Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 26.04.2017, Az.: S 24 AS 916/15
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 26.04.2017
- Aktenzeichen
- S 24 AS 916/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 24665
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BSG - 03.09.2020 - AZ: B 14 AS 24/17 R
Tenor:
Der Bescheid vom 22. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2015 sowie der Bescheid vom 11. Mai 2016 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 23. Februar 2017 wird aufgehoben, soweit eine Pflichtverletzung aufgrund eines Meldeversäumnisses festgestellt wird. Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen eine Minderung von Leistungen für die Monate August 2015 bis Oktober 2015 aufgrund eines Meldeversäumnisses. Die Kläger stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Die für den Beklagten im Bereich der Arbeitsvermittlung handelnde BI. kommunale Anstalt öffentlichen Rechts lud die Kläger jeweils mit Schreiben vom 23. Juni 2015 zu einem Termin am 3. Juli 2015 ein. Die Kläger erschienen nicht. Deswegen gab die BI. den Klägern Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Minderung der Leistungen in Höhe von 10 % der Regelleistungen. Die Kläger teilten im Rahmen der Antragstellung ab August 2015 mit, dass sie die Einladung aufgrund einer Ortsabwesenheit nicht erhalten hätten. Mit Bescheid vom 22. Juli 2015 bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen für den Zeitraum August 2015 bis Oktober 2015 unter Berücksichtigung der Sanktion in Höhe von 10 % der Regelleistung. Die Vorläufigkeit ergab sich aus dem schwankenden Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit. Die Kläger legten im August 2015 Widerspruch ein. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2015 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen eines Meldeversäumnisses lägen vor. Ein wichtiger Grund sei nicht in der Ortsabwesenheit zu sehen. Die Kläger haben am 30. November 2015 Klage erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte die Leistungen mit Bescheid vom 11. Mai 2016 endgültig festgesetzt und dabei die Sanktion nach wie vor berücksichtigt. Auf Einwendungen der Klägerin hin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 23. Februar 2017 ein Anerkenntnis abgegeben und die Erstattungsforderung entsprechend reduziert. Dieses Anerkenntnis haben die Kläger angenommen und den Rechtsstreit im Hinblick auf die Sanktion fortgeführt. Wegen der Einzelheiten der Leistungsberechnung wird auf die Bescheide vom 22. Juli 2015, 11. Mai 2016 und die Berechnungsbögen zum Schriftsatz vom 23. Februar 2017 Bezug genommen (Bl. 270 ff. der Verwaltungsakte, 34 ff. der Gerichtsakte und Bl. 45 ff. der Gerichtsakte). Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Bescheide vom 22. Juli 2015, 27. Oktober 2015 und den Bescheid vom 11. Mai 2016 in der Fassung des Anerkenntnisses vom 23. Februar 2017 aufzuheben, soweit eine Minderung der Leistungen in Höhe von 10 % der Regelbedarfe festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich nach einem Hinweis der Kammer mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 28. Juli 2016, Bl. 31 d. Gerichtsakte und Schriftsatz vom 14. März 2017, Bl. 57 d. Gerichtsakte).
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG). Der Schriftsatz vom 28. Juli 2016 der Beklagten war diesbezüglich hinreichend bestimmt. Der Schriftsatz wird als eine Zustimmung nach § 124 Abs. 2 SGG verbunden mit einem Antrag auf Ruhen des Verfahrens ausgelegt. Streitgegenstand sind die im Tenor aufgeführten Bescheide. Dem steht nicht entgegen, dass die vorläufige Bewilligung durch die endgültige Festsetzung der Leistungen nach § 328 SGB III i. V. m. § 40 SGB II a. F. von vollständig ersetzt wird. Denn die Feststellung der Pflichtverletzung ist eine eigenständige Verfügung, die von der Vorläufigkeit nicht umfasst ist. Die so verstandene Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Ein Meldeversäumnis im Sinne von § 32 SGB II liegt nicht vor, weil keine Aufforderung des zuständigen Trägers vorlag, sich bei ihm zu melden. Zuständig für die Ausführung des SGB II ist nach §§ 6, 6a SGB II i. V. m. dem niedersächsischen Ausführungsgesetz zum SGB II (AGSGBII) allein der Beklagte. Dem steht nicht entgegen, dass er durch Satzung Aufgaben der Arbeitsvermittlung auf die dafür gegründete Bl. übertragen hat. Jedenfalls diese Zuständigkeitsübertragung ist rechtswidrig. Dem steht nicht entgegen, dass erstens nach dem AGSGBII der Beklagte die Aufgaben im eigenen Wirkungskreis ausführt und der Beklagte im Rahmen seiner Organisationshoheit grundsätzlich Aufgaben auf eine kommunale Anstalt öffentlichen Rechts übertragen darf und zweitens § 6a Abs. 5 SGB II vorsieht, dass der Beklagte zur Verwaltung der Bundesmittel eigene Einrichtungen schafft: Den Vorschriften der §§ 6 ff. SGB II kann entnommen werden, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Aufgaben nach dem SGB II nach Außen hin, insbesondere im Verhältnis zu Leistungsberechtigten, aus einer Hand erfolgen sollten und die Tätigkeit zweier Leistungsträger gerade nicht gewollt war (zum Folgenden: Greiser, Weißenberger, Susnjar, Anmerkung zu SG Osnabrück, Urteil vom 28. Juni 2016, S 31 AS 440/12, NdsVbl. 2016, 383, 384). Dem steht die Vorschrift des § 6a Abs. 5 SGB II nicht entgegen. Diese Vorschrift sieht die Schaffung von Einrichtungen für die Wahrnehmung von Aufgaben anstelle der Bundesagentur vor. Zur Rechtsform der Einrichtung macht die Vorschrift keine Vorgaben. Unproblematisch ist die Schaffung mehrerer Einrichtungen, wenn diese keine Rechtspersönlichkeit haben. Derartige Entscheidungen sind ohne weiteres von der Organisationshoheit des Beklagten gedeckt. Sobald die Einrichtungen jedoch Rechtspersönlichkeit haben, handelt es sich nicht um eine bloße Organisationsentscheidung. Denn dann steht sich ein Leistungsempfänger zwei Rechtsträgern gegenüber. Dies erschwert die Geltendmachung von Ansprüchen, weil durch notwendige Beiladungen die Verfahren länger dauern und nicht in jedem Einzelfall sichergestellt ist, dass Ansprüche nach allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten (als Eingliederungsleistungen oder als Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt) geprüft werden (Greiser u. a., S. 384). Der Eingriff in die Organisationshoheit ist jedenfalls gerechtfertigt. Es verbleiben dem Beklagten noch genügend Möglichkeiten für Organisationsentscheidungen. So können entweder der BI. alle Aufgaben übertragen werden. Oder die Mitarbeiter der BI. werden zwar für Teile der Sachbearbeitung herangezogen und die Entscheidungen werden vom Beklagten getroffen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21.10.2011 (Nds. GVBl. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Osnabrück, Hakenstraße 15, 49074 Osnabrück, schriftlich oder in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Osnabrück, Hakenstraße 15, 49074 Osnabrück, schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der obengenannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei Einlegung der Berufung in elektronischer Form. BZ.