Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 23.08.2017, Az.: S 34 KR 642/16
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 23.08.2017
- Aktenzeichen
- S 34 KR 642/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 24770
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen Beiträge auf eine ausgezahlte Leistung einer Lebensversicherung. Die Klägerin (geb. 1951) ist mit J. A. verheiratet. Der Ehepartner war als Einzelkaufmann Inhaber eines KfZ-Handels, Firma Autohaus A ... Die Klägerin war bei ihm als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Im März 1991 schloss der Ehemann eine Lebensversicherung als Versicherungsnehmer ab. Begünstigte war die Klägerin. Zeitgleich wurde im März rückwirkend zum Januar 1991 eine Gehaltsumwandlung durch Zahlung von Gehaltsbestandteilen auf die zeitgleich abgeschlossene Lebensversicherung vereinbart. Ende 2005 veräußerte der Ehepartner den KfZ-Handel mit notariellem Vertrag vom 12. Dezember 2005. Nach dem Vertrag wurden namentlich benannte Grundstücke und bewegliche Sachen auf den Erwerber übertragen. Auf die vertraglichen Regelungen zum Übergang von vertraglichen Verpflichtungen (§ 8), Arbeitsverträgen (§ 9) sowie zu den sonstigen Gegenständen (§ 13) wird Bezug genommen (Bl, 22, und 23 f. der Gerichtsakte = Bl. 9 und 10 f. der Vertragsurkunde). Die Übertragung der Firma erfolgte nach dem Vertrag (§ 7) zum 1. Januar 2006. Ungeklärt ist, ob die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch bei der Firma beschäftigt war. Am 5. Dezember 2008 wurde bei der Lebensversicherung ein Änderungsantrag gestellt, wonach die Zahlungen zum 1. Januar 2009 ausgesetzt und zum 1. Januar 2010 wieder aufgenommen werden sollten. Als Versicherungsnehmer ist in dem Antrag benannt "Fa. J. A.". Der Antrag ist vom Ehemann unterschrieben. Auf den Antrag wird Bezug genommen (Bl. 52-54 der Gerichtsakte). Im November 2009 stellte der Ehemann einen Antrag auf Wiederinkraftsetzung ab dem 1. Januar 2010. Der Antrag ist auf der ersten Seite mit dem Firmenstempel "Fahrzeuge A. " versehen. Als derzeitiger Beruf der Klägerin ist auf S. 3 des Antrages "Angestellte kaufm." vermerkt (= Bl. 57 d. Gerichtsakte). Der Antrag ist vom Ehemann unterschrieben und an der Stelle ist der Firmenstempel ("Fahrzeuge A. ") aufgebracht. Die Klägerin war seit dem 1. April 2010 bei den Beklagten versichert, und zwar im Rahmen einer Familienversicherung. Mitte Dezember 2013 beantragten der Ehepartner als Versicherungsnehmer und die Klägerin als versicherte Person die Auszahlung der Versicherungsleistung zum 1. Januar 2014. Die Lebensversicherung nahm die Auszahlung vor und meldete zunächst einen Betrag von ca. 70.000 EUR an die Beklagten. Seit dem 28. April 2016 war die Klägerin bei den Beklagten als Rentenantragstellerin versichert. Mit Bescheid vom 26. Mai 2016 setzte die Beklagte zu 1.) auch im Namen der Beklagten zu 2.) ab dem 1. August 2016 monatliche Beiträge in Höhe von 1/120 des Auszahlungsbetrages von ca. 70.000 EUR fest. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 14 f. der Gerichtsakte). Dagegen legte die Klägerin am 28. Juni 2016 Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass ihr Ehemann seit dem 1. Januar 2006 nicht mehr Firmeninhaber sei. Da er nicht der Arbeitgeber sei, könne es sich auch nicht mehr um eine betriebliche Vorsorgeleistung handeln. Die Arbeitsverträge habe der Erwerber übernommen. Seit dem 1. August 2016 ist die Klägerin in der Krankenversicherung der Rentner versichert. Im Nachgang zu Nachfragen der Klägerin im Zusammenhang mit dem laufenden Widerspruchsverfahren korrigierte die Lebensversicherung ihre Meldung und teilte einen zu verbeitragenden Auszahlungsbetrag in Höhe von ca. 86.000 EUR mit. Weiterhin teilte die Lebensversicherung der Klägerin mit, dass eine Übertragung der Eigenschaft als Versicherungsnehmer auf die Klägerin nie erfolgt sei (Schreiben vom 14. Oktober 2016). Mit Änderungsbescheid vom 24. Oktober 2016 korrigierte die Beklagte zu 1.) auch für die Beklagte zu 2.) die Beiträge entsprechend der korrigierten Meldung. Auf den Bescheid vom 24. Oktober 2016 (Bl. 72 der Verwaltungsakte) wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2016 wurden die Beiträge ab dem 1. Oktober 2016 entsprechend der korrigierten Meldung festgesetzt. Darauf wird Bezug genommen (Bl. 74 d. Verwaltungsakte). Mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2016 wies die Beklagte zu 1.) auch für die Beklagte zu 2.) den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Leistung aus der Lebensversicherung sei ab dem Eintritt in das Rentenalter zu verbeitragen. Dies folge aus §§ 237, 229, 248, 241 und 250 SGB V. Die Einführung der Verbeitragung von Versorgungsbezügen sei auch verfassungsgemäß. Es habe auch keine Übertragung auf die Klägerin vorgelegen, so dass die Beiträge nicht neu zu berechnen gewesen seien. Die Klägerin hat am 23. November 2016 Klage erhoben. Sie trägt vor: Ab dem 1. Januar 2006 sei der Ehemann nicht mehr Arbeitgeber. Der Erwerber habe die Firma übernommen. Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26.Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2016 aufzuheben.
Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Die Beklagten nehmen Bezug auf die Rechtsprechung des BVerfG. Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen sowie Auskünfte bei der Lebensversicherung D eingeholt. Auf die oben bezeichneten Schriftstücke wird Bezug genommen. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
Entscheidungsgründe
A. Die Kammer konnte nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG). Die Kammer konnte ohne weiteres das Rubrum berichtigen und die Beklagte zu 2.) aufnehmen. Aus dem Bescheid und dem Widerspruchsbescheid geht eindeutig hervor, dass auch Beiträge zur Pflegeversicherung erhoben werden und dass die Bescheide auch im Namen der ergehen. Das Passivrubrum der Klageschrift ist insoweit auslegungsfähig, als es dort nur heißt "AOK Niedersachsen". Der Antrag war dementsprechend nach § 123 SGG auszulegen, zumal die Beklagte zu 1.) in fast jedem Schriftsatz darauf hinwies, dass es sich auch um eine Äußerung der handele. Das Verfahren bedurfte aufgrund der objektiven Klagehäufung und der Zusammenfassung der Beitragserhebung in einem Bescheid keiner Abtrennung und Verweisung an eine P-Kammer. Dies folgt aus dem Geschäftsverteilungsplan, wonach die KR-Kammern auch für Beitragsstreitigkeiten mit der Pflegeversicherung zuständig sind, solange die Verfahren nicht getrennt sind. Streitgegenstand sind nach § 86 SGG auch die Bescheide vom 24. und 25. Oktober 2016, sowie nach § 96 SGG die Beitragsbescheide für die Zeit ab Januar 2017. Einer ausdrücklichen Klageerweiterung bedurfte es nicht.
B. Die so verstandene Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hatte ab Renteneintritt Beiträge auf die Auszahlung der D. Lebensversicherung zu zahlen, weil die Klägerin Beiträge zu tragen hatte und es sich bei der Auszahlung um beitragspflichtige Einnahmen handelte, für die der von der Beklagten angewendete Beitragssatz einschlägig ist.
I. Nach § 252 SGB V hat Beiträge zu zahlen, wer sie zu tragen hat. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB V trägt die Klägerin die Beiträge aus den Versorgungsbezügen allein.
II. Bei der Auszahlung der Lebensversicherung handelt es sich um eine Einnahme, die mit der Rente vergleichbar ist, weil sie zur Altersversorgung erzielt wird und es sich um eine Rente aus der betrieblichen Altersversorgung handelt (§ 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V). Da es sich im Sinne des § 229 Abs. 1 S. 2 SGB V um eine Einmalleistung handelt, deren Zahlung vor Eintritt des Versicherungsfalles vereinbart wurde, gilt als Einnahme für den Zeitraum von 10 Jahren 1/120 als monatliche Einnahme. Dabei hat die Beklagte bereits die Rechtsprechung des BSG berücksichtigt, wonach die Verbeitragung erst mit dem Renteneintrittsalter zu erfolgen hat (BSG, Urteile vom 29. Juli 2015, B 12 Kr 4/14 R, , Rn. 22 sowie vom 21. Juli 2017, B 12 KR 12/15 R - Terminsbericht). Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Lebensversicherung nicht mit der Beendigung der selbständigen Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin den institutionellen Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge verlassen: Die Veräußerung des Betriebs ändert nichts daran, dass die Versorgungszusage im Rahmen einer betrieblichen Altersvorsorge abgegeben wurde. Aus der Vereinbarung vom 4. März 1991 über die Umwandlung von Barlohn in Versicherungsschutz im Rahmen von § 40b EStG (= Bl. 51 d. Gerichtsakte) ergibt sich, dass der Ehemann der Klägerin als ihr Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG zugesagt hat. Damit ist der Anwendungsbereich des BetrAVG eröffnet. Ist der Anwendungsbereich einmal eröffnet, bleibt der Charakter als betriebliche Altersvorsorge grundsätzlich erhalten. Grund für die Verpflichtungen des ehemaligen Arbeitgebers ist die als Arbeitgeber abgegebene Zusage, Versorgungsleistungen zu erbringen (§ 1 BetrAVG). Diese Verpflichtung gegenüber dem ehemaligne Arbeitgeber erlischt nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen (§ 4 Abs. 6 BetrAVG, § 415 BGB, § 613a BGB). Keinesfalls genügt die Einstellung des Betriebs oder bei beendeten Arbeitsverhältnissen seine Veräußerung. Unerheblich ist im vorliegenden Fall, ob die Klägerin beim Übergang noch bei der Fa A. beschäftigt war oder ob das Beschäftigungsverhältnis schon beendet war. Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren daher unerheblich: War die Klägerin beim Betriebsübergang noch bei der Firma A. beschäftigt, so wäre das Arbeitsverhältnis insgesamt nach § 613a BGB auf den Erwerber übergegangen. Vom Übergang wäre dann auch die Versorgungszusage umfasst (BAG, Urteil vom 24. März 1987, Az.: 3 AZR 384/85, , Rn. 22 f.; BAG, Urteil vom 14. Juli 1981, Az.: 3 AZR 517/80, , Rn. 8 ff.). Der betriebliche Bezug wäre dann ohne weiteres gegeben. War die Klägerin beim Betriebsübergang nicht mehr bei der Firma A. beschäftigt, wären die Versorgungsansprüche nicht auf den neuen Arbeitgeber übergegangen (1.), der institutionelle Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung wäre gleichwohl nicht verlassen (2.):
1. § 613a BGB umfasst nur bestehende Arbeitsverhältnisse (vgl. jeweils BAG, a. a. O.). Dem Veräußerungsvertrag kann auch nicht entnommen, dass der neue Arbeitgeber die Versorgungsleistungen übernommen hat. Der Vertrag umfasst nach § 9 nur bestehende Arbeitsverhältnisse ("zum Betrieb gehörige Arbeitnehmer"). § 8 umfasst nur Verträge aus Lieferungen. § 13 enthält nur eine Klarstellung zu nicht übertragenen Werten, wozu auch Versicherungsverträge gehören. Ein ausdrücklicher Schuldbeitritt des neuen Arbeitgebers mit entsprechender ausdrücklicher Zustimmungserklärung der Klägerin ist darin nicht enthalten.
2. Der rechtliche Rahmen des BetrAVG kann auch in diesen Fällen nicht ohne weiteres verlassen werden. Dies zeigt schon § 4 BetrAVG. Nach § 4 Abs. 6 BetrAVG erlischt die Zusage des ehemaligen Arbeitgebers nur bei einer Übertragung nach § 4 Abs. 2 ff. BetrAVG. Im Übrigen gilt das Übertragungsverbot des § 4 Abs. 1 BetrAVG (ErfK/Steinmeyer, 17. Aufl. 2017, BetrAVG § 4 Rn. 4). Erfolgt eine Übertragung nach § 4 Abs. 2-6 BetrAVG, dann bleibt freilich der betriebliche Rahmen erhalten. Entweder erfolgt die Übertragung auf neue Arbeitgeber (Abs. 2 und Abs. 3). Oder die Zusage kann nur von ganz bestimmten Unternehmen übernommen werden (Pensionskassen, Anbieter von Direktlebensversicherungen, Abs. 4). Der betriebliche Zusammenhang wird in diesem Fall dadurch verdeutlicht, dass die Verwendung der Überschussanteile gesondert geregelt ist (§ 16 Abs. 3 Nr. 2) und mithin die Regelungen des BetrAVG auch nach der Übertragung fortwirken. Neben der Übertragung nach § 4 BetrAVG kommt eine Übertragung im Wege der befreienden Schuldübernahme auf den neuen Betrieb in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 24. März 1987, a. a. O., Rn. 26). Gerade bei einer Übertragung an den neuen Betrieb bleibt der betriebliche Charakter gewahrt. Der betriebliche Bezug wird auch durch die Pflicht zur Tragung von Beiträgen zur Insolvenzsicherung deutlich: Bis zum Erlöschen der Zusage ist der ehemalige Arbeitgeber zur Tragung von Beiträgen für die Insolvenzsicherung zuständig (§ 10 BetrAVG; vgl. dazu VG E-Stadt, Urteil vom 17. Dezember 2009, Az.: M 17 K 09.2693; , Rn. 24 ff. bestätigt durch Bayerischer VGH, Beschluss vom 1. Juni 2011, Az.: 5 ZB 10.463, , Rn. 5 f.). Wenn es also versäumt wird eine Übertragung auf den neuen Firmeninhaber zu vereinbaren, bleibt es bei der Verantwortung des bisherigen Arbeitgebers, gerade auch dann wenn der das Unternehmen gar nicht mehr fortführt (so die Fallgestaltung bei VG E-Stadt, a. a. O., Rn. 1 ff.).
III. Der betriebliche Rahmen wird unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst verlassen, wenn eine Übertragung der Eigenschaft als Versicherungsnehmer erfolgt (1 BvR 1660/08). Erst dann liegt ein objektivierendes Merkmal vor, das eine Abgrenzung betrieblichnicht betrieblich erlaubt. Diese Übertragung erfolgte hier überhaupt nicht. Nur ergänzend sei anzumerken, dass dann allenfalls die ab dem 1. Januar 2006 eingezahlten Beiträge beitragsfrei wären. Der bis dahin eingezahlte Teil in Höhe von wohl über 70.000 EUR wäre gleichwohl zu verbeitragen.
IV. Das BSG hat nach der maßgeblichen Entscheidung des BVerfG diese Rechtsprechung fortgeführt (BSG, Beschluss vom 30. Januar 2017 - B 12 KR 22/16 B -, ) und entsprechende Verfassungsbeschwerden sind nicht zu Entscheidung angenommen worden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. März 2017 - 1 BvR 631/15 -, ). Deswegen besteht weder ein Anlass von der Rechtsprechung des BSG abzuweichen, noch dazu die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verbeitragung der Versorgungsbezüge (erneut) dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen.
V. Für die Beklagte zu 2.) als gelten nach §§ 60, 59, 57, 55 SGB XI die obigen Ausführungen entsprechend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.