Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 05.02.2018, Az.: 7 A 453/16

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
05.02.2018
Aktenzeichen
7 A 453/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74414
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Flüchtlingseigenschaft ist zuzusprechen, denn das syrische Regime betrachtet Flüchtlinge, die sich dem Kriegsdienst entzogen haben, als illoyal und vermutet bei ihnen regimekritische politische Überzeugungen und verfolget sie bereits bei bloßem Verdacht mit Misshandlungen und Folter bis zum Tod.
Mit sadistischen, zur sexuellen Befriedigung, aus Habgier oder Rachsucht erfolgenden Übergriffen der ohne jede Kontrolle agierenden Sicherheitskräfte haben in Syrien rechtlos gestellte Menschen zwar auch zu rechnen. Dies ändert jedoch nichts an der vom Regime geübten Verfolgungspraxis, selbst wenn das Regime diese Übergriffe hinnimmt oder wegen ihrer eigenen Unterdrückungswirkung bewusst duldet.
In Anbetracht denkbar größter Gefahren ist aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen eine Rückkehr nach Syrien nicht zumutbar. Für die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ohne Bedeutung, ob den Flüchtlingen aufgrund der Bürgerkriegssituation mit dem subsidiären Schutz aus anderem Grund ein annähernd vergleichbares Bleiberecht gewährt wurde.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach seinen Angaben und den Feststellungen der Beklagten ist der am 6.3.1987 in Damaskus geborene, ledige Kläger syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens.

Im Rahmen seiner Erstbefragung erklärte der Kläger, am 11.9.2015 Syrien verlassen zu haben und über die Türkei und Griechenland über die sog. Balkanroute via Ungarn, Kroatien und Österreich am 25.9.2015 in Deutschland eingereist zu sein, ohne zuvor anderswo internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben.

Der Kläger ergänzte diese Angaben bei seiner in Arabisch durchgeführten Anhörung am 8.7.2016 dahingehend, dass er am 11.9.2015 Syrien verlassen und über den Libanon in die Türkei gereist sei und gab nach der Niederschrift des Beklagten weiter an, vor seiner Ausreise im Dorf Masraba bei der Stadt Duma (Kreis Damaskus) gelebt zu haben. Seinen Reisepass und Personalausweis habe er bereits abgegeben. - Er habe von 2002 bis 2005 am Institut für Handel in Damaskus mit dem Schwerpunkt BWL und Buchhaltung studiert. Von 2005 bis 2008 habe er in Homs in der Raketen- und Panzerabteilung seinen Pflichtwehrdienst geleistet. Er habe für eine Firma für Waschmittel als Buchhalter gearbeitet, „bei der bürgerlichen Firma für Seifen“. Es habe bei seinem Heimatort Bombardierungen, Unruhen und Kriegsereignisse gegeben. Er sei nach Damaskus gezogen und habe dort ein Jahr gelebt und gearbeitet. - Am 6.9.2015 seien sie vom Regime an einem Checkpoint verhaftet worden, weil sie zum Militär rekrutiert werden sollten. Für 100.000.- syrische Lira habe er sich freikaufen können. Das Geld habe er gespart gehabt -. Auf Nachfrage zur Geldübergabe gab der Kläger an, er sei an einem Checkpoint angehalten worden. Der Offizier habe seinen Ausweis mit den Militärlisten abgeglichen und ihm gesagt, dass er verpflichtet sei, sich zum Dienst zu melden. Er habe den Offizier gefragt, was er machen könne, um das zu verhindern und ihm signalisiert, dass er auch dafür zahlen würde. Der Offizier hat dann seinen Personalausweis einbehalten, bis er ihm das Geld vorbeigebracht habe. Das Geld habe er zu Hause gehabt und am gleichen Tag noch gezahlt. Der Offizier habe dann seinen Namen gestrichen, damit er habe fliehen können. – Er habe sich Geld von seinen Freunden geliehen, um sich „ein Flugticket für einen Flug über Beirut in die Türkei zu besorgen“. Das Flugticket habe 250.- US-Dollar gekostet. Er sei nur kurz von der Liste gestrichen gewesen, um das Land zu verlassen. - Er wolle weder für die eine noch für die andere Seite kämpfen, weder für das Regime noch für die Opposition. Sein Militärbuch sei in Syrien bei seinen Eltern. Es könne ihm theoretisch zugeschickt werden, doch möchte er nicht, dass seine Eltern Schwierigkeiten bekommen. Seines Wissens werde die Post vom Regime kontrolliert. – Auf Frage erklärte er, keinen Aufschub beantragt zu haben, als er studiert habe; man bekomme einen Bescheid, wenn man zum Militär eingezogen werden solle. Einen solchen Bescheid habe er vor seiner Ausreise nicht erhalten. In ihrem Gebiet seien Unruhen gewesen. Er wisse nicht, ob dort noch Bescheide zugestellt werden. Er kenne nur die Checkpoints, an denen die Männer zum Militär zwangsrekrutiert worden seien. – Er befürchte bei Rückkehr für das Militär kämpfen und damit rechnen zu müssen, getötet zu werden. Er habe Angst vor dem Krieg und sei wegen der Sicherheit nach Deutschland gekommen.

Gemäß Vermerk vom 8.7.2016 hielt die Anhörende eine positive Entscheidung nach § 3 Abs. 1 AsylG für wahrscheinlich; das Asylvorbringen sei nach erster Einschätzung glaubhaft dargestellt worden.

Vom Kläger vorgelegte Urkunden und Personaldokumente führten auch bei Überprüfung durch die Beklagte zu keiner Beanstandung; auf deren bei den Verwaltungsvorgängen befindliche Kopien und Übersetzungen wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 29.8.2016 zuerkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus und lehnte seinen Asylantrag im Übrigen ab. Ein Zustellungsnachweis liegt nicht vor.

Am 15.9.2016 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er unter näherer Darlegung und Berufung auf verwaltungsrechtliche Rechtsprechung im Wesentlichen geltend macht, sein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG beruhe aufgrund der aktuellen Situation in Syrien auf beachtlichen Nachflucht-gründen von Verfolgung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem Aufenthalt im Ausland. – Er sei am 11.9.2015 aus Syrien zunächst in den Libanon ausgereist und von dort über die Türkei und den Balkan nach Deutschland weitergereist. Hintergrund seiner Ausreise sei insbesondere auch, dass er nicht erneut zum Militärdienst habe eingezogen werden wollen, denn er lehne es kategorisch ab, auf Landsleute schießen zu müssen. Als er im Begriff gewesen sei, in den Libanon auszureisen, sei er gemeinsam mit anderen an einem Checkpoint in Damaskus im Ortsteil Al Kadam am 9.9.2015 nach einer Kontrolle verhaftet worden, da er zum Militär zwangsrekrutiert habe werden sollen. Kontrolliert worden sei er von einem Offizier namens Ali Haider. Der Offizier habe angeboten, ihn kurzfristig zwecks Ausreise am 11.9.2015 in den Libanon von der Rekrutierungsliste gegen Zahlung von 100.000.- syrische Lira zu streichen. Er habe sich einverstanden erklärt, das Geld von zu Hause geholt und noch am gleichen Tag gezahlt. Er habe sich von Freunden Geld für ein Flugticket für einen Flug von Beirut in die Türkei geliehen und sei am 11.9.2015 in den Libanon ausgereist.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung am 5.2.2018 wurde der Kläger angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Weiter wird verwiesen auf die Erkenntnismittel, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

Die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet. Der Anspruch des Klägers beruht auf § 3 Abs. 1 und 4 AsylG. Der die Zuerkennung ablehnende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ihm droht bei verständiger Würdigung im Fall der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können nach § 3 Abs. 1 und 4 Halbsatz 1 AsylG Personen beanspruchen, die

aus begründeter Furcht (§ 3 Abs. 1 AsylG)

vor aus bestimmten Gründen (§§ 3b, 28 Abs. 2 AsylG)

praktizierten Verfolgungshandlungen (§ 3 a ASylG)

bestimmter Akteure (§ 3c AsylG)

keinen ausreichenden Schutz (§§ 3d, 3e AsylG)

in ihrem Herkunftsstaat finden können, sofern nicht die Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlussgrunds gegeben sind (§ 3 Abs. 2, 3 und 4 Halbsatz 2 und 3). Die Bestimmungen des Asylgesetzes sind im Sinne bindender völker- und europarechtlich begründeter Vorgaben, insbesondere unter Beachtung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9 vom 20.12.2011) auszulegen und anzuwenden.

Aufgrund der Ratifizierung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -) und den Wegfall der zeitlichen Beschränkungsklausel mit Inkrafttreten des Zusatzprotokolls von 1967 gewährt die Bundesrepublik Deutschland neben dem Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz, nunmehr Art. 16a Grundgesetz, Flüchtlingen i. S. dieser Konvention Schutz. In den folgenden Jahren bestimmte die vergleichende Auslegung und Abgrenzung beider Rechtspositionen die Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung. Nicht dem Schutzbereich dieser Rechtspositionen unterfallenden Personen konnte Schutz nach Maßgabe der Europäischen Menschenrechtskonvention und nach nationalen Abschiebungsverboten gewährt werden, ohne dass hieraus - soweit ersichtlich - eine Einschränkung oder Beschränkung des Schutzbereichs des Flüchtlingsschutzes oder des Asylgrundrechts abzuleiten versucht worden wäre.

Erstmals der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - Amsterdamer Vertrag - begründete in Art. 61 ff eine Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Harmonisierung des Asylrechts in der EU, wobei sich die Vertragsstaaten in Art. 63 EGV zugleich auf die Wahrung des Schutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention verständigten und dem Rat ein Handeln in Übereinstimmung mit dieser Konvention vorgaben. Mit den Qualifikationsrichtlinien 2004/83/EG vom 29.4.2004 und 2011/95/EG vom 13.12.2011 (jeweils Kapitel III und IV) wurde diese Vorgabe mit dem Ziel, eine „uneingeschränkte und umfassende Anwendung des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ zu schaffen, umgesetzt (Erwägungsgründe Nr. 2 ff 2004/83/EG und Nr. 3 ff 2011/95/EG).

Darüber hinaus sehen die Richtlinien die Gewährung eines die in der Genfer Konvention festgelegten Schutzregelung für Flüchtlinge ergänzenden, als subsidiär bezeichneten Schutzstatus vor (Erwägungsgrund Nr. 24 2004/83/EG und Nr. 33 2011/95/EG); der subsidiäre Schutzstatus wird jeweils in Kapitel VI der Richtlinien ausgestaltet, die Bestimmungen zum Inhalt des internationalen Schutzes tragen darüber hinaus Sorge für eine ungeschmälerte Geltung der „in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Rechte“ (Kapitel VII Art. 20 Abs. 1 der Richtlinien). Dem subsidiären Schutz wird somit eine dem zuvor bereits praktizierten Schutz nach Maßgabe der Europäischen Menschenrechtskonvention und nach nationalen Abschiebungsverboten entsprechende Komplementärfunktion zugewiesen, was aufgrund der voneinander unabhängigen Schutzbereiche des Flüchtlingsschutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention und des subsidiären Schutzes zu einer „gemeinsamen Schnittmenge“ führt, ohne dass daraus indes ersichtlich würde, dass der vom Normgeber als subsidiär verstandene und bezeichnete Schutzstatus angesichts des systematischen Gefüges der Bestimmungen der Richtlinien „gleichrangig neben dem Flüchtlingsstatus“ Geltung beanspruchte (so aber Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris Rn. 24). Jedenfalls erschließt sich dem Gericht nicht, dass es für Verpflichtungsklagen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in beweisrechtlicher Hinsicht im Sinne eines Erst-recht-Schlusses von Bedeutung sein könnte, dass einem Schutzsuchenden bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, etwa weil eine „gerichtliche Fehlbeurteilung … kein persönliches Risiko für den Schutzsuchenden“ berge (so Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris Rn. 39). Dass dieser Gedanke eine Herabsetzung der gerichtlichen Kontrollintensität trüge, vermag das Gericht dem vorstehend zitierten Urteil nicht zu entnehmen. Dass die „hypothetische Rückkehr … nichts mehr als ein Gedankenspiel“ sei, „aber keiner realen Gefährdung korrespondiert“, gewinnt bei der rechtlichen Beurteilung des erhobenen Verpflichtungsanspruchs ebenfalls keine Bedeutung, wollte man nicht die vorgenannten rechtlichen Voraussetzungen der Schutzstatus verkennen. Vielmehr sieht das Gericht mit diesen Formulierungen, die für die rechtliche Prüfung keine Relevanz zu gewinnen vermögen, letztlich die Gefahr verbunden, den Blick auf die von der Gewährung subsidiären Schutzes nach geltendem Recht unberührt bleibende Anspruchslage zu verstellen. Auch stehen diese Formulierungen wohl in einem gewissen Wertungswiderspruch zur Annahme des Rechtsschutzbedürfnisses (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris Rn. 24) wie auch der Feststellung, die gerichtliche Fehlbeurteilung könne „gefahrenperpetuierende Auswirkungen … für Angehörige des Schutzsuchenden“ haben ((Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris Rn. 39). So ist es auch nicht zweifelhaft, dass „der zuerkannte subsidiäre Schutz“ einer „in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation“ „hinreichend Rechnung“ trägt (so Leitsatz 4 des Urteils des Nds. OVG vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris), denn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt wegen einer „herrschenden Bürgerkriegssituation“ für sich genommen nicht in Betracht, sondern der „subsidiäre“ und mit einem Aufenthaltstitel verbundene ist nach geltendem Recht insofern zugleich der „maximal“ mögliche Schutz. Für die Frage, ob daneben die - anderen - Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind, mithin ob eine Fallgestaltung der „gemeinsamen Schnittmenge“ vorliegt, ist damit indes nichts gesagt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Hiernach ist Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention unter anderem, wer sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Zu dem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der Rasse stellt § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG klar, dass dies insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe umfasst. Den Verfolgungsgrund der Religion definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere als theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der Verfolgungsgrund der Nationalität beschränkt sich gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird. Dabei ist eine soziale Gruppe insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, so § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG. Den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung konkretisiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG dahingehend, dass hierunter insbesondere zu verstehen ist, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Es kommt indes nicht darauf an, ob der Verfolgte diese Merkmale tatsächlich aufweist. Es reicht aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG. Dabei genügt es, dass der Betreffende seitens des Verfolgers nur verdächtigt wird, ein solches Merkmal zu erfüllen und die Verfolgungsmaßnahme hier ansetzt, um eine entsprechende Feststellung zu treffen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, m.w.N.).

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG), die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).

Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (sog. „interner Schutz“). Dieser ist nach Maßgabe des § 3e Abs. 1 AsylG zu bestimmen und führt zur Nichtanerkennung des Ausländers als Flüchtling, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und wenn er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Zwischen den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Ob diese Verknüpfung besteht, ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit festzustellen (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 Rn. 24). Die Verknüpfung ist also anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Es kommt demzufolge nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren (künftigen) subjektiven Vorstellungen der jeweils für den Akteur im Sinne des § 3c AsylG handelnden Personen an (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 a.a.O.; vergleichbar für das nationale Asylrecht nach Art. 16a GGBVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 -, BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.>; vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <334 f.>; vom 10.12.1991 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 [BVerfG 20.12.1989 - 2 BvR 958/86] und vom 11.02.1992 - 2 BvR 1155/91 -, InfAuslR 1992, 152 <154>).

Diese Verknüpfung geht grundsätzlich auch nicht verloren, wenn mit der Verfolgungshandlung weitere, flüchtlingsrechtlich neutrale Zwecke verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zum nationalen Asylrecht schon entschieden, dass auch in Fällen, in denen der Staat das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt, eine staatliche Verfolgung vorliegen kann (BVerfG, Beschluss vom 10.07. 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315-353; Beschluss vom 12.07.1993 - 2 BvR 855/93 -, juris). Für das unionsrechtliche und das internationale Flüchtlingsrecht nach der Genfer Konvention gilt gleiches (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 -, BVerwGE 135, 252 Rn. 16).

Ob politische Verfolgung droht, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die von einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes auszugehen und die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990- 9 C 14.89 -, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13, m.w.N.).

Ausgangspunkt der zu treffenden Prognoseentscheidung ist das bisherige Schicksal des Schutzsuchenden. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Dies gilt nicht, wenn stichhaltige Gründe der Annahme widersprechen, dass der Antragsteller im Falle der hypothetischen Rückkehr erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die hierdurch bewirkte Beweiserleichterung setzt jedoch einen inneren Zusammenhang zwischen dem vor Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden einerseits und dem befürchteten künftigen Schaden voraus. Diese sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientierende, auf die tatsächliche Gefahr (real risk) abstellende, Verfolgungsprognose erfolgt in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie - anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 -, juris Rn. 12, m.w.N.). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377, juris Rn. 23, unter Hinweis auf: EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-​175/08 u.a. [Abdulla u.a.] -, NVwZ 2010, 505 [EuGH 02.03.2010 - Rs. C-175/08; C-176/08; C-178/08; C-179/08], juris Rn. 92 ff.).

Der Asylsuchende muss danach bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles aus Furcht vor politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG einen Aufenthalt in seinem Heimatland meiden wollen. Aufgabe des Schutzsuchenden ist es insoweit, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Der Vortrag eines Schutzsuchenden, der sein Verfolgungsschicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, ist dabei gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese bindet das Gericht dabei nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Im Ergebnis muss das Gericht von der Wahrheit der klägerischen Behauptung eines individuellen Verfolgungsschicksals und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit die volle Überzeugung gewinnen. Hierbei darf das Gericht jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180, juris Rn. 16).

Bei der prognostischen Einschätzung einer begründeten Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung kann in Anbetracht dessen sachtypischen Beweisnotstandes gerade in Bezug auf die Frage nach der Motivationslage des (potentiellen) Verfolgers auf die (subjektive) Zielrichtung des Verfolgers aus den objektiven Gegebenheiten, so wie sie sich aktuell darstellen und aller Voraussicht nach entwickeln werden, zu schließen sein. Auch die Verfolgung von Straftaten, die sich - zunächst - nicht als politische Verfolgung darstellt, kann als politische Verfolgung zu werten sein, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Deshalb besteht eine Vermutungsregel zu Gunsten einer (politischen) Verfolgung, wenn der Flüchtling eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989, - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <334 f.>). Für den unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz gilt nichts Anderes. Weder Art. 9 noch Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie lassen einen Ansatz für eine abweichende Sichtweise erkennen. Die Funktion des völkerrechtlichen wie auch unionsrechtlichen Flüchtlingsschutzes ist darauf gerichtet, politische und soziale Erscheinungsformen staatlichen wie nicht-staatlichen Handelns in der objektiven Lebenswirklichkeit gesamtheitlich und effektiv zu bewältigen, was eine Fragmentierung in vielfältige und unüberschaubare individuelle Sichtweisen bzw. Handlungsmotive der verschiedenen Akteure wie auch deren isolierte Bewertung verbietet; der Fokus muss darauf gerichtet sein, wie sich der Eingriff in der politischen wie sozialen Realität darstellt, wie er diese beeinflusst und auf sie einwirkt. Entscheidend ist somit, wie der oder die Verfolgte die jeweilige auf sich bezogene Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielrichtung nach objektivierter Betrachtungsweise einschätzen kann oder konnte (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.06.2017 – A 11 S 664/17, juris Rn. 32).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann jedoch gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-​Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 26). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27/07 -, BVerwGE 133, 31, juris Rn. 14). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchttatbeständen beruht, genügt es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, wenn der Antragsteller befürchten muss, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 28 Abs. 1a AsylG die entsprechenden Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt und hiermit zugleich die grundsätzliche Relevanz von Nachfluchttatbeständen klargestellt. Der beachtliche Nachfluchttatbestand ist damit kein Ausnahmetatbestand, sondern ebenso wie der Vorfluchtgrund ein Regelfall des § 3 AsylG (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 22). Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren.

Geboten ist somit stets eine bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenläufige Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, DVBl. 1988, 653, juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 15.03.1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, juris Rn. 23; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.02.2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37). Maßgebend ist damit entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367, juris Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90-​, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17). Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1990- 9 C 60.89 -, BVerwGE 87, 52, juris Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90-​, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.02.2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37). Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16 [BVerwG 03.09.1991 - BVerwG 1 C 48/88], juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.02.2008 - 10 C 33.07 -, a.a.O.). Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen, auf die bei der Bewertung der drohenden Gefahr abzustellen ist (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389).

Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen haben muss. In diesem Zusammenhang sind Rechtsanwender nicht selten mit der Situation konfrontiert, dass keine relevante und größere Zahl von Referenzfällen zu bestimmten Verfolgungsszenarios bekannt geworden ist und auch individualisierbar belegt werden kann. Es handelt sich um eine für den Flüchtlingsschutz grundlegende und nicht untypische Problemstellung. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Regimen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen. Unter solchen Umständen kommt den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation in dem betreffenden Herkunftsland hervorgehobene Bedeutung zu. Aus ihnen sind Schlussfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl bekannt gewordener Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für den Zeitpunkt der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Dagegen kann eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines willen - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkrete Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.06.2017 – A 11 S 664/17 -, juris Rn. 39 ff).

Syrischen Staatsangehörigen, die sich aus der Sicht des syrischen Regimes der Wehrpflicht - sei es der erstmaligen Einberufung oder der erneuten Heranziehung zum Kriegsdienst – entziehen, droht Verfolgung, weil solche Personen bei ihrer Rückkehr konkret von übermäßiger Strafverfolgung oder Bestrafung lebensgefährdenden Ausmaßes bedroht sind, zumindest aber mit menschenrechtswidriger Behandlung oder Folter bei Verhören bzw. Befragungen durch den syrischen Staat rechnen müssen, wenn sie einer jederzeit möglichen Einberufung nicht Folge leisten und sich dem Militärdienst entziehen wollen.

In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund gilt (vgl. zu alledem ausführlich SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition vom 23.08.2016) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - im Folgenden BFA - vom 05.01.2017, S. 37; Deutsches Orient-Institut an HessVGH vom 01.02.2017); auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Dazu müssen sich die Betreffenden zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch – versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen vom 13.08.2014, SYR104921.E, S. 5).

Zum „verfahrenstechnischen“ Ablauf einer Einberufung führt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 (Az.: 508-9- 516.80/48808) aus:

„Die Männer werden per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, werden von Mitarbeitern der Geheimdienste für den Militärdienst zwangsrekrutiert. Es gibt Berichte, dass junge Männer an Checkpoints verschleppt und zwangsrekrutiert werden. Männern im wehrpflichtigen Alter wird die Ausreise aus dem Land verboten und der Reisepass vorenthalten“.

Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes gibt es etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis zum Alter von 27 Jahren (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 3; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition vom 23.08.2016, S. 9).

Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden. Zwar sind, was die Rekrutierung minderjähriger Syrer für das syrische Militär und deren Ausmaß betrifft, nicht völlig deckungsgleich (Danish Refugee Council, „Syria: Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty an Recruitment to the YPG“, September 2015, S. 11; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 4; BFA S. 23 f.; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5), doch laufen auch Jugendliche, die nach den gesetzlichen Bestimmungen des syrischen Staates noch nicht der allgemeinen Wehrpflicht unterliegen, aufgrund der in jeder Hinsicht krisenhaften Zuspitzung des Kriegsgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, von einer kriegsführenden Partei, insbesondere von den paramilitärischen Verbänden und Gruppierungen (auch) des syrischen Regimes rekrutiert und tatsächlich im Kriegsdienst eingesetzt zu werden. Nach Berichten insbesondere der UN werden Kinder von verschiedenen Konfliktparteien, insbesondere auch regierungsnahen bewaffneten Gruppen, für Unterstützungs- wie auch Kampfhandlungen rekrutiert und verstärkt der Gefahr ausgesetzt, verletzt, gefoltert, traumatisiert und getötet zu werden (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 10 Rn. 13, S. 15 Rn. 19 jew. m. w. Nachw.; zurückhaltender Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime And Armed Opposition vom 23.8.2015).

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnismitteln seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (BFA S. 24; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition vom 23.08.2016, S. 12.).

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 / 52 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition vom 23.08.2016, S. 8; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30.07.2014; Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016).

Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Stile eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat nach mehreren Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. Die Vorgehensweise wird als zunehmend aggressiv beschrieben (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 5). In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert. Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28.03.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 6 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.).

Zur Mobilisierung von Reservisten führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus:

„... wurde 2011 geschätzt, dass die syrische Armee über zwischen 280.000 und 450.000 Reservisten verfügt. In Kriegszeiten werden Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist wird wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. … Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. 2012 wurde geschätzt, dass die syrische Armee seit dem Ausbruch des Krieges aufgrund von Desertionen und Verlusten um die Hälfte reduziert worden ist. Präsident Assad ist dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 verbot die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren, das Land ohne Bewilligung zu verlassen.“ (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee vom 30.7.2014, S. 6 f).

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentzug anzukämpfen. … Dort wo die syrische Regierung die Kontrolle hat, sind die administrativen Strukturen noch intakt und wehrdienstpflichtige Männer erhalten Einberufungsbefehle. Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten. Prinzipiell rekrutiert das syrische Regime alle Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund. … Im Oktober 2014 intensivierte das syrische Regime an verschiedenen Orten des Landes die Mobilisierung von Reservisten. Die syrische Armee und die regierungstreuen Milizen etablierten neue Checkpoints und intensivierten Razzien im öffentlichen und privaten Bereich, um diejenigen Reservisten zu finden, die sich bis dahin dem Dienst entzogen haben. Im Oktober 2014 begann das Regime in Hama mit einer Generalmobilmachung aller Reservisten, die nach 1984 geboren sind. Über 1.500 Männer wurden innerhalb von vier Tagen an Checkpoints verhaftet. Eine ähnliche Operation fand in Homs statt, dort wurden 1.200 Männer verhaftet. Eine weitere Generalmobilmachung begann am 27. Oktober in Deir ez-Zour. Gemäß dem Institute for the Study of War (ISW) zirkulieren an den Checkpoints der syrischen Armee Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen.“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2 ff.).

Zur intensivierten Suche nach Deserteuren und Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe weiter aus:

„Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach Refraktären, jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. Diese Maßnahmen wurden in allen vom Regime kontrollierten Gebieten durchgeführt, von Aleppo im Norden bis nach Daraa im Süden des Landes und von Latakia und Tartus an der Küste bis nach al Hasaka im Osten des Landes. Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern. … werden Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, inhaftiert und verurteilt. In Haft kommt es zu Folter und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Auch Familienangehörige werden verhaftet oder von syrischen Behörden unter Druck gesetzt. Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Einige werden vor das Militärgericht al-Qaboun in Damaskus gestellt. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt.“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 f.).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von Damaskus deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; Deutsches Orient Institut, Auskunft an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016; UNHCR, „Illegal Exit“ from Syria and Relates Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria, February 2017; S. 6 - im Folgenden „Illegal Exit“ - S. 3 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016 S. 4 f.; BFA S. 24).

Das Deutsche Orient-Institut hat sich insoweit wie folgt geäußert (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig-Holsteinische OVG, abrufbar über MIlo datiert vom 8.11.2016):

„Die syrische Regierung beschloss im März 2012, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet ist, auch wenn diese bereits ihren Wehrdienst abgeleistet haben. Besonders männliche syrische Staatsangehörige sehen sich nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet wenn älter als 18 Jahre der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber… Die aktuelle Lage hat das Ableisten des Wehrdienstes allerdings sehr gefährlich werden lassen, da die Streitkräfte in weiten Teilen des Landes im Kampfeinsatz sind und die Ausbildungszeit enorm verkürzt wurde. Wurde der Wehrdienst also nicht vor der Ausreise abgelegt, so kann dies von Seiten der syrischen Regierung verlangt werden. Diente die Ausreise unter anderem dem Zweck, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so hat dies eine harte Bestrafung, bis hin zur Todesstrafe, aber oft auch Folter, zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet wurde, kommt es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen werden.“

Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 8 f.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise wird wie ein Wehrdienstentzug geahndet (AA Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist weitergehend festzustellen, dass nach der Ergreifung einer Person, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen hat, die Untersuchungsmaßnahmen und eine sich möglicherweise anschließende, auch längere Haft mit Folterungen einhergehen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 10). Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt. (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015, S. 3 f.).

Die Überzeugung, dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter im Zusammenhang mit den drohenden Ermittlungen und Bestrafungen auch Folterungen drohen, gründet sich auch auf Erkenntnissen bezüglich der allgemeinen politischen Situation in Syrien, insbesondere der besonderen Bedingungen bei Inhaftierungen und anderweitigen Repressionen.

Die syrischen Sicherheitsbehörden operieren weit außerhalb rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze und legen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis an den Tag (zu den durchgängig beschriebenen unfairen Verfahren, wenn einmal ein Gericht befasst sein sollte vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 9). Mehreren Berichten von amnesty international lässt sich seit Beginn des Bürgerkriegs eine endemische Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen entnehmen (vgl. ai, „Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria“, August 2011, S. 9 ff. und nunmehr auch ai, „It breaks the human“, torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 12 ff. und passim bzw. ai „Human Slaughterhouse“ Februar 2017). Dabei handelt sich um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes seit Jahrzehnten systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 05.01.2017, S. 19 f.).

So ist die von mehrfachen militärisch erzwungenen Machtwechseln bestimmte nationale Geschichte Syriens, insbesondere seit der Machtergreifung Hafis al-Assad in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, von einem auf unbedingten Machterhalt bedachten despotischen Regime geprägt, das keinerlei politische oder gesellschaftlich-wirtschaftliche Machtstrukturen neben sich duldet.

Von der in den vorhergehenden vierziger Jahren gegründeten Baath-Partei, die ein säkulares, panarabisches und antiimperialistisches Programm verfolgte, wurde die Idee des arabischen Nationalismus verfolgt. An dem auf einem nach der Unabhängigkeit der Syrischen Republik (17.4.1946) eintretenden Wirtschaftswachstum beruhenden wachsenden Wohlstand hatte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung teil; soziale Gegensätze verschärften sich. Auf die Niederlage der arabischen Armeen gegen das 1948 gegründete Israel folgte eine Phase von Umstürzen, mit der bereits die Dominanz des Militärs in der Politik begann (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 41). In der anschließenden Phase der Vereinigten Arabischen Republik - VAR - unter Führung des ägyptischen Präsidenten Nasser musste sich Syrien zunächst dem militärischen und politischen Gewicht Ägyptens unterordnen. Nasser ließ alle Parteien einschließlich der Baath-Partei auflösen und schwächte die syrischen Offiziere durch Unterordnung unter Ägypter und Versetzungen; Sicherheitsdienste und Bürokratie kontrollierten das Land. Die wachsende Unzufriedenheit mit der ägyptischen Dominanz mündete in einem weiteren Militärputsch, der 1961 zum Ende der VAR und zur Syrischen Arabischen Republik führte. Am 8.3.1963 begründete ein erneuter Putsch die Macht von Offizieren, die mit zivilen Politikern zusammenarbeiteten. Ein Nationaler Rat für die Führung der Revolution ernannte eine baathisch-nasseristische Regierung. Innerhalb des Rats dominierte ein Militärkomitee, das sich auch in der Baath-Partei zum entscheidenden Machtzentrum entwickelte. Am 23.2.1966 brachte ein erneuter Putsch Vertreter der Parteilinken der Baath-Partei an die Macht, die für eine sozialistische Politik eintraten. Der Putsch war von dem Luftwaffenchef Hafis al-Assad, einem Angehörigen der alawitischen Minderheit, unterstützt worden, der zum Verteidigungsminister aufstieg. Am 16.11.1970 besiegelt Hafis al-Assad seine zunehmende, auf der Kontrolle des Militärs beruhende Dominanz mit einem erneuten Putsch, indem er Partei- und Staatsspitze verhaften ließ und eine neue Regierung unter seiner Führung bildete (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 42).

Mit der Machtübernahme der Baath-Partei unter Hafis al-Assad wurde Syrien offiziell zum „Sozialistischen Staat mit Planwirtschaft“. Jegliche politische Opposition wurde unterdrückt und das sozialistische Wirtschaftsmodell adaptiert (, Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens, APuZ 8/2013, 53). Für den Machterhalt Hafis al-Assad wird das Zusammenwirken verschiedener Faktoren angeführt: eine als Symbiose beschriebene Beziehung zwischen Armee und Baath-Partei, die Gleichschaltung der gesellschaftlich-politischen Kräfte und gleichzeitige brutale Unterdrückung jeglicher politischer Opposition, die Bedeutung konfessioneller Solidaritäten und die gelungene Kooptation weiter Kreise der sunnitischen Mittelschichten (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 42; Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 60 ff). Die ersten Jahre nach seiner Machtübernahme nutzte Hafis al-Assad zur systematischen Konsolidierung seiner Macht. Die institutionellen Strukturen des Staates formte er in einer Weise um, die ihm selbst als Staatspräsident, Oberbefehlshaber der Armee und Chef der Exekutive überragende Befugnisse sicherte; Schlüsselpositionen besetzte er mit loyalen Gefolgsleuten und Verwandten. Dabei stützte er sich auf einen umfangreichen Apparat unterschiedlicher, konkurrierender Geheimdienste, eine expandierende Armee und eine weitreichende Hierarchisierung, Mobilisierung und Militarisierung der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Baath-Partei als „führende Partei in Gesellschaft und Staat“ (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 43). Die syrische Verfassung von 1973 verdeutlicht, dass es der Baath-Partei gelungen war, die politische Ordnung des Staates mit der Folge einer engen Verschränkung von Verfassungsordnung und Parteiideologie bzw. staatlichen Strukturen und Parteistrukturen umzugestalten. Die starke konstitutionelle Stellung der Partei wurde von informellen Strukturen der Machtsicherung verstärkt, wobei die Symbiose von Armee und Partei eine zentrale Rolle spielte (Schumann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013). Die Baath-Partei, deren Führungsrolle verfassungsgemäß festgeschrieben war, durchzog alle gesellschaftlichen Schichten, Berufe und Institutionen. Gewerkschaften, Unternehmerverband, Frauenorganisationen, Anwaltsgilde, Journalistenvereinigung und dergleichen waren gleichgeschaltet. Ähnlich wie in der DDR existierten gefügige Blockparteien (Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 57).

Der Zusammenhalt des Bündnisses von Armee und Staat beruht vor allem auf persönlichen Netzwerken, wobei familiäre und konfessionelle Bindungen in den Vordergrund rückten. In der Folge ist die Kernelite der politischen Entscheidungsträger in den sicherheitsrelevanten Bereichen aus Verwandten des Präsidenten oder zumindest Angehörigen seiner eigenen konfessionellen Gemeinschaft, der Alawiten, zusammengesetzt, was zu einer deutlichen Überrepräsentation von Alawiten in Armee und Geheimdiensten führte (Schumann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013, 47; , Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens, APuZ 8/2013, 53). Auch deshalb hat der gegenwärtige Konflikt eine religiöse bzw. konfessionelle Komponente bekommen. Diese Konfessionalisierung ist allerdings nur ein Aspekt des Wandels der politischen Identitäten in Syrien. Zu den ersten politischen Opfern der Baath-Herrschaft gehörten die „andersdenkenden Gleichgesinnten“, insbesondere Kommunisten, Nasseristen und Angehörige der jeweils unterlegenen Fraktionen der Baath-Partei, die umgehend ins Gefängnis geworfen oder ins Exil geschickt wurden (Schumann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013, 47). Konservative Muslime beobachteten den sozialistisch orientierten Nationalismus der Baath-Partei von Anfang an mit Skepsis oder Ablehnung. Im Zuge der dauerhaften Auseinandersetzung mit der Muslimbruderschaft ging das Regime jedoch zunehmend dazu über, die religiös orientierten Segmente der Bevölkerung zu kooptieren und nur den politischen Islam rigoros zu verfolgen (Schumann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013, 48). Hinter der säkularen Fassade des Assad-Regimes steckt ein kompliziertes Machtteilungssystem, das religiöse, ethnische und soziale Aspekte berücksichtigt. Um politischen Widerstand aus den Reihen der Religionsgemeinschaften zu vermeiden, hat die Staatsmacht eine Art Vereinbarung mit einflussreichen religiösen Protagonisten getroffen und verknüpfte deren relative Macht direkt mit dem politischen Schicksal des Regimes. Gleichzeitig versuchte es, ethnische Minderheiten zu spalten, indem es einzelne Gruppen privilegierte. Eine ähnliche Strategie wurde verfolgt, um die politische Opposition und die „Business Community“ zu spalten. Somit findet man in Syrien sowohl regimetreue als auch oppositionelle Kommunisten, Nationalisten, Christen, Drusen, Alawiten, Sunniten, Staatsangestellte und Geschäftsmänner (, Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens, APuZ 8/2013, 54; Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 56, 60).

Ab 1979 folgte einer Reihe von Anschlägen - insbesondere in den konservativen nördlichen Städten Aleppo und Hama - ein blutiger Machtkampf zwischen der islamischen Opposition und dem Regime. Im Februar 1982 griff die Armee die Stadt Hama an; bis zu 30000 Menschen wurden getötet, die Altstadt in weiten Teilen zerstört (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 4 Rückkehr nach Hama S. 112 ff; Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 43). Die syrische Muslimbruderschaft wurde zerschlagen, auch linke Oppositionelle wurden reihenweise verhaftet und Jahre- oder jahrzehntelang eingesperrt. Das Massaker von Homs wirkte - wie auch das Gefängnismassaker von Palmyra (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 3 Die Geister von Tadmor, S. 85 ff) - lange als nachhaltige und wirksame Abschreckung gegen etwaige Aufstandspläne. Einzelne Parteien agierten weiter im Untergrund, einzelne Dissidenten und Bürgerrechtler blieben politisch tätig, doch stellten diese Aktivitäten keine ernsthafte Bedrohung für Assads Herrschaft dar. Ein Übernahmeversuch von Assads Bruder Rifat in 1984 scheiterte (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 43; Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 95 ff). Die Stabilität von Hafis al-Assads Regime zeigte sich nach seinem Tod am 10.6.2000, als das Präsidentenamt ohne erkennbaren Widerstand auf seinen Sohn Baschar übertragen wurde (Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, 43; unter dem Gesichtspunkt der Herrschaftskontinuität dazu Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 5 Ein Augenarzt als Feldherr: Baschar al-Assad und die Streitkräfte, S. 152 ff).

Die syrische Bevölkerung unterlag mehr als 40 Jahre dem despotischen, autoritären Charakter der Assad-Herrschaft (Zein, Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen, APuZ 8/2013, 17). Opposition war verboten und Individuen blieb in der allmächtigen und totalitären Staatsmaschine die Partizipation in der Politik verwehrt. Der sog. „Damaszener Frühling“ von September 2000 bis Herbst 2001 endete mit Verhaftungswellen und Schließung der Debattierclubs; zu den „Salonteilnehmern und Organisatoren, die später inhaftiert wurden, gehörten unter anderem der Journalist Michel Kilo, der Unternehmer Riad Seif, der ehemalige Parlamentarier Mamun al-Homsi und der Ökonom Aref Dalia“ (Zein, Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen, APuZ 8/2013, 18).

Syrien galt als einer der repressivsten Staaten in der Region. Durch die enge Verknüpfung der politischen Ordnung des Staates und seiner Symbolik mit der Herrschaft einer bestimmten politischen Gruppe bzw. einzelner Personen schien es aus der Sicht der Opposition kaum möglich, das Regime zu stürzen und die Verfassungsordnung lediglich zu reformieren, weshalb sich der Konflikt zu einem grundsätzlichen Konflikt über die politische Ordnung entwickelte. Die Hoffnungen des kurzen „Damaszener Frühlings“ wurden schnell enttäuscht (Schumann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013, 48). Nach dessen Machtübernahme kam es zwar zu einer gewissen politischen Öffnung, doch blieb der politische Raum eng begrenzt: nach wie vor gab es keine kompetitiven Wahlen, keine Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit, nach wie vor verschwanden Oppositionelle regelmäßig im Gefängnis, war die Muslimbruderschaft verboten und die Mitgliedschaft mit dem Tode bedroht, und ganze Volksgruppen, insbesondere die Kurden, diskriminiert und die von ihnen bewohnten Regionen entwicklungspolitisch vernachlässigt. Das Regime versuchte, die Proteste durch eine Kombination von vagen Reformversprechen und massivem Gewalteinsatz einzudämmen. Am Karfreitag 2011 starben Hunderte Demonstranten, als das Regime Scharfschützen einsetzte. Zur Unterdrückung der Proteste griff das Regime zunehmend auch auf das Militär zurück. Die Belagerung von Städten, Massenverhaftungen und Folter sollten die zivile Protestbewegung gewaltsam ersticken (Asseburg, Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten, APuZ 8/2013, 12).

Rund neun Monate lang reagierte das syrische Regime auf die gewaltlos demonstrierende Bevölkerung mit brutaler Gewalt und unter Einsatz der Armee und Sicherheitskräften: beginnend mit Razzien, Verfolgungen, Inhaftierungen bis hin zu Vertreibungen, Bombardierungen von Städten und Dörfern, sowie Bestrafungen aufständischer Städte durch das Abschalten von Strom- und Wasserversorgung oder Lieferstopps von Öl, Gas, Mehl und anderen Grundnahrungsmitteln. In diesem derart asymmetrischen Machtverhältnis zwischen den Aufständischen und dem Regime sah die Mehrheit der Opposition die Bewaffnung und die Aufgabe des gewaltfreien Widerstands als logische Konsequenz (Zein, Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen, APuZ 8/2013, 18).

Zum Fanal wurde erst die Verhaftung von 15 Kindern und Jugendlichen in der Provinzstadt Deraa, die regimekritische Parolen an eine Mauer gemalt hatten. Nicht nur wurden die jungen Menschen in Haft gefoltert, auch wurden die Demonstrierenden, die ihre Freilassung forderten, vom Gouverneur des Bezirks verhöhnt und kamen unter Beschuss durch die Sicherheitskräfte (Asseburg, Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten, APuZ 8/2013, 11; Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 1 Reflexe des Systems - Der Aufstand in Deraa und seine Folgen, S. 17 ff).

Zunächst waren die Demonstrationen über Monate hinweg friedlich oder zumindest gewaltarm geblieben. Der Einsatz des Militärs zur Unterdrückung der Proteste leitete diesbezüglich jedoch eine Wende ein. Aufgrund des Schießbefehls gegen die Demonstrierenden - so schoss in Daraa die berüchtigte 4. Division von Baschars al-Assads Bruder Maher al-Assad auf friedliche Demonstranten (Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 57) - sahen sich syrische Soldaten, darunter Wehrpflichtige, in Gewissenskonflikten, denen sie zunehmend mit Desertion und Überlaufen zur Opposition begegneten. Der von einer Gruppe von Deserteuren gegründeten FSA- Freie Syrische Armee - schlossen sich rasch weitere Überläufer und Zivilisten an. Von ihr wurde bald erwartet, nicht nur Demonstrationen und Beerdigungsprozessionen, sondern ganze Stadtviertel gegen Racheakte der Armee und der Shabiha, der vom Regime eingesetzten paramilitärischen Milizen, zu schützen. In dem sich rasch zuspitzenden Machtkampf reagierte das Regime auf die Erfolge der Rebellen mit einer Ausweitung der Gewaltanwendung und dem massiven Beschuss deren Stadtviertel durch schwere Artillerie. Im Hochsommer 2012 begann das Regime auch die Luftwaffe einzusetzen und Stadtviertel in der Hand der Rebellen mit Raketen zu beschießen und durch Kampfjets zu bombardieren. Sowohl das syrische Regime als auch die Rebellen sahen sich zunehmend nicht nur in einer Auseinandersetzung um die politische Macht, sondern im Kampf um ihr physisches Überleben (Asseburg, Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten, APuZ 8/2013, 13).

Die Haltung von Präsident Baschar al-Assad und seiner Getreuen, die das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte von Beginn an kategorisch leugneten und den Widerstand als islamistischen Terror diskreditierten, entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit (Gerlach / Metzger, Wie unser Bild vom Krieg entsteht, APuZ 8/2013, 3; Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 12; Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 14 Tashbih oder: Was ist das syrische Regime?, S. 355 ff sowie S. 59 ff im Vergleich mit dem Daish-Regime).

Im Januar 2012 bezichtigte sich ein gewisser Abu Muhammad al-Golani mehrerer Bombenanschläge auf Gebäude staatlicher Geheimdienste in Aleppo und Damaskus und rief im Namen der Dschabhat al-Nusra zum Dschihad gegen das Assad-Regime auf. Manche Beobachter wie der „Spiegel“-Journalist Christoph Reuter zweifeln daran. Dessen Recherchen zufolge waren die Anschläge von der Regierung selbst inszeniert und Dschabhat al-Nusra ein von den Geheimdiensten mit dem Ziel in die Welt gesetztes Gespenst, die Angehörigen der verängstigten religiösen Minderheiten auf Assad als ihren Beschützer einzuschwören. Unter Oppositionellen kursierte schon zu Beginn des Aufstands die Vermutung, dass das Regime seine Kontakte zu al-Quaida-Veteranen nutzte, um durch sie die friedlichen Proteste zu unterwandern und als terroristische Verschwörung darstellen zu können (Gerlach / Metzger, Wie unser Bild vom Krieg entsteht, APuZ 8/2013, 9; Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 11; Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 81 ff.).

Militärische Erfolge der Rebellen beantwortete das Regime mit einer Politik der verbrannten Erde. Ganze Landstriche sind weitgehend entvölkert, ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht worden. Die UN bezifferte die Zahl der Todesopfer Ende 2012 mit 60000; hinzu kommen Zehntausende von Verhafteten und Vermissten (Asseburg, Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten, APuZ 8/2013, 14).

Vor allem islamistisch geprägte Brigaden verweigerten sich der FSA und führten Operationen auf eigene Rechnung durch. Der Anteil der Kämpfer mit salafistischer bzw. dschihadistischer Orientierung stieg an und vermehrt sickerten ausländische Kämpfer nach Syrien ein. Zunehmend kam es auch auf Seiten der Aufständischen zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Eine steigende Konfessionalisierung des Konflikts wurde durch das Regime ebenso gefördert wie durch die externen Sponsoren der Rebellen (dazu Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 7 - 10, 12). Immer offener wurden die Konfliktparteien durch externe Akteure unterstützt, so dass die Auseinandersetzung über den internen Machtkampf hinaus den Charakter eines Stellvertreterkrieges bekam (Asseburg, Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten, APuZ 8/2013, 15; Zein, Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen, APuZ 8/2013, 22).

Die politische Macht ist vollends in den Familienclan des Präsidenten und die Geheimdienste (zu diesen Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 365 - 373) übergegangen. Selbst die Minister im Kabinett von Präsident Baschar al-Assad stehen faktisch unter Hausarrest und strikter Überwachung aus Furcht vor Desertionen (Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 55; dazu auch Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, Kapitel 6 Das Sterben der Paladine, S. 169 ff). Unter Baschar al-Assad schrumpfte die politische Rolle der Baath-Partei immer weiter zusammen. Sie blieb zwar weiterhin eine „Loyalitätenschmiede“, doch schwand ihr Einfluss angesichts der Kontraktion des Regimes auf alawitische Familienkreise, den Elite-Militärapparat und die Geheimdienste (Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 57, 62). In der Realität ist kaum noch etwas vom syrischen politischen System oder von den ideologischen Grundpfeilern des Regimes übriggeblieben. Eine politische Kernschmelze ist eingetreten, die als Nukleus lediglich den militärischen Machterhalt eines Diktators, der seine eigene arabische Bevölkerung foltert und tötet „wie kaum ein anderer“, der herrschenden Familienclans und deren Profiteuren übrig lässt und bei einem Scheitern die weitgehende Zerstörung des Landes nach sich zieht (Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, 58). Drei Erscheinungsformen des Regimes - Regierung, militärischer Komplex, kriminelle Organisation - überschneiden und überlagern sich teilweise. Personen, aus denen sich der Kern des Regimes zusammensetzt, finden sich in der Schnittmenge. Bei ihnen laufen die verschiedenen Apparate und Systeme zusammen und sie entscheiden letztendlich darüber, welche Erscheinungsformen das Regime in der jeweiligen Situation annimmt (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 363 f). Das Regime der Assads beherrschte Syrien mit der impliziten Drohung eines blutigen Krieges zwischen den Konfessionen, mit der fortwährenden Angst der Bevölkerung vor den „Übertreibungen“ des Sicherheitsapparates, die in Wahrheit elementarer Bestandteil des Systems waren. Angst und alltägliche Erpressung, Korruption, Folter, exzessive Gewalt einschließlich Mordanschlägen auf eigene Offiziere und ein doppeltes Spiel mit den Dschihadisten hielten das System der Macht zusammen (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 375 f).

Die direkte Beteiligung der Bündnispartner Assads - des Iran mit seiner libanesischen Hisbollah-Miliz und Russland mit seinem Militäreinsatz - sowie die Bildung eines internationalen Bündnisses unter Führung der Vereinigten Staaten gegen die islamistische Terrorgruppe "IS" machte aus dem Kampf innerhalb Syriens einen regionalen Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran auf der einen und dem sunnitischen Saudi-Arabien mit seinen Verbündeten Türkei und (bislang) Katar auf der anderen Seite. Seit Beginn des Krieges wurden 400.000 Menschen getötet und die Hälfte der Bevölkerung zur Flucht gezwungen. Rund 11,8 Millionen Syrer sind auf der Flucht, davon 7 Millionen innerhalb Syriens; mindestens 4,8 Millionen Flüchtlinge hat UNHCR bisher in den Nachbarländern Jordanien, Libanon, Irak, Türkei und Nordafrika registriert (UNO - Flüchtlingshilfe, Zahlen und Fakten 2015). Die syrische Regierung hatte die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebietes verloren. Im Osten wurden nach wie vor weite Teile des besiedelten Gebietes durch den sog. Islamischen Staat - IS - kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen kontrolliert und der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten des Landes hat sich selbst zur föderalen Provinz erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Latakia und mit Abstrichen auch Aleppo) werden mittlerweile bis auf wenige Gebiete (wieder) vom Regime kontrolliert (Deutsches Orient-Institut an Hess. VGH vom 01.02.2017).

Die Lage in Syrien hat sich in einen Wettstreit der Gewalttäter um Macht, Geld und Köpfe entwickelt, in dem sich behauptet, wer mit Unterstützung aus dem Ausland bereit war, mit maximaler Rücksichtslosigkeit auf dem Schlachtfeld zu agieren oder wer die lokale Bevölkerung zu mobilisieren vermochte. Die Tatsache, dass die Unterstützung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung war, bestärkte die Logik, wonach Zivilisten nicht zu schonen, sondern gezielt zu bekämpfen sind. Insbesondere für das syrische Regime gilt die Formel: Es gibt keine Zivilisten, sondern nur aktive oder potentielle Unterstützer einer Konfliktpartei (Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 7). Das erklärte Ziel des syrischen Regimes neben seinen Gebietsansprüchen ist das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime alle anderen Sekundärziele unter und nahm zu ihrer Verteidigung nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf (Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 9). Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen sind nicht nur ein Kollateralschaden, den die Kriegsparteien skrupellos in Kauf nehmen, sondern sie zählen zu ihren Kriegszielen. Spätestens seit 2012 ist zu beobachten, dass die Streitkräfte des Regimes systematisch schwere Waffen gegen Wohngebiete einsetzen, zum Teil auch geächtete Kampfstoffe. Die Bevölkerung gerät nicht nur in Mitleidenschaft, sondern wird zum Teil nicht nur aus militärischen, sondern auch aus demografischen Gründen vorsätzlich angegriffen (Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 13). Es liegt auf der Hand, dass das Regime den Exodus vorwiegend sunnitischer Syrer in die Nachbarländer im Kontext einer mit Gewalt betriebenen Veränderung der Konfessionsverhältnisse sieht. Wer als Flüchtling die Grenze passiert und sich vom Hilfswerk UNHCR registrieren lässt, verwirkt dadurch de facto sein Rückkehrrecht nach Syrien, unter Umständen sogar seine Staatsbürgerschaft. Dadurch kann das Regime den Konfessionsproporz verändern. Ein für das Überleben des Regimes günstiges Szenario setzt sich aus drei Aspekten dieser Massenflucht zusammen: aufständische Gebiete werden entvölkert, Gegenden mit heterogener ethnisch-konfessioneller Struktur werden homogenisiert und der Wiederaufbau folgt einer politisch-konfessionell motivierten Vergabe von Bau- und Wohnungszulassungen. Das syrische Regime betreibt diese ethnisch-konfessionelle Vertreibungspolitik in besonders drastischer Weise, bestreitet dies aber natürlich (Gerlach, Was in Syrien geschieht, APuZ 8/2016, 13). Selbst bei den ausländischen Unterstützern Russland und Iran gelten jegliche Oppositionelle als „Terroristen“ und „Extremisten“ und damit als Ziel ihrer Militäraktionen zur Unterstützung Assads (Geranmayeh / Liik, Echte Partner oder arrangierte Ehe?, IP - Die Zeitschrift, Januar/Februar 2017, „Gemeinsam für Assad“).

Je mehr das syrische Regime somit im Zuge der Bürgerbewegungen des sog. „arabischen Frühlings“ in Bedrängnis geriet und sich destabilisierenden Tendenzen ausgesetzt wähnte, desto stärker und rücksichtloser setzte das Regime alles daran, seine Macht zu erhalten und ging in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität vor.

Stellt sich mithin das Verhalten des Regimes als konsequente Fortführung und Intensivierung seiner bisherigen Unterdrückungspraxis dar, so ist zwar eine jedenfalls quantitative Intensivierung der gegen die politische Überzeugung Andersdenkender ergriffenen Verfolgungsmaßnahmen zu konstatieren, ohne dass indes ein Anhalt für einen Paradigmenwechsel des Regimes gegeben wäre. Demzufolge lässt sich der sich seit 2011 entwickelnde Bürgerkrieg nicht als eine generelle Zäsur begreifen, der einen Rückgriff auf die vorangehende syrische Geschichte und eine Fortschreibung der bis dahin bestehenden Erkenntnislage ausschlösse.

Übereinstimmend wird in den Erkenntnismitteln davon berichtet, dass Folter, Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen und Verschwindenlassen stets zu den gängigen Praktiken der syrischen Sicherheitsorgane gehören. Hiervon sind unmittelbar nicht nur Regimekritiker oder Regimegegner betroffen, sondern im Sinn einer sog. Reflexverfolgung auch Unbeteiligte, die als Geiseln genommen werden und von denen Informationen erpresst werden sollen, namentlich sind in beträchtlichem Ausmaß auch Familienangehörige, selbst kleinere Kinder betroffen. Ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen sowie Städte, Stadtteile oder Dörfer werden zum Ziel von Verfolgungsaktionen. Die Dynamik der Reflexverfolgung stellt eine entscheidende Charakteristik des Konflikts dar(vgl. etwa SFH, „Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.01.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung“ m.w.N; BFA S. 27; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ 4. Fassung vom November 2015, Fn. 74). Insbesondere nach der bereits angesprochenen Dokumentation von amnesty international („It breaks the human“ von 2016; vgl. auch den Report Syrien 2016/2017, S. 6 f.) sind mindestens 17.723 Personen zwischen den Jahren 2011 und 2015 in Haft auf abscheuliche Weise getötet worden, wobei nachvollziehbar davon ausgegangen wird, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist, weshalb die Zahl erheblich höher angenommen werden muss. In - abstoßender Weise - beeindruckend ist die Dokumentation von Human Rights Watch („If the Dead Could Speak – Mass Deaths and Torture in Syria’s Facilities“ vom 16. Dezember 2015) mit einer Vielzahl der 53.275 sog. „Caesar“-Fotos, die im August 2013 von einem Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt worden waren. Human Rights Watch erhielt alle Bilder von der Syrischen Nationalbewegung, einer regierungskritischen, politischen Gruppe, die die Fotos direkt von „Caesar“ bekommen hatte. Der Bericht konzentriert sich auf 28.707 dieser Fotos, die allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene zeigen, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben sind. Die restlichen Fotos zeigen Orte, an denen Angriffe verübt wurden, oder Leichen, die namentlich identifiziert sind, darunter überwiegend Regierungssoldaten, bewaffnete Kämpfer und bei Angriffen, Explosionen oder Attentaten getötete Zivilisten. Die Dokumentation belegt die gezielte physische Vernichtung von Menschen in syrischen Gefängnissen durch Assads System der Folter, die Routine des Mordens, den Zynismus der Folternden, von physischen und psychischen Qualen unvorstellbarer Art (vgl. HessVGH, Urteil vom 6.6.2017 – 3 A 3040/16.A -, juris Rn. 37; Walberer, Jenseits der Zivilisation, zenith 04/2017, Syrien, S. 88 f über Mustafa Khalifa, THE SHELL, 2016 betr. Militärgefängnis Tadmor).

Das U.S. State Department berichtet („Country Report on Human Rights Practices Syria 2016“, vgl. auch schon den entsprechenden Bericht für das Jahr 2015) ausführlich und umfassend über - weiter zunehmende - schwerste Menschenrechtsverstöße in Syrien. Willkürliche und extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen von Personen jeder Herkunft und ungeachtet des konkreten Hintergrundes (auch von Familienangehörigen) sind hiernach an der Tagesordnung. Hervorgehoben werden die weit verbreiteten sexuellen Erniedrigungen bis zu Vergewaltigungen (von Frauen wie Männern), die zu gängigen Praktiken geworden sind, um die Opfer zu brechen und aussagebereit zu machen. Dieses findet nicht nur in eigentlichen Gefängnissen statt, sondern auch in gleichem Maße in sonstigen Gewahrsams- und Verhörzentren der Geheimdienste, aber auch von militärischen Verbänden, wie v.a. der Luftwaffe (vgl. auch SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 26.10.2015: Geheimdienst; BFA S. 17).

Der vom Hessischen Verwaltungsgerichtshofeingeholten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (zit. nach VGH Kassel, Urteil vom 6.6.2017 - 3 A 3040/16.A, juris Rn. 38), ist zu entnehmen dass

"..es zu systematischer Anwendung von Gewalt oder Folter durch die syrischen Sicherheitskräfte kommt. Bereits vor 2011 "verschwanden" in Syrien regelmäßig Personen, die als Oppositionelle, mutmaßliche Agenten oder anderweitig vermeintlich gegen den Staat agierende Personen eingestuft wurden. ...

Im Rahmen der Entwicklungen seit 2011 haben solche Berichte eher zu, denn abgenommen. Befragungen, Inhaftierungen mit oder ohne Anklage, Folter, bis hin zu Exekutionen verfolgen ein klares Freund-Feind-Schema und werden gezielt gegen vermeintliche Oppositionelle angewendet."

Auch nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016 ist davon auszugehen, dass der syrische Staat mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner vorgeht und dabei - etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 - Opfer unter der Zivilbevölkerung uneingeschränkt in Kauf nimmt.

Bereits einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …
Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …
Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …
Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …
Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …
Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …
Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …
Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …
Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. ...
Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen.“

Die im Jahr 2014 und wohl auch in den Jahren 2015 und 2016 verkündeten Amnestien, die erkennbar auch darauf abzielten, die Zahl der Rekrutierungen zu erhöhen, wurden immer davon abhängig gemacht, dass sich die Betreffenden innerhalb einer bestimmten Frist stellten, weshalb diese für die hier interessierenden Fragestellungen nicht relevant sind (vgl. SFH, „Umsetzung der Amnestien“ vom 14.04.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 12 f.; Accord vom 22.07.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 19; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24).

Das hohe Verfolgungsinteresse des syrischen Staates an jedweder Opposition wird durch eine weitreichende Beobachtung von oppositionsverdächtigen Syrern durch den syrischen Geheimdienst im Ausland bestätigt. So verfügen die syrischen Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz, mit dem die im Ausland lebenden Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des sog. "Arabischen Frühlings" hat sich nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität der syrischen Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. Der Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern stellt insoweit fest, dass die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkrieges und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen verfügten. Ihr Aufgabenschwerpunkt sei die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählten. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus den Verfassungsschutzberichten der Länder (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 6.6.2017 - 3 A 3040/16.A -, juris Rn. 41 ff). Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesministeriums des Innern geht von einer weiteren Zunahme der Aufklärungstätigkeit syrischer Dienste insbesondere gegen „Menschenrechtsaktivisten“ und „die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition“ aus, die ausweislich des Verfassungsschutzberichts neben islamistischen und islamistisch-terroristischen Gruppierungen als „Gegner des syrischen Regimes“ geheimdienstlicher Verfolgung ausgesetzt sind:

„Der Aufgabenschwerpunkt syrischer Nachrichtendienste im Ausland ist die Ausforschung der Gegner des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch Menschenrechtsaktivisten und die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.
Durch erfolgreiche Maßnahmen der Spionageabwehr und strafrechtliche Ermittlungen von Polizei und Generalbundesanwalt sowie durch die Verurteilung syrischer Agenten und Ausweisung syrischer Diplomaten sind die syrischen Dienste seit 2012 in ihren Aktivitäten in Deutschland erheblich geschwächt.
Der Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Deutschland bietet den syrischen Diensten die Möglichkeit, sich zu konsolidieren. Sie nutzen den Zustrom, um in Deutschland neue Strukturen und Agentennetze zu etablieren. Im Vergleich zu 2015 ist die Zahl der Hinweise auf Aufklärungsbemühungen syrischer Dienste im Flüchtlingsumfeld deutlich gestiegen.
Sollte es dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gelingen, seine Machtposition weiter zu festigen, ist in Deutschland als Hauptaufnahmeland syrischer Flüchtlinge mit einem weiteren Anstieg nachrichtendienstlicher Aufklärungsaktivitäten syrischer Dienste zu rechnen.“

Angesichts dessen erscheinen syrische Männer im kriegsdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr den Sicherheitskräften wegen des Verdachts der Kriegsdienstentziehung typischerweise verdächtig, jedenfalls nicht verlässlich zum Regime zu stehen oder diesem sogar distanziert oder abgeneigt gegenüber zu stehen, und sind deshalb den auf die Unterdrückung oppositioneller Einstellungen und Verhaltensweisen abzielenden repressiven Maßnahmen des Regimes in besonders exponierter Weise ausgesetzt und haben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Misshandlungen und Folter auch bis zum Tod durch syrische Sicherheitskräfte zu rechnen.

Es ist davon auszugehen, dass syrische Staatsangehörige bei einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt werden. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob sie von den Behörden gesucht werden. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob ein Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.01.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, vom 30.07.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist (BayVGH, Urteil vom 14.02.2017 – 21 B 16.31001 -, juris Rn. 54).

So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahme mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016). Zudem gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Auch weitere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, gerade auch dann, wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben. So wird die Gruppe wehrpflichtiger Männer als besonders gefährdet angesehen: „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; BFA S. 27; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 13).

Auch das Auswärtige Amt bejaht den Zusammenhang zwischen Verfolgungsmaßnahmen und Kriegsdienstentziehung: Dort lagen zwar keine Erkenntnisse vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (Auswärtiges Amt an das Schleswig-Holsteinische OVG vom 07.11.2016; Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017, Az.: 508-9-516.80/48840). Dem Auswärtigen Amt sind aber Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (Deutsche Botschaft Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016).

Die Wahrscheinlichkeit, den genannten Foltermaßnahmen unterworfen zu werden, ist bereits deshalb groß, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, schon nach äußerlichen Kriterien vorgenommen werden kann, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen wie aber auch an einer der angesprochenen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015; BFA S. 24).

Schon bei der ersten Befragung ist nach den obigen Ausführungen mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass alle Einreisenden ausnahmslos betroffen sein werden (vgl. Deutsches Orient Institut vom 01.02.2017 an Hess.VGH), ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit unerheblich. Der Umstand, dass der hier infrage kommende Personenkreis infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane gekommen ist, führt dazu, dass er auch in hervorgehobenem Maße gefährdet ist, wovon insbesondere UNHCR ausgeht (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.). Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in Fahndungslisten aufgenommen werden, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung in hohem Maße wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; BFA S. 24; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Auch nach UNHCR („Illegal Exit“, S. 4) umfasst die Kontrolle bei den Einreisen regelmäßig eine Prüfung, ob die Betreffenden mit der entsprechenden Erlaubnis ausgereist waren. Ferner existieren mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (BFA, S. 22 ff.; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 9; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 6). Um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; BFH S. 23). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).

Die Kontrollstellen im Landesinneren wie auch die Durchführung der Kontrollen an den Grenzübergangsstellen belegen die tatsächliche Gefahr auch für syrische Staatsangehörige, die bislang noch keinen Einberufungsbescheid erhalten haben, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu werden. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob sie von den Behörden gesucht werden. (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.01.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“ vom 30.7.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

Die Ermittlungsabteilung (Research Direcorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, dass Sicherheitsbeamte am Flughafen und anderen Grenzübergängen eine „carte blanche“ hätten, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Wenn ein Sicherheitsbeamter jemanden verdächtige, nähmen sie ihn möglicherweise sofort mit. In diesem Fall könne die Person verschwinden oder gefoltert werden. Das System sei sehr unberechenbar, Rechtsbehelfe gegen die Misshandlungen der Grenzbeamten gebe es nicht. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (so ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford - emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015; sowie der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ - Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015). Der emeritierte Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (telefonische Befragung am 11.12.2015) beschrieb Männer im wehrpflichtigen Alter als die „meist gefährdete“ Gruppe in Bezug auf die Behandlung seitens der syrischen Behörden an den Eingangshäfen, „besonders wenn sie niemals im Militär gedient haben“. Eine Programmbeauftragte (program officer) am Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die sich spezialisiert hat auf humanitäre und Flüchtlingsthemen in Syrien und im Irak, äußerte in einem Telefoninterview am 11. Dezember 2015, dass junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbeamten „besonders verfolgt“ werden und „allseits der Zwangswehrpflicht unterstellt seien“, auch wenn sie ihren Militärdienst schon abgeleistet hätten (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.01.2016, S. 8f., zit. nach BayVGH, Urteil vom 14.02.2017 – 21 B 16.31001 -, juris Rn. 56).

Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich feststellen, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung eines Wehrdienstentzugs auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen. Dabei droht einem Reservisten, der sich bereits vor seiner Einberufung durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen hat, im Falle seiner Rückkehr über eine staatliche Kontrollstelle von den syrischen Sicherheitskräften in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter (BayVGH; Urteil vom 12.12.2016 – 21 B 16.30372 – juris). Dies gilt umso mehr für Reservisten, für die bereits ein Einberufungsbefehl vorliegt. Jedenfalls wird der Umstand einer Einberufung im Computersystem erfasst und ist bei den Einreisekontrollen abrufbar. Männer, die einem Einberufungsbefehl nicht gefolgt sind, sondern sich durch Flucht ins Ausland dem Militäreinsatz entzogen haben, dürften aus Sicht der syrischen Machthaber ein noch gewichtigeres illoyales, oppositionelles und den drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderlaufendes Verhalten gezeigt haben als diejenigen, die sich bereits vor einer drohenden Einberufung dem Militärdienst durch Flucht entzogen haben (BayVGH, Urteil vom 14.02.2017 – 21 B 16.31001 -, juris Rn. 90). Aber auch wenn eine erneute Einberufung des Reservisten vor der Ausreise noch nicht erfolgt war, steht dies der Annahme, er werde im Fall seiner Rückkehr als Kriegsdienstentzieher angesehen, nicht entgegen (VGH Kassel, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A, juris Rn. 55 ff). Das Auswärtige Amt teilt in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 02.01.2017 mit, dass Berichten zufolge ein Wehrdienstentzug durch "illegale" Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden könne. Dies bestätigt auch die Auskunft des UNHCR (aktuelle Herkunftslandinformation vom Februar 2017 in Ergänzung der Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen - 4. Fassung), wonach eine Wehrdienstentziehung auch "präventiv" erfolgen könne, indem die betreffende Person noch vor Eintreffen des eigentlichen Erfassungs- oder Einberufungsbefehls handelt und z.B. das Land verlässt:

"Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 42 benötigen für eine legale Ausreise eine Genehmigung des Rekrutierungsamtes. Gemäß Informationen, die UNHCR zur Verfügung stehen, trifft dies in der Praxis auch auf Personen zu, die (etwa aus medizinischen Gründen) vom Militärdienst befreit wurden oder deren Militärdienst (wie etwa bei Studenten) aufgeschoben wurde. Nach Ende der Aufschubfrist wird erwartet, dass diese Personen zurückkehren, um Militärdienst zu leisten. Sofern sie nicht wie vorgesehen zurückkehren, gelten sie, wie aus Berichten hervorgeht, als Wehrdienstentzieher."

Der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 17. November 2016 an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein ist ebenfalls zu entnehmen, dass dann, wenn die Ausreise unter anderem dem Zweck diente, sich dem Wehrdienst zu entziehen (durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber auch oft Folter, zur Folge habe.

Eine realitätsnahe Bewertung des Charakters des gegenwärtigen syrischen Regimes und seiner bereits vorstehend eingehend beschriebenen Handlungen und Aktivitäten gegenüber seiner Bevölkerung lässt keine andere Deutung zu, als dass diese nach der allein maßgeblichen, im Sinn „objektiver Gerichtetheit“ auf die erkennbaren Ziele des Regimes und nicht auf die subjektiven Motive der im Einzelfall handelnden Akteure abstellenden Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal jedenfalls im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anknüpfen, wodurch die erforderliche Verbindung im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG gegeben ist. Das Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte gegenüber Kriegsdienstentziehern entspricht dem allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen, Oppositionsbewegungen zu unterstützen, was belegt, dass militärdienstpflichtige Personen (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich im Bürgerkrieg nicht den Regierungstruppen zur Verfügung gestellt, sondern durch Flucht ins Ausland ihren staatsbürgerlichen Pflichten entzogen haben, aus Sicht des syrischen Regimes als oppositionell eingestuft werden. Dementsprechend ist den Ausführungen des UNHCR in seiner Herkunftslandinformation vom Februar 2017 in Ergänzung der Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen zu entnehmen, dass die Regierung Wehrdienstentziehung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung betrachtet, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen vorgeblich "terroristische" Bedrohungen zu schützen. Flüchtlinge, die sich zur Vermeidung ihrer Heranziehung zum Kriegsdienst ins westliche Ausland absetzen und Flüchtlingsschutz beantragen, manifestieren damit aus Sicht des Regimes in besonderem Maße eine Abkehr vom gegenwärtig herrschenden politischen System in Syrien und bringen eine Loyalitäts- und Unterstützungsverweigerung zum Ausdruck, weshalb das Regime bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft ausgeht und durch deren Verfolgung wegen der ihnen zugeschriebenen politischen Überzeugung auch Zeichen setzt, um Zweifler bei der Stange zu halten, potentielle Oppositionelle einzuschüchtern und insbesondere auch Kriegsdienstpflichtige zu regimetreuem Verhalten anzuhalten.

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale ergibt sich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen. Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist - wie bereits ausgeführt - unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik (Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert. Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem dargelegten Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. An die (unterstellte) oppositionelle Gesinnung des Rückkehrers knüpft bei seiner Einreise beachtlich wahrscheinlich eine Folterbehandlung an, die der Einschüchterung und Bestrafung für die regimefeindliche Gesinnung dient. Der Rückkehrer soll durch die unmittelbar bei Einreise erfolgende „Sonderbehandlung“ der Folter – neben der flüchtlingsrechtlich im Grundsatz nicht relevanten Zwangsrekrutierung und ggf. erfolgenden Bestrafung wegen eines Wehrdelikts – für seine in der Bürgerkriegssituation politisch unzuverlässige Haltung und die darin zum Ausdruck kommende regimefeindliche Gesinnung eingeschüchtert und bestraft werden. Diese Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte finden ihre Entsprechung und Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die bei den Sicherheitskräften in Verdacht geraten, Oppositionsbewegungen zu unterstützen.

Das Gericht schließt sich der Rechtsprechung des VGH Bad.-Württ. (Urteil vom 28.06.2017 – A 11 S 664/17 -, juris; Urteil vom 14.06.2017 – A 11 S 511/17 -, juris; Urteil vom 02.05.2017 – A 11 S 562/17 -, juris) sowie der grundsätzlich übereinstimmenden Rechtsprechung des BayVGH (Urteil vom 14.02.2017 – 21 B 16.31001 -, juris; Urteil vom 14.02.2017 – 21 B 17.30073 -, juris; Urteil vom 12.12.2016 – 21 B 16.30372 -, juris) und des HessVGH (Urteil vom 06.06.2017 – 3 A 3040/16.A -, juris) an und macht sich deren Ausführungen zu eigen.

Die gegenläufige Auffassung der Beklagten und des OVG Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 21.02.2017 - 2316/16.A -, juris), des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris) wie auch des OVG des Saarlandes (Urteile vom 11.03.2017 - 2 A 215/17 - juris und vom 18.05.2017 - 2 A 176/17 -, juris) trägt dem Charakter des Regimes nicht ausreichend Rechnung.

Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonders abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der Personen, die in die Hände seiner Exekutoren fallen, hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem einen durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. nur beispielhaft die ins Einzelne gehende Darstellung und Auflistung der General Assembly in ihrem „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 02.02.2017 und vom 11.08.2016; vgl. auch Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo - Security Council should impose Sanctions“ vom 13.02.2017; BFA S. 27).

Hinzu kommt schließlich, dass das Regime von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist, das vereinfacht damit beschrieben werden kann, dass „jeder, der nicht für mich ist, gegen mich ist“, jedenfalls solange als er nicht vom Gegenteil überzeugt hat (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an Hess.VGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung). Auch weiterhin (vgl. bereits VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris) ist kein realistisches anderes Erklärungsmuster für das Vorgehen der syrischen Sicherheitsbehörden zu erkennen, als dass hier an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird.

Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, NVwZ 2009, 1035 <1036>). Eine abweichende Einordnung könnte allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Eingriffe ausschließlich die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, fernliegt.

Der Annahme der Gerichtetheit steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie noch in der GFK oder im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 -, NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 -, InfAuslR 1992, 215 [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90] <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6). Sie ist auch inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses - gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils - von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht.

Dieser Schluss drängt sich den syrischen Sicherheitskräften bei Personen, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des Regimes - und vermutlich auch bei objektiver Betrachtungsweise tatsächlich - zur Schwächung des totalitären Machtapparats in seinem Existenzkampf beigetragen hat. Bestehen ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach realistischer Lagebeurteilung keine naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für eine fehlende Gerichtetheit, so ist - auch unter Berücksichtigung der Beweisnot der Betroffenen und der humanitären Zielsetzungen des Flüchtlingsrechts - von der naheliegenden und realistischen Alternative auszugehen. Aussagekräftige verwertbare Erkenntnismittel, die es nahelegen könnten, andere Schlussfolgerungen auch nur in Betracht zu ziehen, existieren nicht; im Gegenteil: Das angesprochene „Freund-Feind-Schema“ ist seither nur noch viel deutlicher zutage getreten.

Hinsichtlich der Verfolgungsgefahr für Reservisten der syrischen Armee unmittelbar bei einer Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt, während dessen um internationalen Schutz nachgesucht wurde, gilt überdies: Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion vermutlich mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Diese Feststellung schließt aber die Annahme einer gerichteten Verfolgung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, NVwZ 1982, 41 [BVerwG 03.03.1981 - BVerwG 9 C 6/80]; vom 28.02.1984 - 9 C 81.81 -, InfAuslR 1985, 22; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83 -, NVWZ 1986, 459), begründet die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung für sich genommen zwar noch nicht ohne weiteres die Asylerheblichkeit; für das Unionsrecht gilt nichts anderes (vgl. Marx. a.a.O., S. 73 ff. und EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - <Shepherd> NVwZ 2015, 575 Rn. 35). Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sowie die menschrechtswidrige Art und Weise ihrer Umsetzung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.

Insoweit ist gerade im Falle des totalitären syrischen Regimes nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung des Wehrdienstentzugs auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen.

Bei dem syrischen Regime handelt es sich seit Jahrzehnten um ein menschenverachtendes diktatorisches System, das sich stets mit allen Mitteln behaupten will (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 -, juris). Die Mobilisierung und Rekrutierung der syrischen Land- und Luftstreitkräfte erfolgen gerade nicht zu dem Zweck, einen kriegerischen Konflikt mit einem auswärtigen dritten Staat auszutragen und zu ermöglichen, sie dienen vielmehr stets der Bekämpfung aller oppositionellen Gruppierungen und Strömungen im eigenen Land. Wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich – insbesondere trotz des bekanntermaßen aktuell großen Personalbedarfs in der syrischen Armee und zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - seiner Wehrpflicht entzieht, manifestiert damit aus der Sicht des Regimes nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise, auch wenn eine solche im Einzelfall möglicherweise gar nicht gegeben sein sollte.

Die Drohungen des Generalmajors respektive Brigadegenerals der Republikanischen Garden Issam Zahreddine „Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen.“ sowie „Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!“ sind als klare Drohung an syrische Flüchtlinge verstanden worden (spiegel online, Assads Top-General droht Flüchtlingen, 11.09.2017). Der Generalmajor war Kommandeur der 104. Luftlandebrigade der republikanischen Garde, die als Eliteeinheit im Kampfverband des syrischen Präsidenten gilt (https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/59211-al-assads-wichtigster-general-issam-zahreddine/; Auskunft Deutsches Orient-Institut, vom 29.11.2017 zu VG Freiburg – A 3 K 3579/16 -). Der vom Regime innenpolitisch als Kriegsheld herausgestellte Druse Issam Zahreddine entstammte aus den Reihen der republikanischen Garden, zählte wohl jedenfalls im Sommer 2014 noch zu den vier mächtigsten Militärs des Regimes und gehörte dem militärischen Oberkommando an (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 322 f, 369). Die Republikanische Garde, in deren Leitung Präsident Baschar al-Assad nach 1997 seine militärische Laufbahn verbrachte, wird oft als „Schock- oder Elitetruppe“ bezeichnet und ist zugleich „eine Art Hauseinheit des Präsidentenclans“ (so Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 150). Vor dem Hintergrund der bereits erörterten historisch gewachsenen und anhaltenden Symbiose von Armee und Politik (Schuhmann / Jud, Staatliche Ordnung und politische Identitäten in Syrien, APuZ 8/2013, S. 47; Lange, Syrien: Ein historischer Überblick, APuZ 8/2013, S. 41 ff) und einer unter Baschar al-Assad beobachteten Verlagerung der zentralisierten Macht vom Präsidenten in Richtung Sicherheitsapparate und zu den Eliteeinheiten des Militärs (Wieland, Das politische-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, S. 61 f.) ist es nicht überzeugend, die Drohungen des zur Führungselite des Regimes zählenden hochrangigen Militärs mit soldatischem „Kampfeseifer“ - wohl als emotionale geprägte Überreaktion - zu erklären und als Äußerung „einzelner militärischer Befehlshaber“ (Nds. OVG, Beschluss vom 12.09.2017 – 2 LB 750/17 -, www.rechtsprechung.niedersachsen.de, Rn. 104) abzutun. Angesichts der herausgehobenen Position des Issam Zahreddine und der infolge dieser Karriere anzunehmenden intellektuellen Befähigungen, die ihm das Erreichen einer führenden Position in einem despotischen Regime ermöglichten, ist diese nicht näher begründete Annahme nicht plausibel (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 372 f). Welche „höherrangigen Vertreter“ des Regimes durch ihre Äußerungen glaubhaft belegt haben sollen, dass Issam Zahreddine „nicht repräsentativ für das Regime spricht“ (so Nds. OVG, a. a. O.) ist mangels näherer Angaben nicht nachvollziehbar (Auskunft Deutsches Orient-Institut, v. 29.11.2017 zu VG Freiburg – A 3 K 3579/16 -: „liegen von offizieller Seite keine Stellungnahmen, Bestätigungen oder Dementi vor“). Vor dem Hintergrund der vom Regime als Herrschaftsinstrument zur Erzeugung repressiven Drucks stets geübten und gezielt widersprüchlichen Desinformation (Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 28 ff, 93 ff, 115 ff, 357 ff, 374 ff) in einem auf Spaltung jedweder sozialer Gruppen angelegtem System (, Gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklung Syriens, APuZ 8/2013, S. 54; Wieland, Das politisch-ideologische System Syriens und dessen Zerfall, APuZ 8/2013, S. 56; Zein, Identitäten und Interessen der syrischen Oppositionellen, APuZ 8/2013, S. 17) sind verbale Relativierungen und Dementis kaum glaubhaft und vermögen eine durch die vorangehenden Äußerungen bekräftigte Verfolgungsfurcht von Flüchtlingen nicht zu mindern. Kein geeignetes Auskunftsmittel sind jedenfalls Verlautbarungen, wie die gelegentlich angeführte Aussage des Baschar al-Assads, bei der Mehrheit der Flüchtlinge handele es sich um „gute Syrer“ und Patrioten. Derartige verbale Bekenntnisse gegenüber den internationalen Medien ist das eingerichtete Verhalten des obersten Repräsentanten eines Unrechtsregimes, das hemmungslos und massenhaft die eigenen Staatsangehörigen unterdrückt, foltert und tötet, weshalb ihm jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen ist. Da bereits das vermutete Fehlen uneingeschränkter Solidarität zum Regime zur Annahme potentieller Gegnerschaft führt und Verfolgungsmaßnahmen auslöst, ist auch die Möglichkeit, dass der Staatspräsident neben „Terroristen“ auch „gute Syrer“ unter den Flüchtlingen erkennen will, nicht geeignet, die begründete Verfolgungsfurcht im Einzelfall auszuschließen.

Die von Seiten des syrischen Regimes seit Jahrzehnten systematisch zum Zweck des Erhalts uneingeschränkter Macht eingesetzten Verfolgungspraktiken (§ 3a AsylG) zielen unmittelbar darauf, jeden Anflug oppositionellen Gedankenguts und damit von politischen Überzeugungen i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG zu unterdrücken, so dass aufgrund der Zielgerichtetheit der allgemein praktizierten Vorgehensweise des Regimes eine Verknüpfung i. S. d. § 3a Abs. 3 AsylG außer Frage steht. Die zur Ausschaltung von politischen Überzeugungen eingesetzten brachialen Unterdrückungsmaßnahmen sollen bereits die Bildung oppositionellen Gedankenguts, jedenfalls aber jedwede Äußerung oder anderweitige Betätigung desselben im Keim ersticken. Damit zeigt das syrische Regime eine für despotische Regime typische, nämlich geschichtlichen wie politischen Lebenserfahrungen (zu einer abweichenden „lebensnahen Betrachtung Nds. OVG, B. vom 12.09.2017 – 2 LB 750/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de, Rn. 64 m. w. N.) entsprechende Ausrichtung seiner Unterdrückungspraxis, der es im Sinne eines „dolus directus 1. Grades“ gerade auf die konsequente Ausübung „politischer Verfolgung“ ankommt. Die damit unabweisbare Verknüpfung von Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgrund wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass es in der Verfolgungspraxis der zahlreichen Sicherheitsbehörden und –kräfte auch zur Anwendung „willkürlichen“ Verhaltens kommt, das insbesondere aus der Sicht Außenstehender nicht nachvollziehbar und deshalb wie „von keiner irgendwie gearteten Gerichtetheit“ bestimmt zu sein scheint oder wie ein „wahllos-routiniertes Fischen“ nach verdachtsbegründenden Informationen wirkt (dazu Nds. OVG, Beschluss vom 12.09.2017 – 2 LB 750/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de, Rn. 50 ff; OVG Saarland, Urteil vom 30.11.2017 – 2 A 236/17 -, S. 12 zu Fn. 31), wie es bei der rechtlosen Situation der gewaltunterworfenen Bevölkerung seitens der Sicherheitskräfte auch Handlungen aus Motiven wie „Profitgier oder aus persönlicher Rache“ oder reinem Sadismus geben wird wie typischerweise ebenfalls zumindest auch der persönlichen Befriedigung dienende Vergewaltigungen und anderer sexuell motivierter Übergriffe. Dass derartige „privatnützige“ Motivationen nach der geschichtlichen wie politischen Lebenserfahrung unter den Bedingungen despotischer Verfolgungssysteme bekanntermaßen zu verzeichnen sind und im Einzelfall von einer möglicherweise sogar vorgeschobenen Zuschreibung politischer Überzeugungen kaum zu trennen sein mögen, vom Regime wie unvermeidbare Begleiterscheinungen gewissermaßen als Kollateralschäden hingenommen oder um ihrer zusätzlichen Unterdrückungswirkung willen möglicherweise bewusst in Kauf genommen werden, löst indes nicht die in der Verfolgungspraxis vom Regime gewollte und typischerweise bestehende Verknüpfung zwischen den zielgerichteten Verfolgungshandlungen und der (vermuteten) politischen Überzeugung der Verfolgten auf. Die Beschreibung des Verhaltens von Sicherheitskräften als „wahllos“ und „willkürlich“ beraubt der mit dem Ziel der Unterdrückung (zugeschriebener) politischer Überzeugungen geübten Verfolgungspraxis des Regimes auch nicht deshalb des Zusammenhangs i. S. d. § 3a Abs. 3 AsylG, weil das Regime bei Verfolgungshandlungen gegenüber Kriegsdienstentziehern infolge der Annahme fehlender Regimetreue zugleich die Absicht verfolgt, Kriegsdienstentziehung „im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Streitmacht umgehend und deutlich zu bekämpfen“ wie auch ein „willkürlich-wahlloses“ und „ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund erfolgendes Verhalten“ daraus nicht erkennbar wird (so aber Nds. OVG, Beschluss vom 12.09.2017 – 2 LB 750/17 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de, Rn. 64 ff, 84).

Auch der Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris) wonach die vom UNHCR angegebenen Quellen nicht tragfähig seien, ist nicht zu folgen. Davon, dass die Auskunft des UNHCR ausschließlich von einer eher politisch als rechtlich motivierten Auffassung getragen ist, kann nicht ausgegangen werden. Denn allein die in der Auskunft vom Februar 2017 enthaltene rechtliche Würdigung lässt den Schluss auf eine mangelnde Tragfähigkeit der Argumentation des UNHCR nicht zu. Zudem belegt der UNHCR seine Einschätzung durch mit Schreiben vom 30. Mai 2017 vorgenommene namentliche Benennung seiner Quellen sowie die wörtliche Wiedergabe der Einlassungen der benannten Wissenschaftler (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A, juris Rn. 60 ff). Im Übrigen ist es das syrische Regime, das entsprechend den bekannten Gepflogenheiten diktatorischer und despotischer Herrschaftssysteme jegliche nähere Aufklärung verhindert und auf Propaganda und Manipulation der Medien und der öffentlichen Meinung setzt. So verweigerte das Regime der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Untersuchungskommission, die über Verstöße der Konfliktparteien gegen das Völkerrecht berichtet hat, die Einreise in das Land (Amnesty International, Amnesty Report 2017, S. 2 f.).

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien oftmals nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, steht angesichts des vorgenannten Befundes nicht entgegen. Vielmehr lassen die vorliegenden Erkenntnismittel nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein einer auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung und Vergeltung der (bis zum Beweis des Gegenteils unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (vgl. BayVGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris; Österr. BVwG, Entscheidung vom 22.03.2017 - W221 2134862-1/E; vgl. auch, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend, Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013). Der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, wonach „die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“, eine Verfolgung nicht zu begründen vermögen (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), steht einer kausalen Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung nicht entgegen. Denn bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen geht es nicht aufgrund einer nicht angezeigten rein quantitativen Betrachtungsweise um „allgemeine Lasten und Beschränkungen“, sondern bei qualitativer Bewertung um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung wie auch zugleich zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung. Der syrische Staat stellt in Anbetracht der unbeschreiblichen Menschenrechtsverstöße ein nach eigenen Maßstäben rational wie auch (scheinbar ungezielt) willkürlich handelndes Unrechtssystem dar, das sich der Messung an Maßstäben wie der "Lebenserfahrung" nach den Erfahrungen von Menschen, die ihr bisheriges Leben in Mitteleuropa und in Friedenszeiten verbracht haben, entzieht (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 06.06.2017 - 3 A 3040/16.A, juris Rn. 62).

Nicht überzeugend ist der Schluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, wonach gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee spreche (Urteile vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 31 und vom 18.05.2017 - 2 A 176/17 -, juris Rn. 31). Aus diesem Umstand könnte sich allenfalls ein Interesse des syrischen Staates, nicht alle Wehrpflichtigen langjährigen Haftstrafen zuzuführen, ableiten lassen. Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz spekulativ ist und ein nach – aus westeuropäischer Sicht - rationalen Maßstäben handelndes Regime unterstellt, verhält er sich jedenfalls nicht zu der Gefahr der vorherigen schwerwiegenden Misshandlung oder Folter unmittelbar nach der Ergreifung.

Ebenso wenig überzeugt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris), dass „die Annahme einer politischen Verfolgung von Wehrdienstentziehern […] noch ferner als für einfache Asylbewerber ohne Zusammenhang mit einer Wehrdienstentziehung [liege].“ In dem zitierten Urteil argumentiert der 14. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen weiter, dass die - völlig unpolitische - Furcht Wehrpflichtiger vor einem Kriegseinsatz ein typisches und mächtiges Motiv zur Wehrdienstentziehung sei. Das Motiv sei sogar so stark, dass manche Soldaten es vorzögen, sich selbst zu verletzen, um sich wehrdienstunfähig zu machen und damit dem Wehrdienst zu entgehen. Deshalb habe es Strafvorschriften, Wehrpflichtige von einer Selbstverstümmelung zum Zwecke der Wehrdienstentziehung abzuhalten, gegeben und gebe es sie immer noch. Dies sei eine Erscheinung sowohl des alten deutschen Strafrechts wie ausländischer Rechtsordnungen und auch des geltenden Rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Ausgehend von Bestimmungen des deutschen Wehrstrafgesetzes wird in dem zitierten Urteil weiter argumentiert, dass ein Soldat die menschliche Regung der Furcht vor Gefahr überwinden müsse und die Furcht vor persönlicher Gefahr eine Tat nicht entschuldige, wenn die soldatische Pflicht verlange, die Gefahr zu bestehen. Die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstelle, sei eine unplausible Spekulation. Es gehe um willkürliche Folter und willkürliche Misshandlungen und nicht um Verfolgungshandlungen in Verknüpfung mit spezifischen Verfolgungsgründen, die auf subsidiären Schutz führten.
Bereits der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Frage der Furcht von Wehrdienstleistenden vor Kriegsgefahren und der Verknüpfung mit dem deutschen Wehrstrafgesetz ist weder überzeugend noch zielführend. Nicht überzeugend ist der Ausgangspunkt, weil er Verpflichtungen eines Soldaten der Bundeswehr mit angeblichen Verpflichtungen eines Soldaten der syrischen Armee, die einem totalitären Herrscher dient und für eine Vielzahl von Kriegsverbrechen verantwortlich ist, gleichsetzt, wie auch die immanente Gleichsetzung des syrischen Regimes mit dem deutschen Staatswesen nach 1945 unangemessen erscheint. Eine solche Gleichsetzung ist aber inakzeptabel und lässt bereits angesichts der Ausblendung der fraglosen Grenzen zulässigen soldatischen Handelns ein erhebliches Maß an Geschichtsvergessenheit erkennen. Nicht zielführend ist dieser Ausgangspunkt, weil mit ihm die entscheidungserhebliche Frage, was der Betroffene im Falle seiner (hypothetischen) Rückkehr zu erwarten hat, aus dem Blick zu geraten droht. Eine „soldatische Pflicht“, die Furcht vor Misshandlungen bis zum Foltertod zu überwinden, dürfte keine Rechtsordnung gebieten. Das Urteil des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bleibt allein bei der Wertung, dem syrischen Regime würde ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit unterstellt, wenn man ihm unterstelle, es schreibe jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Wenn es in dem Urteil weiter heißt, die gegenteilige Auffassung sei derartig unplausibel, dass darauf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung nicht gestützt werden könne, ist die in Ermangelung rational nachvollziehbarer Argumente des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen einer weiteren Auseinandersetzung nicht zugänglich (so zutreffend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.06.2017 – A 11 S 664/17 -, juris Rn. 80 ff.).

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung unter Anhörung des Klägers getroffenen Feststellungen sind zur Überzeugung des Gerichts beim Kläger gemäß vorstehender Ausführungen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben. Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise 28 Jahre alt und hatte in den Jahren 2005 bis 2008 in Homs bei einer Artillerieeinheit (Raketen- und Panzerabteilung) seinen Pflichtwehrdienst geleistet und musste als Reservist mit seiner jederzeitigen Heranziehung zum Kriegsdienst rechnen. Die von ihm realitätsgetreu, aber ohne Übertreibungen glaubhaft geschilderte Kontrolle an einem sog. Checkpoint in Damaskus und die ihm vom kontrollierenden Offizier gemachte Mitteilung, dass der Kläger auf den „Militärlisten“ stehe, hat beim Kläger die begründete Furcht hervorgerufen, unmittelbar zum Kriegsdienst herangezogen zu werden. Auch dass der Kläger seine sofortige Verhaftung und Überstellung an die Armee durch Bestechung abzuwenden vermochte, fügt sich auch hinsichtlich der geschilderten Details in die für die syrischen Verhältnisse geläufigen Lebensumstände ein, ohne Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft des Offiziers zu wecken, die auch dem Kläger vor dem Hintergrund seiner Wehrdienstzeit und seines Lebensalters in Anbetracht der Kriegssituation ohne Weiteres glaubhaft erscheinen mussten. Auch ist es überzeugend, dass der Kläger bei seiner anschließenden sofortigen Ausreise in den Libanon sein Militärbuch nicht mit sich führte, weil ihn dies bei einer abermaligen Kontrolle unabhängig von seiner vorübergehenden Streichung von den Militärlisten als Reservisten ausgewiesen und der erneuten Gefahr der sofortigen Heranziehung zum Kriegsdienst ausgesetzt hätte. Da der Kläger sich mit seiner Flucht der Heranziehung zum Kriegsdienst entzogen hat, ist nach Auffassung des Gerichts ohne Zweifel davon auszugehen, dass ihm das syrische Regime dieses Verhalten als fehlende Systemtreue im Sinn vermuteter und zugeschriebener oppositioneller Neigungen zurechnen und ihn im Fall seiner Rückkehr in der Diktion des Regimes als (potentiellen) „Terroristen“ unter Misshandlungen und Folter bei Todesgefahr verhören und foltern und ggf. exekutieren bzw. bei einem Kriegseinsatz „an der Front verheizen“ und damit wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung verfolgen wird.

Ein die Flüchtlingseigenschaft ausschließender interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG besteht nicht. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016; vgl. auch Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind. Auch nach dem wohl von der Rückkehr zum Guerillakrieg des Dschihad begleitetem Ende des IS in der Erscheinungsform eines Staatswesens mit territorialem Gebietsanspruch (Bilal, Wir Opfer, zenith 04/2017, Syrien, S. 85 f) changieren die Auseinandersetzungen bei nachlassendem us-amerikanischem Engage-ment (Heller, Amerika am Abzug, zenith 04/2017, Syrien, S. 76 ff)) und verstärkten, wohl im zumindest stillschweigenden Einvernehmen mit dem Regime (spiegel online, Türkei, Russland und Iran einigen sich auf Schutzzonen, 04.05.2017), aber in offenem Gegensatz zu den USA erfolgenden türkischen Militäroffensive gegen noch von oppositionellen Kräften gehaltene Gebiete, die aus türkischer Sicht wohl auf Ausschaltung der regimefeindlichen, aber pkk-nah verortete Verbände der PYD / YPG zielen (Tabatabai u. a., Bloß nicht verlieren, zenith 04/2017, Syrien, S. 81 f; Hauch, Sultan verpflichtet, zenith 04/2017, Syrien, S. 83 f) fort (spiegel online, Angriffe in syrischer Provinz Idlib, 9.1.2018; spiegel online, Erdogan will Militäreinsatz in Syrien ausweiten, 9.1.2018; spiegel online - Türkei vor Einmarsch in syrisches Kurdengebiet, 19.1.2018; spiegel online, Türkei rückt in Syrien vor, 22.1.2018; spiegel online, US-Regierung irritiert über türkische Syrien-Operation, 22.1.2018; spiegel online, Erdogans Geschenk an Assad, 22.1.2018; spiegel online, Türkische Offensive in Syrien – „Wer sich uns in den Weg stellt, wird weggefegt“), während das Regime die weitere Rückeroberung der letzten von oppositionellen Kräften gehaltenen Gebiete betreibt (spiegel online, Mehr als 30 Zivilisten bei Luftangriffen auf Idlib getötet, 29.1.2018; spiegel online, „Friede, wie Putin ihn mag“ – Syrien-Konferenz in Sotschi, 29.1.2018).

Selbst wenn man unterstellen wollte, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass syrische Staatsangehörige ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat - wie dargelegt - ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet, denen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vorliegen, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; UN-HCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sind derart verbreitet, dass mit erheblicher Wahrscheinlichkeit mehr dafür als dagegen spricht, dass jedermann, der nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wurde, jedenfalls früher oder später an einem solchen Checkpoint aufgegriffen werden wird.