Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.08.2017, Az.: 3 A 546/17

Flüchtlingsanerkennung; Reservist; Rückkehrerverfolgung; Syrien; syrische Familie; Verfolgungsgrund; Verfolgungshandlung; Verknüpfung; wehrdienstfähiges Alter

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.08.2017
Aktenzeichen
3 A 546/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54134
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auf Grund der aktuellen Situation drohen - auch weiterhin - grundsätzlich allen aus dem westlichen Ausland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerbern unabhängig von einer Vorverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG. Dies gilt erst recht für Asylbewerber im wehrdienstfähigen Alter, die sich durch ihre unerlaubte Ausreise aus Syrien dem Militärdienst entzogen haben. Die drohenden Verfolgungshandlungen knüpfen an eine bei den Rückkehrern bestehende oder zumindest vermutete regimekritische und regimefeindliche Einstellung an, so dass eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG besteht (Fortführung der Kammerrechtsprechung, vgl. VG Göttingen, Urteil vom 22. März 2017 - 3 A 25/17 -, juris; entgegen Nds. OVG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 -, juris).

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach ihren Angaben und den Feststellungen der Beklagten sind die 1982 und 1988 geborenen Kläger zu 1. und 2. sowie ihre in den Jahren 2009 und 2011 geborenen minderjährigen Kinder syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens mit sunnitischer Ausprägung. Laut Familienbuch wurden der Kläger zu 1. in K., die Kläger zu 2. und 3. in L. und der Kläger zu 4. in M. geboren. Nach eigenen Angaben leben die Kläger vor Ihrer Ausreise aus Syrien Anfang November 2015 ca. ein Jahr in L. und zuvor in M.. Sie reisten über die Türkei sowie die sog. Balkanroute auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne zuvor anderswo internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben, und beantragten am 25.05.2016 Asyl. Der Kläger zu 1. leistete nach den Angaben in seinem Wehrpass von 2000 bis 2003 seinen Pflichtwehrdienst ab und ist seitdem Reservist.

Mit Bescheid vom 18.07.2017, zugestellt am 20.07.2017, erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.

Am 28.07.2017 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichts im Wesentlichen geltend machen, ihr Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG beruhe unabhängig von einer Vorverfolgung darauf, dass derzeit alle Rückkehrer wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und ihres Aufenthalts im Ausland ernsthaft befürchten müssten, vom syrischen Staat als potenzielle Gegner eingestuft zu werden und daher Repressionen ausgesetzt zu sein. Zudem bestünde für den Kläger zu 1. die reale Gefahr, zum Wehrdienst als Reservist herangezogen zu werden. Dass im syrischen Bürgerkrieg alle Bürgerkriegsparteien Menschenrechtsverletzungen begingen, sei hinlänglich bekannt.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts vom 18.07.2017 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

Die Beteiligten sind zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter angehört worden und haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes, die Ausländerakte sowie die Liste der Erkenntnismittel zu Syrien (Stand: 23.08.2017) Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Verpflichtungsklage, über die der Einzelrichter im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheidet, ist zulässig und begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG. Denn sie befinden sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AsylG) nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen ihrer vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob sie Syrien wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen haben, denn sie droht ihnen jedenfalls bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ist deshalb rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Durch Urteil vom 22.03.2017 (- 3 A 25/17 -, juris) hat die Kammer grundlegend über die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für syrische Staatsangehörige entschieden. Das erkennende Gericht schließt sich diesen Überlegungen vollinhaltlich an. Die Kammer hat mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 AsylG bei einer unverfolgt ausgereisten Person erfüllt sind, wenn ihr bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände des Falles bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihr nicht zuzumuten ist, dorthin zurückzukehren. Nach den dort dargelegten Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, welche sich aus beachtlich wahrscheinlichen Nachfluchtgründen in Gestalt der (illegalen) Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung in Deutschland, dem nicht nur kurzfristigen Auslandsaufenthalt im westlichen Ausland sowie daraus ergibt, dass sich der Kläger zu 1. im wehrdienstfähigen Alter befindet und sich durch seine illegale Ausreise einem Wehrdienst als Reservist entzogen hat oder im Falle seiner Rückkehr nach Syrien zum Wehrdienst als Reservist eingezogen und sodann zur Teilnahme an den Kriegshandlungen bestimmt würde.

Die Kläger weisen mit ihrer (illegalen) Ausreise, Flucht über die Türkei und über die sog. „Balkanroute“ sowie einem nicht nur kurzfristigen Aufenthalt in einem westlichen Ausland (hier: seit über eineinhalb Jahren) nebst der Asylantragstellung die vorstehenden relevanten Merkmale auf. Angesichts dessen droht ihnen für den Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Fall einer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten oppositionellen Einstellung gegen das derzeitige politische System mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (auch) unter verfolgungsbegründenden Umständen nachgegangen werden wird. Ihnen droht eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter oder dem Tod aufgrund einer (ggf. nur unterstellten) politischen Gesinnung. Für dieses Ergebnis spricht nicht zuletzt die besondere Schwere der zu befürchtenden Eingriffe, die für einen verständigen Betrachter die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründet.

Das erkennende Gericht hält an seiner Rechtsprechung, wie sie mit Urteil der Kammer vom 22.03.2017 begründet wurde (- 3 A 25/17 -, juris), weiterhin fest und sieht auch unter Berücksichtigung des in der Sache gegenläufigen Urteils des 2. Senats des Nds. OVG vom 27.06.2017 (- 2 LB 91/17 -, juris, Rn. 42 ff.) keinen Anlass, diese Rechtsprechung abzuändern oder zu modifizieren. Es geht „aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände unter Beachtung von Rationalität und Plausibilität“, wie sie im vorgenannten Urteil des Nds. OVG gefordert wird (a.a.O., Rn. 38 a. E.), weiterhin davon aus, dass auf Grund der aktuellen Situation grundsätzlich alle aus dem westlichen Ausland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber unabhängig von einer Vorverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG zu erleiden. Aus der Sicht des Gerichts gibt es zureichende tatsächliche Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden jeden Rückkehrer, der Syrien verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der politischen Gegnerschaft zum Regime zurechnen, so dass die drohenden menschenrechtswidrigen Verfolgungshandlungen an eine bei den Rückkehrern unterstellte (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG) regimefeindliche Einstellung anknüpfen.

Entgegen der Einschätzung im Urteil des Nds. OVG spricht gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung nicht die hohe Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen, was dazu führen solle, dass das syrische Regime Rückkehrer aus dem westlichen Ausland als reine Bürgerkriegsflüchtlinge einstufe (a.a.O., Rn. 44 ff.). Die aus dem westlichen Ausland Zurückkehrenden sind aus Sicht des Gerichts für die syrischen Sicherheitsbehörden jedoch ausreichend individualisierbar. Die Identifizierung der Betroffenen als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland ist bei der Einreise leicht, schon anhand äußerer Kriterien, vorzunehmen, insbesondere am fest mit dem Nationalpass verbundenen Aufenthaltstitel des westlichen Staates. Auch ein Versuch der Entfernung dieses Titels ist leicht anhand der Einsichtnahme des Nationalpasses feststellbar. Zudem werden Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zulässigerweise nur über die internationalen Flughäfen wieder einreisen, was zu einer zusätzlichen Konzentration auf diese Personengruppe führen dürfte. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass unter den mehr als 4,8 Millionen Flüchtlingen, die Syrien seit dem Beginn des Bürgerkrieges verlassen haben, sich nur zu einem untergeordneten Teil Personen befinden, die - wie die Kläger - in das westliche Ausland geflohen sind (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A -, juris, Rn. 97). Die weit überwiegende Zahl verbleibt in den Nachbarstaaten Syriens, dem Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten und der Türkei. Nur ca. ein Siebtel der aus Syrien ausgereisten Personen hat in anderen als den genannten Staaten um internationalen Schutz nachgesucht (vgl. Hess. VGH, a.a.O.). Außerdem kann sich das Gericht in diesem Zusammenhang nicht der Argumentation anschließen, dass es nicht systemgerecht und verfehlt sei, nur die Rückkehr einzelner Kläger oder kleiner Gruppen zu unterstellen. Denn der anzulegende Prognosemaßstab für die hypothetische Rückkehr kann sich nur an einem realistischen Rückkehrszenario orientieren, welches zwangsläufig auf eine typisierende Betrachtung hinausläuft. Danach erscheint es dem Gericht weder realistisch, dass nur Einzelne zurückkehren, noch, dass die nach Europa Geflüchteten massenhaft und gleichzeitig (so aber Nds. OVG, a.a.O., Rn. 44) zurückkehren und die Einreisekontrolle quasi „überrennen“ (vgl. Hess. VGH, a.a.O., Rn. 96; VGH BW, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, Rn. 4). Die aus dem westlichen Ausland Zurückkehrenden würden erfahrungsgemäß vielmehr nach und nach über internationale Flughäfen wieder einreisen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Rückkehrer allenfalls in Gruppen von einigen Hundert bis wenigen Tausend Personen pro Tag zurückgeführt würden (so auch Hess. VGH, a.a.O., Rn. 96). Dies ergibt sich bei dem zugrunde zulegenden hypothetischen Rückkehrszenario schon aus rein logistischen Gründen.

Entgegen der Ausführungen im Urteil des Nds. OVG (a.a.O., Rn. 51 ff.) fehlt es für die Annahme einer politischen Verfolgung nicht an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3b AsylG, weil Übergriffe unterschiedslos - wahllos - ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund erfolgten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27.4.2017 - 1 B 63.17 -, juris). Das Gericht ist der Ansicht, dass die Annahme einer rein willkürlichen Verfolgung den Charakter des totalitären syrischen Regimes und der vorhandenen - eingeschränkten - Informationslage nicht ausreichend Rechnung trägt. Das syrische Regime ist von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt, das vereinfacht und etwas plakativ ausgedrückt damit beschrieben werden kann, dass „jeder, der nicht für mich ist, gegen mich ist“, jedenfalls solange als er nicht vom Gegenteil überzeugt hat (so VGH BW, Urteil vom 02.05.2017 - A 11 S 562/17 -, juris, Rn. 61; Urteil vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 -, juris, Rn. 60, jeweils m. w. N.). Ferner liegt es in der Natur der Sache, dass bei Regimen wie dem syrischen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen (vgl. VGH BW, Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 34; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 32). Vor diesem Hintergrund hält es das Gericht für beachtlich wahrscheinlich, dass es sehr wohl Verfolgungsschemata des syrischen Regimes gibt, die allein in Anbetracht der eingeschränkten Informationslage nach außen hin willkürlich erscheinen mögen. Dementsprechend führt auch der VGH Baden-Württemberg in seinen aktuellen Urteilen allgemein aus, dass „[…] eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen [kann]. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkrete Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen.“ (Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 35; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 33).

Dem Kläger zu 1. droht zudem - selbstständig tragend - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil beachtlich wahrscheinlich ist, dass ihm bei einer Einreise über den Flughafen N. oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seiner Wehrdienstentziehung menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2 EMRK) wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien würden Wehrdienstverweigerer bei der zu erwartenden Rückkehrerbefragung bzw. einer beachtlich wahrscheinlichen anschließenden Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein. Denn die Wehrdienstentziehung wird vom syrischen Regime als illoyal wahrgenommen und der Wehrdienstpflichtige gerät in Verdacht, eine illoyale, oppositionelle politische Einstellung zu vertreten. Selbst wenn ein Rückkehrer dem entgehen könnte, ist es zumindest beachtlich wahrscheinlich, dass er alsbald nach seiner Rückkehr zum Wehrdienst eingezogen oder von einer Bürgerkriegspartei, in deren Einflussgebiet er sich aufhält, zwangsrekrutiert und zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt werden würde, welche das Regime wie auch die Regimegegner unter Verletzung grundlegender humanitärer Rechtsregeln durchführen, wie in der zitierten Kammerentscheidung ausführlich dargelegt wurde (vgl. VG Göttingen, a.a.O., Rn. 139 ff.). Für die Annahme einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG genügt die konkrete Gefahr der Rekrutierung in eine Streitmacht, aus deren Reihen heraus mit Wissen und Billigung der militärischen Führung Kriegsverbrechen begangen werden. Im vorliegenden Fall liegt eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Bürgerkriegssituation vor, da das Gericht anhand der verfügbaren Erkenntnismittel sowie der darin beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger im Falle seiner beachtlich wahrscheinlichen Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht als Reservist im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung (zumindest mittelbar) Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste. Dasselbe würde für den Fall gelten, dass er von einer anderen Partei des Bürgerkriegs zwangsrekrutiert werden würde.

Das Gericht hält damit trotz des oben bereits genannten gegenläufigen Urteils des Nds. OVG vom 27.06.2017 (a.a.O., Rn. 72 ff.) auch an der mit Urteil der Kammer vom 22.03.2017 (a.a.O., Rn. 119 ff.) begründeten Rechtsprechung fest, wonach syrischen Männern im militärdienstfähigen Alter, die sich durch ihre unerlaubte Ausreise aus Syrien dem Wehrdienst entzogen haben, bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit insbesondere Folter durch syrische Sicherheitsbehörden droht. Bereits die Entziehung von der Wehrpflicht wird seitens des totalitären syrischen Regimes als illoyal wahrgenommen und der Wehrpflichtige gerät in den Verdacht, eine abweichende politische Einstellung zu vertreten. Das erkennende Gericht teilt insoweit in vollem Umfang die überzeugend begründete Auffassung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 02.05.2017, a.a.O.; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O.; so auch BayVGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris, Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision verworfen durch BVerwG, Beschluss vom 02.05.2017 - 1 B 74.17 -, juris; ferner Hess. VGH, Urteil vom 06.06.2017, a.a.O., wobei dort die Herkunft aus einer regierungsfeindlichen Zone mit berücksichtigt wurde).

Aus der Sicht des Gerichts ist im Falle dieses Regimes nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrdienstpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs maßgeblich auch auf eine vermutete, bis zum Beweis des Gegenteils unterstellte regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - gerade auch zum Zwecke der Disziplinierung und Abschreckung anderer - eliminiert werden soll (vgl. VGH BW, Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 58 ff.; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 57 ff.; vgl. Hess VGH, a.a.O., Rn. 58; BayVGH, a.a.O., Rn. 78 ff.; VG Göttingen, a.a.O., Rn. 143, 146). Denn das Verhaltensmuster der syrischen Streitkräfte bzw. der syrischen Strafverfolgungsbehörden gegenüber Wehrdienstentziehern entspricht dem allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen, Oppositionsbewegungen zu unterstützen (vgl. Hess VGH, a.a.O., Rn. 58). Zudem ist die Besonderheit des Konflikts in Syrien zu berücksichtigen, bei dem das syrische Regime gegen verschiedene Rebellengruppen im eigenen Land kämpft. Derjenige, der sich am existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen weite Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, offenbart mit der Wehrdienstentziehung - zumal durch eine illegale Flucht ins westliche Ausland - seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Regime (vgl. VGH BW, Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 70; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 69).

Das Gericht vermag dem dagegen vorgebrachten Argument des Nds. OVG (vgl. a.a.O, Rn. 83; zuvor insb. OVG Saarland, Urteile vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris, Rn. 31 und vom 18.05.2017 - 2 A 176/17 -, juris, Rn. 31), wonach gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee spreche, nicht zu folgen. Denn dieser Ansatz unterstellt ein - nach Ansicht des Gerichts nicht vorhandenes - nach (westlichen) rationalen Maßstäben handelndes Regime. Ferner berücksichtigt diese Argumentation auch nicht die Gefahr der vorherigen schwerwiegenden Misshandlung oder Folter unmittelbar nach der Ergreifung, um Rückkehrer vor weiterer Abtrünnigkeit abzuschrecken (vgl. auch VGH BW, Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 72; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 71). Die Verfolgung von Wehrdienstentziehern oder Deserteuren basiert nicht allein auf rationalen Überlegungen zur Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts, sondern es handelt sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der vermuteten regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden (vgl. VGH BW, Urteil vom 02.05.2017, a.a.O., Rn. 71; Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 70; BayVGH, a.a.O., juris; Österr. BVwG, Entscheidung vom 22.03.2017 - W221 2134862-1/E; vgl. auch, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend, Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013).

Entgegen den Ausführungen im Urteil des Nds. OVG (a.a.O., Rn. 87) fehlt es auch in Bezug auf die Wehrdienstentziehung nicht an der Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, weil es den syrischen Behörden bekannt sei, dass die Flucht aus Syrien oftmals nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch die unpolitische Angst vor den Gefahren des Kriegseinsatzes motiviert sei. Denn diese Argumentation unterstellt wiederum zum einen ein an empathischen und rationalen Maßstäben ausgerichtetes Regime und zum anderen wird es den geschilderten Besonderheiten des syrischen Konflikts nicht gerecht. Das syrische Regime führt keinen Krieg im herkömmlichen Sinn gegen einen anderen Staat, sondern kämpft um jeden Preis für die eigene Machterhaltung gegen oppositionelle Rebellengruppen aus der eigenen Bevölkerung im eigenen Land. Es geht daher auch nicht um die zu unterstellende allgemeine Furcht vor kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern um das Bekenntnis zum syrischen Regime oder - ausdrücklich oder konkludent - dagegen (vgl. VGH BW, Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 69 f.). Auch der Ansatz, wonach „die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“, eine Verfolgung nicht zu begründen vermögen (vgl. Nds. OVG, a.a.O., Rn. 88; so zuvor bereits OVG Saarland, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, Rn. 154), steht der Auffassung des Gerichts nicht entgegen, da es bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen nicht um „allgemeine Lasten und Beschränkungen“ geht, sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung (vgl. VGH BW, Urteil vom 14.06.2017, a.a.O., Rn. 70).

Der Annahme, dass nach Syrien zurückkehrende Männer als Wehrdienstentzieher angesehen werden, steht zur Überzeugung des Gerichts auch nicht entgegen, wenn eine (formelle) Einberufung vor der Ausreise nicht erfolgt war, da in diesem Land eine Wehrdienstentziehung auch präventiv erfolgen kann, indem die betreffende Person vor dem Eintreffen des eigentlichen Erfassungs- oder Einberufungsbefehls handelt (wobei es nach vielen Erkenntnismittel bereits zweifelhaft ist, ob es solche in der Praxis noch gibt) und etwa illegal das Land verlässt (vgl. Hess VGH, a.a.O., Rn. 55 m. w. N.). Der im Urteil des 2. Senats des Nds. OVG (a. a. O., Rn. 72 ff., im Anschluss an das Urteil des 14. Senats des OVG NRW vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris) gegebenen abweichenden Begründung vermag sich das Gericht nicht anzuschließen.

Die Argumentation des Nds. OVG bezüglich der Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG überzeugt das Gericht ebenfalls nicht, da ihr ein - aus Sicht des Gerichts - zu enges Verständnis der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Shepherd“ zugrunde liegt (EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 -, juris). Die Forderung, der um Flüchtlingsschutz Nachsuchende müsse mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass (gerade) seine Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt habe oder durchführen werde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fielen, lässt sich der Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen und lässt die Regelung in der Praxis - gerade auch in Zusammenschau mit § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AsylG - nahezu leerlaufen. Im Fall von Syrien ist angesichts der wiederholten und systematischen Kriegsverbrechen durch die syrische Armee auch in Bezug auf neu Einzuziehende bei „vernünftiger Betrachtung plausibel“, dass sie sich „in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten“ (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 38), gerade weil der EuGH auch mittelbare Beteiligung von Wehrdienstleistenden ausreichen lässt, indem er ausdrücklich darauf hinweist, dass die Schutzbestimmungen auch für logistisches und Unterstützungspersonal gelten (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 33, 37).

Auch den minderjährigen Klägern zu 3. und 4. droht bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne der Ausführungen zur sog. „Rückkehrerverfolgung“, weshalb sie nicht auf die Inanspruchnahme von Familienflüchtlingsschutz nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung ihrer Eltern gemäß § 26 Abs. 2 und 5 AsylG zu verweisen sind. Die Gefahr von Repressionen erstreckt sich allein aufgrund der Flucht, Auslandsaufenthalts und Asylantragsstellung im westlichen Ausland auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“. Es ist nicht nur mit Repressionen gegen Rückkehrer zu rechnen, von denen theoretisch eine Gefahr ausgehen könnte. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen minderjährige Kinder richten, weil ihnen - abgeleitet von ihren Eltern - eine Stellung als „Verräter“ zugerechnet wird und/oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden (vgl. VG Göttingen, a.a.O., Rn. 150 ff. m.w.N.).

Diese Art von Reflexverfolgung droht den Klägern zu 2. - 4. - selbstständig tragend -auch in Bezug auf die Wehrdienstentziehung des Klägers zu 1. und die dadurch eintretende selbstständige Gefahrerhöhung (vgl. VG Göttingen, a.a.O., Rn. 163).

Insgesamt kann das Gericht die allgemeine Skepsis des Nds. OVG im Urteil vom 27.06.2017 (a.a.O.) gegenüber einzelnen Erkenntnismitteln, die aus Sicht des Gerichts Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgrund und deren Verknüpfung belegen können (vgl. VG Göttingen, a.a.O.), nicht teilen. Zwar steht außer Frage, dass die Erkenntnislage in Bezug auf Syrien eingeschränkt ist und Erkenntnismittel deswegen in einer wertenden Gesamtschau unter besonderer Beachtung von Rationalität und Plausibilität zu prüfen sind, jedoch wird das Urteil - aus Sicht des Gerichts - insbesondere der Stellung des UNHCR nicht gerecht, dem eine Aufsichtsfunktion über die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl. 1953 II S. 530; GFK) zukommt (vgl. Art. 35 Abs. 1 GFK sowie Art. 2 Abs. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967 (BGBl. 1969 II S. 1293). Laut Europäischem Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht kommen regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 -, NVwZ 2012, 417, 420 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]; BVerfG, Beschluss vom 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 11). Die Auffassung des UNHCR ist trotz mangelnder Bindungswirkung regelmäßig in Betracht zu ziehen und zu berücksichtigen (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, juris, Rn. 38, sowie etwa Art. 10 Abs. 3 Satz 2 lit. b) der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013, ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 60 ff., und Art. 8 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.).

Die Rechtsprechung der Kammer wird auch durch die Einschätzung des UNHCR gestützt, der in seinem aktuellsten Bericht feststellt, dass Asylsuchende aus Syrien nur in Ausnahmefällen die Kriterien der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfüllen (vgl. UNHCR, Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien - Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Februar 2017 - deutsche Version April 2017, S. 1). In Anbetracht des vom UNHCR unter Auswertung der diesem vorliegenden Informationen aufgestellten Risikoprofils liegen - unabhängig von den vorstehenden Ausführungen - weitere individuell gefahrerhöhende Umstände für die Kläger vor. Diese gefahrerhöhenden Umstände gelten sowohl für die Personen, die eines oder mehrere der sogleich beschriebenen Risikoprofile erfüllen, als auch für die Familienangehörigen und Personen, die auf sonstige Weise Menschen mit den nachfolgend aufgeführten Risikoprofilen nahestehen (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Rn. 38 ff.):

a) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.

b) Angehörige bestimmter Berufsgruppen, insbesondere Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, Laienjournalisten; Ärzte und andere im Gesundheitswesen tätige Personen; Menschenrechtsaktivisten; humanitäre Helfer; Künstler; Unternehmer und andere Personen, die tatsächlich oder vermeintlich vermögend oder einflussreich sind.

c) Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden.

d) Angehörige ethnischer Minderheiten, einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier.

e) Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer, Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Kinder- und Zwangsheirat, häuslicher Gewalt, Verbrechen zur Verteidigung der Familienehre ("Ehrendelikt") und Menschenhandel wurden, oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.

f) Kinder, insbesondere Kinder, die in der Vergangenheit festgenommen wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind; sowie Kinder, die Opfer von Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, sexueller und häuslicher Gewalt, Kinderarbeit, Menschenhandel und systematischer Verweigerung des Zugangs zu Bildungsangeboten wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.

g) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität.

h) Palästinensische Flüchtlinge.

Die Kläger fallen als Sunniten und Kurden unter die Risikomerkmalgruppen c) und d).

Darüber hinaus hat der UNHCR - auf aktuelle Erkenntnisse gestützt - die wiedergegebene Liste der Risikoprofile ergänzt sowie konkretisiert und sieht folgende Personengruppen als besonders gefährdet an (vgl. UNHCR, Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien - Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Februar 2017 - deutsche Version April 2017, S. 14 ff.):

1. Personen mit Wohnort oder Herkunftsort in Gebieten, die sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befanden bzw. befinden;

2. Männer im wehrfähigen Alter aus Gebieten unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen;

3. Wehrdienstentzieher;

4. Deserteure;

5. Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind.

Die Kläger fallen - unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zur Reflexverfolgung (vgl. VG Göttingen, a.a.O.) - zusätzlich unter die Risikomerkmalgruppen 1. und 2.

Denn die Kläger lebten zuletzt in der Stadt L. und zuvor in M. und wurden in L., K. (in der Nähe von L.) sowie in M. geboren, was aus dem Familienbuch und dem Personalausweis der Kläger zu 1. und 2. hervorgeht. Die Dokumente wurden durch die Gemeinde L. ausgestellt. L. liegt im Gouvernement M. im Nordwesten Syriens. Dieser Landstrich wird (jedenfalls noch) durch die YPG-geführten Milizen kontrolliert (vgl. Spiegel-online, Situation in Syrien, Stand: 01.07.2017, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=3; Frankfurter Rundschau, Afrin im Würgegriff, 01.07.2017, abrufbar unter: http://www.fr.de/politik/tuerkei-und-syrien-afrin-im-wuergegriff-a-1306049). M. ist stark umkämpft und war von Juli 2012 bis Dezember 2016 gespalten: Quartiere im Osten der Stadt wurden von verschiedenen Fraktionen der Opposition überwacht, Gebiete im Westen der Stadt wurden vom syrischen Regime kontrolliert (vgl. Spiegel-online, aaO.; umfassend Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 05.07.2017 zu Syrien: Situation in Aleppo, S. 1 ff.).

Eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG ist nicht eröffnet, da die Verfolgungsgefahr bereits unmittelbar bei der Einreise nach Syrien gegeben ist. Denn die internationalen Flughäfen (insbesondere N.) sowie offizielle Grenzstationen stehen als einzig mögliche Ziele einer zwangsweisen Rückführung nach Syrien unverändert unter der Kontrolle der Regierungskräfte (vgl. auch VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, juris, Rn. 84). Darüber hinaus folgt bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3e AsylG, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar. Außerdem sind derzeit weder Gebiete bekannt, in welchen eine sichere Zuflucht ohne das Risiko von Luftangriffen besteht, noch Zonen, in denen die Möglichkeit besteht, sich dem Militärdienst zu entziehen. Aber selbst wenn man annähme, es gäbe dennoch Gebiete innerhalb Syriens, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass die Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.