andere Personen gestanden haben sollten, denen letztlich das Leistungsentgelt zukam. Der Kläger mußte nicht annehmen, mit Scheinfirmen in Kontakt zu treten. Anschriften möglicher Hintermänner oder gar der tatsächlich tätigen Bauarbeiter mußte der Kläger nicht festhalten, denn diese waren nicht seine Leistungspartner. Letztlich bleibt jedenfalls die Behauptung des Beklagten, daß die genannten englischen Firmen nicht die wahren Empfänger der Leistungen des Klägers gewesen seien, unbewiesen.

Danach war die Einkommensteuer für das Streitjahr dem Klagantrag entsprechend wie folgt herabzusetzen: Gewinn aus Gewerbebetrieb lt. Einspruchsentscheidung734.459 DM
./.zusätzliche abziehbare Fremdleistungen72.221 DM
+Gewerbesteuerrückstellungsauflösung (entsprechend Einspruchsentscheidung)9.100 DM
=Gewinn aus Gewerbebetrieb671.338 DM
zu versteuerndes Einkommen bisher747.306 DM
./.Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb63.121 DM
zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil684.185 DM
festzusetzende Einkommensteuer lt. Splittingtabelle316.930 DM.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO i.V.m. § 151 Abs. 1, 3 FGO.

13

Die Revision ist nicht zugelassen worden.