Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 19.04.2018, Az.: 2 A 641/18

Reflexverfolgung; Syrien; Wehrpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
19.04.2018
Aktenzeichen
2 A 641/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74134
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Syrern im wehrpflichtigen Alter ist die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen.

Syrischen Asylbewerbern droht nicht allein wegen illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland sowie eines dort gestellten Asylantrags mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Der Ehefrau und dem Kind eines wehrpflichtigen Syrers droht im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zu 1) die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Der Bescheid vom 23. Januar 2018 wird zu Ziffer 2 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden zu 2/7 den Klägern und zu 5/7 der Beklagten auferlegt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer Religionszugehörigkeit. Bei der Klägerin zu 3) handelt es sich um das 2015 geborene Kind des 1990 geborenen Klägers zu 1) und der 1994 geborenen Klägerin zu 2). Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellten die Kläger zu 1) und 2) Asylanträge, die Klägerin zu 3) ist im September 2015 in Deutschland geboren.

Bei ihrer Anhörung gaben die Kläger zu 1) und 2) zur Begründung an: Sie seien wegen des Krieges hier, hätten Angst gehabt, getötet zu werden und wollten sich in Sicherheit bringen.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2018 erkannte die Beklagte den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab.

Am 31. Januar 2018 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen u.a. vor: Im Falle einer Rückkehr wäre eine Verfolgung seitens aktiver Kämpfer oder Sympathisanten der ISIS beachtlich wahrscheinlich.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 23. Januar 2018 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges sowie der bei der Kammer geführten Erkenntnismittel zu Syrien Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegen für den Kläger zu 1) vor.

Die Flüchtlingseigenschaft ist zuzuerkennen, da sich der Kläger zu 1) nach der Überzeugung der Kammer aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Es kann dahinstehen, ob er Syrien wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen hat; es droht ihm jedenfalls bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).

Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.

Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG. Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 - juris, Rn. 37).

Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 AsylG für den Kläger zu 1) vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien unter dem Aspekt der Wehrdienstentziehung begründet ist.

Angesichts der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland sowie einem dort gestellten Asylantrag droht, auf die zur weiteren Begründung verwiesen wird (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Februar 2018 - 5 A 1246/17.A - juris, Rn. 21 m.w.N.), hält die Kammer an ihrer bisherigen gegenteiligen Ansicht nicht fest.

Im Falle des Klägers zu 1) kommt allerdings hinzu, dass er sich im wehrpflichtigen Alter befindet und ihm jedenfalls in Anknüpfung daran im Falle der Rückkehr Maßnahmen politischer Verfolgung drohen. Das Gericht ist entgegen der Ansicht des Nds. OVG (vgl. Urteil vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 -, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 2 LB 1789/17 - juris) der Auffassung, dass bereits das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht flüchtlingsrechtlich (hier nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 - 3 AsylG) relevant ist und folgt insofern der Rechtsprechung des Bayerischen VGH (Urteile vom 14. Februar 2017 - 21 B 16.31001 - und vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris), des VGH Baden-Württemberg (Urteile vom 28. Juni 2017 - A 11 S 664/17 -,14. Juni 2017 - A 11 S 511/17 - und 2. Mai 2017 - A 11 S 562/17 - juris), des Hessischen VGH (Urteil vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A - juris) und des Sächsischen OVG (Urteil vom 7. Februar 2018 - 5 A 1246/17.A - juris). Zur Begründung wird insofern in vollem Umfang auf die im Folgenden zitierten Ausführungen des VGH Baden-Württemberg in dem Urteil vom 28. Juni 2017 - A 11 S 664/17 - Bezug genommen, in dem sich der VGH insbesondere mit den Auffassungen des OVG Nordrhein-Westfalen, des OVG Rheinland-Pfalz und des OVG des Saarlandes, denen das Nds. OVG in dem Urteil vom 27. Juni 2017 und seiner seitdem ständigen Rechtsprechung maßgeblich folgt, überzeugend auseinandersetzt. Das Gericht folgt diesen Ausführungen nach eigener Prüfung und macht sie sich zu eigen.

„Bei einer Gesamtschau der herangezogenen Erkenntnismittel ist der Senat davon überzeugt, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu gewärtigen haben.

So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016). Ferner gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 27; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 13).

Die Wahrscheinlichkeit, den genannten Foltermaßnahmen unterworfen zu werden, ist deshalb beachtlich, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, schon nach äußerlichen Kriterien vornehmbar ist, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen wie aber auch an einer der angesprochenen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015; BFA S. 24). Zumindest droht eine vorübergehende Festnahme, auch wenn der Betroffene dann ohne Bestrafung direkt einer militärischen Einheit zugeführt werden sollte (vgl. hierzu Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 5).

Schon bei der ersten Befragung ist nach den obigen Ausführungen mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass hier nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass alle Einreisenden ausnahmslos betroffen sein werden (vgl. Deutsches Orient Institut vom 01.02.2017 an Hess.VGH), ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit unerheblich. Der Umstand, dass der hier infrage kommende Personenkreis infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane gekommen ist, wird dazu führen, dass er auch hervorgehobenem Maße gefährdet ist, wovon insbesondere UNHCR ausgeht (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.). Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in Fahndungslisten aufgenommen werden, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 24; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Nach UNHCR („Illegal Exit“, S. 4) umfasst die Kontrolle bei den Einreisen regelmäßig eine Prüfung, ob die Betreffenden mit der entsprechenden Erlaubnis ausgereist waren. Ferner existieren mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (BFA S. 22 ff.); Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 9; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 6); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; BFH S. 23). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).

Gerade das Vorhandensein der Kontrollstellen im Landesinneren und aber auch die Durchführung der Kontrollen an den Grenzübergangsstellen belegt zur Überzeugung des Senats auch die tatsächliche Gefahr für Personen wie den Kläger, die bislang noch keinen Einberufungsbescheid erhalten haben, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu werden.

(…)

Im Falle des Klägers liegt auch die für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG vor.

Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich feststellen, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung eines Wehrdienstentzugs auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.

Eine realitätsnahe Bewertung des Charakters des gegenwärtigen syrischen Regimes und seiner bereits vorstehend eingehend beschriebenen Handlungen und Aktivitäten gegenüber seiner Bevölkerung lässt nach Überzeugung des Senats keine andere Deutung zu, als dass diese nach der allein maßgeblichen objektiven und nicht nach der auf die höchst subjektiven Motive der jeweiligen Akteure abstellenden Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von jedenfalls § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anknüpfen und im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG die erforderliche Verbindung gegeben ist.

Die gegenläufige Auffassung der Beklagten und insbesondere des OVG Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 21.02.2017 - 2316/16.A -, juris), des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris) wie auch des OVG des Saarlandes (Urteile vom 11.03.2017 - 2 A 215/17 - , juris und vom 18.05.2017 - 2 A 176/17 -, juris) würdigt den Charakter des Regimes nach Auffassung des Senats nicht zutreffend.

Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonderes abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der Personen, die in die Hände seiner Exekutoren fallen, hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem eine durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. nur beispielhaft die ins Einzelne gehende Darstellung und Auflistung der General Assembly in ihrem „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 02.02.2017 und vom 11.08.2016; vgl. auch Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo - Security Council should impose Sanctions“ vom 13.02.2017; BFA S. 27).

Hinzu kommt schließlich, dass das Regime mittlerweile - wenn nicht schon seit vielen Jahren - vollständig von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist, das vereinfacht und etwas plakativ ausgedrückt damit beschrieben werden kann, dass „jeder, der nicht für mich ist, gegen mich ist“, jedenfalls solange als er nicht vom Gegenteil überzeugt hat (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an Hess.VGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung).

Auch weiterhin (vgl. bereits VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 A 11 S 2046/13 -, juris) vermag der Senat kein realistisches anderes Erklärungsmuster für das Vorgehen der syrischen Grenz- und Sicherheitsbehörden erkennen als dass hier an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird.

Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hin (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, NVwZ 2009, 1035 <1036>). Eine abweichende Einordnung könnte allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, fernliegt.

Der Annahme der Gerichtetheit steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie, noch in der GFK noch im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 -, NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 -, InfAuslR 1992, 215 [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90] <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6).

Sie ist auch inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses - gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils - von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht.

Dieser Schluss drängt sich bei Personen, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des syrischen Regimes - und vermutlich auch bei objektiver Betrachtungsweise tatsächlich - zur Schwächung des totalitären Machtapparats in seinem Existenzkampf beigetragen hat. Bestehen ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach realistischer Lagebeurteilung keine naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für eine fehlende Gerichtetheit, so ist - auch unter Berücksichtigung der Beweisnot der Betroffenen und der humanitären Zielsetzungen des Flüchtlingsrechts - von der naheliegenden und realistischen Alternative auszugehen. Aussagekräftige verwertbare Erkenntnismittel, die es nahe legen könnten, andere Schlussfolgerung auch nur in Betracht zu ziehen, existieren nicht; im Gegenteil: Das angesprochene „Freund-Feind-Schema“ ist seither nur noch viel deutlicher zutage getreten.

Hinsichtlich der Verfolgungsgefahr für Reservisten der syrischen Armee unmittelbar bei einer Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt, während dem um internationalen Schutz nachgesucht wurde, gilt überdies: Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion vermutlich mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Dies Feststellung schließt aber die Annahme einer gerichteten Verfolgung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, NVwZ 1982, 41 [BVerwG 03.03.1981 - BVerwG 9 C 6/80]; vom 28.02.1984 - 9 C 81.81 -, InfAuslR 1985, 22; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83 -, NVWZ 1986, 459), die der Senat zugrunde legt, begründet die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung für sich genommen zwar noch nicht ohne weiteres die Asylerheblichkeit; für das Unionsrecht gilt nichts anderes (vgl. Marx. a.a.O., S. 73 ff. und EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - <Shepherd> NVwZ 2015, 575 Rn. 35).

Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sowie die menschrechtswidrige Art und Weise ihre Umsetzung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.

Deswegen ist gerade im Falle des totalitären syrischen Regimes nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung des Wehrdienstentzugs auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen.

Bei dem Regime von Baschar al-Assad handelt es sich nicht nur seit vielen Jahren um ein menschenverachtendes diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft (vgl. schon den Senatsbeschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Die Mobilisierung und Rekrutierung der syrischen Land- und Luftstreitkräfte erfolgen hier gerade nicht zu dem Zweck, einen kriegerischen Konflikt mit einem auswärtigen dritten Staat auszutragen und zu ermöglichen, sie dienen vielmehr der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land; wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise, auch wenn eine solche in concreto gar nicht gegeben sein sollte.

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien oftmals nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, steht angesichts des vorgenannten Befundes dem nicht entgegen. Vielmehr lassen die vorliegenden Erkenntnismittel nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (bis zum Beweis des Gegenteils unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (so auch BayVGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris; Österr. BVwG, Entscheidung vom 22.03.2017 - W221 2134862-1/E; vgl. auch, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend, Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013). Der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, wonach „die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“, eine Verfolgung nicht zu begründen vermögen (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), steht der Auffassung des Senats zur kausalen Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung nicht entgegen. Denn bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen geht es nicht um „allgemeine Lasten und Beschränkungen“, sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung.

Ebenso vermag der Senat den Schluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes nicht nachzuvollziehen, wonach gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee spreche (Urteile vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 31 und vom 18.05.2017 - 2 A 176/17 -, juris Rn. 31). Aus diesem Umstand könnte sich allenfalls ein Interesse des syrischen Staates, nicht alle Wehrpflichtigen einer langjährigen Haftstrafe zuzuführen, ableiten lassen. Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz spekulativ ist und ein nach rationalen Maßstäben handelndes Regime unterstellt, verhält er sich nicht zu der Gefahr der vorherigen schwerwiegenden Misshandlung oder Folter unmittelbar nach der Ergreifung.

Ebenso wenig teilt der Senat die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A -, juris), dass „die Annahme einer politischen Verfolgung von Wehrdienstentziehern […] noch ferner als für einfache Asylbewerber ohne Zusammenhang mit einer Wehrdienstentziehung [liege].“ In dem zitierten Urteil argumentiert der 14. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen weiter, dass die - völlig unpolitische - Furcht Wehrpflichtiger vor einem Kriegseinsatz ein typisches und mächtiges Motiv zur Wehrdienstentziehung sei. Das Motiv sei sogar so stark, dass manche Soldaten es vorzögen, sich selbst zu verletzen, um sich wehrdienstunfähig zu machen und damit dem Wehrdienst zu entgehen. Deshalb habe es Strafvorschriften, Wehrpflichtige von einer Selbstverstümmelung zum Zwecke der Wehrdienstentziehung abzuhalten, gegeben und gebe es sie immer noch. Dies sei eine Erscheinung sowohl des alten deutschen Strafrechts wie ausländischer Rechtsordnungen und auch des geltenden Rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Ausgehend von Bestimmungen des deutschen Wehrstrafgesetzes wird in dem zitierten Urteil weiter argumentiert, dass ein Soldat die menschliche Regung der Furcht vor Gefahr überwinden müsse und die Furcht vor persönlicher Gefahr eine Tat nicht entschuldige, wenn die soldatische Pflicht verlange, die Gefahr zu bestehen. Die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstelle, sei eine unplausible Spekulation. Es gehe um willkürliche Folter und willkürliche Misshandlungen und nicht um Verfolgungshandlungen in Verknüpfung mit spezifischen Verfolgungsgründen, die auf subsidiären Schutz führten.

Dieser Begründungsansatz des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist offenkundig verfehlt. Bereits der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Frage der Furcht von Wehrdienstleistenden vor Kriegsgefahren und der Verknüpfung mit dem deutschen Wehrstrafgesetz ist weder überzeugend noch zielführend.

Nicht überzeugend ist der Ausgangspunkt, weil er Verpflichtungen eines Soldaten der Bundeswehr mit angeblichen Verpflichtungen eines Soldaten der syrischen Armee, die einem totalitären Herrscher dient und für eine Vielzahl von Kriegsverbrechen verantwortlich ist, gleichsetzt. Eine solche Gleichsetzung ist aber inakzeptabel und lässt angesichts der Ausblendung der fraglosen Grenzen zulässigen soldatischen Handelns ein erhebliches Maß an Geschichtsvergessenheit erkennen. Nicht zielführend ist dieser Ausgangspunkt, weil mit ihm die entscheidungserhebliche Frage, was der Betroffene im Falle seiner (hypothetischen) Rückkehr zu erwarten hat, aus dem Blick zu geraten droht. Hier bleibt das Urteil des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen allein bei der Wertung, dem syrischen Regime würde ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit unterstellt, wenn man ihm unterstelle, es schreibe jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Wenn es in dem Urteil weiter heißt, die gegenteilige, also auch die vom erkennenden Senat vertretene, Auffassung sei derartig unplausibel, dass darauf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung nicht gestützt werden könne, ist der Senat, wie dargelegt, zu einer anderen Auffassung gelangt. In Ermangelung rational nachvollziehbarer Argumente des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist dessen Urteil einer weiteren Auseinandersetzung nicht zugänglich.“

Die Kammer nimmt ebenso Bezug auf die Ausführungen des Sächsischen OVG in dem Urteil vom 7. Februar 2018 (5 A 1246/17.A, juris, Rn. 26-44), wonach zurückkehrenden syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter staatliche Maßnahmen drohen, die nach ihrer objektiven Gerichtetheit an den in § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG genannten Verfolgungsgrund der - ihnen vom syrischen Staat gemäß § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebenen - politischen Überzeugung anknüpfen.

Ergänzend wird auf die ausführliche Begründung in einem Urteil des VG Osnabrück vom 5. Februar 2018 (7 A 453/16, juris) Bezug genommen, wonach syrischen Staatsangehörigen, die sich aus der Sicht des syrischen Regimes der Wehrpflicht - sei es der erstmaligen Einberufung oder der erneuten Heranziehung zum Kriegsdienst – entziehen, Verfolgung droht, weil solche Personen bei ihrer Rückkehr konkret von übermäßiger Strafverfolgung oder Bestrafung lebensgefährdenden Ausmaßes bedroht sind, zumindest aber mit menschenrechtswidriger Behandlung oder Folter bei Verhören bzw. Befragungen durch den syrischen Staat rechnen müssen, wenn sie einer jederzeit möglichen Einberufung nicht Folge leisten und sich dem Militärdienst entziehen wollen. Zutreffend und überzeugend wird ausgeführt und ausführlich begründet, dass syrische Männer im kriegsdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr den Sicherheitskräften wegen des Verdachts der Kriegsdienstentziehung typischerweise verdächtig sind, jedenfalls nicht verlässlich zum Regime zu stehen oder diesem sogar distanziert oder abgeneigt gegenüber zu stehen, deshalb den auf die Unterdrückung oppositioneller Einstellungen und Verhaltensweisen abzielenden repressiven Maßnahmen des Regimes in besonders exponierter Weise ausgesetzt sind und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Misshandlungen und Folter auch bis zum Tod durch syrische Sicherheitskräfte zu rechnen haben. Die Kammer macht sich auch die Ausführungen in diesem Urteil in vollem Umfang zu eigen. Das Nds. OVG hält auch angesichts dieser Entscheidung an seiner Rechtsprechung fest und sieht sich von unterschiedlichen Bewertungsansätzen nicht gehalten, seine eigene Rechtsprechung in Frage stellen (Beschluss vom 22. Februar 2018 - 9 LB 1789/17 - juris); die Kammer hält demgegenüber im Anschluss an die zitierten Ausführungen des VGH Baden-Württemberg und - ergänzend - die Ausführungen des Sächsischen OVG in dem Urteil vom 7. Februar 2018 und des VG Osnabrück in dem Urteil vom 5. Februar 2018 an den entsprechenden Bewertungsansätzen ihrer bisherigen Rechtsprechung fest.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht nicht zur Verfügung. Das Gericht folgt der entsprechenden Annahme der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid bzgl. des zuerkannten subsidiären Schutzes. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG kann auch subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden, wenn interner Schutz gem. § 3e AsylG gegeben ist. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar. Syrischen Staatsangehörigen ist vielmehr eine legale Rückkehr im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Syrien nicht möglich, ohne mit den syrischen Sicherheitsbehörden in Kontakt zu kommen und dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Gefahrenlage ausgesetzt zu sein. Gebiete Syriens, die derzeit nicht unter der Kontrolle der syrischen Staatsgewalt stehen und an ausländische Regionen grenzen, von denen mithin eine Einreise möglich wäre ohne Kontakt zu syrischen Sicherheitsbehörden, können von Rückkehrern bereits deshalb nicht legal im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG betreten werden, weil dazu erforderliche Reisedokumente von den dort derzeit herrschenden Organisationen schon mangels diplomatischer Anerkennung nicht ausgestellt werden können.

Die Klägerinnen zu 2) und 3) erfüllen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft indessen nicht, so dass ihnen von der Beklagten nur die Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 AsylG - in einem Folgeverfahren (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Dezember 2002 - 1 C 10.02 -, juris Rn. 6 ff.) - zuerkannt werden kann, sobald die Flüchtlingsanerkennung des Klägers zu 1) unanfechtbar ist (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, 5 AsylG).

Allein wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien (bzgl. der Klägerin zu 2) und der Asylantragstellung sowie des Aufenthalts in Deutschland droht den Klägerinnen zu 2) und 3) aus den gleichen Gründen wie dem Kläger zu 1) keine flüchtlingsrelevante Verfolgung durch den syrischen Staat. Ebenso wenig sind sie als Frau und Kind im Herrschaftsbereich des syrischen Staates wehrpflichtig.

Den Klägerinnen zu 2) und 3) droht auch nicht, abgeleitet vom Kläger zu 1), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung. Dass sie begründet befürchten müssen, bei einer Rückkehr nach Syrien die dem Kläger zu 1) wahrscheinlich zugeschriebene regimefeindliche Gesinnung auch selbst zugerechnet zu bekommen und/oder deshalb als ein Druckmittel gegen ihn benutzt zu werden, ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht beachtlich wahrscheinlich.

Die Kammer hält insofern nicht an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, sondern folgt den im Folgenden zitierten Ausführungen des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 9. August 2017 - A 11 S 710/17 - juris) und macht sie sich zu eigen:

„Zwar findet sich in zahlreichen Erkenntnismitteln die generelle Aussage, dass Berichte vorlägen, wonach Familienangehörige von Gesuchten verhaftet werden, um Druck auszuüben, dass sich die Gesuchten den Behörden stellen (ai, Between Prison and the Grave vom November 2015; Finnisch Immigration Service vom 23.08.2016; Danish Refugee Council vom September 2015; BFA vom 05.01.2017; SFH vom 25.01.2017; Deutsche Botschaft Beirut vom 03.02.2016). Hier wird teilweise auch ausdrücklich ein Zusammenhang zu wehrflüchtigen Angehörigen hergestellt. Eine nachvollziehbare quantitative Beurteilung bzw. Einschätzung erfolgt aber in diesen Unterlagen nicht, mit einer Ausnahme: Der Danish Refugee Council (a.a.O., S. 19 f.) teilt ausdrücklich mit, dass es sich, jedenfalls was die Reflexverfolgung bei wehrflüchtigen Angehörigen betrifft, um sehr wenige Fälle gehandelt habe („very rare cases“). Ai (a.a.O., S. 48 ff.) benennt ausdrücklich verschiedene Einzelfälle, die aber, soweit ersichtlich, keinerlei Bezug zu Wehrflüchtigen haben.“

Auch das Sächsische OVG nimmt nicht an, dass Familienangehörigen von Klägern, die wegen Wehrdienstentzugs politische Verfolgung durch den syrischen Staat zu befürchten haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung droht (vgl. Urteil vom 7. Februar 2017 - 5 A 1246/17.A -, juris, Rn. 37-53). Auf diese Ausführungen wird ebenfalls Bezug genommen.

Schließlich liegt für die Klägerinnen zu 2) und 3) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsschutzrelevante Gefahr dadurch vor, dass sie Verfolgungsmaßnahmen durch den IS befürchten. Denn die (hypothetische) Rückkehr der Klägerinnen kann über Grenzen und in Gebiete erfolgen, die nicht unter Kontrolle des IS stehen. Weitere Gründe werden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.