Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.09.2018, Az.: 15 A 532/17

Asyl; Minderjährige; Reflexverfolgung; Schuldirektor; Syrien; Wehrpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.09.2018
Aktenzeichen
15 A 532/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74232
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Drohende politische Verfolgung bei eigenmächtigem Verlassen eines Arbeitsplatzes in hervorgehobener Position im syrischen Verwaltungsapparat (hier: Direktor einer Mittelschule) und illegaler Ausreise zwecks Schutzsuche im Ausland.

Geflohenen Minderjährigen, die nach der Flucht mit dem Erreichen der Volljährigkeit wehrpflichtig werden und sich weiterhin im Ausland aufhalten, droht im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien Verfolgung.

Keine Reflexverfolgung.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 1) und zu 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid vom 22.12.2016 wird hinsichtlich Ziffer 2 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/7, die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu 5/7. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischen Glaubens. Sie begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 03.11.2015 stellten die Kläger am 30.08.2016 Asylanträge. Bei seiner Anhörung bei der Beklagten am 22.09.2016 gab der Kläger zu 1) im Wesentlichen an, sie hätten wegen der Folgen des Krieges Syrien bereits im Jahr 2012 verlassen und hätten zunächst in der Türkei gelebt. Ihr Dorf habe in der Nähe eines Militärflughafens gelegen. Dort hätten sich die freie syrische Armee und die Regierungstruppen bekämpft. Am 08.03.2012 hätten die Regierungstruppen ihr Dorf gestürmt. Hierbei seien seine beiden Läden zerstört worden. Hauptberuflich sei er als Lehrer für Physik und Chemie tätig. Er sei Beamter. Er habe als Lehrer an einem Gymnasium unterrichtet. Zuletzt sei er Direktor an der Mittelschule in P. gewesen. Die freie syrische Armee habe nicht gewollt, dass er als Lehrer weiter für die Regierung arbeite. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm die Festnahme durch das syrische Regime. Sein Name stehe auf einer im Internet veröffentlichten Fahndungsliste des Regimes. Die Klägerin zu 2) trug im Rahmen ihrer Anhörung bei der Beklagten am 22.09.2016 vor, sie sei als Lehrerin für die arabische Sprache an einer Mittelschule tätig. Zudem habe sie in der IT-Abteilung der Universität Q. die arabische Sprache unterrichtet. Sie hätten vor dem Krieg ein sehr gutes und ruhiges Leben gehabt. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien gehe sie davon aus, Probleme zu bekommen, da sie als Beamtin ihren Arbeitsplatz verlassen habe. Für die übrigen Kläger - die Kinder des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) - wurden keine separaten Fluchtgründe vorgetragen.

Mit Bescheid vom 22.12.2016 - zugestellt am 28.12.2016 - erkannte die Beklagte den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1.) und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab (Ziffer 2.). Die Beklagte gab zur Begründung an, es könne zwar der subsidiäre Schutz gewährt werden, allerdings seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass den Klägern Verfolgung drohe. Der Kläger zu 1) habe auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sein Name auf einer Fahndungsliste stehe.

Die Kläger haben am 09.01.2017 Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden müsse. Sie vertiefen ihren bisherigen Vortrag. Ihnen drohe in Syrien allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthaltes im Ausland Verfolgung.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid vom 22.12.2016 hinsichtlich Ziffer 2 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.

Der Rechtsstreit ist gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch Beschluss der Kammer vom 15.08.2018 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Soweit unter Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 22.12.2016 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Kläger zu 1) und zu 3) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger zu 1) und zu 3) haben nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG, weil sie sich nach Überzeugung des Gerichts aus nachvollziehbarer und begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat außerhalb Syriens befindet.

Hinsichtlich des Klägers zu 1) resultiert dies bereits aus der Befürchtung, dass dem Kläger, der Schulleiter an einer Mittelschule war, im Falle einer möglichen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung allein wegen des illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland sowie eines dort gestellten Asylantrags droht.

Das Gericht ist zudem davon überzeugt, dass dem sich inzwischen im wehrpflichtigen Alter (geboren am 01.01.2000) befindlichen Kläger zu 3) jedenfalls deshalb im Falle der Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, weil er nach seiner im jugendlichen Alter erfolgten Ausreise aus Syrien und seiner inzwischen eingetretenen Volljährigkeit der Wehrpflicht unterliegt und er sich durch seinen fortwährenden Aufenthalt in Deutschland der Wehrpflicht entzogen hat. Er erfüllt damit diejenigen Kriterien, nach denen die syrischen Sicherheitskräfte Personen eine regimefeindliche Gesinnung zuschreiben und zum Ziel von Repressionen machen. Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger zu 3) ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (vgl. VG Hannover, Urteil vom 28.06.2018 - 15 A 2305/17 - juris, Rn. 34 ff).

Die Klägerin zu 2) - die Ehefrau des Klägers zu 1) - und die Kläger zu 4), zu 5), zu 6) und zu 7) - die minderjährigen Kinder - haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, wird die Flüchtlingseigenschaft dem Ausländer nicht zuerkannt (§ 3e AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - juris, Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 27.04.2017 - 1 B 63.17, 1 PKH 23.17 - juris). Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52/07 - juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 31, juris). Ebenfalls ausreichend ist, dass eine Verfolgungshandlung auf dem Verdacht einer bestimmten Gesinnung beruht oder sie erst der Ermittlung einer oppositionellen Gesinnung dient (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - juris, Rn. 6; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 71; VG Köln, Urteil vom 09.08.2017 - 26 K 6740/16.A - Rn. 19, juris).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt - auch bei einer erlittenen Vorverfolgung - der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 32; BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 - juris; BVerwG, Urteil vom 07.02.2008 - 10 C 33/07 - juris). Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund zu unterscheiden (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - Rn. 33).

Aufgabe des Schutzsuchenden ist es, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Der Vortrag eines Schutzsuchenden, der sein Verfolgungsschicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, ist dabei gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese bindet das Gericht dabei nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Im Ergebnis muss das Gericht von der Wahrheit der klägerischen Behauptung eines individuellen Verfolgungsschicksals und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit die volle Überzeugung gewinnen. Hierbei darf das Gericht jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109/84 - juris, Rn. 16).

Gemessen an diesen Kriterien hat der Kläger zu 1) Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei verständiger Würdigung seiner Angaben und aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse zu den Verhältnissen in Syrien droht ihm im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer ihm von Seiten des Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG liegen für den Kläger vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien begründet ist. Es besteht im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG für ihn die Gefahr, Opfer von Handlungen zu werden, die auf Grund ihrer Art so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

Zwar droht syrischen Flüchtlingen im Falle einer möglichen Rückkehr nach Syrien grundsätzlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung allein wegen des illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland sowie eines dort gestellten Asylantrags. Diese Umstände reichen für sich genommen nicht aus, um die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen zu können. Die Kammer folgt diesbezüglich der - soweit ersichtlich - einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung (so: Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 43; im Übrigen nur: Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1246/17.A - juris, Rn. 21 mwN), auf die verwiesen wird. Dem Kläger zu 1) droht im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien indessen zur Überzeugung des erkennenden Richters beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner unterstellten politischen Überzeugung, weil er seinen Arbeitsplatz als Direktor einer Schule unerlaubt verlassen hat und illegal ausgereist ist, um im Ausland Schutz zu suchen.

Der erkennende Richter hat keine Zweifel daran, dass der Kläger zu 1) tatsächlich Lehrer und als solcher auch Beamter ist. Der Kläger zu 1) hat im Rahmen seiner Anhörung bei der Beklagten seinen Dienstausweis vorgelegt. Die Beklagte hat zudem den Status des Klägers auch nicht in Abrede gestellt. Der Kläger zu 1) hat außerdem in der mündlichen Verhandlung überzeugend seine Aufgaben als Schulleiter beschrieben.

Syrischen Staatsbediensteten ist das Verlassen des Landes ohne eine entsprechende Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde grundsätzlich untersagt. Zwar erhalten verschiedenen Quellen zufolge Bedienstete in nicht sensiblen Bereichen - wie etwa Lehrer - eine solche Erlaubnis in der Regel ohne Schwierigkeiten. Wer jedoch das Land unerlaubt verlassen hat, muss bei seiner Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen, mit der die Gründe hierfür aufgeklärt werden sollen. Abhängig vom Ergebnis wird dann der Berichtslage zufolge versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern; die Ursache dieser Kompromissbereitschaft wird darin gesehen, dass dem Regime daran gelegen sei, sich seine Unterstützer zu erhalten (vgl. zum Ganzen Danish Refugee Council / Danish Immigration Service, August 2017; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2016 - 1 A 10988/16 – juris, Rn. 45 ff). Selbst wenn man unterstellt, dass ein Schuldirektor legal und mit einer Ausreiseerlaubnis versehen das Land verlassen hat, so hätte er zumindest die syrischen Behörden über den Zweck seiner Ausreise und seine Absicht, nicht nach Syrien zurückzukehren, getäuscht und müsste im Falle einer Rückkehr jedenfalls aus diesem Grunde mit einer Untersuchung rechnen.

Für den - hypothetischen - Fall einer solchen Untersuchung erschiene es in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger zu 1) in Anknüpfung an seine illegale Ausreise eine oppositionelle Haltung unterstellt würde. Als maßgeblichen Grund hierfür sieht der erkennende Richter an, dass der Kläger als Schulleiter einer Schule mit 150 bis 180 Schülern eine - auch nach außen hin - hervorgehobene Position im syrischen Verwaltungsapparat innehatte. Die Vergabe und das Innehalten jedenfalls eines solchen Amtes ist in diktatorischen Herrschaftssystemen wie dem syrischen der Lebenserfahrung nach mit der Erwartung loyalen Verhaltens der Führung gegenüber verbunden. Das illegale Verlassen des Arbeitsplatzes würde vom syrischen Regime beachtlich wahrscheinlich als Bruch dieser Loyalität und damit einhergehend als Ausdruck der Gegnerschaft aufgefasst werden, so dass es naheliegt, dass der Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr als Oppositioneller behandelt und damit beachtlich wahrscheinlich der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Besondere Umstände, welche aus Sicht des syrischen Regimes eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnten - beispielsweise, dass die Schule in den Händen des IS oder der freien syrischen Armee und der Kläger hierdurch im Zeitpunkt des Verlassens seiner Position dieser faktisch enthoben gewesen wäre (vgl. dazu etwa OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 194/17 - juris) - sind vorliegend nicht erkennbar. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er sein Amt bis zu seiner Flucht ausgeübt hat und nicht faktisch seines Amtes enthoben wurde.

Unabhängig davon spricht auch der von dem Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschilderte Umstand, dass sein Name auf einer Fahndungsliste des syrischen Regimes steht, dafür, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung droht. Der Kläger zu 1) hat hierzu den Internetausdruck einer Fahndungsliste des Geheimdienstes vorgelegt, auf welcher sich auch sein Name befindet. Danach wird er wegen „Anstiftung“ gesucht. In der mündlichen Verhandlung hat der anwesende Dolmetscher das Dokument übersetzt und den Namen des Klägers hierauf erkannt. Der Kläger zu 1) hat hierzu nachvollziehbar deutlich gemacht, dass er auf der Liste steht, weil er trotz seiner Stellung das Land verlassen hat.

Die Klägerin zu 2) hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zwar mag sie Lehrerin und Beamtin sein, jedoch im Gegensatz zum Kläger zu 1) nicht in einer herausgehobenen Position. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass sich insoweit durch das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes und die illegale Ausreise eine asylrechtlich relevante Gefährdung ergibt (vgl. hierzu OVG Saarland, Urteil vom 20.08.2018 - 1 A 619/17 - juris, Rn. 35 ff.).

Der Kläger zu 3) hat hingegen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei verständiger Würdigung des vorliegenden Sachverhalts und aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse zu den Verhältnissen in Syrien droht dem Kläger zu 3) als geflohenem Minderjährigen, der nach der Flucht mit dem Erreichen der Volljährigkeit wehrpflichtig geworden ist und sich weiterhin im Ausland aufhält, im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer ihm von Seiten des Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG liegen für den Kläger vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien unter dem Aspekt der Wehrdienstentziehung begründet ist. Es besteht im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG für ihn die Gefahr, Opfer von Handlungen zu werden, die auf Grund ihrer Art so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

Das Gericht ist anders als das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris; Beschluss vom 22.02.2018 - 2 LB 1789/17 - juris; Beschluss vom 18.04.2018 - 2 LB 101/18 - juris; Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris) insbesondere davon überzeugt, dass bereits das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht flüchtlingsrechtlich (hier nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 - 3 AsylG) relevant ist (ebenso: VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 - und vom 02.05.2017 - A 11 S 562/17 - alle juris; Bayerischer VGH, Urteile vom 14.02.2017 - 21 B 16.31001 - und vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 - beide juris; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris und Thüringer OVG, Urteil vom 15.06.2018 - 3 KO 162/18 - Medieninformation 7/2018).

In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund gilt (vgl. SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren wurden bislang als Reservisten geführt. Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes gibt es etwa für Einzelkinder oder Studenten, hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis zum Alter von 27 Jahren (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, April 2017). Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Entlassungen aus dem Militärdienst sind seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017).

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Seit Herbst 2014 werden Reservisten in großer Zahl eingezogen. Die syrische Armee hat danach mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.03.2017). Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (Deutsches Orient Institut, Auskunft an OVG Schleswig-Holstein vom 08.11.2016; vgl. zu den Einzelheiten der Wehrpflicht: Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris, Rn. 28 ff; Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 72 ff).

Zwar hat der zum Zeitpunkt seiner Ausreise minderjährige Kläger nicht gegen diejenigen Ausreisebestimmungen verstoßen, nach denen es seit 2012 syrischen Männern im Alter zwischen 18 und 42 verboten ist, ohne Genehmigung Syrien zu verlassen (SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017).

Unabhängig von einem Verstoß gegen diese Ausreisebestimmungen, macht sich nach syrischem Recht strafbar, wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Eine Wehrdienstentziehung liegt schon vor, wenn ein Wehrdienstpflichtiger sich nicht als solcher registriert (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, November 2017, Fn. 222: "Draft evasion occurs when a person does not register for, or does not respond to, a call up or recruitment for compulsory military service"; vgl. auch UNHCR vom 30.05.2017 an den Hessischen VGH im Verfahren 3 A 3040/16.A, Fn. 4; so auch VG Köln, Urteil vom 28.02.2018 - 26 K 11797/17.A - juris, Rn. 71 ff.).

Nach Auskunft des Finnish Immigration Service (Fact-Finding Mission Report Syria: Military Service, National Defense Forces, Armes Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, 23.08.2016, S. 8) ist es für 16- und 17jährige männliche Syrer schwierig, einen Reisepass zu erhalten. Die Behörden wollten sicherstellen, dass sie nicht fliehen können und diese jungen Männer würden allenfalls einen Reisepass mit einer Gültigkeit von zwei Jahren enthalten. Im Übrigen geraten auch Jugendliche, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, in den Blick der Sicherheitskräfte. Insoweit wurde über Zwangsrekrutierungen berichtet (vgl. SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017). Stehen demnach auch schon Minderjährige im Fokus der Rekrutierungsbemühungen, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Verfolgung davon abhängt, dass die Wehrdienstentziehung durch Ausreise eines bereits Militärdienstpflichtigen, d.h. unter Verstoß gegen Ausreisebestimmungen begangen wird (vgl. VG Köln, Urteil vom 28.02.2018 - 26 K 11797/17.A - juris, Rn. 83).

Das Gericht geht davon aus, dass es angesichts der nunmehr vorliegenden Wehrdienstentziehung für den Kläger zu 3) mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Syrien aktuell nicht zu vermeiden wäre, dass die jeweiligen staatlichen Stellen auf seine Wehrdienstentziehung aufmerksam würden und er in die Hände der Sicherheitskräfte bzw. der syrischen Armee fiele. Dies gilt umso mehr, als in Syrien viele mobile „Checkpoints“ existieren, die ebenfalls im Besitz der genannten Namenslisten sind und bei einem Datenabgleich feststellbar ist, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll. Auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 61).

Unter Berücksichtigung der herangezogenen Erkenntnismittel ist das Gericht außerdem davon überzeugt, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu erwarten haben. Es drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Deutsches Orient Institut an OVG Schleswig-Holstein vom 07.11.2016). Verschiedene Erkenntnisquellen berichten im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.). Zudem gibt es Berichte über Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt wurden und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016).

Das Gericht ist nach der festgestellten Erkenntnislage zu den Verhältnissen in Syrien davon überzeugt, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie Männer, die ihre Wehrdienstpflicht nicht erfüllen, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach ihrer bisherigen Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Männer im wehrpflichtigen Alter sind besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere dann, wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben (Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 59).

Die Wahrscheinlichkeit auch für den Kläger zu 3), den genannten menschenrechtswidrigen Übergriffen unterworfen zu werden, ist deshalb beachtlich, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei den Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, nämlich schon nach äußerlichen Kriterien möglich ist, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen als auch an einer der zahlreichen festen und mobilen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf zum Az. 5 K 7480/16.A; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015). Zumindest droht dem Kläger eine vorübergehende Festnahme, auch wenn er anschließend ohne Bestrafung direkt einer militärischen Einheit zugeführt werden sollte (vgl. hierzu Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 5). Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger in die an die Grenzübergänge verteilten Fahndungslisten aufgenommen wurde, so dass ihm schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung ernsthaft droht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014).

Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, S. 6). Um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Syrien: Arbeitsverweigerung,12.03.2015; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Zudem ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Kommen Rückkehrer nach Syrien in Kontakt mit den Sicherheitskräften, ist schon bei der ersten Befragung mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass alle wehrpflichtigen Einreisenden ausnahmslos hiervon betroffen sein werden und damit auch der Kläger, kann zwar nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Dies ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit allerdings unerheblich. Der Umstand, dass der Kläger infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht zu dem Personenkreis gehört, der in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane geraten ist, wird dazu führen, dass auch er in hervorgehobenem Maße gefährdet ist (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 61).

Im Falle des Klägers liegt zudem die für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Verknüpfung der drohenden Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG vor. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln kann festgestellt werden, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung einer Wehrdienstentziehung auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen. Die Handlungsweisen des syrischen Regimes lassen aus Sicht des Gerichts darauf schließen, dass diese nach der maßgeblichen objektiven Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfen und im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG die erforderliche Verbindung gegeben ist.

Für das Gericht zeichnet sich insgesamt ein Lagebild, nach dem sich eine die Umstände in Syrien prägende Verrohung und Rücksichtslosigkeit der Akteure aufdrängt. Die Massivität des Auftretens des syrischen Regimes in allen denkbaren Bereichen steht für das Gericht fest, auch wenn es aus der Ferne und aus den vorliegenden Berichten nicht komplett erfasst werden kann. Das syrische Regime und seine Sicherheitskräfte sind hinsichtlich der Rücksichtslosigkeit ihrer Handlungen keinesfalls zu unterschätzen. Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonders abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der syrischen Bürger hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem eine durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Q., 13.02.2017). Hinzu kommt schließlich, dass das Regime vollständig von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an Hessischen VGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 67 ff). Das „Freund-Feind-Schema“ des syrischen Regimes wird gerade auch durch das „Dekret 10“ deutlich. Hierin hat das Regime Anfang April 2018 die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, für zerstörte Gebiete Bebauungspläne zu erstellen. Für sich genommen stellt dies ein nachvollziehbares Mittel für den Wiederaufbau eines kriegszerstörten Gebietes dar. Allerdings müssen die bisherigen Grundstückseigentümer innerhalb von 30 Tagen ihre Eigentümerstellung nachweisen. Sollte dies nicht geschehen, so tritt der syrische Staat in die Eigentümerstellung ein. Das Dekret 10 richtet sich - neben seinem tatsächlich vorhandenen Nutzen - auch gegen solche Grundstückseigentümer, die aus Syrien geflohen sind und aus Furcht vor Verfolgung nicht zurückkehren können, um ihre Eigentumsrechte geltend zu machen (vgl. etwa Spiegel-Online vom 27.04.2018 - Enteignungen in Syrien - Bundesregierung will Assads „perfides Vorhaben“ verhindern).

Das Gericht vermag keine andere Erklärung für das Vorgehen der syrischen Sicherheitsbehörden zu erkennen, als dass hinsichtlich Wehrdienstverweigerern an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird. Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hin (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035, 1036). Der Annahme der Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie, der Genfer Flüchtlingskonvention noch im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 (340), und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 (151), Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 (218) [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90], vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 (144), m.w.N. und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6). Eine solche Differenzierung wäre auch nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Dieser Schluss drängt sich bei Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des syrischen Regimes zu dessen Schwächung beigetragen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 70 ff).

Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 52 ff) die repressiven Maßnahmen des syrischen Regimes von Willkür und Wahllosigkeit geprägt sieht und insoweit davon ausgeht, dass es hinsichtlich etwaiger Verfolgungshandlungen an einer kausalen Verknüpfung - mithin einer Gerichtetheit der Handlung auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal - fehle, teilt das erkennende Gericht diese Einschätzung nicht. Es ist nämlich für eine entsprechende Verknüpfung bereits ausreichend, dass jedenfalls der Kreis derjenigen, die sich wie der Kläger einer militärischen Verwendung als Reservist entzogen haben, hinreichend von der Allgemeinheit abgrenzbar ist und das Vorliegen des Anknüpfungsmerkmals die Gefahr einer Verfolgung auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit erhöht, weil die genannten Personen von den Sicherheitskräften zu dem Kreis potentiell zu verhörender Oppositioneller gerechnet werden. Solche Oppositionelle werden mit äußerster Härte Verhören unter Folter ausgesetzt. Auf ein möglicherweise nach außen nicht ersichtliches oder nachvollziehbares Schema kommt es nicht an, wobei es nicht auszuschließen ist, dass einzelne Sicherheitskräfte in der Tat wahllos und willkürlich agieren. Es ist zu berücksichtigen, dass der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch für die kausale Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung gilt und nicht erst erfüllt sein kann, wenn das Vorliegen eines Anknüpfungsmerkmals zuverlässig Verfolgungshandlungen nach sich zieht. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass angesichts der Vielzahl der Flüchtlinge in Syrien und der Verwerfungen durch den Krieg eine Kontrolle von Personen durch das Regime - ausgehend von den Überprüfungsmechanismen der Friedenszeit - grundsätzlich erschwert ist. Das Regime hat hierauf allerdings reagiert und Art und Weise der Kontrollen sowie Kontrolldichte seinen Bedürfnissen angepasst. Dies wurde bereits ausgeführt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass durch die vielen Kontrollen in Syrien - insbesondere bei der Einreise über den Luftweg (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 47) - ein Wehrdienstverweigerer nicht unentdeckt bleiben wird, sondern die Sicherheitskräfte vielmehr nach der Ankunft in Syrien auf eine solche Person mit hoher Wahrscheinlichkeit aufmerksam werden. Angesichts der Tatsache, dass die syrischen Sicherheitskräfte - insbesondere an den logistischen Knotenpunkten - weiterhin effektiv Staatsgewalt ausüben, keinen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegen und darüber hinaus die hier in Rede stehende Personengruppe leicht anhand von Alter, Geschlecht und Flugroute identifizieren können, erscheint es dem Gericht überwiegend wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte in einem realistischen Rückkehrszenario in der Lage sind, die o.g. Verfolgungshandlungen gegenüber Wehrdienstverweigerern weiterhin systematisch durchzusetzen (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 194/17 - Rn. 37, juris; Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 96; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 15).

Auch die Einschätzung, den syrischen Behörden stehe bei lebensnaher Betrachtung vor Augen, dass die Ausreise von Wehrpflichtigen in der Regel aus Angst vor den allgemeinen Folgen des Bürgerkrieges erfolge und nicht aus Ablehnung der politischen Führung (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 87; Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 86; siehe auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A - juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris Rn. 154), teilt das Gericht nicht. In Anbetracht der im höchsten Maße von Irrationalität geprägten schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen gegen die eigene Bevölkerung zum bloßen Zweck des eigenen Machterhalts - möglicherweise auch durch Einsatz von Chemiewaffen - hält das Gericht es für völlig unwahrscheinlich, dass das Regime andernorts sein Verhalten an den Maßstäben von Vernunft und Realität ausrichtet (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A - juris, Rn. 62; VG Köln, Urteil vom 09.08.2017 - 26 K 6740/16.A - juris, Rn. 121; VG Münster, Urteil vom 08.03.2017 - 8a K 3540/16.A - juris, Rn. 73). Insofern kommt es nicht darauf an, ob sich tatsächlich eine Vielzahl der geflohenen Wehrpflichtigen der Situation in Syrien aus rein unpolitischen Motiven entzogen hat.

Auch der Umstand, dass die syrische Armee selbst grundsätzlich Soldaten unabhängig von ethnischen, politischen und religiösen Hintergründen rekrutiert und bei der Einberufung keinen Unterschied zwischen Unterstützern und Gegnern des Regimes macht, führt zu keiner anderen Bewertung. Nicht die Einziehung zum Militär ist als maßgebliche Verfolgungshandlung zu betrachten, abzustellen ist vielmehr auf die gegenüber Rückkehrern vorgenommenen Repressionen. Unbestritten dürfte auch sein, dass das syrische Regime einen großen Bedarf an Soldaten hat und sich unter den geflohenen Syrern eine große Zahl Wehrpflichtiger befindet. Das Rückkehrszenario für den Kläger bei hypothetischer Rückkehr in sein Heimatland und die für ihn anzunehmende Gefahr einer politischen Verfolgung, kann nach Überzeugung des Gerichts nicht nach streng rationalen Kriterien entwickelt werden. Es mag unvernünftig sein, dass das syrische Regime rückkehrende Wehrdienstfähige einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter aussetzt und hierdurch und ebenso durch ein Verschwindenlassen oder den Tod der Wehrpflichtigen das Potential an einsatzfähigen Soldaten nicht unerheblich schmälern würde. Dies würde auch dem Ziel zuwiderlaufen, das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten syrischen Territorium wieder zu errichten (Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 82, 83, 87; siehe auch OVG Saarland, Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 - juris Rn. 31). Plausibler ist aus Sicht des Gerichts die Annahme, von einem Versuch des totalitären syrischen Regimes auszugehen, durch sein wahrscheinlich brutales Vorgehen gegenüber aus dem Ausland rückkehrenden syrischen Wehrpflichtigen zunächst einmal den vorhandenen Bestand an Soldaten zu sichern und diese - sowie noch im Land befindliche Wehrpflichtige - massiv abzuschrecken, sich dem Zugriff der Armee zu entziehen. Dies stellt ein deutlich unmittelbarer erreichbares Ziel dar, als etwaige wehrpflichtige Rückkehrer in die Armee integrieren zu wollen, die aus Sicht des Regimes ihre „Illoyalität“ bereits unter Beweis gestellt haben. Gerade die abschreckende Wirkung dient demnach dazu, weitere Wehrdienstentziehungen im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Handlungsfähigkeit umgehend und deutlich zu bekämpfen. Eine Zielsetzung, Wehrdienstentziehungen zu vermeiden, schließt auch nicht aus, dass darin zugleich eine Verfolgung gesehen werden kann. Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Es geht dem syrischen Regime jedenfalls auch darum, vermeintliche politische Gegner zu bekämpfen. Es ist nicht erforderlich, dass dieses Ansinnen der alleinige Grund für die Verfolgungshandlung ist. Der Verfolgungsgrund, hier die tatsächliche oder vermutete politische Überzeugung, muss lediglich ein beitragender Faktor für die begründete Furcht vor Verfolgung sein (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2018 - 5 A 1245/17.A - juris, Rn. 39). Im Falle des syrischen Regimes ist nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung der Wehrdienstentziehung auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen. Es handelt sich bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen auch nicht bloß um „allgemeine Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“ (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rn. 154), sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 75 ff).

Unabhängig davon kann sich der Kläger zu 3) - selbstständig tragend - auch auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen. Danach kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Verbrechen gegen den Frieden wird definiert als Planung, Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge oder sonstiger Abkommen. Angesichts der Natur dieses Verbrechens kann es nur von Personen verübt werden, die eine hohe Stellung in der Machtstruktur innehaben und einen Staat oder ein staatenähnliches Gebilde vertreten. Verbrechen gegen die Menschlichkeit schließen Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung und Folter ein und sind dadurch charakterisiert, dass sie Teil eines groß angelegten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sein müssen. „Kriegsverbrechen“ sind in einer Reihe von internationalen Vertragswerken definiert. Solche Verbrechen umfassen schwerwiegende Verstöße gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts, durch die Personen, die nicht oder nicht mehr an Feindseligkeiten beteiligt sind, geschützt und die eingesetzten Methoden und Mittel der Kriegsführung beschränkt werden sollen. Vorsätzliche Tötung und Folterung von Zivilpersonen sind als Kriegsverbrechen zu qualifizieren (vgl. hierzu Schlussantrag der Generalanwältin im Verfahren C-472/13, juris, Shepherd, Rn. 42 ff).

Es ist unbestritten, dass in Syrien alle Konfliktparteien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begehen (vgl. z.B. Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 90 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 11.08.2016 - AK 43/16 - juris), insbesondere auch Kriegsverbrechen.

Der Kläger hat vorliegend auch im Sinnes des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG den Militärdienst verweigert. Insoweit ist es nicht erforderlich, dass der Schutzsuchende in seinem Herkunftsstaat förmlich die Verweigerung des Dienstes erklärt haben muss (so aber wohl Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 - juris, Rn. 109). Auszugehen ist davon, dass man sich auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht berufen kann, wenn die Möglichkeit einer Wehrdienst- oder Kriegsdienstverweigerung in dem jeweiligen Land besteht (EuGH, Urt. v. 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 93 mwN). Das bloße Entziehen von der Wehrpflicht durch Flucht ins Ausland ist ausreichend, wenn das Recht des Herkunftsstaates keine rechtsförmige Kriegsdienstverweigerung kennt (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 45) oder das Beschreiten des förmlichen Weges für den Kriegsdienstverweigerer mit der realen Gefahr verbunden wäre, sich Verfolgungshandlungen auszusetzen. In Syrien besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017 zum Az. 5 K 7480/16.A). Es erscheint unter der drohenden Gefahr der Folter und Verhaftung durch die Sicherheitskräfte im Falle der Wehrdienstentziehung unzumutbar, von einem Wehrpflichtigen zu verlangen, dass er förmlich eine aussichtslose - nicht vorgesehene - Verweigerung des Dienstes erklärt und damit Leib und Leben riskiert. Folglich drängt es sich auf, dass der Gesetzgeber Schutzsuchenden ein derart selbstgefährdendes Verhalten nicht abverlangen wollte. Das Merkmal der „Verweigerung“ in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist deshalb so auszulegen, dass auch die durch Ausreise aus Syrien erfolgte faktische Flucht vor dem Militärdienst als „Verweigerung“ im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG anzusehen ist. Bei anderer Auslegung würde der Anwendungsbereich der Norm ohne ersichtlichen Grund deutlich eingeschränkt.

Darüber hinaus ist es für die Anwendung der Vorschrift des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht allein ausreichend, dass abstrakt „das Militär“ die Verbrechen begeht. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht in diesem Punkt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs davon aus, eine um Flüchtlingsschutz nachsuchende Person müsse mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass gerade „ihre“ Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt habe oder durchführen werde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass sie sich bei der Ausübung der Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 107).

Ein solches Verständnis lässt sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Auffassung des Gerichts hingegen nicht entnehmen. Es ließe die Regelung in der Praxis - gerade auch in der Zusammenschau mit § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AsylG - nahezu leerlaufen. Hinsichtlich Syriens ist angesichts der wiederholten und systematischen Kriegsverbrechen durch die syrische Armee auch in Bezug auf neu einzuziehende Soldaten bei „vernünftiger Betrachtung plausibel“, dass sie sich „in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten“ (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 38). Dies gilt gerade, weil der Europäische Gerichtshof auch die mittelbare Beteiligung von Wehrdienstleistenden ausreichen lässt, indem er ausdrücklich darauf hinweist, dass die Schutzbestimmungen auch für logistisches und Unterstützungspersonal gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - Shepherd, juris, Rn. 33, 37; so auch VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 20; siehe auch VG Freiburg, Urteil vom 01.02.2017 - A 4 K 2903/16 - juris, Rn. 30). Zudem dürfte es unter den gegebenen Umständen betroffenen Wehrpflichtigen in Syrien in der Regel schwerfallen bzw. unmöglich sein, vor dem Antritt ihres Wehrdienstes genauere Angaben über die Einheit und deren etwaige Vorgehensweise zu tätigen. Es ist ferner zu bedenken, dass der von dem Europäischen Gerichtshof zu entscheidende Sachverhalt sich auf einen amerikanischen Soldaten bezog, der im Jahr 2007 im Irak eingesetzt werden sollte. Es handelte sich hierbei um einen multinationalen Militäreinsatz, der von einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gedeckt war. Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof verlangt, dass der Kläger jenes Verfahrens seine Befürchtungen, im Rahmen des Militäreinsatzes Kriegsverbrechen begehen zu müssen, plausibilisieren müsse. Der Konflikt in Syrien ist mit jener Sachlage jedoch nicht vergleichbar.

Es muss nicht entschieden werden, ob zusätzlich zu der Verfolgungshandlung (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) noch ein Verfolgungsgrund vorliegen muss (siehe zu dieser Problematik: Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris, Rn. 95 ff). Ein solcher ist jedenfalls anzunehmen. Die Verweigerung des Militärdienstes knüpft an das zugeschriebene Verfolgungsmerkmal der politischen Überzeugung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 2 Nr. 5 AsylG an. Ein Regime, das den Krieg unter Verletzung humanitärer Rechtsregeln führt, sieht im Verweigerer einen Oppositionellen, so dass die ihm drohende Strafverfolgung oder sonstige Bestrafung Verfolgung darstellt. Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 - juris, Rn. 138; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17- juris, Rn. 26; VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 - juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 – juris; VG Hannover, Urteil vom 14.03.2018 - 4 A 7073/17 - n.v.; siehe auch Lehmann, NVwZ 2018, 293 (298)).

Dem Kläger zu 3) steht keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Das Gericht folgt der entsprechenden Annahme der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid bezüglich des zuerkannten subsidiären Schutzes. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG kann auch subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden, wenn interner Schutz gemäß § 3e AsylG gegeben ist. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar. Syrischen Staatsangehörigen ist vielmehr eine legale Rückkehr im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Syrien nicht möglich, ohne mit den syrischen Sicherheitsbehörden in Kontakt zu kommen und dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Gefahrenlage ausgesetzt zu sein (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 641/18 - juris), wenn wie im Falle von Wehrdienstflüchtigen ihnen eine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gäbe, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte, denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen liegen - was bereits ausgeführt wurde - in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen Personen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben und die Kontrollpunkte sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen werden sollte, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2017 - A 11 S 664/17 - juris, Rn. 84; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris, Rn. 45). Auch dem Kläger zu 1) steht keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es ist davon auszugehen, dass er gerade deshalb bereits im Falle einer Einreisekontrolle auffallen dürfte, weil sein Name auf der Fahndungsliste des Geheimdienstes steht.

Diese Erwägungen führen dazu, dass dem Kläger zu 1) und auch dem Kläger zu 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. zur Wehrpflicht auch VG Oldenburg, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 641/18 - juris; VG Osnabrück, Urteil vom 05.02.2018 - 7 A 453/16 - juris; VG Göttingen, Urteil vom 23.08.2017 - 3 A 546/17 - juris; VG Hannover, Urteil vom 14.03.2018 - 4 A 7073/17 - n.V.; VG Hannover, Urteil vom 28.06.2018 - 15 A 2670/17 - juris; sowie Urteil vom 28.06.2018 - 15 A 2305/17 - juris; weiterhin a.A.: Nds. OVG, Beschluss vom 18.05.2018 - 2 LB 172/18 - juris).

Die noch minderjährigen Kläger zu 4), zu 5) zu 6) und zu 7) haben hingegen keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht geht davon aus, dass diese nicht vorverfolgt ausgereist sind. Sie haben keine individuellen Verfolgungsgründe geltend gemacht.

Den Klägern zu 2), zu 4), zu 5), zu 6) und zu 7) droht nach Überzeugung des erkennenden Richters auch keine vom Kläger zu 3) abgeleitete flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung. Dass sie begründet befürchten müssen, bei einer Rückkehr nach Syrien die dem Kläger zu 3) wahrscheinlich zugeschriebene regimefeindliche Gesinnung auch selbst zugerechnet zu bekommen oder deshalb als ein Druckmittel gegen ihn benutzt zu werden, ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht beachtlich wahrscheinlich (vgl. hierzu VG Hannover, Urteil vom 28.06.2018 - 15 A 2305/17 - juris). Ferner ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass bei einer Rückkehr nach Syrien die dem Kläger zu 1) wahrscheinlich zugeschriebene regimefeindliche Gesinnung zu einer Reflexverfolgung hinsichtlich der übrigen Familienmitglieder führt.

Zwar findet sich in zahlreichen Erkenntnismitteln der generelle Hinweis auf Berichte, nach denen Familienangehörige von Gesuchten verhaftet werden, um Druck auszuüben, dass sich die Gesuchten den Behörden stellen (Amnesty International, Between Prison and the Grave vom November 2015, S. 48 ff; Finnisch Immigration Service vom 23.08.2016; SFH vom 25.01.2017; Deutsche Botschaft Beirut vom 03.02.2016). Hier wird teilweise auch ausdrücklich ein Zusammenhang zu wehrflüchtigen Angehörigen hergestellt. Eine nachvollziehbare quantitative Beurteilung bzw. Einschätzung erfolgt aber in diesen Unterlagen nicht. Amnesty benennt ausdrücklich verschiedene Einzelfälle, die aber, soweit ersichtlich, keinerlei Bezug zu Wehrflüchtigen haben (so: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris, Rn. 50). Dass Familienangehörige von Personen, die wegen Wehrdienstentziehung politische Verfolgung durch den syrischen Staat zu befürchten haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung droht, lässt sich nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht feststellen (ebenso Sächsisches OVG, Urteil vom 07.02.2017 - 5 A 1246/17.A -, juris, Rn. 37-53; VG Oldenburg, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 641/18 - juris, Rn. 52 ff.; a.A. VG Würzburg, Urteil vom 16.05.2018 - W 2 K 18.30365 - juris).

Gleiches gilt hinsichtlich einer vom Kläger zu 1) abgeleiteten Reflexverfolgung. Es ist nicht hinreichend erkennbar, dass generell Familien von geflohenen - herausgehobeneren Beamten - die Verfolgung droht. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln droht eine Reflexverfolgung den Angehörigen solcher Personen, denen die syrischen Sicherheitskräfte ein „politisches Profil“ zuschreiben, etwa einem Beamten des syrischen Verteidigungsministeriums (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 22.06.2018 - 21 B 18.30852 - juris, Rn. 56). Zwar mag es sein, dass der Kläger zu 1) auf der Fahndungsliste des Geheimdienstes steht. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dem Kläger zu 1) wegen seines Amtes auch ein vergleichbares politisches Profil zugeschrieben wird, so dass hieran anknüpfend auch seinen Angehörigen Verfolgung drohen könnte. Der Kläger zu 1) hat auch nicht vorgetragen, in besonderer Weise politisch aktiv gewesen zu sein. Sein Amt als Schuldirektor allein reicht für eine solche Annahme nicht aus. Aus Sicht des erkennenden Richters vermittelt der Kläger zu 1) insgesamt den Eindruck, das Amt eines Schuldirektors sachlich und unauffällig ausgeübt zu haben. Der erkennende Richter hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger zu 1) auch unter widrigen Bedingungen den Schulbetrieb fortgesetzt und seine Aufgaben wahrgenommen hat. Wenn er vorträgt, er habe dem Regime nicht dabei geholfen, Demonstrationen durch Einflussnahme auf seine Schüler zu verhindern und er stehe auch deshalb auf der Fahndungsliste, so ist dies nicht nachvollziehbar. Es ist für das Regime nur schwer überprüfbar, welchen Einfluss ein Lehrer konkret auf seine Schüler genommen hat. Unabhängig davon hat der Kläger zu 1) auch in der mündlichen Verhandlung erwähnt, dass es aus seiner Sicht unmöglich gewesen wäre, Demonstrationen zu verhindern. Es droht den Angehörigen auch keine Reflexverfolgung unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin zu 2) Lehrerin ist. Sie ist jedenfalls keine Schuldirektorin und „politisch“ für das Regime ohnehin nicht von Bedeutung. Sie steht auch nicht auf der Fahndungsliste. Insgesamt liegen keine überzeugenden Hinweise dafür vor, dass sich die Aktivitäten der Sicherheitskräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zugleich auch gegen die Angehörigen des Klägers zu 1) richten würden.

Weiterhin haben die Kläger zu 2), zu 4), zu 5), zu 6) und zu 7) auch keinen Anspruch auf Gewährung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 1, 2, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG, denn es mangelt jedenfalls an der jeweils erforderlichen unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Den Klägern zu 2), zu 4), zu 5, zu 6) und zu 7) kann jedoch von der Beklagten die Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörigen bei Vorliegen aller Voraussetzungen des § 26 AsylG - in einem Folgeverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2002 - 1 C 10.02 - juris, Rn. 6 ff.) - zuerkannt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.