Sozialgericht Osnabrück
Beschl. v. 29.11.2017, Az.: S 34 KR 452/16

Verfassungsmäßigkeit der Verbeitragung von Versorgungsbezügen

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
29.11.2017
Aktenzeichen
S 34 KR 452/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 40920
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • NZS 2018, 951

Tenor:

  1. 1.

    Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Prüfung vorgelegt: Ist die Vorschrift des § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 i. V. m. § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V verfassungsgemäß?

  2. 2.

    Das Verfahren wird bis zur Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Verbeitragung eines Versorgungsbezugs.

Der Kläger war vom 4. Januar 1982 bis Anfang 2016 abhängig sozialversicherungspflichtig als Kraftfahrer beschäftigt. Sein Tarifstundenlohn betrug zuletzt 2.700 bis 3.040 EUR im Monat. Mit seinem Arbeitgeber vereinbarte er im Dezember 2006 eine Bruttolohnumwandlung und Einzahlung des Bruttolohns in eine Direktversicherung. Der Arbeitgeber schloss im Dezember 2006 für den Kläger eine Lebensversicherung ab. Der Arbeitgeber trat als Versicherungsnehmer auf und der Kläger galt als versicherte Person. Der Arbeitgeber allein zahlte in diese Versicherung ein. Bei den Zahlungen handelte es sich sowohl um umgewandelten Bruttolohn (90 % = 190,59 EUR) als auch in geringem Umfang (10 % = 19,06 EUR) um eine Prämie des Arbeitgebers (insgesamt 209,75 EUR pro Monat). Der Kläger rückte zu keiner Zeit in den Versicherungsvertrag ein.

Im Dezember 2015 zahlte das Versicherungsunternehmen dem Kläger einen Betrag in Höhe von 22.731,05 EUR aus.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 setzte die Beklagte für die Krankenversicherung und Pflegeversicherung Beiträge in Höhe von insgesamt 33,63 EUR pro Monat fest. Dabei legte sie die Auszahlungssumme auf 120 Monate um (189,43 EUR/Monat). Die Beklagte bestimmte die Höhe der Beiträge durch Anwendung der Beitragssätze auf den monatlichen Betrag.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch auch im Namen der Pflegekasse als unbegründet zurück. Der Versorgungsbezug sei nach § 229 Abs. 1 SGB V als Einkommen zu berücksichtigen und es seien die allgemeinen Beitragssätze nach § 241 SGB V bzw. § 55 Abs. 1 SGB XI (14,6 % und 2,35 %) sowie der kassenindividuelle Zusatzbeitrag von 0,8 % anzuwenden. Die Beiträge seien nach § 250 SGB V durch den Kläger zu tragen. Die Entscheidungen des BVerfG zu 1 BvR 1660/08 und 1 BvR 739/08 seien nicht einschlägig, weil eine Umschreibung auf den Kläger nicht erfolgt sei.

Der Kläger hat am 15. August 2016 Klage erhoben.

Nach Klageerhebung hat die Beklagte einen weiteren Beitragsbescheid für die Beiträge ab dem 1. Januar 2017 erlassen.

Der Kläger trägt vor, dass es ungerecht sei, dass er von seiner ersparten Altersvorsorge Beiträge entrichten müsse. Er nimmt Bezug auf seine Unterlagen über den Abschluss des Versicherungsvertrages und die Auszahlung der Versicherungssumme.

Er beantragt in der Sache,

den Bescheid vom 15. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2016 sowie die weiteren Beitragsbescheide auf die Versorgungsbezüge bis heute aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.

II.

Die Kammer hatte das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG sowie § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG auszusetzen und die Vorschriften der §§ 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen, weil sie in ihrer Gesamtheit, ungeachtet der bisherigen Entscheidungen des BVerfG sowie des BSG zur Verbeitragung von Versorgungsbezügen, von der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften überzeugt ist (A.) und die Frage der Gültigkeit der Vorschriften entscheidungserheblich ist (B.):

A. Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen Vorschriften

Die genannten Vorschriften, sowie die noch darzustellenden ergänzenden Bestimmungen des SGB IV, der SVeV sowie der ArEV (siehe unten, A.3.b.aa, S. 7) sind aus zwei Gründen mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar:

Erstens handelt es sich bei dem Versorgungsbezug zum größten Teil um umgewandelten Bruttolohn (dazu näher unter A.3.c.aa, S. 10). Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, diesen Anteil des Versorgungsbezugs anders zu verbeitragen als dies sonst bei Bruttolohn der Fall ist. Insbesondere die Steuerersparnis rechtfertigt dies nicht. Denn Maßstab muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Erhebung der Beiträge sein. Die Steuerersparnis erzielt der Betroffene jedoch vor der Auszahlung des Versorgungsbezugs.

Zweites hat der Gesetzgeber nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass Einkommen nicht doppelt verbeitragt wird (siehe unten A.3.c.bb, S. 11).

In der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG ist der erste Grund nicht ausreichend berücksichtigt, weil es die Ungleichbehandlung hauptsächlich bei der Tragung der Beiträge gesehen hat (dazu näher unter A.1). Die dazu vom BSG vertretene Argumentation ist nicht überzeugend (dazu näher unter A.2).

Prüfungsmaßstab ist nach der Rechtsprechung des BVerfG allein Art. 3 Abs. 1 GG (dazu näher, A.3.a, S. 5.). Art. 14 GG ist nicht einschlägig und Vertrauensschutz kann der Kläger aufgrund des Zeitpunkts des Abschlusses der Versicherung nicht geltend machen.

1. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG

Das BVerfG hat die Verfassungsmäßigkeit der Verbeitragung der Versorgungsbezüge grundsätzlich bestätigt (Nichtannahmebeschluss des 1. Senats, 2. Kammer vom 28. Februar 2008, Az.: 1 BvR 2137/06, juris; Nichtannahmebeschluss des 1. Senats, 2. Kammer vom 7. April 2008, Az.: 1 BvR 1924/07, juris; stattgebender Kammerbeschluss des 1. Senats, 3. Kammer vom 28. September 2010, Az.: 1 BvR 1660/08). Der Kammer ist bewusst, dass die Anforderung an die Darlegung einer Verfassungswidrigkeit in diesen Fällen höher als sonst sind (vgl. Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 100 GG, Rn. 2):

Im Nichtannahmebeschluss vom 28. Februar 2008 hielt das BVerfG die Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes nach § 248 SGB V für vereinbar mit dem Gleichheitssatz (Beschluss vom 28. Februar 2008, 1 BvR 2137/06, juris, Rn. 23). Dabei führte das BVerfG aus, dass die eigentliche Belastung nicht primär aus der Anwendung des Beitragssatzes folge, sondern aus der alleinigen Tragung der Beiträge durch das Mitglied (1 BVR 2137/06, a. a. O., Rn. 27). Das BVerfG betonte den Spielraum des Gesetzgebers in der Ausgestaltung der Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherung (1 BvR 2137/06, Rn. 30). Es sei in diesem Zusammenhang nicht geboten, Dritte an der Beitragslast zu beteiligen (a. a. O., Rn. 31.). Der fehlende Anspruch auf Krankengeld rechtfertige keinen geringeren Beitrag (a. a. O., Rn. 35). Weiterhin sei die Beitragslast mit Art. 2 GG vereinbar. Unter anderem sei die Beitragslast vergleichsweise gering (a. a. O., Rn. 40).

Auf die Ausführungen zum Vertrauensschutz kommt es hier nicht an, da der Vertrag vorliegend ohnehin nach der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 abgeschlossen wurde.

Im Nichtannahmebeschluss vom 7. April 2008 bestätigte das BVerfG diese Ausführungen (1 BvR 1924/07, juris). Es hielt es für vereinbar mit Art. 3 GG

1. Versorgungsbezüge an sich der Beitragspflicht zu unterwerfen, weil sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen (Rn. 31), 2. 3. Kapitalleistungen einzubeziehen, da es keinen wesentlichen Unterschied zu anderen Versorgungsbezügen gebe (Rn. 32), und 4. 5. die Versorgungsbezüge dem allgemeinen Beitragssatz zu unterwerfen (Rn. 33). 6. Die Einbeziehung der kapitalisierten Versorgungsbezüge sei auch verhältnismäßig. Der Zweck der Beseitigung einer unangemessenen Privilegierung der Bezüge sei zulässig. Monatlich sei nur ein geringer Betrag zu zahlen (BVerfG, a. a. O., Rn. 34 f.).

Das BVerfG hat lediglich in einer Fallkonstellation Anlass für eine verfassungskonforme Auslegung gesehen, nämlich soweit der Versicherungsvertrag vom Arbeitnehmer formal übernommen worden sei und dieser unmittelbar Beiträge leiste (Beschluss vom 28. September 2010, Az.: 1 BvR 1660/08, juris, Rn. 13 ff.). Im Übrigen hat es an der oben wiedergegebenen Rechtsprechung festgehalten (1 BvR 1660/08, a. a. O., Rn. 8). Diese Fallkonstellation ist hier nicht einschlägig, weil eine Übernahme der Versicherung durch den Kläger zu keiner Zeit erfolgte. Auch wurden die Beiträge laufend vom Arbeitgeber gezahlt.

Nach Auffassung der Kammer hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit der Problematik befasst, ob sich eine Verfassungswidrigkeit daraus ergibt, dass die Beiträge zur Direktversicherung teilweise bereits der Beitragspflicht unterlagen und der daraus entspringende Versorgungsbezug ebenfalls der vollen Beitragspflicht unterliegt und dass das Erwerbseinkommen an sich nur zur Hälfte zu verbeitragen gewesen wäre. Das BSG hat eine Verfassungswidrigkeit aus diesem Grund verneint, das BVerfG hat diese Argumentation wiedergegeben, sie aber - soweit ersichtlich - nicht weiter geprüft (BSG, Urteil vom 25. April 2007, Az.: B 12 KR 25/05 R, juris, Rn. 25 m. w. N.; darauf Bezug nehmend: BVerfG, 1 BvR 1924/07, Rn. 20). Der Grund hierfür liegt darin, dass das BVerfG die Ungleichbehandlung nicht in der Anwendung des Beitragssatzes, sondern in der alleinigen Tragung der Beitragslast sieht (BVerfG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: 1 BvR 2137/06, juris, Rn. 27).

2. Die bisherige Rechtsprechung des BSG

Das BSG setzte sich mit der Frage auseinander, ob Versorgungsbezüge wie Arbeitseinkommen zu verbeitragen seien. Das BSG führte dazu im Einzelnen aus:

Der 12. Senat unterscheide nicht danach, ob die Aufwendungen vom Versicherten selbst getragen wurden und ob auf die hierfür eingesetzten finanziellen Beiträge bereits Krankenversicherungsbeiträge erhoben worden waren (BSG, a. a. O., Rn. 25). Es existiere im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung kein Grundsatz, der es verbiete Versorgungsbezüge zu verbeitragen, die aus bereits verbeitragten Einnahmen entstammen (a. a. O.). Dabei nahm das BSG Bezug auf zwei Entscheidungen des gleichen Senats.

In B 12 KR 29/04 R (Urteil vom 28. August 2005, juris, Rn. 18) führte das BSG aus, dass es keinen allgemeinen Grundsatz gebe, wonach Versicherungspflichtige die Beiträge aus ihren beitragspflichtigen Einkünften im Ergebnis stets nur zur Hälfte tragen müssten, also die Beitragslast der Versicherungspflichten nicht höher sein dürfe als der sich nach dem halben Beitragssatz ergebende Betrag. Zur Begründung führte das BSG an dieser Stelle aus, dass es diesen Grundsatz nicht gebe. Ergänzend führte es aus, dass es diesen Grundsatz nicht einmal für das Arbeitsentgelt gegeben habe, welches zu früheren Zeiten zu 2/3 zu verbeitragen war. Als Prüfungsmaßstab zog das BSG Art. 3 GG heran (BSG, B 12 KR 29/04 R). Das Gesetz verfolge das legitime Ziel der Beitragsstabilität und der Beteiligung der Rentner an den Kosten der Gesundheitsaufwendungen (BSG, B 12 KR 29/04 R, Rn. 20). Später hat das BSG diese Begründung wiederholt und daran festgehalten (BSG, Urteil vom 10. Mai 2006, Az.: B 12 KR 5/05 R, juris, Rn. 20).

Der 12. Senat des BSG führte weiter aus, dass Art. 14 GG nicht verletzt sei. Das Vermögen sei nicht generell gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten geschützt (Urteil vom 28. August 2005, Az.: B 12 KR 29/04 R, juris, Rn. 31; Urteil vom 10. Mai 2006, Az.: B 12 KR 5/05 R, juris, Rn. 33). Dabei nahm das BSG Bezug auf Beschlüsse des BVerfG vom 12. Oktober 1994 (1 BvL 19/90, juris), vom 31. Mai 1999 (2 BvL 12/88, juris) und vom 18. Januar 20006 (2 BvR 2194/99, juris). Darin wird auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG Bezug genommen, wonach Art. 14 GG schon gar nicht berührt ist, soweit aufgrund von Vermögen Geldleistungspflichten auferlegt werden (BVerfG, Beschluss vom 08. April 1987 - 2 BvR 909/82 -, BVerfGE 75, 108-165, juris, Rn. 116 m. w. N.).

Die Argumentation des BSG ist nicht überzeugend, siehe unten A.3.c.aa.

3. Verfassungsrechtliche Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG

a. Prüfungsmaßstab

Prüfungsmaßstab ist allein Art. 3 GG.

Art. 14 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht berührt, soweit Vermögenswerte mit Abgaben belegt werden (BVerfG, Beschluss vom 08. April 1987 - 2 BvR 909/82 -, BVerfGE 75, 108-165, juris, Rn. 116 m. w. N.). Art. 2 GG i. V. m. Art. 20 GG (Rechtsstaatsprinzip) ist hier ebenfalls nicht berührt. Da der Kläger seinen Vertrag erst im Jahr 2006, also nach der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004, abgeschlossen hatte, konnte er auf keinen Fall Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen. Andere Grundrechte sind nicht betroffen.

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es wesentlich Gleiches ungleich und Ungleiches gleich zu behandeln (Nachweise bei Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 3 GG, Rn. 2). Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik weitgehende Gestaltungsfreiheit ein (vgl. zu Art. 12 GG: BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 -, juris, Rn. 129; darauf Bezug nehmend: Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 3 GG, Rn. 65). Regelt der Gesetzgeber Massenerscheinungen - das Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung gehört dazu - hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Befugnis Typisierungen vorzunehmen (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 3 GG, Rn. 85). Davon ist das BVerfG insbesondere bei der Prüfung der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen ausgegangen (BVerfG, 1 BvR, Beschluss vom 28. September 2010, Az: 1 BvR 1660/08, juris, Rn. 10).

Die Kammer geht davon aus, dass die noch darzustellenden Vorschriften (A.3.b) mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind (dazu näher unter A.3.c):

Es gibt keinen sachlich gerechtfertigten Grund dafür, die Einkünfte aus Versorgungsbezügen, soweit es sich um umgewandelten Bruttolohn handelt, mit dem vollen Beitragssatz zu belegen.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass der Versorgungsbezug zum allergrößten Teil aus dem Bruttolohn des Klägers stammt, der an sich nur mit dem halben Beitragssatz zu belegen gewesen wäre. Dabei kann die Steuerersparnis aufgrund von § 3 Nr. 63 EStG den wirtschaftlichen Nachteil nur teilweise auffangen und die Steuerersparnis aus den Jahren 2006 bis 2015 kann nicht zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Jahr 2016 und den Folgejahren herangezogen werden. Dabei sei an dieser Stelle verdeutlicht, dass die Verbeitragung von Zinsen und der Arbeitgeberzuwendungen in Höhe von 19,06 EUR/Monat aus Sicht der Kammer unproblematisch sind, soweit Beiträge nicht doppelt erhoben werden.

Außerdem hat der Gesetzgeber nicht in ausreichender Weise sichergestellt, dass Beiträge aus dem Bruttolohn des Arbeitnehmers nicht doppelt eingezogen werden. Dabei geht die Kammer davon aus, dass es sachwidrig und nicht zu rechtfertigen ist, Einkünfte auch nur teilweise doppelt zu verbeitragen.

b. Prüfungsgegenstand

Die Kammer hat im Tenor des Beschusses nur auf § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V abgestellt. Die Vorschrift wird jedoch durch § 14 SGB IV und die Verordnung nach § 17 SGB IV maßgeblich ausgestaltet, so dass diese Vorschriften, namentlich § 14 Abs. 1 SGB IV, § 17 SGB IV, § 2 ArEV bzw. § 1 SVeV als Prüfungsgegenstand ergänzt werden müssen (vgl. Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 100 GG, Rn. 81). Außerdem verweisen diese Vorschriften auf das EStG, namentlich auf §§ 3 Nr. 63 EStG. Dabei ist auch § 17 SGB IV selbst zu prüfen, denn die Vorschrift überlässt es der Bundesregierung zu entschieden, ob Beiträge zu Direktversicherungen der Beitragspflicht ganz oder teilweise nicht unterfallen sollen (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 75. Lieferung 10.2017, Art. 100 GG, Rn. 75).

Diese Vorschriften haben zwischen 2006 und Anfang 2016 teilweise erhebliche Änderungen im Wortlaut erfahren. Sie sind im Einzelnen darzustellen, weil die Vorschriften nur im Zusammenhang verständlich sind. Zusammengefasst wird nach § 14 SGB IV i. V. m. den Durchführungsverordnungen auch umgewandelter Bruttolohn als Arbeitsentgelt verstanden. Dieser Entgeltbestandteil war jedoch anfangs vollständig und später bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze beitragsfrei, im Einzelnen:

aa. § 226 SGB V

§ 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V hatte durchweg (von 2006 bis heute) folgenden Wortlaut:

(1) 1Bei versicherungspflichtig Beschäftigten werden der Beitragsbemessung zugrunde gelegt

1.

das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung,

bb. § 14 SGB IV: Definition des Arbeitseinkommens

§ 14 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB IV lauteten in der Fassung vom 23. Januar 2006, gültig vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2007 und in der Fassung 19. Dezember 2007, gültig vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2008:

(1) 1Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. 2Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden.

Ab dem 1. Januar 2009 hatten die Vorschriften folgenden Wortlaut (Fassung vom 10. Dezember 2007, gültig ab dem 1. Januar 2009; Fassung vom 12. November 2009, gültig ab dem 1. September 2009, Fassung vom 5. August 2010, gültig ab dem 11. August 2010; Fassung vom 15. April 2015, gültig ab dem 22. April 2015):

(1) 1Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. 2Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

cc. § 17 SGB IV: Verordnungsermächtigung

§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IV enthielt eine Verordnungsermächtigung, wonach die Bundesregierung ermächtigt wurde zu bestimmen, dass Beiträge an Direktversicherungen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten (Fassung vom 23. Januar 2006, gültig ab dem 1. Januar 2006; Fassung vom 31. Oktober 2006, gültig ab dem 8. November 2006; Fassung vom 12. November 2009, gültig ab dem 1. September 2009; Fassung vom 5. August 2010, gültig ab dem 11. August 2010).

dd. Arbeitsentgeltverordnung

Zunächst machte die Bundesregierung durch § 2 Abs. 1 Nr. 5 ArEV (Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung - Arbeitsentgeltverordnung) von der Verordnungsermächtigung Gebrauch (Fassung vom 9. Dezember 2004, gültig vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006). Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut:

(2) Dem Arbeitsentgelt sind ferner nicht zuzurechnen

1. , 2. , 3. , 4. ,

5.

steuerfreie Zuwendungen an Pensionskassen, Pensionsfonds oder Direktversicherungen nach § 3 Nr. 63 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes im Kalenderjahr bis zur Höhe von insgesamt 4 vom Hundert der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung; für darin enthaltene Beträge aus einer Entgeltumwandlung (§ 1 Abs. 2 des Betriebsrentengesetzes) besteht Beitragsfreiheit bis zum 31. Dezember 2008,

ee. Sozialversicherungsentgeltverordnung

§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 ArEV ging in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SVeV (Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt - Sozialversicherungsentgeltverordnung, Fassung 21. Dezember 2016, gültig ab dem 1. Januar 2007) auf und hatte folgenden geänderten Wortlaut:

(1) 1Dem Arbeitsentgelt sind nicht zuzurechnen:

9.

steuerfreie Zuwendungen an Pensionskassen, Pensionsfonds oder Direktversicherungen nach § 3 Nr. 63 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes im Kalenderjahr bis zur Höhe von insgesamt 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung,

Darüber hinaus sah § 4 Abs. 2 SVeV vor, dass im Zusammenhang von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SVeV Beiträge aus einer Entgeltumwandlung bis zum 31. Dezember 2008 beitragsfrei sein sollten.

Mit der Fassung vom 18. November 2008 wurde § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SVeV geändert und § 4 (Übergangsregelung) fiel weg. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SVeV erhielt einen Halbsatz 2 (Hervorhebungen durch die Kammer):

(1) 1Dem Arbeitsentgelt sind nicht zuzurechnen:

9.

steuerfreie Zuwendungen an Pensionskassen, Pensionsfonds oder Direktversicherungen nach § 3 Nr. 63 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes im Kalenderjahr bis zur Höhe von insgesamt 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung; dies gilt auch für darin enthaltene Beträge, die aus einer Entgeltumwandlung (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 des Betriebsrentengesetzes) stammen,

Diesen Wortlaut hatte die Vorschrift auch in den folgenden Fassungen (Fassung vom 15. Juli 2009, gültig ab dem 22. Juli 2009; Fassung vom 7. Dezember 2011, gültig ab dem 1. Januar 2012; Fassung vom 22. Dezember 2011, gültig ab dem 1. April 2012; Fassung vom 15. April 2015, gültig ab dem 22. April 2015).

ff. Einkommensbegriff des Einkommenssteuerrechts

§ 3 Nr. 63 EStG sah eine Steuerfreiheit von Beiträgen für eine Direktversicherung bis zur Höhe von 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung vor.

gg. Beitragsbemessungsgrenzen

Es galten folgende Beitragsbemessungsgrenzen:

Jahr Monatlich Jährlich 4 % des Jahreswerts 2006 5.250 EUR 63.000 EUR 2.520 EUR 2007 5.250 EUR 63.000 EUR 2.520 EUR 2008 5.300 EUR 63.600 EUR 2.544 EUR 2009 5.400 EUR 64.800 EUR 2.592 EUR 2010 5.500 EUR 66.000 EUR 2.640 EUR 2011 5.500 EUR 66.000 EUR 2.640 EUR 2012 5.600 EUR 67.200 EUR 2.688 EUR 2013 5.800 EUR 69.600 EUR 2.784 EUR 2014 5.950 EUR 71.400 EUR 2.856 EUR 2015 6.050 EUR 72.600 EUR 2.904 EUR 2016 6.200 EUR 74.400 EUR 2.976 EUR

Der Anteil des umgewandelten Bruttolohns war im konkreten Fall geringer als dieser Betrag (2.287,08 EUR = 190,59 EUR * 12).

c. Sachwidrige Ungleichbehandlung aa. Versorgungsbezüge sind wie Arbeitseinkommen zu verbeitragen Es ist entgegen der Auffassung des 12. Senats des BSG sachwidrig, Bruttolohn nur deswegen mit dem vollen Beitragssatz zu belegen, weil er nicht sofort ausgezahlt wird, sondern direkt angespart wird. Das Argument, dass es keinen allgemeinen Grundsatz gibt, wonach Arbeitseinkommen nur zur Hälfte verbeitragt werden darf (BSG, Urteil vom 28. August 2005, Az.: B 12 KR 29/04 R, juris, Rn. 18), geht an der Sache vorbei. Maßstab für Art. 3 Abs. 1 GG ist immer das ansonsten geltende Recht. Wäre ab 2006 geregelt, dass Arbeitseinkommen zu 2/3 zu verbeitragen wäre (BSG, a. a. O., Rn. 18), dann wäre dies natürlich die Quote, die nach Auffassung der Kammer für die Versorgungsbezüge einschlägig wäre. Es soll an dieser Stelle nochmals betont werden, dass die Anwendung des vollen Beitragssatzes ohne Freibeträge auf die Zuwendungen des Arbeitgebers sowie die Zinsen aus der Lebensversicherung nach Auffassung der Kammer unproblematisch sind. Einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung aufgrund des Auszahlungszeitpunkts und der Auszahlungsweise des Arbeitsentgelts gibt es nicht. Nur dies wird hier geprüft. Ist der Maßstab die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers, so gibt es keinen Grund dafür, die Höhe der Beitragslast für den umgewandelten Bruttolohn aufgrund des verschobenen Auszahlungszeitraums zu erhöhen, im Gegenteil: Im Alter und spätestens ab Beginn des Ruhestandes ist durch die Differenz zwischen Rente und Nettoarbeitseinkommen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit tatsächlich gesunken. Dem kann man auch nicht die durch § 3 Nr. 56 und § 32a EStG sich ergebende Steuerersparnis entgegenhalten. Die Steuerersparnis in den Jahren 2006 bis 2015 ergibt sich aus der Verminderung des Steuertarifs durch § 32a EStG (Progression) sowie durch die Verminderung des zu versteuernden Einkommens. Durch die Verminderung des zu versteuernden Einkommens und das Sinken des Steuertarifs verringert sich auch die steuerliche Belastung für das übrige, nicht umgewandelte Bruttoeinkommen. Die Steuerersparnis in den Jahren 2006 bis 2015 kann aber nicht zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab dem Jahr 2016 herangezogen werden. Im Übrigen erscheint es sachwidrig, wenn der Staat zunächst eine Förderung der privaten Altersvorsorge durch eine Steuervergünstigung gewährt und diese später durch das Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung teilweise wieder aufgezehrt wird. Damit der Betroffene sein Verhalten an einer von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen geleiteten Betrachtungsweise ausrichten kann, müsste er die Höhe der Steuerersparnis und Beitragsersparnis im Ansparzeitraum der Höhe der Beitragslast und der Einkünfte im Bezugszeitraum der Versorgungsbezüge gegenüberstellen. Dies kann ein Laie gar nicht leisten. Die Auffassung des BVerfG, die Ungleichbehandlung im Kern nur in der Tragung der Beitragslast zu sehen, überzeugt nicht. Die effektive Beitragslast ergibt sich durch ein Zusammenspiel von Tragung der Beiträge, der Pflicht zu ihrer Zahlung, der Bestimmung der zu verbeitragenden Einkünfte sowie des anzuwenden Beitragssatzes.

bb. Keine ausreichende Sicherung gegen doppelte Verbeitragung von Einkommen Es erscheint mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass der Gesetzgeber die doppelte Verbeitragung von Beträgen zur Bruttolohnumwandlung oberhalb von 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in Kauf genommen hat. Dass die Altersvorsorge sowohl steuerlich als auch beitragsrechtlich nur eingeschränkt durch Beitrags- und Steuerfreiheit gefördert wird, ist dabei unproblematisch und vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Es gibt aber keinen sachlichen Grund dafür, Einkünfte doppelt zu verbeitragen. Denn Maßstab für die Beitragspflicht ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Die doppelte Verbeitragung auch nur geringer Einkommensteile kommt einer Verdoppelung des Beitragssatzes gleich. Dies mag im konkreten Fall nicht einschlägig sein, weil die Gesamteinlagen in die Direktversicherung 4 % der Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreiten (bis 2008, aber auch nur bis 2008, bestand ohnehin Beitragsfreiheit). Im Sinne einer objektiven Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG führt dies gleichwohl insgesamt zur teilweisen, nämlich ab dem 1. Januar 2009 bestehenden, Verfassungswidrigkeit von § 226 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, §§ 14, 17 SGB IV, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SVeV sowie § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V.

B. Entscheidungserheblichkeit Die Verfassungskonformität der Beitragsregelungen ist entscheidungserheblich. Die Höhe des an sich nach den gesetzlichen Vorschriften zu verbeitragenden Einkommens ist unstreitig. Mangels Übernahme des Versicherungsvertrages durch den Kläger ist der volle Auszahlungsbetrag zu verbeitragen. Die Höhe der Beitragssätze ist unstreitig und entspricht den gesetzlichen Bestimmungen. Die Klage wäre ohne weiteres abweisungsreif, wenn man die Geltung des § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V unterstellt. Insbesondere sind keine Beweiserhebungen erforderlich: Zwar ist zwischenzeitlich ein weiterer Beitragsbescheid für das Jahr 2017 ergangen, der nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens wird. Allerdings ändert dieser Bescheid nichts an der Beitragshöhe für das Jahr 2016. Die Höhe des in den Jahren 2006 bis 2015 tatsächlich erzielten Einkommens, die Höhe der tatsächlich gezahlten Beiträge zur Sozialversicherung, insbesondere Krankenversicherung, sowie die Höhe der Steuerersparnis sind für die Beurteilung der Beitragshöhe nach den gesetzlichen Bestimmungen unerheblich. Nach Auffassung der Kammer sind sie auch für die Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall eine Verfassungswidrigkeit den Kläger beschwert, unerheblich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 172 Abs. 2 SGG.