Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.06.2018, Az.: 3 A 3102/18

Ausbildungsförderung; Ausbildungsförderung im Ausland; Auslandsausbildunghilfen; bundesweite Zuständigkeit; gemeinsame Behörde aller Länder; örtliche Zuständigkeit; Verweisung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.06.2018
Aktenzeichen
3 A 3102/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74184
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei einem nach § 45 Abs. 4 BAföG durch das zuständige Land bestimmte Amt für Ausbildungsförderung handelt es sich um eine gemeinsame Behörde aller Länder im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO.

Tenor:

Das Verwaltungsgericht Hannover erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht A-Stadt.

Gründe

Der Rechtsstreit ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) an das zuständige Verwaltungsgericht A-Stadt zu verweisen.

Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts A-Stadt ergibt sich aus § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO.

Danach ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat, wenn der Verwaltungsakt von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder er von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen wurde.

Das Merkmal der sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckenden Zuständigkeit ist dahin zu verstehen, dass die Behörde für einen Bereich zuständig sein muss, der mehr als nur einen Verwaltungsgerichtsbezirk umfasst (BVerwG, Beschluss vom 06. Oktober 1978 – 5 ER 402/78 –, BVerwGE 56, 306-307). Die Bestimmung des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO setzt nicht voraus, dass die Behörde, wie es für die Verwaltungsgerichte erster Instanz regelmäßig gilt, innerhalb des umfassenderen Geltungsbereiches des anzuwendenden materiellen Gesetzes einen örtlich abgrenzbaren Zuständigkeitsbereich hat (BVerwG, a.a.O., Rn. 2).

Diese Voraussetzungen sind hier in Bezug auf die Beklagte erfüllt.

Denn diese hat die (ausschließliche) bundesweite Zuständigkeit für Auslandsförderung nach §§ 5 u. 6 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) für das hier betroffene Großbritannien. Gemäß § 45 Abs. 4 BAföG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit für Ausbildungsförderung im Ausland (BAföG-AuslandszuständigkeitsV) hat das Land Niedersachsen die Auslandszuständigkeit i.S.d. § 45 Abs. 4 BAföG für Großbritannien und Irland. Nach § 161 Nr. 6 b) Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) liegt die diesbezügliche Zuständigkeit bei der Beklagten.

Die zum Teil in der Rechtsprechung geäußerte Gegenauffassung zu Fällen vergleichbarer Art (vgl.: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 15 K 5898/13 -, juris; VG München, Beschluss vom 14. Januar 2014 - M 15 K 13.5833 -, juris; VG München, Beschluss vom 19. Mai 2016 – M 15 K 16.2061 –, juris; VG Bayreuth, Urteil vom 28. Februar 2011 - B 3 K 10.606 -, juris; VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17. März 2008 - 3 K 693/07 -, juris; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 14. November 2005 - 15 A 227/05 -, juris; siehe auch Hessischer VGH, Urteil vom 01.02.1983 - IX OE 36/82 -, ESVGH 33, 182) vermag nicht zu überzeugen.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG Karlsruhe, Urteil vom 24. Juli 2015 – 5 K 2812/14 –, juris) hat diesbezüglich ausgeführt:

„Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht. Soweit argumentiert wird, die „Auslandszuständigkeit“ nach § 45 Abs. 4 BAföG begründe gerade keine inländische örtliche Zuständigkeit, liegt dem eine Fehlvorstellung hinsichtlich der „Örtlichkeit“ von Zuständigkeitsregelungen zugrunde. Knüpft eine Zuständigkeitsregelung wie die des § 45 Abs. 4 BAföG an einen „örtlichen“ Umstand an (hier die Lage der Ausbildungsstätte in einem anderen Staat), bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass dieses geographische Tatbestandsmerkmal zugleich die örtliche Zuständigkeit der Behörde beschreibt. Vielmehr kann es sich auch um eine sachliche Zuständigkeitsregelung handeln. Da die örtliche Zuständigkeit einer Behörde zudem immer auf einen Verwaltungsbezirk bezogen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 3. Auflage, § 3 Rn. 4) und ein Verwaltungsbezirk nur im Inland liegen kann, weil deutsche Behörden auf dem Gebiet fremder Staaten keine Hoheitsgewalt ausüben dürfen, kann die Anknüpfung an einen im Ausland liegenden Umstand auch keine örtliche Zuständigkeit im Sinne einer Zuständigkeit im Ausland begründen, die an den innerstaatlichen Verwaltungsgerichtsbezirken räumlich vorbei gehen würde. Im Regelungssystem des § 45 BAföG fällt aber die Sachzuständigkeit nach § 45 Abs. 4 BAföG zusammen mit der Ausgestaltung der örtlichen Zuständigkeit: § 45 Abs. 1 bis 3 BAföG geht grundsätzlich von einer dezentralen Zuständigkeit aus, so dass eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit - also eine Auswahl von mehreren instanziell gleichstufigen Ämtern nach örtlichen Gesichtspunkten - notwendig ist. § 45 Abs. 4 BAföG sieht dagegen eine zentralisierte Zuständigkeit vor, die nach dem Gesetzeswortlaut durch die Begründung eines einzigen, örtlich zuständigen Amtes herbeigeführt wird. § 45 Abs. 4 BAföG lässt sich daher ohne weiteres - in Übereinstimmung mit seiner Selbstbezeichnung - als eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit verstehen: Die Zuständigkeit des nach § 45 Abs. 4 BAföG zuständigen Amtes erstreckt sich insoweit auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke, als dass das zentrale Tatbestandsmerkmal nicht nach innerstaatlichen örtlichen Gesichtspunkten differenziert und damit im Ergebnis eine bundesweite (örtliche) Zuständigkeit einführt. Auch der bewusste Verzicht auf eine örtliche Zuständigkeitsaufteilung stellt eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit dar. Aber selbst bei einem Verständnis des § 45 Abs. 4 BAföG als ausschließlicher Regelung der sachlichen Zuständigkeit (so VG München, a.a.O.) ist hier § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO anwendbar. Denn § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO setzt nicht voraus, dass gerade die örtliche Zuständigkeit der Behörde mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke umfasst; vielmehr stellt der Wortlaut nur auf die „Zuständigkeit“ ab, so dass auch eine räumliche Begrenzung der Zuständigkeit, die sich etwa aus der Verbandskompetenz oder eines besonderen Zuschnitts der Sachkompetenz ergibt, die Anwendung des § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO begründet (insoweit ganz h.M., vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 06.10.1978 - 5 ER 402/78 -, BVerwGE 56, 306; BVerwG, Beschluss vom 02.04.1993 - 7 ER 400/93 -, DÖV 1993, 665; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.11.2010 - 2 A 63/08 -, juris, Rn. 53; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10.11.2011 - 12 C 11.1450 -, BayVBl 2012, 346 [BGH 13.10.2011 - III ZR 231/10]; Hessischer VGH, Beschluss vom 07.05.1993 - 11 TH 1563/92 -, NJW 1994, 145; Berstermann, in: Posser/Wolff, a.a.O.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage, § 52 Rn. 25; Redeker, in: Redeker/von Oertzen, a.a.O.; Schoch/Schneider/Bier/ Bier/Schenk, VwGO, § 52 Rn. 34; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, § 52 Rn. 27; Stuttmann, DVBl 2011, S. 1202, 1204). Gerade für solche Fälle ist die Vorschrift auch konzipiert (BT-Drs. 3/55, Anl. 1 S. 35: „Handelt es sich nicht um den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde, so ist grundsätzlich das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt zu erlassen ist. Davon ist entsprechend der bayer. und hessischen Regelung eine Ausnahme für die Landeszentralbehörden gemacht; in diesen Fällen soll das Gericht zuständig sein, in dessen Bezirk der Beschwerte Sitz oder Wohnsitz hat.“) Die erforderliche „Territorialisierbarkeit“ (vgl. Sodan/Ziekow, a.a.O.) der Behördenzuständigkeit muss also nicht gerade durch die örtliche Behördenzuständigkeit erfolgen, sondern kann sich auch aus der sachlichen oder der Verbandszuständigkeit ergeben. Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn der Vorschrift, die vermeiden will, dass sich Rechtsstreitigkeiten bei nur einem Gericht konzentrieren, welches für den Sitz einer Behörde mit weiträumigem Wirkungsbereich zuständig wäre (BVerwG, Urteil vom 30.06.1972 - VII C 22.71 -, BVerwGE 40, 205; BVerwG, Beschluss vom 06.10.1978, a.a.O.), wobei zum einen eine Überlastung dieses Gerichts verhindert (BT-Drs. 3/55 Anl. 1 S. 35f.), vor allem aber „eine gewisse Ortsnähe der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ gewährleistet werden soll (BT-Dr. 3/55 Anl. 1 S. 36; siehe zum Zweck des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO auch BT-Drs. 7/2711 S. 3: „Ein wirksamer Rechtsschutz für die Staatsbürger verlangt, daß ihnen ein ortsnahes Gericht, zu dem sie Zugang haben können, zur Verfügung gestellt wird."). Eine sachliche Zuständigkeitsregelung, die - wie im Fall des § 45 Abs. 4 BAföG - zu einer gerichtsbezirksübergreifenden Zuständigkeitskonzentration führt, stellt also gerade einen typischen Anwendungsfall des § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO dar. Inwieweit demgegenüber der Regelungszweck des § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO aufgrund des Prinzips der Zuständigkeitsverteilung auf mehrere Bundesländer gemäß der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit für Ausbildungen im Ausland ins Leere laufen solle (in diese Richtung VG Gelsenkirchen, a.a.O.; VG München, a.a.O.; VG Frankfurt a.M., a.a.O.), erschließt sich nicht, zumal das Abstellen auf den Wohnsitz des Klägers - wie dargelegt - gerade auch den Zweck verfolgt, den Zugang zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erleichtern, indem den im Verhältnis zu den Behörden schutzwürdigeren Klägern (siehe hierzu VG Würzburg, Urteil vom 18.03.2011 - W 1 K 09.1244) ermöglicht wird, den Verwaltungsprozess bei einem wohnortnahen Verwaltungsgericht zu führen. Dieser Nachteil von verfassungsrechtlichem Gewicht würde auch nicht dadurch kompensiert werden, dass bei einer Konzentration der verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen worden ist (§ 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO), dieses Verwaltungsgericht sich ebenfalls auf die Ausbildungsförderung in bestimmten ausländischen Staaten spezialisieren könnte (so VG Gelsenkirchen, a.a.O.; VG München, a.a.O.; VG Frankfurt a.M., a.a.O.). Zum einen widerspricht dieser Gedanke gerade dem mit § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO verfolgten Vorrang der Bürgerfreundlichkeit vor der gerichtlichen Arbeitserleichterung. Zum anderen sind Verwaltungsgerichte aufgrund ihrer nachträglichen Kontrollaufgabe in einem geringeren Umfang als die Exekutive auf eine Spezialisierung angewiesen. Der in diesem Zusammenhang gezogene Vergleich mit § 52 Nr. 3 Satz 4 VwGO (VG München, a.a.O.) geht schon methodisch fehl, da es sich hier um eine eng umrissene Ausnahmevorschrift handelt, die auch der Gesetzgeber von vornherein als Sonderfall konzipiert hat (dies kommt in der Entstehungsgeschichte des § 52 Nr. 3 Satz 4 VwGO deutlich zum Ausdruck, siehe etwa den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 7/2711 S. 3 und den folgenden Antrag des Vermittlungsausschusses in Drs. 7/3191). Unbedenklich ist auch, dass bei einer Anwendung des § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO auf die vorliegende Konstellation Verwaltungsakte der Behörde eines Landes durch Verwaltungsgerichte eines anderen Landes kontrolliert werden (so der nicht näher ausgeführte Hinweis des VG München, a.a.O.). Das Grundgesetz, das sowohl die Rechtsprechung als auch den Gesetzesvollzug überwiegend als Länderzuständigkeit angelegt, jedoch für das gerichtliche Verfahren eine konkurrierende Bundeskompetenz vorgesehen hat, kennt keinen der Sachentscheidungsvoraussetzung der deutschen Gerichtsbarkeit (siehe hierzu Schoch/Schneider/Beier/Ehlers, VwGO, 28. Lfg., Vorbemerkung § 40 Rn. 25) vergleichbaren Grundsatz, wonach der Gerichtsbarkeit eines Landesgerichts nur Hoheitsakte des eigenen Landes unterliegen. Besteht nach alledem auch keine Regelungslücke, gehen auch die vom VG München (a.a.O.) angestellten Überlegungen zur Ähnlichkeit mit der bundeseigenen Verwaltung und der auf sie bezogenen Zuständigkeitsregelung in § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO an der Sache vorbei.“

Dem schließt sich die entscheidende Kammer an.

Darüber hinaus ist der Argumentation, dass eine Konzentration von Klagen auf ein Verwaltungsgericht schon deshalb nicht vorliege, da die Zuständigkeit für die Ausbildung im Ausland auf sämtliche Bundesländer verteilt werde (so z.B.: VG München, Beschluss vom 19. Mai 2016, a.a.O., Rn. 9), auch aus dem Grund nicht zu folgen, dass in den jeweiligen Bundesländern dennoch eine Konzentration auf ein Verwaltungsgericht (in Niedersachsen das Verwaltungsgericht Hannover) stattfindet.

Deshalb ist das Verwaltungsgericht in dieser Sache zuständig, da der Kläger seinen Wohnsitz in A-Stadt hat.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).