Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.06.2018, Az.: 15 A 2670/17

Drusen; Flüchtlingseigenschaft; Syrien; Wehrpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.06.2018
Aktenzeichen
15 A 2670/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74342
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Geflohenen Wehrdienstpflichtigen droht im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien Verfolgung.

Keine Gruppenverfolgung von Drusen in Syrien.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid vom 21.03.2017 wird hinsichtlich Ziffer 2 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der 1979 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks - und drusischer Religionszugehörigkeit. Er begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Juli 2015 stellte der Kläger am 06.06.2016 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung bei der Beklagten am 10.03.2017 beschränkte der Kläger seinen Asylantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger trug im Wesentlichen vor: Die Lage in Syrien habe sich verschlechtert. Es herrsche Krieg. Er habe als Elektriker gearbeitet. Es gebe jedoch nur wenig Arbeit. Er sei Anfang 2015 in seinem Auto von einer Rakete getroffen worden. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien müsse er als Soldat dienen. Er habe von 1998 bis 2000 in der syrischen Armee Wehrpflicht abgeleistet. Er sei Reservist. 2015 sei er zum Militärdienst eingezogen worden. Es seien im April oder Mai 2015 zwei Personen bei ihm zu Hause gewesen und hätten ihn aufgefordert, sich umgehend zu melden und zu kämpfen. Seine Frau habe diese Aufforderung entgegengenommen. Für ihn - den Kläger - habe danach die Pflicht bestanden, sich so schnell wie möglich beim Rekrutierungsamt zu melden. Dies habe er jedoch nicht getan. Als er aufgefordert worden sei, sich zu melden, habe er es in Syrien nicht mehr ausgehalten. Er habe zunächst auf seinen Antrag hin keinen Reisepass bekommen, weil er als Reservist habe dienen sollen. Wäre er an einen Kontrollpunkt gekommen, dann wäre er dort festgenommen worden. Er habe dann jemanden kenngelernt und diesem Mann Geld gegeben, damit er den Reisepass erhalte. Der Mann habe auch dafür gesorgt, dass er die Grenze habe übertreten können. Schließlich sei er zwei bis drei Monate nach der Aufforderung zur Wehrdienstleistung ohne Ehefrau und Kinder ausgereist. Zudem sei er als Druse in Syrien nicht sicher. Drusen würden wegen ihres Glaubens diskriminiert und getötet. Er habe sich nicht mehr getraut, seinen Wohnort F. zu verlassen, weil es an anderen Orten nicht sicher gewesen sei. Sein Onkel sei bereits entführt worden. Die Entführer hätten ihm - dem Kläger - telefonisch gesagt, „irgendwann seien alle Drusen dran“. Ansonsten sei er selbst jedoch nicht direkt bedroht worden.

Mit Bescheid vom 21.03.2017 erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1.) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2.). Die Beklagte gab zur Begründung an, es könne zwar der subsidiäre Schutz gewährt werden, allerdings seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Der Kläger habe nicht hinreichend konkret darlegen können, dass er Syrien aus Furcht vor der Ableistung des Wehrdienstes verlassen habe. Es seien auch keine Beweismittel vorgelegt worden.

Der Kläger hat am 29.03.2017 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müsse. Er vertieft seinen bisherigen Vortrag. Im Falle einer Rückkehr sei es ihm nicht zumutbar, sich an Kriegsverbrechen des syrischen Staates zu beteiligen. Seine Weigerung, den Kriegsdienst zu leisten, würde letztlich zu einer Verhaftung und Bestrafung führen. Ferner drohe ihm auch als Druse eine Gefährdung. Sein Wohnort sei von den Kämpfern des IS und der Al-Nusra angegriffen worden. Wenn ein Druse in die Hände von IS oder Al-Nusra falle, würde er hingerichtet, falls nicht das sunnitische Glaubensbekenntnis abgelegt werde. Die Drusen würden als „Ungläubige“ angesehen. Es bestehe auch keine inländische Fluchtalternative. Am 25.01.2018 seien seine Ehefrau und die beiden Kinder in einen Chemiewaffenangriff des syrischen Militärs in Damaskus geraten. Sein fünfjähriges Kind sei hierbei verstorben. Sein siebenjähriges Kind leide an den Folgen des Angriffs. Es sei zu befürchten, dass sein Kind ohne ärztliche Behandlung nicht überlebe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid vom 21.03.2017 hinsichtlich Ziffer 2 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden. Eine Vorverfolgung aufgrund der Einziehung zum Militärdienst habe nicht glaubhaft gemacht werden können. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass der Kläger wegen der Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen werde, seien jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die dem Kläger möglicherweise drohenden Maßnahmen aus einer der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe ergehen würden oder dem Kläger wegen der Wehrdienstentziehung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich (Politmalus) drohe. Der Kläger habe bei seiner Anhörung zudem angegeben, er sei als Druse bislang nicht bedroht worden. Es sei auch insoweit nicht von einer drohenden Verfolgung auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs und des ausländerrechtlichen Vorgangs der Region Hannover Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Soweit unter Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 21.03.2017 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG, weil er sich nach Überzeugung der Kammer aus nachvollziehbarer und begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat außerhalb Syriens befindet.

Dies resultiert nicht bereits aus der Befürchtung, dass dem Kläger im Falle einer möglichen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung allein wegen des illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland sowie eines dort gestellten Asylantrags drohen könnte. Diese Umstände reichen für sich genommen nicht aus, um die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen zu können. Die Kammer folgt diesbezüglich der - soweit ersichtlich - einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung (so: Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 43; im Übrigen nur: Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1246/17.A - juris, Rn. 21 mwN), auf die verwiesen wird. Auch kann dahinstehen, ob der Kläger Syrien bereits aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat. Die Kammer ist davon überzeugt, dass dem sich im wehrfähigen Alter befindlichen Kläger jedenfalls im Falle der Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, weil er als Reservist, der sich durch seine Ausreise aus Syrien sowie die Asylantragstellung und den langfristigen Aufenthalt in einem westlichen Staat der Einberufung in die syrische Armee entzogen hat, diejenigen Kriterien erfüllt, nach denen die syrischen Sicherheitskräfte Personen eine regimefeindliche Gesinnung zuschreiben und über eine zu erwartende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung hinaus zum Ziel von Repressionen machen. Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, wird die Flüchtlingseigenschaft dem Ausländer nicht zuerkannt (§ 3e AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - juris, Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 27.04.2017 - 1 B 63.17, 1 PKH 23.17 - juris). Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52/07 - juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 31, juris). Ebenfalls ausreichend ist, dass eine Verfolgungshandlung auf dem Verdacht einer bestimmten Gesinnung beruht oder sie erst der Ermittlung einer oppositionellen Gesinnung dient (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - juris, Rn. 6; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 71; VG Köln, Urteil vom 09.08.2017 - 26 K 6740/16.A - Rn. 19, juris).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt - auch bei einer erlittenen Vorverfolgung - der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 32; BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 - juris; BVerwG, Urteil vom 07.02.2008 - 10 C 33/07 - juris). Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund zu unterscheiden (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 33).

Aufgabe des Schutzsuchenden ist es, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Der Vortrag eines Schutzsuchenden, der sein Verfolgungsschicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, ist dabei gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese bindet das Gericht dabei nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Im Ergebnis muss das Gericht von der Wahrheit der klägerischen Behauptung eines individuellen Verfolgungsschicksals und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit die volle Überzeugung gewinnen. Hierbei darf das Gericht jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109/84 - juris, Rn. 16).

Gemessen an diesen Kriterien hat der Kläger Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei verständiger Würdigung seiner Angaben und aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisse zu den Verhältnissen in Syrien droht ihm im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer ihm von Seiten des Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG liegen für den Kläger vor. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien unter dem Aspekt der Wehrdienstentziehung begründet ist. Es besteht im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG für ihn die Gefahr, Opfer von Handlungen zu werden, die auf Grund ihrer Art so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

Das Gericht ist anders als das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris; Beschluss vom 22.02.2018 - 2 LB 1789/17 - juris; Beschluss vom 18.04.2018 - 2 LB 101/18 - juris; Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris) insbesondere davon überzeugt, dass bereits das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht flüchtlingsrechtlich (hier nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 - 3 AsylG) relevant ist (ebenso: VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 - und vom 02.05.2017 - A 11 S 562/17 - alle juris; Bayerischer VGH, Urteile vom 14.02.2017 - 21 B 16.31001 - und vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 - beide juris; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris und Thüringer OVG, Urteil vom 15.06.2018 - 3 KO 162/18 - Medieninformation 7/2018).

Der 1979 geborene Kläger unterliegt der Wehrpflicht und hat sich dieser durch seine Flucht und den Verbleib im Ausland entzogen. Grundsätzlich nicht von Bedeutung ist, ob bereits ein Einberufungsbefehl ergangen ist. In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund gilt (vgl. SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren wurden bislang als Reservisten geführt. Das wehrdienstpflichtige Alter wurde seit dem Ausbruch des Krieges im Jahr 2011 erhöht. Mehrere Auskünfte verweisen auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig wohl bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet wird (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Es ist nicht klar, ob es dazu eine offizielle Weisung gibt, ob sich nur die Praxis geändert hat oder ob das Höchstalterslimit prinzipiell aufgehoben wurde. Kontaktpersonen des Danish Immigration Service gehen davon aus, dass vor allem technische Experten, die älter als 42 Jahre sind, eingezogen werden und dass Reservisten im Alter von 52 oder sogar 54 Jahren rekrutiert werden. Der Finnish Immigration Service wurde von einer Kontaktperson darüber informiert, dass Männer je nach Region und Umständen auch im Alter zwischen 50 und 60 Jahren Militärdienst leisten müssen (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017; Danish Immigration Service, Syria; Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, September 2015, S. 15; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, 23.08.2016, S. 11).

Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes gibt es etwa für Einzelkinder oder Studenten, hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis zum Alter von 27 Jahren (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, April 2017). Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Entlassungen aus dem Militärdienst sind seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017).

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Seit Herbst 2014 werden Reservisten in großer Zahl eingezogen. Die syrische Armee hat danach mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (Deutsches Orient Institut, Auskunft an OVG Schleswig-Holstein vom 08.11.2016; vgl. zu den Einzelheiten der Wehrpflicht: Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris, Rn. 28 ff; Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 72 ff).

Der Vortrag des Klägers fügt sich zwanglos in diese Umstände ein und ist plausibel. So hat der Kläger stimmig angegeben, seinen Reisepass im Mai 2015 zunächst nicht erhalten zu haben, sondern erst nach Zahlung einer Geldsumme (Bestechung). Entsprechend habe er auch die Grenze übertreten können. Angesichts der an den Kontrollstellen bzw. Grenzübergängen bekanntermaßen vorhandenen Namenslisten mit den einzuziehenden Reservisten erscheint dem Gericht auch die Furcht des Klägers begründet, an einer dieser Stellen entdeckt zu werden. Die Kammer geht davon aus, dass es für den Kläger mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Syrien aktuell nicht zu vermeiden wäre, dass die jeweiligen staatlichen Stellen seine damalige Ausreise kurze Zeit nach der faktisch erfolgten Einberufung feststellen und als Wehrdienstentziehung einstufen würden und er dadurch sowie durch die mehrjährige Fortsetzung infolge seines Aufenthalts im Ausland in die Hände der Sicherheitskräfte bzw. der syrischen Armee fiele. Dies gilt umso mehr, als in Syrien viele mobile „Checkpoints“ existieren, die ebenfalls im Besitz der genannten Namenslisten sind und bei einem Datenabgleich leicht feststellbar ist, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll. Auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 61).

Unter Berücksichtigung der herangezogenen Erkenntnismittel ist die Kammer außerdem davon überzeugt, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu erwarten haben. Es drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Deutsches Orient Institut an OVG Schleswig-Holstein vom 07.11.2016). Verschiedene Erkenntnisquellen berichten im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.). Zudem gibt es Berichte über Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt wurden und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016).

Die Kammer ist nach der festgestellten Erkenntnislage zu den Verhältnissen in Syrien davon überzeugt, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie Männer, die ihre Wehrdienstpflicht nicht erfüllen, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach ihrer bisherigen Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Männer im wehrpflichtigen Alter sind besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere dann, wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben (Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 59).

Die Wahrscheinlichkeit auch für den Kläger, den genannten menschenrechtswidrigen Übergriffen unterworfen zu werden, ist deshalb beachtlich, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei den Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, nämlich schon nach äußerlichen Kriterien möglich ist, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen als auch an einer der zahlreichen festen und mobilen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015). Zumindest droht dem Kläger eine vorübergehende Festnahme, auch wenn er anschließend ohne Bestrafung direkt einer militärischen Einheit zugeführt werden sollte (vgl. hierzu Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 5). Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger in die an die Grenzübergänge verteilten Fahndungslisten aufgenommen wurde, so dass ihm schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung ernsthaft droht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Die Kontrolle bei der Einreise würde auch aufdecken, dass dem Kläger der Grenzübertritt 2015 nur gegen die glaubhaft geschilderte Bestechung möglich war und dass er damals ohne Erlaubnis der zuständigen Militärbehörde ausgereist ist, denn die Kontrolle umfasst regelmäßig eine entsprechende Prüfung (UNHCR, „Illegal Exit“, S. 4).

Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, S. 6). Um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Syrien: Arbeitsverweigerung,12.03.2015; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Zudem ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Kommen Rückkehrer nach Syrien in Kontakt mit den Sicherheitskräften, ist schon bei der ersten Befragung mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass alle wehrpflichtigen Einreisenden ausnahmslos hiervon betroffen sein werden und damit auch der Kläger, kann zwar nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Dies ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit allerdings unerheblich. Der Umstand, dass der Kläger infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht zu dem Personenkreis gehört, der in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane geraten ist, wird dazu führen, dass auch er in hervorgehobenem Maße gefährdet ist (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 61).

Im Falle des Klägers liegt zudem die für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Verknüpfung der drohenden Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG vor. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln kann festgestellt werden, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung einer Wehrdienstentziehung auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen. Die Handlungsweisen des syrischen Regimes lassen aus Sicht der Kammer darauf schließen, dass diese nach der maßgeblichen objektiven Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfen und im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG die erforderliche Verbindung gegeben ist.

Für die Kammer zeichnet sich insgesamt ein Lagebild, nach dem sich eine die Umstände in Syrien prägende Verrohung und Rücksichtslosigkeit der Akteure aufdrängt. Die Massivität des Auftretens des syrischen Regimes in allen denkbaren Bereichen steht für die Kammer fest, auch wenn es aus der Ferne und aus den vorliegenden Berichten nicht komplett erfasst werden kann. Das syrische Regime und seine Sicherheitskräfte sind hinsichtlich der Rücksichtslosigkeit ihrer Handlungen keinesfalls zu unterschätzen. Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonders abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der syrischen Bürger hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem eine durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo, 13.02.2017). Hinzu kommt schließlich, dass das Regime vollständig von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an Hessischen VGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 67 ff). Das „Freund-Feind-Schema“ des syrischen Regimes wird gerade auch durch das „Dekret 10“ deutlich. Hierin hat das Regime Anfang April 2018 die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, für zerstörte Gebiete Bebauungspläne zu erstellen. Für sich genommen stellt dies ein nachvollziehbares Mittel für den Wiederaufbau eines kriegszerstörten Gebietes dar. Allerdings müssen die bisherigen Grundstückseigentümer innerhalb von 30 Tagen ihre Eigentümerstellung nachweisen. Sollte dies nicht geschehen, so tritt der syrische Staat in die Eigentümerstellung ein. Das Dekret 10 richtet sich - neben seinem tatsächlich vorhandenen Nutzen - auch gegen solche Grundstückseigentümer, die aus Syrien geflohen sind und aus Furcht vor Verfolgung nicht zurückkehren können, um ihre Eigentumsrechte geltend zu machen (vgl. etwa Spiegel-Online vom 27.04.2018 - Enteignungen in Syrien - Bundesregierung will Assads „perfides Vorhaben“ verhindern).

Die Kammer vermag keine andere Erklärung für das Vorgehen der syrischen Sicherheitsbehörden zu erkennen, als dass hinsichtlich Wehrdienstverweigerern an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird. Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hin (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035, 1036). Der Annahme der Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie, der Genfer Flüchtlingskonvention noch im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 (340), und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 (151), Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 (218) [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90], vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 (144), m.w.N. und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6). Eine solche Differenzierung wäre auch nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Dieser Schluss drängt sich bei Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des syrischen Regimes zu dessen Schwächung beigetragen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 70 ff).

Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 52 ff) die repressiven Maßnahmen des syrischen Regimes von Willkür und Wahllosigkeit geprägt sieht und insoweit davon ausgeht, dass es hinsichtlich etwaiger Verfolgungshandlungen an einer kausalen Verknüpfung - mithin einer Gerichtetheit der Handlung auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal - fehle, teilt das erkennende Gericht diese Einschätzung nicht. Es ist nämlich für eine entsprechende Verknüpfung bereits ausreichend, dass jedenfalls der Kreis derjenigen, die sich wie der Kläger einer militärischen Verwendung als Reservist entzogen haben, hinreichend von der Allgemeinheit abgrenzbar ist und das Vorliegen des Anknüpfungsmerkmals die Gefahr einer Verfolgung auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit erhöht, weil die genannten Personen von den Sicherheitskräften zu dem Kreis potentiell zu verhörender Oppositioneller gerechnet werden. Solche Oppositionelle werden mit äußerster Härte Verhören unter Folter ausgesetzt. Auf ein möglicherweise nach außen nicht ersichtliches oder nachvollziehbares Schema kommt es nicht an, wobei es nicht auszuschließen ist, dass einzelne Sicherheitskräfte in der Tat wahllos und willkürlich agieren. Es ist zu berücksichtigen, dass der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch für die kausale Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung gilt und nicht erst erfüllt sein kann, wenn das Vorliegen eines Anknüpfungsmerkmals zuverlässig Verfolgungshandlungen nach sich zieht. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass angesichts der Vielzahl der Flüchtlinge in Syrien und der Verwerfungen durch den Krieg eine Kontrolle von Personen durch das Regime - ausgehend von den Überprüfungsmechanismen der Friedenszeit - grundsätzlich erschwert ist. Das Regime hat hierauf allerdings reagiert und Art und Weise der Kontrollen sowie Kontrolldichte seinen Bedürfnissen angepasst. Dies wurde bereits ausgeführt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass durch die vielen Kontrollen in Syrien - insbesondere bei der Einreise über den Luftweg (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 47) - ein Wehrdienstverweigerer nicht unentdeckt bleiben wird, sondern die Sicherheitskräfte vielmehr nach der Ankunft in Syrien auf eine solche Person mit hoher Wahrscheinlichkeit aufmerksam werden. Angesichts der Tatsache, dass die syrischen Sicherheitskräfte - insbesondere an den logistischen Knotenpunkten - weiterhin effektiv Staatsgewalt ausüben, keinen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegen und darüber hinaus die hier in Rede stehende Personengruppe leicht anhand von Alter, Geschlecht und Flugroute identifizieren können, erscheint es dem Gericht überwiegend wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte in einem realistischen Rückkehrszenario in der Lage sind, die o.g. Verfolgungshandlungen gegenüber Wehrdienstverweigerern weiterhin systematisch durchzusetzen (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 194/17 - Rn. 37, juris; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 96; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 15).

Auch die Einschätzung, den syrischen Behörden stehe bei lebensnaher Betrachtung vor Augen, dass die Ausreise von Wehrpflichtigen in der Regel aus Angst vor den allgemeinen Folgen des Bürgerkrieges erfolge und nicht aus Ablehnung der politischen Führung (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 87; Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 86; siehe auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A - juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris Rn. 154), teilt die Kammer nicht. In Anbetracht der im höchsten Maße von Irrationalität geprägten schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen gegen die eigene Bevölkerung zum bloßen Zweck des eigenen Machterhalts - möglicherweise auch durch Einsatz von Chemiewaffen - hält die Kammer es für völlig unwahrscheinlich, dass das Regime andernorts sein Verhalten an den Maßstäben von Vernunft und Realität ausrichtet (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 62; VG Köln, Urteil vom 09.08.2017 - 26 K 6740/16.A - juris, Rn. 121; VG Münster, Urteil vom 08.03.2017 - 8a K 3540/16.A - juris, Rn. 73). Insofern kommt es nicht darauf an, ob sich tatsächlich eine Vielzahl der geflohenen Wehrpflichtigen der Situation in Syrien aus rein unpolitischen Motiven entzogen hat.

Auch der Umstand, dass die syrische Armee selbst grundsätzlich Soldaten unabhängig von ethnischen, politischen und religiösen Hintergründen rekrutiert und bei der Einberufung keinen Unterschied zwischen Unterstützern und Gegnern des Regimes macht, führt zu keiner anderen Bewertung. Nicht die Einziehung zum Militär ist als maßgebliche Verfolgungshandlung zu betrachten, abzustellen ist vielmehr auf die gegenüber Rückkehrern vorgenommenen Repressionen. Unbestritten dürfte auch sein, dass das syrische Regime einen großen Bedarf an Soldaten hat und sich unter den geflohenen Syrern eine große Zahl Wehrpflichtiger befindet. Das Rückkehrszenario für den Kläger bei hypothetischer Rückkehr in sein Heimatland und die für ihn anzunehmende Gefahr einer politischen Verfolgung, kann nach Überzeugung der Kammer nicht nach streng rationalen Kriterien entwickelt werden. Es mag unvernünftig sein, dass das syrische Regime rückkehrende Wehrdienstfähige einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter aussetzt und hierdurch und ebenso durch ein Verschwindenlassen oder den Tod der Wehrpflichtigen das Potential an einsatzfähigen Soldaten nicht unerheblich schmälern würde. Dies würde auch dem Ziel zuwiderlaufen, das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten syrischen Territorium wieder zu errichten (Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 82, 83, 87; siehe auch OVG Saarland, Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 - juris Rn. 31). Plausibler ist aus Sicht der Kammer die Annahme, von einem Versuch des totalitären syrischen Regimes auszugehen, durch sein wahrscheinlich brutales Vorgehen gegenüber aus dem Ausland rückkehrenden syrischen Wehrpflichtigen zunächst einmal den vorhandenen Bestand an Soldaten zu sichern und diese - sowie noch im Land befindliche Wehrpflichtige - massiv abzuschrecken, sich dem Zugriff der Armee zu entziehen. Dies stellt ein deutlich unmittelbarer erreichbares Ziel dar, als etwaige wehrpflichtige Rückkehrer in die Armee integrieren zu wollen, die aus Sicht des Regimes ihre „Illoyalität“ bereits unter Beweis gestellt haben. Gerade die abschreckende Wirkung dient demnach dazu, weitere Wehrdienstentziehungen im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Handlungsfähigkeit umgehend und deutlich zu bekämpfen. Eine Zielsetzung, Wehrdienstentziehungen zu vermeiden, schließt auch nicht aus, dass darin zugleich eine Verfolgung gesehen werden kann. Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Es geht dem syrischen Regime jedenfalls auch darum, vermeintliche politische Gegner zu bekämpfen. Es ist nicht erforderlich, dass dieses Ansinnen der alleinige Grund für die Verfolgungshandlung ist. Der Verfolgungsgrund, hier die tatsächliche oder vermutete politische Überzeugung, muss lediglich ein beitragender Faktor für die begründete Furcht vor Verfolgung sein (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris, Rn. 39). Im Falle des syrischen Regimes ist nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung der Wehrdienstentziehung auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen. Es handelt sich bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen auch nicht bloß um „allgemeine Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“ (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rn. 154), sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 75 ff).

Unabhängig davon kann sich der Kläger - selbstständig tragend - auch auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen. Danach kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Verbrechen gegen den Frieden wird definiert als Planung, Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge oder sonstiger Abkommen. Angesichts der Natur dieses Verbrechens kann es nur von Personen verübt werden, die eine hohe Stellung in der Machtstruktur innehaben und einen Staat oder ein staatenähnliches Gebilde vertreten. Verbrechen gegen die Menschlichkeit schließen Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung und Folter ein und sind dadurch charakterisiert, dass sie Teil eines groß angelegten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sein müssen. „Kriegsverbrechen“ sind in einer Reihe von internationalen Vertragswerken definiert. Solche Verbrechen umfassen schwerwiegende Verstöße gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts, durch die Personen, die nicht oder nicht mehr an Feindseligkeiten beteiligt sind, geschützt und die eingesetzten Methoden und Mittel der Kriegsführung beschränkt werden sollen. Vorsätzliche Tötung und Folterung von Zivilpersonen sind als Kriegsverbrechen zu qualifizieren (vgl. hierzu Schlussantrag der Generalanwältin im Verfahren C-472/13, juris, Shepherd, Rn. 42 ff).

Es ist unbestritten, dass in Syrien alle Konfliktparteien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begehen (vgl. z.B. Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 90 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 11.08.2016 - AK 43/16 - juris), insbesondere auch Kriegsverbrechen.

Der Kläger hat vorliegend auch im Sinnes des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG den Militärdienst verweigert. Insoweit ist es nicht erforderlich, dass der Schutzsuchende in seinem Herkunftsstaat förmlich die Verweigerung des Dienstes erklärt haben muss (so aber wohl Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 109). Auszugehen ist davon, dass man sich auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht berufen kann, wenn die Möglichkeit einer Wehrdienst- oder Kriegsdienstverweigerung in dem jeweiligen Land besteht (EuGH, Urt. v. 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 93 mwN). Das bloße Entziehen von der Wehrpflicht durch Flucht ins Ausland ist ausreichend, wenn das Recht des Herkunftsstaates keine rechtsförmige Kriegsdienstverweigerung kennt (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 45) oder das Beschreiten des förmlichen Weges für den Kriegsdienstverweigerer mit der realen Gefahr verbunden wäre, sich Verfolgungshandlungen auszusetzen. In Syrien besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Es erscheint unter der drohenden Gefahr der Folter und Verhaftung durch die Sicherheitskräfte im Falle der Wehrdienstentziehung unzumutbar, von einem Wehrpflichtigen zu verlangen, dass er förmlich eine aussichtslose - nicht vorgesehene - Verweigerung des Dienstes erklärt und damit Leib und Leben riskiert. Folglich drängt es sich auf, dass der Gesetzgeber Schutzsuchenden ein derart selbstgefährdendes Verhalten nicht abverlangen wollte. Das Merkmal der „Verweigerung“ in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist deshalb so auszulegen, dass auch die durch Ausreise aus Syrien erfolgte faktische Flucht vor dem Militärdienst als „Verweigerung“ im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG anzusehen ist. Bei anderer Auslegung würde der Anwendungsbereich der Norm ohne ersichtlichen Grund deutlich eingeschränkt.

Darüber hinaus ist es für die Anwendung der Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht allein ausreichend, dass abstrakt „das Militär“ die Verbrechen begeht. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht in diesem Punkt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs davon aus, eine um Flüchtlingsschutz nachsuchende Person müsse mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass gerade „ihre“ Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt habe oder durchführen werde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass sie sich bei der Ausübung der Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 107).

Ein solches Verständnis lässt sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Auffassung der Kammer hingegen nicht entnehmen. Es ließe die Regelung in der Praxis - gerade auch in der Zusammenschau mit § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AsylG - nahezu leerlaufen. Hinsichtlich Syriens ist angesichts der wiederholten und systematischen Kriegsverbrechen durch die syrische Armee auch in Bezug auf neu einzuziehende Soldaten bei „vernünftiger Betrachtung plausibel“, dass sie sich „in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten“ (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 38). Dies gilt gerade, weil der Europäische Gerichtshof auch die mittelbare Beteiligung von Wehrdienstleistenden ausreichen lässt, indem er ausdrücklich darauf hinweist, dass die Schutzbestimmungen auch für logistisches und Unterstützungspersonal gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 33, 37; so auch VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 20; siehe auch VG Freiburg, Urteil vom 01.02.2017 - A 4 K 2903/16 - juris, Rn. 30). Zudem dürfte es unter den gegebenen Umständen betroffenen Wehrpflichtigen in Syrien in der Regel schwerfallen bzw. unmöglich sein, vor dem Antritt ihres Wehrdienstes genauere Angaben über die Einheit und deren etwaige Vorgehensweise zu tätigen. Es ist ferner zu bedenken, dass der von dem Europäischen Gerichtshof zu entscheidende Sachverhalt sich auf einen amerikanischen Soldaten bezog, der im Jahr 2007 im Irak eingesetzt werden sollte. Es handelte sich hierbei um einen multinationalen Militäreinsatz, der von einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gedeckt war. Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof verlangt, dass der Kläger jenes Verfahrens seine Befürchtungen, im Rahmen des Militäreinsatzes Kriegsverbrechen begehen zu müssen, plausibilisieren müsse. Der Konflikt in Syrien ist mit jener Sachlage jedoch nicht vergleichbar.

Es muss nicht entschieden werden, ob zusätzlich zu der Verfolgungshandlung (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) noch ein Verfolgungsgrund vorliegen muss (siehe zu dieser Problematik: Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 95 ff). Ein solcher ist jedenfalls anzunehmen. Die Verweigerung des Militärdienstes knüpft an das zugeschriebene Verfolgungsmerkmal der politischen Überzeugung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 2 Nr. 5 AsylG an. Ein Regime, das den Krieg unter Verletzung humanitärer Rechtsregeln führt, sieht im Verweigerer einen Oppositionellen, so dass die ihm drohende Strafverfolgung oder sonstige Bestrafung Verfolgung darstellt. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 - juris, Rn. 138; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17- juris, Rn. 26; VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 - juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 – juris; VG Hannover, Urteil vom 14.03.2018 - 4 A 7073/17 - n.v.; siehe auch Lehmann, NVwZ 2018, 293 (298)).

Dem Kläger steht keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Das Gericht folgt der entsprechenden Annahme der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid bezüglich des zuerkannten subsidiären Schutzes. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG kann auch subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden, wenn interner Schutz gemäß § 3e AsylG gegeben ist. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar. Syrischen Staatsangehörigen ist vielmehr eine legale Rückkehr im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Syrien nicht möglich, ohne mit den syrischen Sicherheitsbehörden in Kontakt zu kommen und dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Gefahrenlage ausgesetzt zu sein (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 641/18 - juris), wenn wie im Falle von Wehrdienstflüchtigen ihnen eine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gäbe, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte, denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen liegen - was bereits ausgeführt wurde - in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen Personen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben und die Kontrollpunkte sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen werden sollte, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 84; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 45).

Diese Erwägungen führen dazu, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. auch VG Oldenburg, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 641/18 - juris; VG Osnabrück, Urteil vom 05.02.2018 - 7 A 453/16 - juris; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris; VG Hannover, Urteil vom 14.03.2018 - 4 A 7073/17 - n.V.; weiterhin a.A.: Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris).

Ohne dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits noch darauf ankommt, geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger wegen seiner drusischen Religionszugehörigkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle und im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erhebliche Verfolgung unter dem Begriff der Religion im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht. Der Verweis auf die drusische Religionszugehörigkeit - und eine aus Sicht des Klägers vorhandene Diskriminierung und Verfolgung - reicht für sich mangels Asylerheblichkeit nicht aus, derzeit eine Verfolgungshandlung zu begründen, auch nicht in Ansehung der zweifellos schwierigen Lage der drusischen Minderheit in Syrien zwischen den Hauptkonfliktpartien (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Syrien - vom 05.01.2017, S. 30f.; Deutscher Bundestag, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien vom 07.10.2015, S. 20 f.)

Der Vortrag des Klägers, die Drusen würden diskriminiert und verfolgt, was insbesondere von radikalislamischen Gruppierungen ausgehe, ist in seiner Allgemeinheit zu unsubstantiiert, um eine beachtliche Verfolgungshandlung annehmen zu können. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er selbst unmittelbar Opfer von Diskriminierungen geworden oder einer konkreten Gefährdung ausgesetzt gewesen sei, so dass schon keine individuelle Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG angenommen werden kann. Das Vorbringen des Klägers, ihm gegenüber sei gesagt worden, „irgendwann seien alle Drusen dran“ reicht hierfür nicht aus. Ein greifbarer konkreter Vorfall war auch nicht der Grund für die Ausreise des Klägers aus Syrien. Damit fehlt es zudem an der fluchtbegründenden Kausalität zwischen Verfolgungshandlung und Fluchtgrund.

Ungeachtet der mangelnden Individualverfolgung bestehen hinsichtlich der allgemeinen Situation der Drusen in Syrien derzeit keine beachtlichen Anhaltspunkte für eine unmittelbare staatliche oder - soweit hier relevant - eine mittelbare durch nichtstaatliche Akteure hervorgerufene bzw. drohende Gruppenverfolgung durch das Regime wegen ihrer Glaubensüberzeugung (vgl. allg. zur Gruppenverfolgung BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn. 13; zu Drusen OVG Saarland, Urteil vom 18.01.2018 - 2 A 287/17 - juris Rn. 27 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 06.03.2018 - 17 K 10564/16.A - juris). Eine Verfolgung von Drusen im Sinne einer unmittelbaren staatlichen Benachteiligung und Bedrohung aufgrund ihres Glaubens hat es in Syrien weder in der Amtszeit von Hafez al Assad noch seit dem Amtsantritt von Bashar al Assad gegeben. Insbesondere sind Drusen seitens des Regimes grundsätzlich keinen beachtlichen Repressalien ausgesetzt, wenn sich auch die Unterstützung des Regimes durch die drusische Gemeinde im Laufe des Konfliktes als uneinheitlich herausgestellt hat (vgl. Deutscher Bundestag, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien vom 07.10.2015, S. 20f.). Von den Drusen wird das Regime oftmals - auch noch nach Ausbruch des Konfliktes und gerade nach der weitgehenden militärischen Konsolidierung des Regimes im Südwesten - als Protektor gegen islamistische Strömungen angesehen. Dies hat etwa dazu geführt, dass im Süden des Landes Drusen das Assad-Regime unterstützt und eine Militärbasis des Regimes gegen Kämpfer der Al-Nusra-Front verteidigt haben. Eine mittelbare Gruppenverfolgung lässt sich trotz einzelner Anschläge auf Drusen (vor allem allerdings im Norden des Landes) mit offenbar terroristischem und auch nicht rein religiös motiviertem Hintergrund (vgl. etwa Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Syrien - vom 05.01.2017, S. 31, Deutscher Bundestag, Zur Situation religiöser Minderheiten in Irak und Syrien vom 07.10.2015, S. 20, 21 (Fn. 82)) derzeit - jedenfalls in der südwestlichen Heimatregion des Klägers (Damaskus), die inzwischen wohl weitgehend stabil wieder vom Assad-Regime beherrscht wird, nicht annehmen (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 06.03.2018 - 17 K 10564/16.A - juris, Rn. 36; siehe auch Zeit-Online vom 23.04.2018: Syrien - Armee bombardiert islamistische Rebellen bei Damaskus).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.