Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 17.07.2017, Az.: S 13 KR 1906/13

Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
17.07.2017
Aktenzeichen
S 13 KR 1906/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 38308
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.104,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2013 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 1.104,98 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung streitig.

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte DM. E. (Patient) befand sich vom 3. Juli 2009 bis zum 4. Juli 2009 in der F. -Klinik G., deren Trägerin die Klägerin ist, in stationärer Behandlung. Es erfolgte ein Eingriff am Schultergelenk. Eingriffe dieser Art sind auch ambulant durchführbar. Die F. -Klinik G. forderte für die Behandlung mit Rechnung vom 8. Juli 2009 von der Beklagten 1.104,98 EUR. Die Beklagte erfüllte die Forderung.

Die Beklagte übersandte der F. -Klinik G. mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 eine Liste mit Fällen, die ambulant durchgeführt werden können. Hierunter befand sich der Behandlungsfall des Patienten. Die Beklagte nahm in dem Schreiben Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 21. März 2013, B 3 KR 28/12 R, wonach ambulant durchführbare Behandlungen den Krankenkassen gegenüber begründungspflichtig seien und bei fehlender Begründung die Entgeltforderung des Krankenhauses nicht fällig werde. Sie forderte die F. -Klinik G. auf, in den aufgeführten Fällen eine entsprechende Begründung für die stationäre Behandlung zu übermitteln. Die F. -Klinik G. kam der Aufforderung der Beklagten nicht nach, woraufhin diese den Betrag in Höhe von 1.104,98 EUR am 13. Dezember 2013 von einer Sammelrechnung der F. -Klinik G. absetzte.

Mit der am 20. Dezember 2013 erhobenen Klage macht die Klägerin diesen Betrag nebst Zinsen geltend.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Bundessozialgericht den Regelungsgehalt des § 301 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als auch die Datenübermittlungsvereinbarung unzulässig erweitert habe und hält die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für Abrechnungen vor Verkündung der maßgeblichen Urteile vom 16. Mai 2012 und 21. März 2013 für nicht anwendbar. Des Weiteren meint die Klägerin die durchgeführte Verrechnung verstoße aus mehreren Gründen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht rückwirke, der Beklagten ein zu langes Zuwarten vorzuwerfen sei und der geltend gemachte Anspruch verwirkt sei. Zudem folge aus der Leistung auf eine nicht fällige Rechnung kein Rückforderungsanspruch, der darüber hinaus auch verjährt sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.104,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klage für unzulässig, da die Klägerin kein Schlichtungsverfahren durchgeführt habe. Sie meint, die Aufrechnung sei zu Recht erfolgt, da die stationäre Krankenhausbehandlung ambulant hätte erfolgen können und müssen. Zudem sei die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (1) und begründet (2).

1.

Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.

Ein Schlichtungsverfahren nach § 17c Abs. 4b Satz 3 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze - Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) - in der ab dem 1. August 2013 geltenden Fassung war nicht durchzuführen. Danach gilt, dass bei Klagen, mit denen nach Durchführung einer Abrechnungsprüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V eine streitig gebliebene Vergütung gefordert wird, vor der Klageerhebung das Schlichtungsverfahren nach Absatz 4 durchzuführen ist, wenn der Wert der Forderung 2 000 Euro nicht übersteigt. Eine Abrechnungsprüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V fand hier nicht statt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unerheblich, dass die F. -Klinik G. der Beklagten auf die Aufforderung vom 13. Oktober 2013 keinen Grund für die Durchführung der stationären Behandlung mitgeteilt hat und keine Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt hat, da die Weigerungshaltung ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte das Prüfverfahren ohne einen konkreten auf den Behandlungsfall bezogenen nachvollziehbaren Grund über vier Jahre nach Rechnungserhalt eingeleitet hat, was einen berechtigten Grund darstellt der Beklagten keine weiteren Daten über den Behandlungsfall mitzuteilen.

2.

Der Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.104,98 EUR aus einer unstreitigen Forderung oder mehreren unstreitigen Forderungen ist nicht durch die Aufrechnung der Beklagten gemäß § 69 Satz 4 SGB V i.V.m. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen.

Die Aufrechnung war nicht wirksam, weil der der Beklagten möglicherweise zustehende Rückforderungsanspruch aufgrund einer Verwirkung nicht mehr durchsetzbar war. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs steht unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben nach § 242 BGB, der über § 69 SGB V auch für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten gilt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Juli 2013, B 3 KR 22/12 R). Das Rechtsinstitut der Verwirkung leitet sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab. Eine Verwirkung setzt voraus, dass ein Zeitmoment (a) und ein Umstandsmoment (b) erfüllt sind. a) Seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, muss ein längerer Zeitraum verstrichen sein. Hier hätte die Beklagte bereits nach der Rechnungsstellung im Juli 2009 die Abrechnung der F. -Klinik G. überprüfen können. Aufgrund der Pflicht zur Beschleunigung des Abrechnungsverfahrens ist ein Abwarten von über vier Jahren zu lang. b) Das Umstandsmoment setzt voraus, dass der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und der Verpflichtete hat tatsächlich darauf vertraut, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. November 2012, B 1 KR 24/11 R mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hat den Tatbestand des Verwirkungsverhaltens nicht durch ein aktives Tun erfüllt, was grundsätzlich erforderlich ist. Im vorliegenden Fall ist das über vierjährige Unterlassen der Rechnungsprüfung aufgrund des Beschleunigungsgebots bei der Überprüfung von Krankenhausabrechnungen durch Krankenkassen ausnahmsweise ausreichend. Das über vierjährige Unterlassen der Rechnungsüberprüfung hat zur Folge, dass die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte einen möglicherweise bestehenden Rückforderungsanspruch nicht mehr geltend machen werde. Maßgeblich hierfür ist, dass die Beklagte keine Auffälligkeiten benennen kann, die sie zur Einleitung des Prüfverfahrens veranlasste. Die Beklagte stützt die Einleitung des Überprüfungsverfahrens ausschließlich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und macht damit geltend, dass die Forderung der Klägerin, die sie erfüllt habe, nicht fällig gewesen sei, weil die F. -Klinik G. keinen Grund für die stationäre Behandlung benannt habe. Leistet eine Krankenkasse auf eine nicht fällige Rechnung, begründet dies für sich genommen keinen Rückforderungsanspruch, da die Fälligkeit die Durchsetzung der Forderung betrifft, nicht aber deren Entstehung. Für die Einleitung des Prüfverfahrens über vier Jahre nach Rechnungslegung zu der Frage, ob die Forderung der Klägerin bestanden hat, weil die Behandlung stationär zu erfolgen hatte, kann die Beklagte keinen nachvollziehbaren Grund benennen. Die Klägerin hat sich infolgedessen in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist Rücklagen für einen Rückforderungsanspruch gebildet hat. Zudem wären mit der Geltendmachung und Durchsetzung einer Vielzahl von Rückforderungsansprüchen kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist untragbare Auswirkungen auf die Grundlage der jahresbezogenen Budgetverhandlungen (§§ 4 ff KHEntgG) verbunden. Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und der Höhe nach aus § 9 Abs. 7 des in Rheinland-Pfalz geltenden Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).